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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.10.2000
Aktenzeichen: XI ZR 277/99
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 123 Abs. 1 | |
BGB § 119 | |
BGB § 123 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 10. Oktober 2000
Herrwerth, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe und die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. van Gelder und Dr. Müller
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen, das Urteil des Einzelrichters des 22. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. August 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Klage betrifft.
Auf die Berufung des Beklagten werden, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen, das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 13. März 1997 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden der Klägerin auferlegt. Von den Kosten der Rechtsmittelverfahren haben die Klägerin 86,2% und der Beklagte 13,8% zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um gegenseitige Ansprüche im Zusammenhang mit einem Darlehensvertrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beklagte unterhielt im Jahre 1995 bei der klagenden Volksbank ein Girokonto. A. F., damals als Kassierer bei der Klägerin tätig und mit dem Beklagten befreundet, hatte aus der Kasse der Klägerin in erheblichem Umfang Geld veruntreut. Er fürchtete im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Kassenprüfung die Aufdeckung der Fehlbeträge und wandte sich deshalb am 10. Juli 1995 an den Beklagten. Diesem spiegelte er vor, er sei dadurch in eine schwierige Lage geraten, daß er einem guten Kunden der Bank trotz fehlender Kontodeckung 60.000 DM herausgegeben habe; das Geld werde zwar kurzfristig wieder auftauchen, wegen einer unmittelbar bevorstehenden Kassenprüfung drohe aber die Feststellung des Fehlbetrags, was zu seiner Entlassung führen könne. Daraufhin unterschrieb der Beklagte auf Bitten des F. einen Auszahlungsbeleg über 60.000 DM zu Lasten seines Kontos, ohne jedoch Geld erhalten zu haben. Noch am selben Tag händigte F. dem Beklagten Reiseschecks im Betrag von 45.000 US-Dollar aus, die dieser unterzeichnen und sodann auf seinem Konto gutschreiben lassen sollte, um es auf diese Weise wieder auszugleichen. Dem kam der Beklagte auch nach.
Dem Girokonto des Beklagten wurden von der Klägerin zunächst aufgrund des von ihm unterzeichneten Auszahlungsbelegs 60.000 DM belastet und sodann für die Reiseschecks 62.721 DM gutgeschrieben. Da F. jedoch die Reiseschecks bei American Express als zu Lasten des Beklagten ausgegeben deklariert hatte, wurde dessen Konto Ende Juli 1995 wieder mit dem Gegenwert der Reiseschecks belastet. Dadurch ergab sich ein buchungsmäßiger Sollstand von 58.624,48 DM.
Die Klägerin verlangte von dem Beklagten Ausgleich des Sollsaldos. Dieser berief sich darauf, daß ihm am 10. Juli 1995 entgegen dem Inhalt des Auszahlungsbelegs kein Geld ausgezahlt worden sei, konnte dafür aber keinen Beweis erbringen, weil F. inzwischen verschwunden war. Um die Belastung seines Girokontos mit Überziehungszinsen zu vermeiden, schloß er am 4. August 1995 mit der Klägerin einen Darlehensvertrag über 60.000 DM, die dem Girokonto gutgeschrieben wurden.
Nachdem der Beklagte zunächst die vereinbarten monatlichen Raten von jeweils 700 DM für Zinsen und Darlehenstilgung regelmäßig entrichtet hatte, focht er den Darlehensvertrag an und stellte sodann seine Zahlungen ein. Daraufhin kündigte die Klägerin das Darlehen.
Die Klägerin verlangt mit der Klage Rückzahlung des noch offenen Darlehensbetrags von 56.621,76 DM nebst Zinsen. Mit der in zweiter Instanz erhobenen Widerklage begehrt der Beklagte von der Klägerin die Rückzahlung der von ihm gezahlten Raten in Höhe von insgesamt 9.100 DM nebst Zinsen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und seine Widerklage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seine in zweiter Instanz gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Hinsichtlich der Klage ist die Revision begründet und führt zur Klageabweisung. Hinsichtlich der Widerklage ist die Revision dagegen unbegründet.
A. Zur Klage
I.
