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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.01.2006
Aktenzeichen: XI ZR 306/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, HGB
Vorschriften:
ZPO § 286 Abs. 1 | |
ZPO § 525 | |
ZPO § 563 Abs. 1 Satz 2 | |
BGB § 767 Abs. 1 Satz 3 | |
HGB § 356 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 24. Januar 2006
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen und die Richter Dr. Ellenberger und Prof. Dr. Schmitt
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 22. Juli 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 4. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht der Volksbank E. (im Folgenden: Zedentin) aus zwei Bürgschaften für Verbindlichkeiten aus einem Geschäftskonto der K. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Hauptschuldnerin) bei der Zedentin in Anspruch.
Die Hauptschuldnerin unterhielt bei der Zedentin seinerzeit unter anderem das als Kontokorrentkonto geführte Geschäftskonto Nr. ... . In einem Gespräch zwischen Vertretern der Zedentin und der Hauptschuldnerin sowie dem Beklagten am 3. April 1997 wurde vereinbart, dass die Zedentin der Hauptschuldnerin für dieses Konto einen Kontokorrentkredit von 9,4 Millionen DM zur Verfügung stellte. Bis zum Stichtag 30. Mai 1997 wurde eine Überziehungslinie bis 11,95 Millionen DM, für die Zeit vom 1. Juni bis 30. Juli 1997 eine Überziehungslinie von 11 Millionen DM vereinbart. Der Beklagte übernahm mit Erklärung vom 20./21. Mai 1997 zur Sicherung aller bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche aus der über einen Sollsaldo von 11,55 Millionen DM hinausgehenden Überziehung des Geschäftskontos eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Betrag von 400.000 DM. Mit Vereinbarung vom 11./19. Juni 1997 (Ziffer 6) wurde die Bürgschaft dahin abgeändert, dass sie erst am 1. September 1997 fällig sein und mögliche Überziehungen des dann geltenden Kreditrahmens der Hauptschuldnerin von 9,4 Millionen DM absichern sollte. Am 15. Juli/1. August 1997 übernahm der Beklagte eine weitere selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Betrag von 500.000 DM zur Sicherung aller bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche aus der Überziehung des Geschäftskontos über einen Sollsaldo von 12,2 Millionen DM hinaus.
Nachdem die Kreditverträge mit der Hauptschuldnerin wegen Zahlungsverzugs gekündigt worden sind, nimmt die Klägerin den Beklagten auf Zahlung in Höhe von 400.000 DM aus der Bürgschaft vom 20./21. Mai 1997 sowie auf Zahlung eines erststelligen Teilbetrags von 100.000 DM aus der Bürgschaft vom 15. Juli/1. August 1997 nebst Zinsen in Anspruch.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei den beiden Bürgschaften habe es sich um auch AGB-rechtlich wirksame sog. Teilbürgschaften gehandelt. Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage könne der Beklagte sich nicht berufen. Die Bürgschaft vom 20./21. Mai 1997 sichere begrenzt auf einen Betrag von 400.000 DM Überziehungen des für die Zeit bis 30. Mai 1997 gewährten Kreditrahmens von 11,55 Millionen DM, die Bürgschaft vom 15. Juli/1. August 1997 begrenzt auf einen Betrag von 500.000 DM die Überziehung des am 30. Juni 1997 maßgeblichen Kreditrahmens von 12,2 Millionen DM. Eine Haftung des Beklagten scheide gleichwohl aus, da es an ausreichendem Vortrag der Klägerin fehle, dass der Tagessaldo auf dem Geschäftskonto der Hauptschuldnerin am 30. Mai 1997 höher als 11,55 Millionen DM (Bürgschaft vom 20./21. Mai 1997) und am 30. Juni 1997 höher als 12,2 Millionen DM (Bürgschaft vom 15. Juli/1. August 1997) gewesen sei. Die Klägerin habe die von ihr behaupteten Tagessalden von 13.523.714,37 DM am 30. Mai 1997 und von 12.263.172,21 DM am 30. Juni 1997 nicht hinreichend dargelegt. Selbst wenn man das anders beurteile, müsse von den jeweiligen Tagessalden wegen einer unberechtigten Rückbuchung ein Betrag von 214.735,43 DM in Abzug gebracht werden, da die Zedentin eine vorbehaltlose Gutschrift erteilt habe. Dies führe hinsichtlich der Bürgschaft vom 15. Juli/1. August 1997 zum Entfallen der Haftung, da zum maßgeblichen Zeitpunkt kein über die Überziehungslinie hinausgehender Kredit von der Hauptschuldnerin in Anspruch genommen worden sei. Hinsichtlich der Bürgschaft vom 20./21. Mai 1997 gelte im Ergebnis nichts anderes, weil sich unter Berücksichtigung der bis 7. Juli 1997 eingegangenen Gutschriften ein Sollsaldo von unter 11.550.000 DM ergebe. Nach dem Stichtag 30. Mai 1997 zu Lasten des Kontos getroffene Verfügungen seien nicht zu berücksichtigen, da der Beklagte sich nur für den letztrangigen Teil der Überziehungslinie verbürgt habe und daher für Kontobelastungen nach diesem Zeitpunkt angesichts der Befristung der Überziehungslinie nicht hafte.
II.
Diese Ausführungen halten in mehreren Punkten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nicht zu beanstanden sind allerdings die von beiden Parteien nicht angegriffenen Ausführungen, bei den beiden vom Beklagten übernommenen auf 400.000 DM bzw. 500.000 DM begrenzten Bürgschaften handele es sich um wirksame Teilbürgschaften; auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage könne der Beklagte sich nicht berufen.
