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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.03.2002
Aktenzeichen: XI ZR 113/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 765
a) Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch Genommene kann Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nur geltend machen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich mißbraucht. Das gilt nicht nur für Einwendungen gegen die Hauptforderung, sondern auch für solche, die die Sicherungsabrede zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner betreffen.

b) Ein offensichtlicher Rechtsmißbrauch liegt nur vor, wenn der Sachverhalt klar auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist. Daran fehlt es auch dann, wenn eine vom Gläubiger zu beweisende Tatsache nicht sofort geklärt werden kann.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 113/01

Verkündet am: 5. März 2002

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Joeres und die Richterin Mayen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. März 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die beklagte Sparkasse im Urkundenprozeß aus einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin beauftragte im Rahmen eines Bauvorhabens die Unternehmensgruppe H. R., Ha. S. & Co. GmbH (im folgenden: Bau-Auftragnehmerin) mit der Durchführung von Rohbauarbeiten. In § 14 Nr. 6 des Bauvertrags war vereinbart, daß die Klägerin berechtigt sein sollte, 5% des Werklohns für die Dauer der Gewährleistungsverpflichtung einzubehalten, und die Bau-Auftragnehmerin befugt sein sollte, diesen Sicherheitseinbehalt durch eine Bankbürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen. Die Bau-Auftragnehmerin machte von ihrer Befugnis zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts Gebrauch und veranlaßte die Beklagte, eine der Klägerin gestellte und zunächst als Vertragserfüllungsbürgschaft ausgestaltete Bürgschaft auf erstes Anfordern im Umfang von 115.000 DM in eine Gewährleistungsbürgschaft umzuwandeln.

Nachdem die Beklagte aufgrund dieser Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern bereits im Juli 1997 13.000 DM an die Klägerin gezahlt hatte, verlangte die Klägerin von der Beklagten im Juni 1998 die restlichen 102.000 DM mit der Begründung, es hätten sich von der Bau-Auftragnehmerin nicht erfüllte Mängelansprüche in einer den geforderten Betrag übersteigenden Höhe ergeben. Die Beklagte lehnte die Zahlung unter Hinweis auf § 9 AGBG ab.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin 102.000 DM nebst Zinsen. Sie macht geltend, die Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern nicht ohne Rechtsgrund erhalten zu haben, weil § 14 Nr. 6 des Bauvertrags rechtswirksam sei; diese Bestimmung sei zwar vorformuliert gewesen, aber zwischen ihr und der Bau-Auftragnehmerin im einzelnen ausgehandelt worden, weshalb sie nach § 1 Abs. 2 AGBG nicht in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes falle.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr im wesentlichen stattgegeben und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klägerin habe schlüssig vorgetragen und durch Urkunden belegt, daß die Beklagte als Bürgin sich wirksam verpflichtet habe, für die Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen aus dem Bauvertrag bis zu einem Höchstbetrag von 115.000 DM auf erstes Anfordern einzustehen, und daß die Klägerin eine die Verpflichtung zur Zahlung von 102.000 DM auslösende Anforderungserklärung abgegeben habe.

Ihrer sich daraus ergebenden Zahlungspflicht könne die Beklagte nicht den Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegensetzen. Dieser Einwand setze voraus, daß der Rechtsmißbrauch offensichtlich sei. Das sei nur dann der Fall, wenn die den Rechtsmißbrauch begründenden Tatsachen entweder unstreitig oder leicht beweisbar seien. Im vorliegenden Fall sei die von der Beklagten geltend gemachte Mißbrauchssituation jedenfalls nicht offenkundig. Es gehe im wesentlichen darum, ob § 14 Nr. 6 des Bauvertrags eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstelle und daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unwirksam sei oder ob diese Vertragsklausel zwischen den Parteien des Bauvertrags im einzelnen ausgehandelt worden sei und gegen ihre Wirksamkeit daher keine Bedenken bestünden. Wie es sich verhalten habe, werde voraussichtlich nicht ohne eine unter Umständen aufwendige Beweisaufnahme zu klären sein, die ihren Platz jedoch erst im Rückforderungsprozeß, nicht aber im jetzigen Verfahren oder dessen Nachverfahren habe.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.

