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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.12.1998
Aktenzeichen: X ZR 64/97
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 406 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 41
ZPO § 42
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

X ZR 64/97

vom

10. Dezember 1998

in der Patentnichtigkeitssache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 10. Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt, Dipl.-Ing. Frhr. v. Maltzahn, Scharen und Keukenschrijver

beschlossen:

Der Antrag der Klägerin, den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B. C. L. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird für begründet erklärt.

Gründe:

I. Der zum gerichtlichen Sachverständigen bestellte Prof. Dr. B. C. L., Leiter des Instituts für Pharmazeutische Technologie der H.-Universität D., hat in dem vorliegenden Patentnichtigkeitsverfahren ein schriftliches Gutachten erstellt, in dem er zu dem Ergebnis gelangt, die Lehre des angegriffenen europäischen Patents 0 012 156 (Streitpatents) sei dem Durchschnittsfachmann des Prioritätstages durch den Stand der Technik nicht nahegelegt gewesen.

In dem vor dem Landgericht Hamburg auf der Grundlage des Streitpatents geführten Patentverletzungsprozeß hat der gerichtliche Sachverständige dem Gericht am 29. Oktober 1998 mitgeteilt, er sei bereit, als gerichtlicher Sachverständiger tätig zu werden. Er weise allerdings darauf hin, daß zwischen der insoweit durch ihn vertretenen Universität D. und der B., Abteilung Pharmazeutische Technologie, eine Forschungskooperation auf dem Gebiet der Retardtabletten bestehe. Im Rahmen dieser Kooperation fördere die B. experimentelle Untersuchungen seines Instituts durch Bereitstellen von Mitteln zur Anschaffung wissenschaftlicher Geräte.

Daraufhin lehnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin des vorliegenden Nichtigkeitsverfahrens den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. L. mit Schriftsatz vom 4. November 1998 wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Nichtigkeitsbeklagte sei eine 100 %ige Tochtergesellschaft der B. und diese wiederum eine 100 %ige Tochtergesellschaft der B.. Die andauernde Forschungskooperation zwischen der Muttergesellschaft der Nichtigkeitsbeklagten und dem gerichtlichen Sachverständigen, in deren Rahmen experimentelle Untersuchungen an dem vom gerichtlichen Sachverständigen geleiteten Institut finanziell gefördert und unterstützt würden, erwecke die Besorgnis, der gerichtliche Sachverständige könne bei der Begutachtung voreingenommen sein.

Der Senat hat den gerichtlichen Sachverständigen und die Nichtigkeitsbeklagte zu dem Ablehnungsantrag gehört. Der gerichtliche Sachverständige hat sich für nicht befangen erklärt. Die finanziellen Zuwendungen der B. an das von ihm geleitete Institut für Pharmazeutische Technologie seien mit keinerlei Abhängigkeiten verbunden. Eigentlicher Vertragspartner der B. sei im übrigen nicht sein Institut, sondern die Universität D., vertreten durch den Kanzler. Er selbst sei nur der Projektleiter. Bei der Anfertigung seines schriftlichen Gutachtens habe er "möglicherweise und unterschwellig bzw. unbewußt registriert", daß die Nichtigkeitsbeklagte mit der B. verflochten sei; dies habe aber seine sachverständige Beurteilung im vorliegenden Rechtsstreit in keiner Weise und zu keiner Zeit beeinflußt. Die Nichtigkeitsbeklagte hat geltend gemacht, der gerichtliche Sachverständige habe das schriftliche Gutachten ohne Kenntnis der von der Klägerin vorgetragenen wirtschaftlichen Verflechtung und damit ersichtlich unparteiisch erstattet. Die von der Nichtigkeitsklägerin geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit des gerichtlichen Sachverständigen sei unberechtigt.

II. Das Ablehnungsgesuch der Nichtigkeitsklägerin ist zulässig und begründet.

Die Nichtigkeitsklägerin hat dargelegt, daß sie erst am 30. Oktober 1998 von der Erklärung des gerichtlichen Sachverständigen gegenüber dem Landgericht Hamburg über die Kooperation seines Instituts mit der B. Kenntnis erhalten hat. Das Ablehnungsgesuch ist am 4. November 1998 beim Bundesgerichtshof eingegangen und somit rechtzeitig und zulässig (vgl. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Das Ablehnungsgesuch ist auch begründet.

Die gesetzliche Regelung über die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen (§ 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO) dient ebenso wie die den Richter betreffenden Vorschriften (§§ 41, 42 ZPO) der Sicherung der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Das Gesetz will mit diesen Vorschriften die Neutralität und Distanz des Richters wie des Sachverständigen gegenüber den Parteien gewährleisten und so die Voraussetzungen für ein faires Verfahren schaffen (BVerfGE 21, 139, 146; 42, 64, 78; 89, 28, 36; BGH, Urt. v. 15.12.1994 - I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1678 r. Sp.). Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der gerichtliche Sachverständige tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält (vgl. BVerfGE 72, 296, 297). Entscheidend ist allein, ob objektive Gründe vorliegen, die einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlaß geben können, an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Sachverständigen zu zweifeln. Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen, die allein in der Einbildung des Ablehnenden wurzeln, scheiden allerdings aus (BVerfGE 73, 330, 335; BGHZ 77, 70, 72; BayOblGZ 1986, 249, 252; BayOblGZ 1987, 211, 217; vgl. auch Zöller, ZPO, 20. Aufl. § 42 Rdnr. 9 m.w.N.).

Legt man diese Maßstäbe an, ist die Besorgnis der Nichtigkeitsklägerin nicht als unverständig von der Hand zu weisen, die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der B. und dem vom gerichtlichen Sachverständigen geleiteten Institut für Pharmazeutische Technologie auf dem Gebiet der Retardtabletten könne seine Unabhängigkeit beeinflussen. Auch wenn der eigentliche Vertragspartner der B. die durch ihren Kanzler vertretene Universität D. ist, findet die tatsächliche wissenschaftliche Kooperation unstreitig zwischen der B. und dem Institut des gerichtlichen Sachverständigen statt. Er ist der Leiter des wissenschaftlichen Projekts. Mit den von der B. bereitgestellten finanziellen Mitteln werden wissenschaftliche Geräte für das von ihm geleitete Institut erworben. Unversitäten und Technische Hochschulen sind angesichts der Finanznot ihrer öffentlich-rechtlichen Träger auf solche Mittel zunehmend angewiesen. Auch eine besonnene Partei kann deshalb Anlaß zu der Besorgnis haben, der gerichtliche Sachverständige werde sein Gutachten möglicherweise mit Rücksicht auf diese wissenschaftliche Kooperation mit dem Prozeßgegner und dessen finanzielle Förderung seines Instituts nicht so unvoreingenommen und unparteilich erstatten, wie dies ohne diese wissenschaftliche und wirtschaftliche Verbindung der Fall wäre. Daß nicht die B. selbst, sondern die C. die Inhaberin des Streitpatents ist, spielt keine Rolle. Es kommt insoweit nicht auf die formale Position an, sondern darauf, daß die Nichtigkeitsbeklagte eine 100 %ige Tochtergesellschaft der B. und diese wiederum eine 100 %ige Tochtergesellschaft der B. ist. Entscheidend ist insoweit die wirtschaftliche Betrachtungsweise.



Ende der Entscheidung

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