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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.07.2004
Aktenzeichen: XI ZB 35/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234
ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XI ZB 35/03

vom

13. Juli 2004

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, die Richterin Mayen und den Richter Dr. Appl

am 13. Juli 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2003 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert beträgt 116.828,96 €.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung der eingeklagten Hauptforderung und eines Teils der geltend gemachten Zinsen verurteilt. Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs hat es die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 28. Mai 2003 bei Gericht eingegangene Berufung der Klägerin, die behauptet, ihrem Prozeßbevollmächtigten sei das Urteil am 28. April 2003 zugestellt worden. Das von diesem unterzeichnete Empfangsbekenntnis weist hingegen den 25. April 2003 als Zustelldatum aus. Daß das Landgericht von diesem Zustelldatum ausging, erfuhr der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin durch die Zustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils am 6. Juni 2003, die ihn zu einer fernmündlichen Rückfrage beim Landgericht veranlaßte. Die Klägerin hat hierauf zunächst Erinnerung gegen den Rechtskraftvermerk eingelegt und - nachdem das Landgericht eine Kopie des streitgegenständlichen Empfangsbekenntnisses übersandt hatte, das eindeutig das Datum des 25. April 2003 ausweist - mit Schriftsatz vom 24. Juni 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie hat sich darauf berufen, die fehlerhafte Angabe auf dem Empfangsbekenntnis beruhe auf einer Verwechslung der Daten durch eine Kanzleiangestellte ihres Prozeßbevollmächtigten, der von diesem Versehen erst durch die ihm am 23. Juni 2003 zugegangene Kopie des Empfangsbekenntnisses erfahren habe. Bis dahin sei er von einem Irrtum beim Landgericht ausgegangen.

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe nicht den Beweis erbracht, daß das Urteil an einem anderen Tag als dem im Empfangsbekenntnis angegebenen zugestellt worden sei. Die Klägerin habe zudem die Frist des § 234 ZPO versäumt, die mit der Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils begonnen habe. Aus dem darin enthaltenen Hinweis, daß das Urteil am 25. April 2003 zugestellt worden sei, habe der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin einen konkreten Anhaltspunkt dafür entnehmen können, daß das in seinen Unterlagen notierte Zustellungsdatum des 28. April 2003 falsch sein könne und habe damit zumindest vorsorglich tätig werden müssen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; BGH, Beschluß vom 24. Juni 2003 - VI ZB 10/03, NJW 2003, 2991), sind nicht erfüllt.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich.

a) Mit ihrem Vortrag, das Berufungsgericht habe - gemessen an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung - angeblich die Anforderungen an den Beginn der Wiedereinsetzungsfrist überspannt, hat die Klägerin die Voraussetzungen einer Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht ordnungsgemäß dargetan.

Allerdings erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs, wenn die angefochtene Entscheidung Verfahrensgrundrechte einer Partei verletzt und darauf beruht (BGHZ 154, 288, 296 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; Senatsbeschluß vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 m.w.Nachw., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Das ist etwa der Fall, wenn ein Gericht einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von überspannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozeßbevollmächtigten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen mußte (BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227 f.; BGH, Beschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02, FamRZ 2003, 1271). Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verbietet es den Gerichten nämlich, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323, 326 f.; 41, 332, 334 f.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 2001, 2161, 2162; BGHZ 151, 221, 227).

Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht aber nicht verstoßen. Insbesondere hat es die an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen nicht in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise überspannt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht vielmehr - anders als die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 20. November 1967 (III ZB 4/67, VersR 1968, 301) geltend macht - langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach beginnt die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO schon dann zu laufen, wenn das Weiterbestehen des der Wahrung der versäumten Frist entgegenstehenden Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Das ist der Fall, sobald die Partei oder ihr Prozeßbevollmächtigter bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt die Versäumung hätte erkennen können, wenn also Anlaß bestand zu prüfen, ob das Fristende richtig festgehalten war (st.Rspr., BGH, Urteil vom 15. März 1977 - VI ZR 104/76, VersR 1977, 643, 644 und Beschlüsse vom 15. Januar 2001 - II ZB 1/00, NJW 2001, 1430, 1431, vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01, NJW-RR 2002, 860 sowie vom 16. September 2003 - X ZR 37/03, BGHReport 2004, 57, 58).

