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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 03.05.2006
Aktenzeichen: X ZR 84/03
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 3. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Asendorf
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 9. Mai 2003 verkündete Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Erstbeklagte, die sich mit der Herstellung von Fruchtsäften befasst und deren persönlich haftende Gesellschafterin die Zweitbeklagte ist, bestellte bei der Klägerin, einem Unternehmen, das auf dem Gebiet der Entwicklung von Software tätig ist, im August 1999 Standard- und Sondersoftware nebst zugehöriger Hardware, deren Leistungsumfang in einer Projektübersicht festgelegt wurde. Die dabei erteilten Einzelaufträge wurden in der Folgezeit erweitert. Die Klägerin lieferte und installierte zunächst Hardware und vorrangig Standardsoftware; ein von den Beklagten verwendetes Modul Produktion ist bezahlt. Im Übrigen kam es zu Projektverzögerungen; die in einem von der Klägerin auf Verlangen der Beklagten erstellten Projektplan genannten Fristen wurden nicht eingehalten. Die Klägerin verlängerte ein vertraglich eingeräumtes Rücktrittsrecht der Beklagten vom Gesamtvertrag bis Ende September 2000. Am 22. September 2000 fand ein Gespräch der Parteien statt, bei dem der Start des parallelen Echtlaufs auf den 1. Dezember 2000 und der Echtlauf des Moduls Absatz auf den 1. Januar 2001 festgelegt wurden; im Anschluss daran sollte abgerechnet werden. Nachdem der Termin 1. Dezember 2000 nicht eingehalten wurde, erklärte die Erstbeklagte die Einstellung des Projekts. Dies hinzunehmen war die Klägerin nicht bereit. Auf ihre Klage hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 360.058,36 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagten seien ohne Nachfristsetzung und Ablehnungsandrohung nicht berechtigt gewesen, sich vom Vertrag zu lösen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Landgerichtsurteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin ständen die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche nicht zu, weil die Beklagten den Vertrag wirksam liquidiert hätten, wodurch die Erfüllungsansprüche der Klägerin erloschen seien. Die Beklagten hätten der Klägerin am 22. September 2000 eine letzte Frist im Sinn einer Nachfrist gesetzt und damit die Androhung verbunden, nach Ablauf dieser Frist den Gesamtvertrag zu liquidieren. Am 22. September 2000 habe sich die Klägerin mit der Erbringung der von ihr geschuldeten Leistungen bereits seit Monaten in Verzug befunden. Mit dem Projekt Absatz habe die Klägerin erst nach dem April 2000 begonnen, obwohl nach ihrem Projektplan der Echtbetrieb für den April 2000 vorgesehen gewesen sei. Im September 2000 sei lediglich das Modul Produktion betriebsbereit gewesen. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstelle, dass die Beklagten die von ihnen geschuldete Stammdateneinpflege nicht vollständig erbracht hätten, ändere dies nichts am Verzug der Klägerin, denn die von ihr geschuldeten Leistungen seien davon unabhängig gewesen. Die Festlegung fester Termine für den Echtlauf auf der Besprechung im September 2000, die das Berufungsgericht als Krisengespräch bewertet hat, kurz vor Ablauf des den Beklagten vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts, stelle es außer Frage, dass sich die Parteien darüber klar gewesen seien, das Projekt solle mit der Einhaltung dieser Termine stehen und fallen. Gegen die Ernsthaftigkeit der Fristsetzung zum 1. Dezember 2000 spreche auch nicht, dass man sich an diesem Tag noch zu einem Arbeitsgespräch getroffen habe. Dass die Beklagten möglicherweise bereit gewesen wären, ihre Rechte nicht auszuüben, wenn eine Projektrealisierung kurzfristig absehbar gewesen wäre, ändere nichts daran, dass ihnen das Lösungsrecht zugestanden habe. Die ihr gesetzte letzte Frist habe die Klägerin nicht eingehalten. Eigene Vertragsuntreue der Beklagten stehe dem nicht entgegen; die Einpflegung der Stammdaten durch diese habe zeitlich schnell erfolgen können und den Projektfortgang allenfalls unwesentlich behindert.
II. Dies greift die Revision im Ergebnis mit Erfolg an.
1. a) Sie meint, das Landgericht sei rechtsfehlerfrei und damit für das Berufungsgericht bindend zu dem Ergebnis gekommen, das am 22. September 2000 eine Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht erfolgt sei. Die Beklagten hätten auch Abweichendes nicht behauptet, sondern lediglich die Vereinbarung eines Leistungstermins als Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung gewertet wissen wollen. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme habe keinen Anhalt dafür geliefert, dass eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung gesetzt worden sei. Zudem habe das Berufungsgericht den gegenbeweislich gestellten Beweisanträgen der Klägerin nachkommen müssen. Objektiv willkürlich sei auch die Bewertung des Schriftverkehrs der Parteien. Die Klägerin habe am 27. September 2000 erklärt, sie werde eine weitere Verschiebung des Zahlungstermins nicht ohne weiteres hinnehmen. Damit habe allenfalls die Klägerin eine letzte Frist zur Zahlung gesetzt, nicht aber hätten die Beklagten eine letzte Frist zur Leistungserbringung gesetzt. Auch aus der sonstigen Korrespondenz ergebe sich nichts Anderes.
