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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.03.2007
Aktenzeichen: X ZR 58/06
Rechtsgebiete: ZPO, InsO
Vorschriften:
ZPO § 544 Abs. 7 | |
InsO § 45 | |
InsO § 103 Abs. 2 | |
InsO § 174 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 6. März 2007
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Ambrosius und die Richter Asendorf und Gröning
beschlossen:
Tenor:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. April 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 525.362,19 € festgesetzt.
Gründe:
I. Der Kläger, eine durch Bund und Länder geförderte, aus verschiedenen Instituten bestehende Organisation für angewandte Forschung, macht gegenüber dem Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. die Feststellung einer Forderung in Höhe von 185.301,34 € zur Insolvenztabelle und daneben Herausgabe- und Auskunftsansprüche geltend. Der Beklagte erhebt widerklagend eine Forderung von 175.892,19 €, deretwegen er den Herausgabe- und Auskunftsansprüchen des Klägers ein Zurückbehaltungsrecht entgegenhält.
Durch Kooperationsvertrag vom 19. Dezember 2000 vereinbarten der Kläger und die Insolvenzschuldnerin, bei der Entwicklung einer molekular-toxikologischen Datenbank unter Verwendung der von der Insolvenzschuldnerin entwickelten "... -Technologie" zusammenzuarbeiten. Das zuständige Institut des Klägers (I. ) sollte Versuche durchführen, bei denen es tierische und menschliche Zellen bestimmten Substanzen aussetzte, und dabei Zellproben gewinnen, aus denen dann die Insolvenzschuldnerin mittels Hybridisierung Gen-Expressionsprofile herstellen und auf Microarrays (DNA-Chips, Bio-Chips) speichern sollte. Auf dieser Grundlage wollten die Vertragspartner eine molekular-toxikologische Datenbank aufbauen. Ihre wechselseitigen Aufgaben sowie die Reihenfolge der Erledigung wollten sie in einem Aufgabenplan verbindlich festlegen. Sie beabsichtigten, das Entwicklungsvorhaben durch vom Institut des Klägers zu beantragende Fördermittel sowie einen Eigenbeitrag von M. zu finanzieren. Sie wollten für das geistige Eigentum an der zu entwickelnden Datenbank gemeinsame Schutzrechte anmelden und die Überschüsse aus der Verwertung der Datenbank hälftig teilen. Nachdem Fördermittel bewilligt worden waren, schlug der Kläger mit Schreiben vom 21. Dezember 2001 eine von ihm ausformulierte Vertragsänderung vor, in der es unter anderem hieß:
"I. § 2 Ziff. 2 wird wie folgt ergänzt:
Der Aufgabenplan gemäß Satz 1 wird von den Vertragsparteien durch eine einvernehmliche Anpassung an die erzielten Ergebnisse laufend fortgeschrieben. Der Aufgabenplan ist Vertragsbestandteil.
II. § 3 wird wie folgt gefasst:
1. ...
2. Für die Durchführung des Entwicklungsvorhabens erhält M. eine Vergütung gemäß § 7 der Verordnung PR Nr. 30/53 (Selbstkostenerstattungspreis) in Höhe von 50 % der nachgewiesenen, projektbezogenen Aufwendungen, höchstens jedoch einen Gesamtbetrag von 2.200.000,00 DM zzgl. gesetzl. USt. Es ist beabsichtigt, die Vergütung in folgenden Teilbeträgen zur Verfügung zu stellen:
DM 600.000,00 zzgl. gesetzl. USt. im Kalenderjahr 2001
DM 800.000,00 zzgl. gesetzl. USt. im Kalenderjahr 2002
DM 800.000,00 zzgl. gesetzl. USt. im Kalenderjahr 2003.
