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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.02.2000
Aktenzeichen: XI ZR 186/99
Rechtsgebiete: BGB, ScheckG


Vorschriften:

BGB § 990
BGB § 989
ScheckG Art. 21
BGB §§ 990, 989, ScheckG Art. 21

Zur Frage der groben Fahrlässigkeit bei Hereinnahme abhanden gekommener, blanko indossierter Orderverrechnungsschecks durch Kreditinstitute (im Anschluß an BGH WM 1996, 248).

BGH, Urteil vom 15. Februar 2000 - XI ZR 186/99 - OLG Saarbrücken LG Saarbrücken


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 186/99

Verkündet am: 15. Februar 2000

Weber, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe und die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Müller und Dr. Joeres

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken vom 25. Mai 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der beklagten Sparkasse Schadensersatz, weil diese bei der Hereinnahme von drei Orderverrechnungsschecks grob fahrlässig nicht erkannt habe, daß die Schecks abhanden gekommen waren.

Die auf die Klägerin ausgestellten und auf die D. Bank gezogenen Schecks über insgesamt 557.132,21 DM tragen auf der Rückseite Blankoindossamente der Klägerin, eines F. Dr. und der MS GmbH (MS), die sie am 28. August 1995 der Beklagten, ihrer Hausbank, zum Inkasso einreichte. Die Beklagte schrieb die Scheckbeträge der Einreicherin unter Vorbehalt gut und legte die Schecks der Bezogenen vor, die sie am 29. August 1995 dem Ausstellerkonto belastete. Die Einreicherin hat über die Scheckbeträge verfügt.

Die Klägerin nimmt die Beklagte mit einer Teilklage auf Zahlung von 65.000 DM zuzüglich Zinsen in Anspruch. Sie hat behauptet, die Schecks, die sie von einer Kundin zahlungshalber erhalten habe, seien von ihr zum Inkasso indossiert, von einer Mitarbeiterin am 22. August 1995 in den Außenbriefkasten ihrer Hausbank eingeworfen und von Unbekannten mittels Spezialwerkzeugen entwendet worden. Die Beklagte habe bei der Hereinnahme der Schecks grob fahrlässig gehandelt, weil die Weitergabe von Orderverrechnungsschecks zahlungshalber im kaufmännischen Geschäftsverkehr absolut unüblich sei.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat eine grobe Fahrlässigkeit der Beklagten bei der Hereinnahme der Schecks verneint und hierzu im wesentlichen ausgeführt: Verschiedenheit von Scheckeinreicher und Schecknehmer (Disparität) sei beim Orderscheck - anders als beim Inhaberscheck - kein Verdachtsmoment für ein Abhandenkommen des Schecks, dem die Inkassobank nachgehen müsse. Orderschecks böten größere Sicherheit, weil die Vermutung der materiellen Berechtigung des Scheckeinreichers neben dem Besitz eine ununterbrochene Reihe von Indossamenten voraussetze. Dies gelte auch dann, wenn es sich um Blankoindossamente handele und es entsprechend der vom Landgericht eingeholten Auskunft der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes ungewöhnlich sei, Orderverrechnungsschecks zahlungshalber weiterzugeben. Eine solche Weitergabe sei jedenfalls nicht ausgeschlossen und werde im vorliegenden Fall durch das ordnungsgemäße Indossament der Klägerin indiziert. Auch die Höhe der Scheckbeträge und die Art, in der die Scheckeinreicherin über sie verfügt habe, begründeten angesichts der sonstigen Umsätze auf dem Konto der Einreicherin nicht den Verdacht eines Abhandenkommens der Schecks.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht grobe Fahrlässigkeit der Beklagten bei der Hereinnahme der Orderschecks und damit einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 990 Abs. 1, 989 BGB in Verbindung mit Art. 21 ScheckG verneint hat, ist rechtsfehlerhaft.

1. Die Frage, ob die fehlende Kenntnis von der mangelnden Verfügungsbefugnis des Scheckeinreichers auf grober Fahrlässigkeit des Erwerbers beruht, ist zwar im wesentlichen eine solche der tatrichterlichen Würdigung, die mit der Revision nur beschränkt angreifbar ist. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit oder die Pflichten des Kreditinstituts bei der Hereinnahme von Schecks zum Einzug verkannt hat (st.Rspr., vgl. Senatsurteile vom 19. Januar 1993 - XI ZR 76/92, WM 1993, 541, 542 und vom 16. März 1993 - XI ZR 103/92, WM 1993, 736). Letzteres ist hier der Fall. Das Berufungsgericht stellt für den Fall, daß - wie die Klägerin behauptet - die Weitergabe von Orderverrechnungsschecks im kaufmännischen Geschäftsverkehr absolut unüblich ist und praktisch nicht mehr vorkommt, zu geringe Anforderungen an die Sorgfalts- und Prüfungspflichten der Beklagten.