Das Berufungsgericht hat einen Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin bejaht und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Der Darlehensvertrag vom 4. August 1995 sei durch die Anfechtung seitens des Beklagten nicht unwirksam geworden. Ein Anfechtungsgrund im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB liege nicht vor, weil der Beklagte von der Klägerin weder durch arglistige Täuschung noch durch widerrechtliche Drohung zum Abschluß des Kreditvertrags bestimmt worden sei. Auch eine Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB scheide aus, weil der Beklagte sich bei dem Abschluß des Vertrages in keinem Erklärungs- oder Inhaltsirrtum befunden habe. Bei einem etwaigen Irrtum des Beklagten über seine Verpflichtung zum Ausgleich des Girokontos könne es sich allenfalls um einen rechtlich unbeachtlichen Motivirrtum gehandelt haben.
Gegenüber dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin stehe dem Beklagten auch kein bereicherungsrechtliches oder sonstiges Leistungsverweigerungsrecht zu, weil der Debetsaldo des Girokontos, zu dessen Ausgleich das Darlehen verwandt worden sei, zu Recht bestanden habe. Aufgrund des vom Beklagten am 10. Juli 1995 unterzeichneten Auszahlungsbelegs sei nämlich dessen Girokonto trotz fehlender Barauszahlung mit Recht belastet worden. Dem Beklagten sei ein dem Auszahlungsbeleg und der dadurch veranlaßten Kontobelastung entsprechender Gegenwert in Form eines Auszahlungsanspruchs gegen die Klägerin zugeflossen, über den er in der Weise verfügt habe, daß er auf die Auszahlung verzichtet und das Buchgeld zugunsten seines Freundes F. habe stehen lassen, um auf diese Weise den von F. zu vertretenden Fehlbestand in der Barkasse auszugleichen.
Aus den Vorgängen um die Reiseschecks ergebe sich nichts anderes. Entgegen der Auffassung des Beklagten könne nicht davon ausgegangen werden, daß die 60.000 DM, über die der Beklagte den Auszahlungsbeleg vom 10. Juli 1995 unterzeichnet habe, dem Ankauf der Reiseschecks hätten dienen sollen. Das Hin- und Hergeschiebe der Schecks stelle sich vielmehr als eine von F. veranlaßte nachträgliche Verschleierungsaktion dar, durch die dem Beklagten eine Absicherung des von ihm dem F. zur Verfügung gestellten Buchgeldes habe vorgespiegelt werden sollen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Fehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings die Anfechtung des Darlehensvertrags durch den Beklagten als unwirksam angesehen. Seine Ausführungen über das Fehlen von Anfechtungsgründen im Sinne der §§ 119, 123 BGB lassen keinen Rechtsfehler erkennen und werden von der Revision auch nicht angegriffen.
2. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision auch darin, daß die Vorgänge vom 10. Juli 1995 nicht im Sinne eines Ankaufs von Reiseschecks gegen Barzahlung gedeutet werden können. Dem Beklagten kam es damals nicht darauf an, von der Klägerin Reiseschecks zu erwerben, sondern allein darauf, seinem Freund F. dabei zu helfen, einen (angeblich) vorübergehenden Kassenfehlbestand vor der Kassenprüfung zu verbergen. Die Aushändigung der Reiseschecks konnte aus seiner Sicht daher nur den Sinn haben, ihn gegen die mit der Unterzeichnung des Auszahlungsbelegs verbundenen Risiken abzusichern und dabei auch zu verhindern, daß sein Girokonto formal einen Sollsaldo aufwies, der die Gefahr einer Belastung mit Zinsen begründete.