Das I. wird die Zahlungen halbjährlich innerhalb von 30 Tagen nach Eingang eines Zwischenberichtes und einer detaillierten Zahlungsanforderung auf Basis Ist-Kosten für das vergangene Kalenderhalbjahr leisten, soweit die bis zum jeweiligen Zeitpunkt geschuldeten Leistungen ordnungsgemäß erbracht wurden. ..."
Mit dieser Vertragsänderung war die Insolvenzschuldnerin einverstanden.
Der Aufgabenplan wurde von der Insolvenzschuldnerin unter dem 11. September 2002 erstellt. Danach sollte sie die cDNA-Generierung, die Array-Produktion sowie die Hybridisierungen und deren Auswertung in vier Abschnitten vom 3. Quartal 2001 bis zum 2. Quartal 2004 durchführen und dafür 50 % der Fördermittel, insgesamt 2.196.000,-- DM, erhalten. Die Insolvenzschuldnerin sollte 150 vom Institut des Klägers erstellte Versuchsansätze, so genannte Proben, bearbeiten, nämlich 50 Substanzen in vitro Ratte mit jeweils vier Zeitpunkten, drei Dosen und zwei Wiederholungen, 50 Substanzen in vitro human mit jeweils vier Zeitpunkten, drei Dosen und zwei Wiederholungen sowie 50 Substanzen in vivo Ratte mit vier Zeitpunkten, drei Dosen und vier Organen, wobei die Organe individueller Tiere gepoolt werden sollten. Die Insolvenzschuldnerin geriet mit der Bearbeitung der Proben in Rückstand. Bis zur Insolvenzeröffnung am 14. Juli 2003 hatte sie von den Versuchsansätzen in vitro zehn vollständig und drei teilweise und von den Versuchsansätzen in vivo drei fast vollständig bearbeitet. Den Wert dieser geleisteten Arbeiten hat der Kläger unwidersprochen mit 200.000,-- DM angegeben. Der Kläger hatte bei Insolvenzeröffnung die Rechnungen der Insolvenzschuldnerin vom 31. Dezember 2001 über 364.102,01 DM und vom 30. Juni 2002 über 101.397,32 € bereits bezahlt. Die nachfolgenden Rechnungen vom 20. Dezember 2002 über 114.760,03 € und vom 28. April 2003 über 61.132,16 € hatte er unter Hinweis auf den Bearbeitungsrückstand der Insolvenzschuldnerin nicht bezahlt.
Der Kläger erhebt aus dem Gesichtspunkt der Überzahlung Anspruch auf Rückerstattung des 185.301,84 € ausmachenden Unterschiedsbetrages zwischen den von ihm bezahlten Rechnungssummen und der geschuldeten Vergütung für die von der Insolvenzschuldnerin erbrachten Leistungen und beantragt die Feststellung dieses Anspruchs zur Insolvenztabelle. Außerdem begehrt er die Herausgabe von 125 Behältnissen mit nicht bearbeiteten Proben von 54 Versuchsansätzen sowie von 18 Behältnissen mit Proben von 13 Versuchsansätzen, die bei der Bearbeitung nicht vollständig verbraucht wurden. Schließlich verlangt er im Wege der Stufenklage Auskunft darüber, welche Zwischenstufen aus den Proben in den vorgenannten 18 Behältnissen hergestellt wurden, und Herausgabe dieser Zwischenstufen. Der Beklagte vertritt demgegenüber den Standpunkt, der Kläger habe die Insolvenzschuldnerin nicht nach Arbeitsergebnissen, sondern allein nach Maßgabe ihrer Lohn- und Materialaufwendungen bezahlen müssen, die 926.903,82 € betragen hätten, und habe deshalb die Insolvenzschuldnerin nicht über-, sondern unterbezahlt. Deshalb beantragt der Beklagte widerklagend die Zahlung des seiner Ansicht nach zu wenig bezahlten Betrages von 175.892,19 €.