a) Die Bedeutung der Disparität zwischen Scheckeinreicher und Schecknehmer für den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gegenüber einer Inkassobank hängt entscheidend davon ab, ob es im kaufmännischen Geschäftsverkehr üblich ist, Schecks zahlungshalber weiterzugeben. Falls eine solche Weitergabe praktisch nicht vorkommen sollte, müßte bei Einreichung eines auf einen Dritten ausgestellten Schecks die Verfügungsberechtigung des Einreichers durch Rückfrage beim Schecknehmer oder -aussteller geprüft werden. Dies hat der Senat zwar bisher nur für Inhaberverrechnungsschecks entschieden (Urteile vom 12. Dezember 1995 - XI ZR 58/95, WM 1996, 248, 249 und vom 4. November 1997 - XI ZR 270/96, WM 1997, 2395, 2396). Für blanko indossierte Orderverrechnungsschecks kann aber nichts anderes gelten (OLG Dresden WM 1999, 1660; Pankewitz WuB I D 3.-7.99). Das auf einem Orderscheck befindliche Blankoindossament des ersten Schecknehmers und eine sich gegebenenfalls anschließende ununterbrochene Reihe von Indossamenten im Sinne des Art. 19 ScheckG geben keinen hinreichenden Aufschluß darüber, ob der Scheck tatsächlich zahlungshalber weitergegeben worden ist. Der Schecknehmer kann den Scheck, da sich Kreditinstitute im Hinblick auf Nr. 3 des bei der Hereinnahme der Schecks durch die Beklagte im August 1995 geltenden Abkommens zur Vereinfachung des Einzugs von Orderschecks (Orderscheckabkommen; jetzt: Abschnitt IV Nr. 2 Abs. 2 des Abkommens über den Einzug von Schecks (Scheckabkommen) in der Fassung von November 1997) die zum Inkasso hereingenommenen Schecks von den Einreichern generell durch Indossament ohne einschränkenden Zusatz übertragen lassen, ebensogut zum Inkasso blanko indossiert haben. Kommt ein Scheck nach einer solchen Indossierung abhanden, kann ein Dritter, der ihn unbefugt einziehen will, durch Anbringung weiterer Indossamente den Umlauf des Schecks im Geschäftsverkehr vortäuschen. Angesichts dieser naheliegenden Möglichkeit genügt eine Inkassobank ihren Sorgfaltspflichten nicht bereits dadurch, daß sie lediglich die förmliche Berechtigung des Scheckeinreichers gemäß Art. 19 ScheckG, der die materielle Wirksamkeit der Indossamente nicht voraussetzt, prüft.

b) Art. 35 ScheckG, der den Bezogenen verpflichtet, bei der Einlösung von Orderschecks die Ordnungsmäßigkeit der Reihe der Indossamente, aber nicht die Unterschriften der Indossanten zu prüfen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Vorschrift betrifft das Rechtsverhältnis des bezogenen Kreditinstituts zum Aussteller (Baumbach/Hefermehl, Wechsel- und Scheckgesetz, 21. Aufl. Art. 35 ScheckG Rdn. 1), nicht aber die im vorliegenden Fall zu beurteilende Beziehung des ersten Schecknehmers zur Inkassobank. Ob in diesem Verhältnis der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu erheben ist, richtet sich nach der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die Prüfungspflichten einer Inkassobank hängen damit entscheidend von den rechtstatsächlichen Gegebenheiten im kaufmännischen Geschäftsverkehr, also insbesondere davon ab, ob die Weitergabe von Orderverrechnungsschecks üblich ist oder praktisch nicht vorkommt.

2. Das Berufungsgericht hätte deshalb über die Behauptung der Klägerin, die Weitergabe von Orderverrechnungsschecks im kaufmännischen Geschäftsverkehr sei absolut unüblich und komme praktisch nicht vor, den angebotenen Beweis durch Einholung einer auf den Zeitpunkt der Scheckeinreichung bezogenen Auskunft des Deutschen Industrie- und Handelstages oder eines Sachverständigengutachtens erheben müssen. Die vom Landgericht eingeholte Auskunft der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes ist als Beweismittel nicht ausreichend. Sie bezieht sich nicht ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Scheckeinreichung und beruht lediglich auf einer Umfrage beim saarländischen Kreditgewerbe. Diese Erhebungsgrundlage ist unzureichend. Die tatsächliche Behandlung von Orderverrechnungsschecks im kaufmännischen Geschäftsverkehr kann nur durch die Befragung von Kaufleuten, die selbst Orderschecks ausstellen und entgegennehmen, rechtsfehlerfrei festgestellt werden. Diese Befragung, in die ergänzend auch Kreditinstitute einbezogen werden können, ist, um eine sichere Erkenntnisgrundlage zu gewinnen, über das Saarland hinaus auf das gesamte Bundesgebiet zu erstrecken und auf den Zeitpunkt der Scheckeinreichung im vorliegenden Fall zu beziehen.

III.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO) und die Sache, da sie nicht entscheidungsreif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Falls die durchzuführende Beweisaufnahme ergibt, daß die Weitergabe von Orderverrechnungsschecks im kaufmännischen Geschäftsverkehr im Zeitpunkt der Scheckeinreichung absolut unüblich war und praktisch nicht mehr vorkam, hat die Beklagte, indem sie von einer näheren Überprüfung der Berechtigung des Scheckeinreichers absah, grob fahrlässig gehandelt. In diesem Fall sind Feststellungen zum Abhandenkommen der Schecks erforderlich.

Ende der Entscheidung

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