1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Beklagte eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern wirksam übernommen und die Klägerin sie aus dieser Bürgschaft formal ordnungsgemäß in Anspruch genommen hat. Die Revision greift das auch nicht an.

2. Mit Recht ist das Berufungsgericht der Ansicht, daß die Beklagte ihrer Zahlungspflicht aus der Bürgschaft nicht den Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegensetzen kann.

a) Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern Verpflichtete kann seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nach ständiger Rechtsprechung nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich mißbraucht. Das ist nur dann der Fall, wenn es offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, daß der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind nicht im Erstprozeß, sondern im Rückforderungsprozeß auszutragen (vgl. z.B. BGHZ 143, 381, 383; 147, 99, 102; jeweils m.w.Nachw.). Diese Grundsätze finden nicht nur auf Einwendungen gegen die Hauptforderung Anwendung, sondern auch dann, wenn der Bürge geltend macht, der Gläubiger sei im Verhältnis zum Hauptschuldner verpflichtet, von der Bürgschaft keinen Gebrauch zu machen (BGHZ 143, 381, 384; 147, 99, 102 f.; BGH, Urteil vom 24. Januar 2002 - IX ZR 204/00, Urteilsumdruck S. 5).

b) Im vorliegenden Fall kommt der Einwand des Rechtsmißbrauchs schon deshalb nicht in Betracht, weil es weder offenkundig noch liquide beweisbar ist, daß § 14 Nr. 6 des Bauvertrags eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt; den von der Beklagten an ihre dahingehende Behauptung geknüpften Folgerungen einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Vertragsklausel (vgl. BGHZ 136, 27, 30 ff.; 147, 99, 104 f.) und eines daraus folgenden offenkundigen Mißbrauchs der rechtsgrundlos erlangten Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern durch die Klägerin (vgl. BGHZ 147, 99, 105 ff.) ist bereits dadurch die Grundlage entzogen. Die umstrittene Frage, ob § 14 Nr. 6 des Bauvertrags im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBG individuell ausgehandelt wurde und damit nicht in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes fällt, kann, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, nur durch eine unter Umständen aufwendige Beweisaufnahme geklärt werden, die ihren Platz nicht im vorliegenden Rechtsstreit, sondern erst in einem etwaigen Rückforderungsprozeß hat.

c) Aus der Beweislastverteilung ergibt sich nichts anderes.

Es ist zwar richtig, daß den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2 AGBG trifft (BGH, Urteil vom 3. April 1998 - V ZR 6/97, WM 1998, 1289, 1291). Dem kommt im vorliegenden Zusammenhang aber keine entscheidende Bedeutung zu. Die Klägerin hat, wie das Berufungsgericht mit für die Revisionsinstanz bindender Wirkung (§ 561 Abs. 1 a.F. ZPO) festgestellt hat, behauptet, § 14 Nr. 6 des Bauvertrags sei zwischen den Bauvertragsparteien individuell ausgehandelt worden. Sie hat damit ihrer Darlegungslast für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG genügt. Die Frage, ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben, ist streitig und kann nicht mit Hilfe liquider Beweismittel auf der Stelle geklärt werden. Ein offensichtlicher Rechtsmißbrauch der Klägerin ist schon deshalb nicht gegeben. Daß die Klägerin für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG die Beweislast trägt, ist demgegenüber unerheblich. Der Sinn und Zweck einer Bürgschaft auf erstes Anfordern liegt darin, dem Gläubiger innerhalb kürzester Zeit liquide Mittel zu verschaffen (BGH, Urteile vom 13. Juli 1989 - IX ZR 223/88, WM 1989, 1496, 1497 und vom 17. Oktober 1996 - IX ZR 325/95, WM 1996, 2228, 2229). Dem widerspräche es, wenn die schnelle Durchsetzung der Bürgschaftsforderung in allen Fällen mit dem Einwand des Rechtsmißbrauchs verhindert werden könnte, in denen eine vom Gläubiger zu beweisende Tatsache nicht sofort geklärt werden kann.

III.

Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen.



Ende der Entscheidung

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