3. Aus der Unrichtigkeit der Deutung, die der Beklagte den Vorgängen vom 10. Juli 1995 zu geben versucht, folgt jedoch nicht, daß die vom Berufungsgericht für richtig gehaltene Deutung zutreffend wäre. Diese steht im Widerspruch zu den vom Gericht selbst festgestellten Tatsachen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ging der Beklagte am 10. Juli 1995 davon aus, er müsse seinem Freund F. dabei helfen, eine lediglich vorübergehende Überziehung eines fremden Kontos vor den Augen der unmittelbar bevorstehenden Kassenprüfung zu verbergen. Der tatsächliche Ausgleich der Überziehung sollte nach dem, was F. dem Beklagten vorgespiegelt hatte, später durch die alsbald zu erwartende Rückzahlung des "guten Kunden" erfolgen. Daraus folgt, daß die Unterzeichnung eines Auszahlungsbelegs ohne Auszahlung nicht den Sinn haben konnte, dem F. tatsächlich irgendwelche Geldmittel zur Verfügung zu stellen, sondern aus der Sicht des Beklagten dazu dienen sollte, mit Hilfe eines unrichtigen Buchungsbelegs eine von F. eigenmächtig zugelassene Überziehung eines fremden Kontos für die Kassenprüfung unsichtbar zu machen. Mit der Unterzeichnung des Auszahlungsbelegs hat der Beklagte daher keine Verfügung über sein Girokonto vorgenommen, sondern lediglich eine inhaltlich unrichtige Urkunde hergestellt. Die Verbuchung der angeblich ausgezahlten 60.000 DM auf dem Girokonto des Beklagten war daher eine Falschbuchung, die keine Forderung der Klägerin gegen den Beklagten entstehen ließ.
4. Da eine Kontoforderung der Klägerin gegen den Beklagten in Wahrheit nicht bestand, führte die Gutschrift des Darlehens vom 4. August 1995 auf dem Girokonto nicht zum Ausgleich eines Sollsaldos von 58.624,48 DM, sondern zu einem Kontoguthaben von mehr als 60.000 DM. Diesen Betrag schuldet die Klägerin dem Beklagten.
Damit steht dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin ein Anspruch des Beklagten auf Auszahlung des Kontoguthabens gegenüber. Da der Beklagte nicht vorgetragen hat, sein Kontoguthaben gegen seine Darlehensschuld aufgerechnet zu haben, kann der erkennende Senat zwar nicht von einem Erlöschen des Darlehensrückzahlungsanspruchs ausgehen. Dem Verlangen der Klägerin nach Darlehensrückzahlung steht jedoch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Sie kann von dem Beklagten, der sich ihr gegenüber auf die Unrichtigkeit ihrer Buchungen auf dem Girokonto beruft, nicht eine Zahlung verlangen, obwohl sie sogleich verpflichtet wäre, dem Beklagten einen noch höheren Betrag zurückzuzahlen.
Dem steht nicht entgegen, daß der Beklagte mit der Unterzeichnung des unrichtigen Auszahlungsbelegs unredlich gehandelt hat. Für einen daraus entstandenen Schadensersatzanspruch - der angesichts der Tatsache, daß der Schaden bereits durch die zuvor erfolgten Veruntreuungen des A. F. entstanden war und das Verhalten des Beklagten lediglich zu einer unbedeutenden Verzögerung der Aufdeckung der Machenschaften F.s beigetragen hat, keineswegs nahe liegt - hat die Klägerin nichts vorgetragen.
B. Zur Widerklage
I.
Einen Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung seiner auf das Darlehen vom 4. August 1995 gezahlten Raten hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint, es komme allein ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch in Betracht. Ein solcher sei indes nicht gegeben, weil der streitgegenständliche Darlehensvertrag wirksam zustande gekommen und auch nicht durch Anfechtung in Wegfall geraten sei.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
Wie oben bereits dargelegt wurde, ist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler von der Unwirksamkeit der Anfechtung des Darlehensvertrages durch den Beklagten ausgegangen. Da der Beklagte auf eine tatsächlich bestehende Darlehensschuld gezahlt hat, sind Rückzahlungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht gegeben.
Der Umstand, daß der Beklagte, wie ebenfalls oben bereits dargelegt wurde, nicht nur Schuldner eines Darlehensrückzahlungsanspruchs der Klägerin, sondern zugleich auch Gläubiger einer deutlich höheren Kontoforderung gegen die Klägerin ist, ist insoweit ohne Belang. Mit seiner Widerklage hat er nicht diese Kontoforderung oder den Betrag, um den sie seine verbleibende Darlehensschuld übersteigt, sondern ausdrücklich nur seine angeblichen Ansprüche auf Rückzahlung der einzelnen auf das Darlehen gezahlten Raten geltend gemacht.
Ende der Entscheidung
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