b) Die Revision rügt weiter die Auffassung des Berufungsgerichts als willkürlich, die Klägerin habe sich am 22. September 2000 bereits seit Monaten in Verzug befunden. Die Klägerin habe hierzu vorgetragen und unter Beweis gestellt, es sei im Januar 2000 zu einer Verzögerung gekommen, weil die Erstbeklagte den jeweiligen Anwendern keine Schreibrechte an ihrer elektronischen Datenverarbeitung habe einräumen wollen. Weiter habe sie unter Beweis gestellt, dass es für sie schwierig gewesen sei, im ersten Quartal 2000 Termine bei der Beklagten zu bekommen. Es sei auch Beweis dafür angetreten worden, dass es durch die Auswechslung von Mitarbeitern bei der Klägerin nicht zu Verzögerungen gekommen sei. Diesem Vortrag sei das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft nicht nachgegangen.
c) Die Revision beanstandet weiterhin die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Frist zum 1. Dezember 2000 aus Gründen, die sie zu vertreten habe, nicht eingehalten. Es sei nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage das Berufungsgericht zu anderen Erkenntnissen gelangt sei als das Landgericht. Zudem sei hier Vortrag der Klägerin übergangen worden, der bereis in erster Instanz erfolgt sei.
2. Die Angriffe der Revision sind zunächst insoweit berechtigt, als das Berufungsgericht angenommen hat, die Klägerin habe sich am 22. September 2000 in Verzug befunden. Verzug käme hier in Betracht, wenn die Klägerin auf eine Mahnung der Beklagten nach Fälligkeit in zurechenbarer Weise nicht geleistet hätte (§§ 284 Abs. 1, 285 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung - a.F.). Hierzu fehlt es an Feststellungen. Verzug kann, ohne dass es einer Mahnung bedurfte, auch dann in Betracht kommen, wenn die Leistungszeit nach dem Kalender bestimmt war (§ 284 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.). Auch hierzu fehlt es an tragfähigen Feststellungen, wenngleich das Berufungsgericht wohl von Kalenderfälligkeit in diesem Sinn ausgegangen ist. Dass die Klägerin auf Wunsch der Beklagten einen Projektplan mit bestimmten Daten erstellt haben soll, legt eine bindende Terminsvereinbarung zwar nahe, genügt aber für die Feststellung einer Kalenderfälligkeit schon deshalb nicht, weil es in der Folgezeit mehrfach zu Terminsverschiebungen jedenfalls hinsichtlich der Dauer des Rücktrittsrechts gekommen ist. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen gestatten deshalb nicht mit hinreichender Sicherheit die Annahme, dass sich die Klägerin am 22. September 2000 bereits in Verzug befand. Das Berufungsgericht wird bei seiner erneuten Befassung zunächst zu prüfen haben, ob Kalenderfälligkeit vorlag, und wie sich das als übergangen gerügte Vorbringen hierauf gegebenenfalls auswirkte. Verneint es Kalenderfälligkeit, wird es sich mit der Frage zu befassen haben, wann die Leistung der Beklagten zu erbringen war und ob nach Fälligkeit eine Mahnung erfolgt ist oder ob eine solche etwa nach Treu und Glauben entbehrlich war. Dabei wird es auch zu beachten haben, dass eine Mahnung zugleich mit der Nachfristsetzung erfolgen kann (u.a. BGH, Urt. v. 8.3.2001 - VII ZR 470/99, NJW-RR 2001, 806 m.w.N.).
3. Auch die Feststellung des Berufungsgerichts, die Erstbeklagte habe der Klägerin am 22. September 2000 eine mit einer Ablehnungsandrohung verbundene Nachfrist gesetzt, ist, wie die Revision zu Recht rügt, nicht verfahrensfehlerfrei getroffen worden.
Zwar kann in der Setzung einer "letzten Frist", sofern sich der Schuldner bereits in Verzug befindet oder er zugleich gemahnt wird, eine Fristsetzung liegen, mit der der Gläubiger zugleich zum Ausdruck bringt, die Annahme der Leistung nach Fristablauf abzulehnen (§ 326 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.). Ob dies der Fall ist, unterliegt der Würdigung durch den Tatrichter. Das Revisionsgericht prüft nicht nach, ob die Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgelegen haben, wenn das Berufungsgericht insoweit Feststellungen trifft, die von den erstinstanzlichen Feststellungen abweichen (BGHZ 162, 313, 318 f.).
Jedoch hat das Berufungsgericht das Ergebnis des Gesprächs (der "Krisensitzung") vom 22. September 2000 ausschließlich im Licht des Schriftwechsels vom 22. bis 29. September 2000 interpretiert. Den Beweisangeboten der Klägerin (und der Beklagten) zum Inhalt des Gesprächs ist es nicht nachgegangen. Damit hat sich das Berufungsgericht zum Nachteil der Klägerin die Überzeugung von einem bestimmten Verlauf der "Krisensitzung" gebildet, ohne die für einen anderen Verlauf angebotenen Beweismittel auszuschöpfen, und damit gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) verstoßen.
4. Mit den Rügen, die die Nichteinhaltung der Nachfrist betreffen, wird sich das Berufungsgericht erforderlichenfalls zu befassen haben, nachdem es die Fragen des Verzugs und der Nachfristsetzung erneut geprüft hat.
Ende der Entscheidung
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