Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.04.2006
Aktenzeichen: XI ZR 105/05
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 | |
ZPO § 544 Abs. 7 | |
ZPO § 563 Abs. 1 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 11. April 2006
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Nobbe und die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Ellenberger und Prof. Dr. Schmitt
am 11. April 2006
beschlossen:
Tenor:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 7. März 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 4. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 93.285,87 €
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Bank im Zusammenhang mit einem Ausbietungsvertrag wegen einer angeblichen schuldhaften Verletzung von Aufklärungspflichten auf Schadensersatz in Höhe von 93.285,87 € zuzüglich Zinsen in Anspruch.
Die Beklagte betrieb wegen Forderungen über 3.996.027,14 DM zuzüglich Zinsen die Zwangsversteigerung von zwei mit Mietshäusern bebauten, unter Zwangsverwaltung stehenden Grundstücken in B. - . Vor Abschluss des notariellen Ausbietungsvertrages am 11. Mai 2000, in dem sich der Kläger gegenüber der Beklagten verpflichtete, im Zwangsversteigerungstermin ein Gebot von mindestens 3.996.027,14 DM zuzüglich Zinsen und gerichtlicher Verfahrenskosten abzugeben, überreichte der von der Beklagten eingeschaltete Vermittler P. dem Kläger bzw. dem für ihn tätigen Makler Pr. eine als Mietkataster bezeichnete Aufstellung des Zwangsverwalters über die bestehenden Mietverhältnisse und Mieterträge. In der Zwangsversteigerung erhielt der Kläger den Zuschlag für insgesamt 4.143.814,73 DM. Nach Übernahme der Grundstücke stellte der Kläger fest, dass die im Mietkataster angegebenen Mieterträge für 14 Wohnungen unrichtig waren. Die für diese Wohnungen vereinbarte Bruttokaltmiete war im Mietkataster als Nettokaltmiete ausgewiesen.
Der Kläger behauptet, in Kenntnis der Unrichtigkeit der angegebenen Mieterträge hätte er sich im Ausbietungsvertrag nur zu einem um 182.451,31 DM geringeren Gebot verpflichtet. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und behauptet, der Zeuge P. habe dem Kläger bzw. Pr. mitgeteilt, dass die Beklagte die Angaben des Mietkatasters nicht überprüft habe und dazu auch nicht in der Lage sei, da sie über keine Mietunterlagen verfüge. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben und die Revision nicht zugelassen. Zur Begründung seiner von der Beklagten mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte habe durch die Erteilung unrichtiger Auskünfte über die Mieterträge der beiden Grundstücke ihre vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt. Die Ertragssituation der Mietgrundstücke sei für den Kläger bei Abschluss des Ausbietungsvertrages, wie der Beklagten bekannt gewesen sei, maßgeblich gewesen. Die Beklagte habe auch schuldhaft gehandelt, da sie nicht darauf hingewiesen habe, dass sie für die Richtigkeit des vom Zwangsverwalter erstellten Mietkatasters keine Gewähr übernehme. Dem Vorbringen des Klägers, der Vermittler P habe ihm die Mietkataster ohne Erläuterung vorgelegt, sei die Beklagte nicht hinreichend entgegengetreten. Der Vortrag der Beklagten, P. habe deutlich darauf hingewiesen, dass die Beklagte keine Gewähr für die Richtigkeit der im Mietkataster enthaltenen Zahlen übernehmen könne, weil diese ungeprüft vom Zwangsverwalter übernommen worden seien, reiche für eine Beweisaufnahme nicht aus, da die Beklagte widersprüchlich vorgetragen habe. Wegen der schuldhaften Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten sei der Kläger so zu behandeln, als sei es ihm gelungen, den Ausbietungsvertrag zu günstigeren Bedingungen abzuschließen. Da das vereinbarte Gebot von 3.996.027,14 DM ausgehend von den im Mietkataster angegebenen Nettokaltmieten einem Mietertrag von 10,75 Jahren entsprochen habe, der Jahresnettomietertrag aber tatsächlich um 17.003,85 DM niedriger als angegeben gewesen sei, betrage der zu ersetzende Schaden des Klägers 93.285,87 €.
II.
Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen mündlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und deshalb die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen wäre (Senatsbeschluss BGHZ 159, 135, 140).
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267, 274; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG NJW 2000, 131).
