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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.2004
Aktenzeichen: X ZR 5/00
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 5/00

Verkündet am: 13. Januar 2004

in dem Rechtsstreit

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt und Scharen, die Richterin Mühlens sowie den Richter Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das am 28. Oktober 1999 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 291 194 (Klagepatents), das am 26. April 1988 unter Inanspruchnahme der Priorität der britischen Patente 8 709 873 vom 27. April 1987 und 8 725 457 vom 30. Oktober 1987 angemeldet und dessen Erteilung am 16. Februar 1994 veröffentlicht worden ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch erteilte Patent betrifft "Immuno-assays and devices therefor" und umfaßt 23 Patentansprüche, von denen die in diesem Verfahren maßgeblichen Ansprüche 1 bis 3 in der deutschen Übersetzung lauten:

1. Analytisches Testgerät, umfassend ein hohles Gehäuse (30), aufgebaut aus einem feuchtigkeitsundurchlässigen festen Material und enthaltend einen trockenen porösen Träger (10), der direkt oder indirekt mit dem Äußeren des Gehäuses derartig in Verbindung steht, daß eine flüssige Testprobe auf den porösen Träger aufgebracht werden kann, wobei das Gerät ferner ein markiertes spezifisches Bindungsreagenz für eine Nachweissubstanz, welches markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb des porösen Trägers in feuchtem Zustand frei beweglich ist und ein unmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für die gleiche Nachweissubstanz enthält, welches unmarkierte Reagenz auf dem porösen Träger in einer Nachweiszone (14) permanent immobilisiert und daher in feuchtem Zustand nicht beweglich ist, wobei die relative Positionierung des markierten Reagenzes und der Nachweiszone derartig ist, daß eine auf das Gerät aufgebrachte Flüssigkeitsprobe das markierte Reagenz aufnehmen und danach in die Nachweiszone eindringen kann, wobei das Gerät Mittel (32) zum Feststellen des Ausmaßes (sofern gegeben) beinhaltet, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Markierungsstoff ein teilchenförmiger Direktmarkierungsstoff ist.

2. Analytisches Testgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das markierte Reagenz in einer ersten Zone (12) des trockenen porösen Trägers enthalten ist und das unmarkierte Reagenz in einer von der ersten Zone räumlich getrennten Nachweiszone immobilisiert ist, wobei die beiden Zonen derartig angeordnet sind, daß eine auf den porösen Träger aufgebrachte Flüssigkeitsprobe über die erste Zone in die Nachweiszone dringen kann.

3. Testgerät nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß der teilchenförmige Direktmarkierungsstoff eine Farb-Sol oder ein Gold-Sol ist.

Die Klägerin vertreibt unter der Marke "C. " ein auf diesem Patent basierendes Ein-Stufen-Schwangerschaftstestgerät. Die Beklagte bietet unter der Bezeichnung "Y. " in zwei verschiedenen Ausführungsformen ebenfalls ein Schwangerschaftstestgerät an.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Patentverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung der Erzeugnisse sowie Feststellung der Verpflichtung zu einer angemessenen Entschädigung und zum Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte hat sich im wesentlichen damit verteidigt, sie beziehe den von ihr vertriebenen Teststreifen von der A. B. USA, die auf Grund eines Lizenzvertrages mit der B. D. and Company USA zur Herstellung und zum Vertrieb berechtigt sei. Diese sei Inhaberin des europäischen Patents 0 284 232 mit der Priorität vom 27. März 1987, das am 28. September 1988 veröffentlicht und am 7. Juni 1995 erteilt worden sei. Die in diesem Patent zum Ausdruck kommende technische Lehre unterscheide sich von der des Klagepatents nur dadurch, daß sie die das Gehäuse betreffenden Merkmale des Klagepatents nicht ausdrücklich offenbare.

Das Landgericht hat die Beklagte wegen Verletzung der Patentansprüche 1, 2 und 3 in der erteilten Fassung nach Antrag verurteilt. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision, mit der sie Aufhebung des angefochtenen Urteils und Klageabweisung begehrt. Die Klägerin bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

Das Europäische Patentamt hat im Einspruchsbeschwerdeverfahren das Klagepatent in beschränkter Fassung aufrechterhalten. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch nunmehr gemäß Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 24. April 2001 - Pat 600/29L-95-E:

An analytical test device comprising a dry porous carrier (10), unlabelled specific binding reagent for an analyte which unlabelled reagent is permanently immobilised in a detection zone (14) on the porous carrier and is therefore not mobile in the moist state, and in the dry state in a zone (12) upstream from the detection zone a labelled specific binding reagent for the same analyte which labelled specific binding reagent is freely mobile within the porous carrier when in the moist state, such that liquid sample applied to the device can pick up labelled reagent and thereafter permeate into the detection zone, characterised in that the porous carrier and the labelled specific binding reagent are contained within a hollow casing (30) constructed of moisture-impervious solid material, the porous carrier communicates directly or indirectly with the exterior of the casing such that liquid test sample can be applied to the porous carrier, the casing incorporates means (32) enabling the extent (if any) to which the labelled reagent becomes bound in the detection zone to be observed, the label is a particulate direct label, the labelled reagent is contained in a first zone (12) of the dry porous carrier, and the unlabelled reagent is immobilised in a detection zone spatially distinct from the first zone, the two zones being arranged such that liquid sample applied to the porous carrier can permeate via the first zone into the detection zone.

