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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.05.1998
Aktenzeichen: XI ZR 219/97
Rechtsgebiete: ZPO F. 03.12.1976


Vorschriften:

ZPO F. 03.12.1976 § 91 a
ZPO F. 03.12.1976 § 269
ZPO §§ 91 a, 269 F: 3. Dezember 1976 (= § 271 a.F.) Abs. 3

Ein Rechtsmittel kann jedenfalls dann einseitig für erledigt erklärt werden, wenn ihm durch eine nachträgliche Entscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO die Grundlage entzogen worden ist.

BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 - XI ZR 219/97 - OLG Hamm LG Essen


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL

XI ZR 219/97

Verkündet am: 12. Mai 1998

Weber Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. Februar 1998 durch den Vorsitzenden Richter Schimansky und die Richter Dr. Schramm, Dr. Siol, Nobbe und Dr. Müller

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 5. Mai 1997 aufgehoben.

Es wird festgestellt, daß die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 5. September 1996 erledigt ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Durch Urteil des Landgerichts vom 5. September 1996, zugestellt am 2. Oktober 1996, ist der Beklagte verurteilt worden, eine für ihn eingetragene Grundschuld über 4,000.000 DM auf die Klägerin zu übertragen und den Grundschuldbrief herauszugeben. Nach außergerichtlichen Verhandlungen hat ein neu bestellter Prozeßbevollmächtigter der Klägerin am 23. Oktober 1996 die Klage zurückgenommen; der Beklagte hat zugestimmt. Da die bisherigen Prozeßbevollmächtigten in der Folgezeit die Auffassung vertraten, der neue Bevollmächtigte sei zur Rücknahme nicht berechtigt gewesen, hat der Beklagte unter dem 30. Oktober 1996 beantragt, die Klagerücknahme durch Beschluß nach § 269 Abs. 3 ZPO festzustellen. Am darauffolgenden Tage hat er gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt. Die Klägerin hat sich der Berufung nach Ablauf der Berufungsfrist angeschlossen und eine der Teilung des mit der Grundschuld belasteten Grundstücks Rechnung tragende Umstellung der Klageanträge angekündigt.

Das Landgericht hat den Antrag des Beklagten auf Feststellung der Klagerücknahme nach mündlicher Verhandlung zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Oberlandesgericht im Verhandlungstermin vom 5. Mai 1997 - vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Berufung - durch Beschluß festgestellt, daß die Rücknahme der Klage wirksam und das Urteil des Landgerichts wirkungslos sei. Der Beklagte hat daraufhin seine Berufung für erledigt erklärt. Die Klägerin hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen, sondern - unter Hinweis darauf, daß die Erledigungserklärung unzulässig und als Berufungsrücknahme anzusehen, jedenfalls aber die Berufung angesichts der für wirksam erklärten Klagerücknahme unzulässig sei - beantragt, die Kosten des Berufungsverfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, hilfsweise die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Zur Anschlußberufung haben die Parteien keine Anträge gestellt. Die Berufung ist als unzulässig verworfen, die Kosten der Berufungsinstanz sind dem Beklagten und diejenigen der ersten Instanz der Klägerin auferlegt worden. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Feststellung der Erledigung der Berufung weiter.

Entscheidungsgründe:

Da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 557, 331 ZPO; vgl. BGHZ 37, 79, 81). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ aaO S. 82).

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Feststellung, daß die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts erledigt ist.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Die Berufung sei unzulässig. Durch die wirksame Klagerücknahme vom 23. Oktober 1996 sei das erstinstanzliche Urteil wirkungslos geworden. Da kein den Beklagten belastendes Urteil in der Welt sei, fehle es an der Statthaftigkeit des Rechtsmittels (§ 511 ZPO) und an einer Beschwer. Die - einseitig gebliebene - Erledigungserklärung des Beklagten gehe ins Leere. Unabhängig von der in Literatur und Rechtsprechung streitigen Frage, ob eine auf das Rechtsmittel beschränkte Erledigungserklärung überhaupt zulässig sei, setze eine derartige Erledigung jedenfalls voraus, daß ein erstinstanzliches Urteil existiere. Im vorliegenden Fall gebe es aber als Folge der Klagerücknahme weder Urteil noch Klage. Diese prozessuale Situation sei auch nicht erst nach Einlegung der Berufung eingetreten. Das erstinstanzliche Urteil sei nicht nachträglich wirkungslos geworden; es sei durch die bereits vor Einlegung der Berufung erfolgte Klagerücknahme von vornherein wirkungslos gewesen. Der dies rechtskräftig feststellende Beschluß vom 5. Mai 1997 sei rein deklaratorischer Natur. Eine Umdeutung der unzulässigen Erledigungserklärung in eine zulässige Erklärung der Rücknahme der Berufung komme nicht in Betracht. Der Beklagte habe ausdrücklich erklärt, die Berufung nicht zurücknehmen zu wollen. Nach § 519 b ZPO sei deshalb die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung des Beklagten nicht als unzulässig zu verwerfen; vielmehr ist die Erledigung des Rechtsmittels festzustellen.