Ein solcher Anlaß bestand für den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bereits nach Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils. Nachdem er - bestätigt durch die telefonische Nachfrage - wußte, daß man dem Empfangsbekenntnis beim Landgericht als Zustelldatum den 25. April 2003 entnommen hatte, hätte er nicht ohne weiteres von einem Irrtum auf Seiten des Landgerichts ausgehen, sondern auch ein mögliches Versehen in seiner Kanzlei in Erwägung ziehen und zumindest vorsorglich ein Wiedereinsetzungsgesuch wegen Versäumung der Berufungsfrist stellen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 1977 - VI ZR 104/76, VersR 1977, 643, 644). Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Irrtum des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin sei durch eine Fehlinformation des Landgerichts hervorgerufen worden, ist das nicht zu berücksichtigen, da die Klägerin hierzu nicht schlüssig vorgetragen hat. Der Umstand, daß der Anwalt selbst unzutreffende Schlüsse und Konsequenzen aus der Auskunft des Landgerichts gezogen hat, genügt hierzu nicht.

b) Das Berufungsgericht hat entgegen den Rügen der Rechtsbeschwerde auch nicht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 GG verletzt. Die Rechtsbeschwerde zeigt keine besonderen Umstände auf, die zweifelsfrei darauf schließen ließen, daß das Berufungsgericht tatsächliches Vorbringen der Klägerin entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat (BGHZ 154, 288, 300 f. m.w.Nachw.). Das gilt insbesondere auch für die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Berufungsgericht habe den Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen der Kanzleiangestellten und der Rechtsanwälte nicht zur Kenntnis genommen. Die eidesstattlichen Versicherungen entsprechen vielmehr in jeder Hinsicht dem Sachvortrag der Klägerin, den das Berufungsgericht allerdings als unschlüssig erachtet hat. Gegen eine solche Bewertung des Vorbringens einer Partei gewährt Art. 103 GG aber keinen Schutz (vgl. Senatsbeschluß BGHZ 152, 182, 194 und BGH, Beschluß vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 101/02, WM 2003, 992, 994). In Betracht kommt in einem solchen Fall allenfalls ein Verstoß gegen das Grundrecht der betroffenen Partei auf ein faires willkürfreies Verfahren, der aber in Fällen der Zurückweisung eines Vortrags als unschlüssig in der Regel erst dann anzunehmen ist, wenn die Auffassung des Gerichts unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und daher auf sachfremden Erwägungen beruht (BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, NJW 2002, 3029, 3031 und vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 101/02 aaO). Davon kann hier keine Rede sein.

c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht die Grundrechte der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz und ein willkürfreies Verfahren auch nicht dadurch verletzt, daß es in seiner Entscheidung unter Verkennung des Beweismaßes eine unumstößliche Gewißheit für die Frage, ob das Urteil der Klägerin - wie sie behauptet - am 28. April 2003 zugestellt worden ist, verlangt hat. Das Berufungsgericht hat vielmehr ausdrücklich ausgeführt, daß der von der Klägerin behauptete Irrtum bei der Ausfüllung des Empfangsbekenntnisses nicht mehr als eine Möglichkeit darstelle. Das aber genügt - wie auch die Rechtsbeschwerde nicht verkennt - zum Beweis der Unrichtigkeit der in dem Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben, an den strenge Anforderungen zu stellen sind, nicht (BGH, Beschluß vom 18. Juni 2002 - VI ZR 448/01, NJW 2002, 3027, 3028 m.w.Nachw.).

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die von der Rechtsbeschwerde für grundsätzlich erachtete Frage, ob die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO auch zu laufen beginne, wenn zwar objektiv Umstände vorlägen, die auf eine Verfristung des Rechtsmittels schließen ließen, das Gericht auf eine entsprechende Nachfrage bei dem Prozeßbevollmächtigten aber den Eindruck erwecke, es handele sich um einen Fehler des Gerichts und die Verfristung liege tatsächlich nicht vor, stellt sich nicht. Wie schon ausgeführt, fehlt es an schlüssigem Vortrag der Klägerin, daß ihrem Prozeßbevollmächtigten von Seiten des Landgerichts eine falsche Auskunft erteilt worden ist.

Ende der Entscheidung

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