und in der deutschen Übersetzung:

Analytisches Testgerät, umfassend einen trockenen porösen Träger (10), unmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für einen Analyten, welches unmarkierte Reagenz auf dem porösen Träger in einer Nachweiszone (14) permanent immobilisiert und daher in feuchtem Zustand nicht beweglich ist und in trockenem Zustand in einer Zone (12) stromaufwärts von der Nachweiszone ein markiertes spezifisches Bindungsreagenz für dieselbe Nachweissubstanz, welches markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb des porösen Trägers in feuchtem Zustand frei beweglich ist, so daß die Flüssigkeitsprobe, die dem Gerät zugeführt ist, das markierte Reagenz aufnehmen und danach in die Nachweiszone eindringen kann, dadurch gekennzeichnet, daß der poröse Träger und das markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb eines hohlen Gehäuses (30) enthalten sind, das aus feuchtigkeitsundurchlässigem festen Material aufgebaut ist, der poröse Träger direkt oder indirekt mit dem Äußeren des Gehäuses derart in Verbindung steht, daß flüssige Testproben auf den porösen Träger aufgebracht werden können, das Gehäuse Mittel (32) zum Feststellen des Ausmaßes (sofern gegeben) beinhaltet, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist, der Markierungsstoff ein teilchenförmiger Direktmarkierungsstoff ist, das markierte Reagenz in einer ersten Zone (12) des trockenen porösen Trägers enthalten ist und das unmarkierte Reagenz in einer von der ersten Zone räumlich getrennten Nachweiszone immobilisiert ist, wobei die beiden Zonen derartig angeordnet sind, daß eine auf dem porösen Träger aufgebrachte Flüssigkeitsprobe über die erste Zone in die Nachweiszone dringen kann.

Die Beklagte hat während des Einspruchsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent erhoben. Das Bundespatentgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Über die Berufung ist am gleichen Tag wie in der vorliegenden Sache verhandelt und entschieden worden; eine abschließende, die Nichtigkeit aussprechende Entscheidung ist insoweit nicht ergangen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Zwischen den Parteien war bisher unstreitig, daß der von der Beklagten vertriebene Schwangerschaftstest "Y. " alle Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents in der erteilten Fassung verwirklicht. Nachdem das Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt zu einer Beschränkung des Patentanspruchs 1 unter Neuformulierung der Beschreibung des Klagepatents geführt hat, ist die Patentlage verändert. Veränderungen der Patentlage, die nach Schluß der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz eintreten, sind ebenso wie Änderungen der Gesetzeslage in der Revisionsinstanz zu beachten. Das Revisionsgericht muß seiner Entscheidung das Klagepatent in der Fassung zugrunde legen, die es zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz hat. Dies hat zur Folge, daß es das angefochtene Urteil nicht nur auf seine Vereinbarkeit mit Recht und Gesetz nachprüfen, sondern die Verletzungsklage von einer anderen Rechtsgrundlage aus beurteilen muß als die Vorinstanz und daß es im Falle der Fassungsänderung das Klagepatent selbständig auslegen und seinen Schutzumfang bestimmen muß (BGH, Urt. v. 6.7.1962 - I ZR 74/59, GRUR 1962, 577, 578 - Rosenzüchtung; Urt. v. 17.12.1963 - Ia ZR 17/63, GRUR 1964, 433, 436 - Christbaumbehang I; Urt. v. 14.7.1970 - X ZR 4/65, GRUR 1971, 78, 79 - Dia-Rähmchen V; Benkard/Rogge, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz, 9. Aufl., § 139 PatG Rdn. 145 m.w.N.). Ist der für diese Auslegung zu berücksichtigende technische Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht noch nicht aufgeklärt, fehlen hierfür ausreichende Grundlagen, so daß die Sache zu deren Nachholung an den Tatrichter zurückzuverweisen ist (BGHZ 40, 332, 333; Sen.Urt. v. 22.3.1983 - X ZR 9/82, GRUR 1983, 497 ff. - Absetzvorrichtung); eine eigene Aufklärung hierzu ist dem Revisionsgericht - wie auch sonst - verwehrt.