1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, für eine Erledigung des Rechtsmittels sei schon deshalb kein Raum, weil bereits die Klagerücknahme und nicht erst der Beschluß über ihre Wirksamkeit das erstinstanzliche Urteil beseitigt habe, beruht auf einer formalen Betrachtungsweise, die das durch zwei Instanzen mit wechselndem Ergebnis durchgeführte Verfahren nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO außer Betracht läßt. Im Zeitpunkt der Berufungseinlegung war ungewiß, ob die Klage wirksam zurückgenommen war. Die Klägerin stellte das in Abrede; die nach Einlegung der Berufung ergangene Entscheidung des Landgerichts bestätigte ihre Auffassung. Hätte der Beklagte sich mit dieser Entscheidung abgefunden, wäre seine Berufung zulässig gewesen. Ohne die erfolgreiche sofortige Beschwerde hätte das angefochtene Urteil also als bestehend angesehen werden müssen. Der formal rein deklaratorische Charakter der dem Beklagten günstigen Beschwerdeentscheidung ändert deshalb nichts an der Tatsache, daß erst sie der Berufung die Grundlage entzogen hat. Er ist mithin kein hinreichender Grund, den Beklagten kostenmäßig so zu behandeln, als habe er Berufung gegen ein nicht existierendes Urteil eingelegt.

Die Berufung war auch nicht deswegen von vornherein unzulässig, weil der Beklagte die Wirksamkeit der Klagerücknahme in dem einfacheren Verfahren nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO geltend machen konnte und dies auch getan hat. Angesichts des Streits der Parteien über die Wirksamkeit der Rücknahme und des durch Verstreichen der Einlegungsfrist drohenden Verlustes der Berufungsmöglichkeit war ein Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung zu bejahen (BGHZ 4, 329, 341).

2. Dem nachträglichen - wenn auch rückwirkenden - Wegfall der Grundlage für die Berufung ist durch die Zulassung einer Erledigungserklärung Rechnung zu tragen. Nur sie ermöglicht eine sachgerechte Verteilung der Kosten.

Die Frage, ob auch ein Rechtsmittel Gegenstand einer Erledigungserklärung sein kann, ist allerdings umstritten. Zum Teil wird die Zulässigkeit einer auf das Rechtsmittel beschränkten Erledigungserklärung schlechthin verneint (OLG Karlsruhe FamRZ 1991, 464 ff.; Habscheid NJW 1960, 2132 ff.). Überwiegend wird dagegen eine Rechtsmittelerledigungserklärung für möglich gehalten (OLG Stuttgart BauR 1995, 135; OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 63; OLG Hamburg NJW 1960, 2151, 2152; MünchKomm ZPO/Lindacher § 91 Rdn. 109 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 56. Aufl. § 91 a Rdn. 195 ff.; AK/ZPO-Röhl § 91 a Rdn. 51; Bergerfurth NJW 1992, 1655, 1656; Heintzmann ZZP 87, 199 ff.; jedenfalls für die übereinstimmende Erledigungserklärung auch OLG Hamm FamRZ 1987, 1056 f.; KG OLGZ 86, 358, 359 ff.; KG FamRZ 1982, 950 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO 20. Aufl. § 91 a Rdn. 19). Der Bundesgerichtshof ist in einer älteren Entscheidung (Beschluß vom 30. September 1958 - I ZR 48/56, GRUR 1959, 102 f.) ohne weiteres von der Zulässigkeit einer auf das Rechtsmittel beschränkten übereinstimmenden Erledigungserklärung ausgegangen; in zwei neueren Entscheidungen, die jeweils eine einseitige Rechtsmittelerledigungserklärung betrafen, hat er die Frage, ob ein Rechtsmittel überhaupt für erledigt erklärt werden kann, offen gelassen (BGH, Urteil vom 13. Januar 1993 - XII ZR 212/90, NJW-RR 1993, 386, 390; BGHZ 127, 74, 82).

Der Senat ist jedenfalls für den vorliegenden Fall der Auffassung, daß der Beklagte und Berufungskläger die Berufung einseitig für erledigt erklären kann. Für eine solche Erledigungserklärung besteht hier ein Bedürfnis, weil nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung möglich ist. Die Klägerin hat - wie nunmehr feststeht - die Wirksamkeit der Klagerücknahme zu Unrecht bestritten. Sie hat dadurch den Beklagten veranlaßt, trotz der erklärten Klagerücknahme Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil einzulegen, was - wie dargelegt - dem Gebot sachgemäßer Rechtsverteidigung entsprach. Bei dieser Sachlage erscheint es unbillig, den Beklagten mit den Kosten der nunmehr gegenstandslos gewordenen Berufung zu belasten. Ließe man die Rechtsmittelerledigungserklärung nicht zu, könnte der Beklagte der Belastung mit den Kosten des Berufungsverfahrens nicht entgehen. Ein sofortiges Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO kommt von vornherein nicht in Betracht. Eine auf die Hauptsache bezogene einseitige Erledigungserklärung des Beklagten ist unzulässig (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Mai 1994 - I ZB 4/94, NJW 1994, 2363, 2364 und vom 15. März 1995 - XII ZB 29/95, NJW-RR 1995, 1089, 1090). Danach bliebe also nur die Berufungsrücknahme mit der Kostenfolge des § 515 Abs. 3 ZPO. Es ist deshalb hier geboten, eine einseitige, auf die Berufung beschränkte Erledigungserklärung des Beklagten zuzulassen.

3. Der in der Erledigungserklärung liegende Antrag auf Feststellung der Erledigung der Berufung ist auch begründet. Die ursprünglich zulässige Berufung ist durch die rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit der Klagerücknahme und der Wirkungslosigkeit des erstinstanzlichen Urteils gegenstandslos geworden und damit erledigt. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob das Rechtsmittel, wenn die Klagerücknahme für unwirksam erklärt worden wäre, in der Sache Erfolg gehabt hatte. Die wirksame Klagerücknahme, durch die sich die Klägerin freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben hat, schließt eine Prüfung der Begründetheit aus (vgl. § 269 Abs. 3 ZPO).

4. Über die Anschlußberufung ist nicht zu entscheiden. Die Klägerin hat sie nicht aufrechterhalten.

Ende der Entscheidung

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