Letzteres ist hier, wie die Beklagte zu Recht geltend macht, der Fall. Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung vom 16. September 2003 unter Beweisantritt (Zeugnis P. ) vorgetragen, P. habe den Kläger vor Überreichung des Mietkatasters am 6. April 2000 darauf hingewiesen, dass die Beklagte über die Versteigerungsobjekte keine Mietunterlagen besitze und das vom Zwangsverwalter erstellte Mietkataster nicht auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen könne. Bei der Unterredung am gleichen Tage sei das Mietkataster nicht Gesprächsgegenstand gewesen. Bei nachfolgenden Telefongesprächen habe der Kläger nach weitergehenden Mietunterlagen gefragt. P. habe darauf erklärt, die Beklagte besitze solche Unterlagen nicht, und angeregt, der Kläger möge sich deswegen mit dem Zwangsverwalter in Verbindung setzen. Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2003 hat die Beklagte ihr Vorbringen dahin modifiziert, das Mietkataster sei von P. dem vom Kläger eingeschalteten Makler Pr. bereits vor dem 6. April 2000 mit dem Hinweis übergeben worden, dass es sich nicht um Unterlagen aus dem Hause der Beklagten handele, sondern vom Zwangsverwalter gefertigt worden sei. Im Rahmen der Unterredung am 6. April 2000 habe P. dies klargestellt und erklärt, dass die Beklagte über keine Mietunterlagen verfüge. Im Schriftsatz der Beklagten vom 19. Januar 2004 heißt es unter Beweisantritt P. dann wieder, P. habe das vom Zwangsverwalter H. erstellte Mietkataster an den Kläger mit der Erklärung weitergeleitet, die Beklagte habe keine Möglichkeit, die Angaben des Zwangsverwalters auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. In der Berufungserwiderung vom 26. Oktober 2004 hat die Beklagte unter Bezugnahme auf alle drei vorgenannten Schriftsätze und unter erneutem Zeugenbeweis vorgetragen, P. habe dem Kläger schon vor der Besprechung am 6. April 2000 das Mietkataster mit dem Hinweis zur Verfügung gestellt, dieses habe mangels vorliegender Mietunterlagen weder von ihm noch von der Beklagten auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft werden können. Nachdem das Berufungsgericht daraufhin am 8. Dezember 2004 die Vernehmung des Zeugen P. und des vom Kläger gegenbeweislich benannten Zeugen Pr. beschlossen hatte, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 17. Januar 2005 vorgetragen, das Mietkataster sei dem Kläger nicht im Rahmen der Besprechung am 6. April 2004, sondern am Vortag per Fax dem Makler Pr. übermittelt worden, der es an den Kläger weitergereicht habe. Im Rahmen der Besprechung vom 6. April 2004 sei der Inhalt des Mietkatasters nicht erörtert worden (Beweis: Zeugnis P. ). Daraufhin hat das Berufungsgericht seinen Beweisbeschluss vom 8. Dezember 2004 aufgehoben und die beiden geladenen Zeugen P. und Pr. nicht vernommen, da das Vorbringen der Beklagten widersprüchlich und unklar sei.
Diese Maßnahme des Berufungsgerichts ist nicht verständlich und offenbart, dass es das unter Beweis gestellte Vorbringen der Beklagten, der Kläger bzw. der von ihm eingeschaltete Makler Pr. sei darauf hingewiesen worden, dass die Beklagte das Mietkataster nicht auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft habe und dafür keine Gewähr übernehme, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht berücksichtigt hat. Dass das Vorbringen der Beklagten, was die Übermittlung des Mietkatasters an den Kläger selbst oder aber an den von ihm eingeschalteten Makler Pr. angeht, wechselt, rechtfertigt die Nichtberücksichtigung des Vorbringens der Beklagten nicht. Auf den vorgenannten Nebenpunkt kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte durchgängig - auch aus ihrem Schriftsatz vom 17. Januar 2005 ergibt sich nichts anderes - unter Beweisantritt (Zeugnis P. ) behauptet hat, dass P. den Kläger bzw. Pr. darauf hingewiesen habe, dass die Beklagte über die Versteigerungsobjekte keine Mietunterlagen besitze, sich diese beim Zwangsverwalter befänden, und dass sie das vom Zwangsverwalter erstellte Mietkataster nicht auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen könne.
Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte sei dem Vorbringen des Klägers, P. habe das Mietkataster ohne Erläuterung, dass für dessen Richtigkeit keine Gewähr übernommen werde, nicht hinreichend entgegengetreten, ist deshalb nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Feststellung, die Beklagte habe nicht darauf hingewiesen, dass sie für die Richtigkeit der Mietkataster im Hinblick darauf, dass dieses vom Zwangsverwalter erstellt worden sei, keine Gewähr übernehme. Beides entbehrt ebenso jeder Grundlage wie die Aufhebung des Beweisbeschlusses vom 8. Dezember 2004 und die Ansicht, das Vorbringen der Beklagten reiche nicht aus, um eine Beweisaufnahme durchzuführen, die Beklagte habe es versäumt, den vor dem Sitzungssaal wartenden Zeugen P. "nochmals zum konkreten Geschehensablauf zu befragen." Es war, wie sie zu Recht rügt, nicht Aufgabe der Beklagten, den Zeugen anstelle des Berufungsgerichts außerhalb der mündlichen Verhandlung zu befragen. Die Ausführungen des Berufungsgerichts offenbaren, dass es den Kern des Vorbringens der Beklagten, obwohl es sich auf mehrere ihrer Schriftsätze bezogen hat, nicht erfasst und nicht berücksichtigt hat. Darin liegt ein evidenter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und damit ein Grund zur Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
2. Die Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Dabei hat der Senat von der auch und gerade im Anwendungsbereich des § 544 Abs. 7 ZPO bestehenden Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass der Kläger den von ihm geltend gemachten Schaden nur dann ersetzt verlangen kann, wenn es ihm bei richtiger Unterrichtung über die Mieterträge gelungen wäre, einen für ihn günstigeren Ausbietungsvertrag mit der Beklagten abzuschließen. Davon kann nach dem unter Beweis gestellten Vorbringen der Beklagten (GA 24, 31) nicht ohne weiteres ausgegangen werden.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.