2. Das Klagepatent (Anlage K1 und K3) betrifft Assays, die sich einer spezifischen Bindung bedienen, insbesondere Immunoassays, und Geräte dafür. Es umfaßt analytische Schwangerschaftstestgeräte, die zur Verwendung zu Hause, in der Klinik oder in der Arztpraxis geeignet sind und in kurzer Zeit ein Analyseergebnis liefern sollen, wobei nur ein Minimum an Geschicklichkeit und Arbeitsaufwand seitens der Benutzerin gefordert wird.

3. Nach den Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, war zwischen den Parteien unstreitig, daß der von der Beklagten in zwei Ausführungsformen vertriebene Schwangerschaftstest "Y. " alle Ansprüche des Klagepatents in der erteilten Fassung identisch verwirklicht. Beide Instanzgerichte haben davon abgesehen, die zur Auslegung des Klagepatents erforderlichen Feststellungen zu Kenntnissen und Fähigkeiten des einschlägigen Fachmanns und seinem Verständnis des Patentanspruchs sowie zu den angegriffenen Ausführungsformen zu treffen. Nachdem Patentanspruch 1 durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 24. April 2001 eine Beschränkung erfahren hat, ist sowohl der Inhalt des Klagepatents als auch dessen Verletzung unter den Parteien streitig geworden.

a) Die Revision macht geltend, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent in der geltenden beschränkten Fassung nicht. Die bisherigen Ansprüche 1 und 2 habe der Fachmann dahin verstanden, daß das markierte Reagenz und die Detektionszone auf dem Träger beliebig angeordnet sein konnten, also z.B. hintereinander, nebeneinander oder aber übereinander. Es sei nur gefordert worden, daß beide Zonen voneinander getrennt vorhanden, nicht aber in welcher "topographischen" Anordnung diese Zonen angeordnet sein sollten. Die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents hätten damit jede technische durchführbare Form der räumlichen Anbringung von markiertem spezifischen Nachweisreagenz und Detektionszone erfaßt. Der Patentanspruch 1 in der aufrechterhaltenen beschränkten Fassung unterschei-de sich hiervon im wesentlichen dadurch, daß er durch Einführung der Merkmale des erteilten Patentanspruchs 2 neu formuliert worden und darüber hinaus nunmehr u.a. die Merkmale aufgenommen seien, daß sich das markierte spezifische Bindungsreagenz für das Analyt "in einer Zone (12) in trockenem Zustand hinter der Nachweiszone" befinde und daß "die poröse Trägerschicht und das markierte spezifische Bindungsreagenz in einem hohlen Gehäuse (30) enthalten" seien. Das erste Merkmal sei dabei so zu verstehen, daß sich das trockene markierte Bindungsreagenz direkt in der ersten Zone der Trägermembran befinde, von wo aus es dann zum Nachweis in die räumlich getrennte Zone des Trägers wandern könne. Bisher habe das Fachpersonal nicht davon ausgehen können, daß die markierten Reagenzien beweglich genug seien, um zwischen zwei räumlich voneinander getrennten Zonen innerhalb eines festen Trägermaterials zu wandern. Die angegriffenen Ausführungsformen wiesen das Merkmal nicht auf, daß sich das markierte Reagenz direkt in der ersten Zone der Trägerschicht befinde. Vielmehr sei das Reagenz auf einem gesonderten Papierstreifen angebracht, der an die Trägermembran lediglich angrenze und damit nicht Teil derselben sei. Zu diesem vom Klagepatent abweichenden Aufbau des von der Beklagten vertriebenen Teststreifens sei bisher nicht vorgetragen worden, weil die ursprüngliche Fassung des Patentanspruchs 1 des Klagepatents jede technisch durchführbare Form der räumlichen Anbringung von markierten Nachweisreagenz und Detektionszone umfaßt habe.

Die Klägerin hat in ihrer Revisionserwiderung hingegen die Auffassung vertreten, die angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten machten auch von den neu in Patentanspruch 1 eingefügten Merkmalen Gebrauch, wie bereits in der ersten Instanz vorgetragen worden sei.

b) Dieser Vortrag der Parteien erlaubt es dem Senat nicht, eine endgültige Entscheidung in der vorliegenden Verletzungsklage zu treffen. Nachdem sich die Patentlage geändert hat, ist nunmehr zu prüfen, ob die von der Beklagten vertriebenen Ausführungsformen das Klagepatent in seiner eingeschränkten Fassung identisch oder äquivalent verwirklichen. Dazu kommt es entscheidend auf das Verständnis des Fachmanns an, also darauf, wie der Fachmann Patentanspruch 1 in der beschränkten Fassung versteht. Diese dem Tatrichter obliegenden und bisher fehlenden Feststellungen kann der Senat von sich aus nicht treffen.

4. Daher ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten der Revision zu befinden hat. Bei der erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht auch zu prüfen haben, ob der Umstand, daß bislang in der Nichtigkeitssache keine Entscheidung in der Sache ergangen ist, eine Aussetzung des Verfahrens rechtfertigt.



Ende der Entscheidung

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