Das Landgericht hat mit Teilurteil vom 1. Juni 2005 der Klage bis auf den erst nach Auskunftserteilung zu bestimmenden Teil des Herausgabeanspruchs stattgegeben; die Widerklage hat es abgewiesen. Die Berufung des Beklagten ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden, das dabei die Revision nicht zugelassen hat. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, der mit der von ihm erstrebten Revision seine bisherigen Anträge in vollem Umfang weiterverfolgen will.
Der Beklagte macht als Zulassungsgrund geltend, das Berufungsgericht habe mehrfach gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen. Es habe erhebliche Beweisanträge übergangen, indem es die Zeugen St. und S. - Geschäftsführer bzw. Steuerberater der Insolvenzschuldnerin - nicht zu seiner, des Beklagten, Behauptung vernommen habe, die Parteien hätten keinen Werkvertrag geschlossen, sondern vereinbart, dass die Insolvenzschuldnerin ihren Teil der Fördermittel ohne Rücksicht auf den Arbeitserfolg erhalten solle. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung, der Wortlaut des Vertrags spreche eindeutig dagegen, habe die Nichterhebung der angebotenen Beweise nicht rechtfertigen können, weil der übereinstimmende Wille der vertragsschließenden Parteien dem Wortlaut des Vertrags vorgehe. Das Berufungsgericht habe auch nicht die vom Beklagten vorgetragenen Indizien berücksichtigt, die gegen einen Werkvertrag sprächen, nämlich die im Kooperationsvertrag vorgesehene gesellschaftsähnliche Gewinnteilung und die Umstände, dass auch der Kläger die Fördermittel ohne Leistungsnachweis erhalten habe und dass der Kläger die ersten beiden Rechnungen der Insolvenzschuldnerin unabhängig vom erbrachten Leistungsumfang beglichen habe.
II. Die zulässige Beschwerde des Beklagten hat mit der von ihm erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) Erfolg. Der Beklagte macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht wesentliches entscheidungserhebliches Vorbringen und Beweisantritte des Beklagten nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat und dass das Berufungsurteil auf diesem Mangel beruhen kann.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr. d. BVerfG; vgl. nur Beschl. v. 04.08.2004 - 1 BvR 698/03, ZIP 2004, 1762, 1763). Das Gebot der Gewährung des rechtlichen Gehörs erstreckt sich auch auf die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, sofern die Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr. d. BVerfG; vgl. nur BVerfGE 69, 141, 144; BGH, Beschl. v. 18.01.2005 - XI ZR 340/03, BGH-Rep. 2005, 939).
2. Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
a) Der Beklagte hat nicht nur vorgetragen, der zwischen den Parteien zustande gekommene Kooperationsvertrag sei dahin auszulegen, dass die Insolvenzschuldnerin die Hälfte der dem Kläger zufließenden öffentlichen Fördergelder unabhängig von der Herbeiführung eines Arbeitserfolgs, vielmehr allein zur Deckung der ihr entstehenden Kosten, erhalten sollte. Der Beklagte hat auch behauptet, die Parteien hätten dies so vereinbart. Seine Behauptung ergibt sich zum einen konkludent daraus, dass er wiederholt zum Beweis für den von ihm vorgetragenen, vom schriftlichen Vertragstext abweichenden Vertragsinhalt den Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, der die Vertragsverhandlungen führte, und den Steuerberater der Insolvenzschuldnerin, der ebenfalls an den Verhandlungen teilnahm, als Zeugen benannt hat. Überdies hat der Beklagte in seiner Klageerwiderung auch ausdrücklich behauptet, die Parteien hätten vereinbart, dass im Außenverhältnis der Kläger die Forschungsmittel beantragen und einziehen und dass er diese im Innenverhältnis nach den gleichen Spielregeln mit der Insolvenzschuldnerin teilen solle.
