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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.10.2000
Aktenzeichen: XI ZR 300/99
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 328 Abs. 1 Nr. 5 |
a) Auch ohne formelle Vereinbarungen mit dem ausländischen Staat ist die Gegenseitigkeit im Sinne von § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO verbürgt, wenn das beiderseitige Anerkennungsrecht und die Anerkennungspraxis bei einer Gesamtwürdigung im wesentlichen gleichwertige Bedingungen für die Vollstreckung eines ausländischen Urteils gleicher Art schaffen.
b) Bei Zahlungsurteilen ist die Gegenseitigkeit mit der kanadischen Provinz British Columbia verbürgt.
BGH, Urteil vom 24. Oktober 2000 - XI ZR 300/99 - OLG München LG Augsburg
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 24. Oktober 2000
Weber, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe und die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. van Gelder und Dr. Joeres
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des Einzelrichters des 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Augsburg vom 15. September 1999 aufgehoben und das Urteil des Einzelrichters des Landgerichts Augsburg - 2. Zivilkammer - vom 6. Mai 1997 abgeändert, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, eine Gesellschaft nach dem Recht von British Columbia, Kanada, nimmt aus abgetretenem Recht ihres deutschen Geschäftsführers die in British Columbia wohnenden Beklagten, ebenfalls deutsche Staatsangehörige, auf Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch.
Im August 1987 gewährte der Geschäftsführer der Klägerin den Beklagten in Kanada ein Darlehen über 62.000 Kanadische Dollar, fällig am 31. Dezember 1990. Wegen des Darlehensrückzahlungsanspruchs zuzüglich Zinsen hat die Klägerin im Juli 1993 Klage vor dem Supreme Court of British Columbia gegen die Beklagten erhoben. Der Rechtsstreit ist noch nicht beendet, wird von der Klägerin zur Zeit aber nicht betrieben.
Im Oktober 1993 erwirkte die Klägerin einen Arrestbeschluß des Amtsgerichts N., durch den ein Wertpapierdepot, das die Beklagten bei der D. Bank in A. unterhalten, gepfändet wurde. Als die D. Bank die Überweisung von der Vorlage eines Zahlungstitels gegen die Beklagten abhängig machte, hat die Klägerin den Darlehensrückzahlungsanspruch im Juli 1994 vor dem Landgericht A. gegen die Beklagten geltend gemacht. Die Beklagten bestreiten vor allem die internationale Zuständigkeit, erheben die Rüge anderweitiger Rechtshängigkeit und behaupten, die Darlehensforderung sei durch Teilrückzahlung und Verrechnung mit Gegenansprüchen erloschen.
Das Landgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Daraufhin hat das Landgericht der Klage unter Abweisung im übrigen in Höhe von 52.396 Kanadischen Dollar zuzüglich Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgerichts hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin die Beklagten zur Zahlung von 62.000 Kanadischen Dollar nebst Zinsen verurteilt. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage als unzulässig wegen anderweitiger Rechtshängigkeit.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:
Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts ergebe sich aus § 23 ZPO; die Beklagten hätten Vermögen in Deutschland. Ein hinreichender Inlandsbezug des Rechtsstreits sei gegeben, weil die Parteien des Darlehensvertrages deutsche Staatsangehörige seien, eine erforderliche Beweisaufnahme jedenfalls zum Teil in Deutschland durchzuführen gewesen sei und mit der Klage ein Arrestbeschluß eines deutschen Gerichts verwirklicht werden solle. Die doppelte Rechtshängigkeit stehe der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Die Rechtshängigkeit der Sache beim Supreme Court of British Columbia sei nicht beachtlich, weil im Verhältnis zu British Columbia die Gegenseitigkeit im Sinne von § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht verbürgt sei. Es gebe - soweit ersichtlich - weder ein bilaterales noch ein multilaterales Vollstreckungsabkommen mit British Columbia oder Kanada. Nur bei günstiger Anerkennungsprognose stelle die anderweitige Rechtshängigkeit im Ausland ein Prozeßhindernis dar.
Die Klage sei auch begründet. Die Beklagten hätten nicht bewiesen, daß die Darlehensforderung, für die die Parteien die Geltung deutschen Rechts vereinbart hätten, durch Zahlung von 12.000 Kanadischen Dollar teilweise getilgt und im übrigen durch Erfüllungssurrogate oder die Aufrechnung mit Gegenforderungen erloschen sei.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung jedenfalls in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hat verkannt, daß im Verhältnis zwischen Deutschland und British Columbia die Gegenseitigkeit im Sinne von § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO verbürgt ist. Auf die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kommt es danach für die Entscheidung nicht an.
1. Nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO hat die Rechtshängigkeit einer Streitsache die Wirkung, daß sie von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden kann. Dieses Prozeßhindernis ist in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu beachten (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1985 - I ZR 1/83, NJW 1986, 2195). Daß das Berufungsgericht die anderweitige Rechtshängigkeit der Sache in Kanada in seinem von den Beklagten nicht angefochtenen Urteil vom 18. Dezember 1995 verneint hat, ändert nichts. Die Entscheidungsgründe jenes Urteils sind nicht in Rechtskraft erwachsen und binden weder die Parteien noch den erkennenden Senat.
Beachtlich ist nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO auch die zeitlich frühere Rechtshängigkeit einer Sache im Ausland, wenn die Streitgegenstände - wie hier - identisch sind, sofern die Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung in Deutschland gewährleistet ist (st.Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 1985 - I ZR 1/83, NJW 1986, 2195, vom 18. März 1987 - IVb ZR 24/86, NJW 1987, 3083 und vom 24. September 1992 - XII ZR 40/91, NJW-RR 1993, 5). Von wesentlicher Bedeutung dafür ist gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, ob die Gegenseitigkeit der Anerkennung und Vollstreckung verbürgt ist. Das ist der Fall, wenn die Anerkennung und Vollstreckung eines entsprechenden deutschen Urteils in dem Urteilsstaat auf keine wesentlich größeren Schwierigkeiten stößt als die Anerkennung und Vollstreckung des anzuerkennenden Urteils in Deutschland. Dabei ist darauf abzustellen, ob das beiderseitige Anerkennungsrecht und die Anerkennungspraxis bei einer Gesamtwürdigung im wesentlichen gleichwertige Bedingungen für die Vollstreckung eines ausländischen Urteils gleicher Art schaffen (BGHZ 42, 194, 196 f.; BGH, Urteil vom 29. April 1999 - IX ZR 263/97, NJW 1999, 3198, 3201).
2. Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der kanadischen Provinz British Columbia ist die Gegenseitigkeit verbürgt.
a) Zwar gibt es mit British Columbia oder der Kanadischen Union kein bilaterales oder multilaterales Vollstreckungsabkommen. Dies ist jedoch, anders als das Berufungsgericht gemeint hat, nicht von entscheidender Bedeutung. Die Gegenseitigkeit der Anerkennung und Vollstreckung von Zahlungstiteln muß nämlich nur materiell bestehen, sie braucht nicht formell durch Vereinbarung mit dem ausländischen Staat gesichert zu sein (MünchKomm-ZPO/Gottwald, § 328 Rdn. 94; Musielak, ZPO 2. Aufl. § 328 Rdn. 30). Von entscheidender Bedeutung sind vielmehr das vom Berufungsgericht nicht berücksichtigte Anerkennungsrecht von British Columbia sowie die dortige Anerkennungspraxis (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO 21. Aufl. § 328 Rdn. 156), die der erkennende Senat feststellen kann.
b) Nach dem Court Order Enforcement Act R.S.B.C. 1979, ch. 75 (as amended British Columbia) erfolgt die Anerkennung von auf Zahlung lautenden gerichtlichen Urteilen, die in einem die Gegenseitigkeit verbürgenden Staat (reciprocating state) ergangen sind, auf Antrag des Titelgläubigers durch Registrierung (Enforcement upon Registration); der sonst erforderlichen Anerkennungsklage (Enforcement by Action) bedarf es bei Urteilen solcher Staaten nicht.
c) Die Bundesrepublik Deutschland ist durch Order in Council Nr. 2755/64 zum "reciprocating state" erklärt worden. Durch die Registrierung erhält das deutsche Urteil dieselbe Wirkung, die ein vom registrierenden Gericht erlassenes Urteil hätte. In der Literatur besteht deshalb Einigkeit darüber, daß im Verhältnis zu British Columbia die Gegenseitigkeit der Anerkennung und Vollstreckung von Zahlungsurteilen verbürgt ist (Stein/Jonas/Roth, ZPO 21. Aufl. § 328 Rdn. 172; MünchKomm-ZPO/Gottwald § 328 Rdn. 109; Zöller/Geimer, ZPO 21. Aufl. Anh. III S. 2649 Stichwort "Kanada"; Martiny, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts III/1 Rdn. 1402; Schütze in: Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. 1, 2. Halbband, 1984, 1854 ff.; Tepper, Festgabe für Sandrock, 1995, S. 89 f.; Tepper/Scheurer IWB Nr. 16 vom 23. August 1995 (S. 787 f.); Bachmann in: Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze, Der Internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Band III (Stand 1. Dezember 1999), 1065/15; Arnold AWD 1966, 130, 131).
Die Rechtshängigkeit des hier geltend gemachten Darlehensanspruchs in British Columbia bildet danach für die vorliegende Klage ein Prozeßhindernis.
III.
Da keine weiteren Feststellungen für die zu erlassende Entscheidung erforderlich sind, war auf die Rechtsmittel der Beklagten die Klage durch den Senat als unzulässig abzuweisen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Ende der Entscheidung
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