b) Demgegenüber hat das Berufungsgericht in seinen Entscheidungsgründen nur - wenngleich ausführlich - ausgeführt, der schriftliche Vertragstext weise so eindeutig darauf hin, dass die Teilzahlungen des Klägers für die im Aufgabenplan niedergelegten bestimmten Leistungen der Insolvenzschuldnerin erfolgen sollten, dass eine Auslegung des Vertrags in dem vom Beklagten gewünschten Sinne nicht in Betracht komme. Auf die unter Beweis gestellte Behauptung des Beklagten, die Vertragsparteien hätten etwas anderes vereinbart, als das, was im schriftlichen Vertragstext stehe, ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Dieser Vortrag und der dazugehörige Beweisantritt waren aber erheblich. Denn es gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen, dass zwar der Wortlaut einer Vereinbarung den Ausgangspunkt der Auslegung bildet, jedoch der übereinstimmende Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vorgeht. Ein übereinstimmender Wille der vertragsschließenden Parteien ist für den Vertragsinhalt auch dann maßgebend, wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (st. Rspr. d. BGH; vgl. nur Urt. v. 08.05.2002 - I ZR 28/00, NJW-RR 2002, 1433; Beschl. v. 05.04.2005 - VIII ZR 160/04, NJW 2005, 1950). Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht das diesbezügliche Vorbringen des Klägers sowie den dazugehörigen Beweisantritt zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn das Berufungsgericht dargelegt hätte, dass und weshalb es der Ansicht sei, sich mit dem Vorbringen des Beklagten sowie dem diesbezüglichen Beweisantritt nicht befassen zu müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.01.2005, aaO). Dazu findet sich in den Entscheidungsgründen aber kein Hinweis.
3. Das Übergehen des Vortrags und des Beweisantritts des Beklagten hat seinen Anspruch auf rechtliches Gehör auch in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO). Denn sollte die Vernehmung der benannten Zeugen ergeben, dass die Vertragsparteien einen von der Erbringung der im Aufgabenplan niedergelegten Werkleistungen unabhängigen Kostenerstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin vereinbart hatten, wäre die mit der Klage geltend gemachte Rückforderung des Klägers unter Umständen nicht begründet und die Klage abzuweisen.
4. Die entscheidungserhebliche Verletzung des Beklagten in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör rechtfertigt nach § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberlandesgericht.
III. Für den Fall, dass das Berufungsgericht aufgrund der von ihm nachzuholenden Zeugenvernehmung über die Vertragsverhandlungen erneut zu dem Ergebnis gelangt, dass der Vertrag gemäß seinem Wortlaut auszulegen ist, weist der Senat darauf hin, dass die vom Berufungsgericht herangezogene Anspruchsgrundlage des § 103 Abs. 2 InsO nicht einschlägig ist. Denn der Kläger hat weder erklärt, dass er eine Forderung für die Nichterfüllung geltend mache, noch einen Schaden aus der Nichterfüllung des ganzen Kooperationsvertrags dargelegt. Stattdessen greift jedoch eine andere Anspruchsgrundlage ein. Ein Vertragspartner des Insolvenzschuldners, der vorkonkurslich teilweise geleistet hat, kann den seiner eigenen Leistung entsprechenden Anteil der vom Insolvenzschuldner geschuldeten Gegenleistung verlangen. Diesen anteiligen Gegenleistungsanspruch kann er gemäß § 174 InsO zur Tabelle anmelden (vgl. BGH, Urt. v. 27.02.1997 - IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25, 27; MünchKomm./Kreft, InsO, § 103 Rdn. 4, 25, 38). Hatte der Vertragspartner vom Schuldner eine nicht in Geld bestehende Leistung zu fordern, ist der Gegenleistungsanspruch gemäß § 45 InsO in Geld umzurechnen. Der vom Kläger geltend gemachte Betrag von 305,-- € pro bezahlte, aber noch nicht ausgeführte Hybridisierung ist jedenfalls nicht zu hoch, da er nach dem Vortrag der Beklagten nicht einmal deren Unkosten deckt.
Ende der Entscheidung
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