2. Zu Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht mit der Annahme, die Bürgschaft vom 20./21. Mai 1997 habe mögliche Überziehungen eines der Hauptschuldnerin bis zum 30. Mai 1997 eingeräumten Kreditrahmens von 11,55 Millionen DM sichern sollen, entscheidungserheblichen Sachvortrag der Klägerin übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Senatsbeschluss vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGHReport 2005, 939 f. und BGH, Beschluss vom 31. August 2005 - XII ZR 63/03, NJW-RR 2005, 1603, jew. m.w.Nachw.). Zwar ist das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Parteien in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist aber anzunehmen, wenn besondere Umstände darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BGHZ 154, 288, 300 m.w.Nachw.). Das ist etwa der Fall, wenn das Gericht auf einen wesentlichen Punkt des Tatsachenvortrags einer Partei, der für das Verfahren erkennbar von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen ohne erkennbaren Grund nicht eingeht (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2005 aaO).
a) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Obwohl die Parteien die Bürgschaft über 400.000 DM durch Ziffer 6 der von der Klägerin zu den Akten gereichten Vereinbarung vom 11./19. Juni 1997 eindeutig dahin abgeändert hatten, dass sie erst am 1. September 1997 fällig war und mögliche Überziehungen des dann geltenden Kreditrahmens der Hauptschuldnerin von 9,4 Millionen DM absicherte, hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung den durch die Änderungsvereinbarung überholten Stichtag des 30. Mai 1997 und den ebenfalls nicht mehr maßgeblichen Kreditrahmen von 11,55 Millionen DM zu Grunde gelegt. Auf die Frage, aus welchen Gründen es hierauf angesichts der Änderungsvereinbarung vom 11./19. Juni 1997 noch ankommt, geht das Berufungsgericht ohne erkennbaren Grund mit keinem Wort ein. Dies lässt darauf schließen, dass es Ziffer 6 der Vereinbarung vom 11./19. Juni 1997 über die Änderung der Bürgschaft nicht zur Kenntnis genommen hat. Dass die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Juli 2002 die Ansicht vertreten hat, die Bürgschaft habe nur Überziehungen nach Rückführung der Inanspruchnahme des Kontos auf 9,4 Millionen DM gesichert, ändert nichts. Es handelt sich dabei entgegen der Ansicht des Beklagten nicht um Sachvortrag, sondern um eine dem eindeutigen Wortlaut der Vereinbarung vom 11./19. Juni 1997 widersprechende Rechtsauffassung, die dem Berufungsgericht keine Veranlassung geben konnte, sich mit der genannten Vereinbarung überhaupt nicht zu befassen.
b) Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Berufungsurteil (§ 545 Abs. 1 ZPO). Wie die Revision zu Recht geltend macht, kommt es nach der Änderung des Sicherungszwecks durch die Vereinbarung vom 11./19. Juni 1997 nicht auf den Sollsaldo am 30. Mai 1997, sondern darauf an, ob der Sollsaldo am 1. September 1997 den zu diesem Termin gültigen Kreditrahmen von 9,4 Millionen DM überstieg. Dies war nach dem Vortrag der Klägerin der Fall. Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu fehlen.
3. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist des weiteren die Begründung, mit der das Berufungsgericht angenommen hat, die Klägerin habe die Tagessalden per 30. Mai und 30. Juni 1997 nicht ausreichend vorgetragen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die von der Klägerin unter Zeugenbeweis gestellten Rechnungsabschlüsse vom 31. Dezember 1996 und vom 30. Juni 1997 nicht zu berücksichtigen, weil sie nicht vorgelegt sind; auch die Darlegung der Kontenentwicklung ab 31. Dezember 1996 sei nicht substantiiert.
Diese Annahmen beruhen auf einem Verstoß gegen das aus §§ 286 Abs. 1, 525 ZPO folgende Gebot, sich mit dem Streitstoff umfassend auseinander zu setzen und den Sachverhalt durch die Erhebung der angetretenen Beweise möglichst vollständig aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 1992 - VIII ZR 202/90, NJW 1992, 1768, 1769; Senatsurteile vom 29. Januar 2002 - XI ZR 86/01, WM 2002, 557, vom 18. November 2003 - XI ZR 332/02, WM 2004, 27, 31 und vom 20. Januar 2004 - XI ZR 460/02, WM 2004, 521, 524). Das Berufungsgericht hätte sich mit dem durch Vernehmung der Zeugin Bu. unter Beweis gestellten Vortrag, dass die beiden Rechnungsabschlüsse der Hauptschuldnerin übersandt worden seien und dass diese hiergegen keine Einwendungen erhoben habe, auseinandersetzen müssen, da hierin - wie die Revision zu Recht rügt - unter Berücksichtigung von Nr. 7 Abs. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Zedentin die ordnungsgemäße Darlegung eines Saldoanerkenntnisses liegt (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2001 - XI ZR 360/00, WM 2002, 281, 282). Dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Zedentin vereinbart worden sind, steht entgegen der Ansicht des Beklagten aufgrund des vorgelegten Kreditvertrages vom 7. März 1997 außer Zweifel. Entgegen der Ansicht des Beklagten bedurfte es keines weitergehenden Vortrags, wann genau und an welche konkrete Person bei der Hauptschuldnerin die Rechnungsabschlüsse übersandt worden sind. Angesichts des Vortrags der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 29. Dezember 2003, in dem diese auf 30 Seiten alle Veränderungen des Kontos seit dem 31. Dezember 1996 detailliert dargestellt und für die meisten Positionen Belege vorgelegt hat, hätte das Berufungsgericht - wie die Revision zu Recht rügt - das Vorbringen zur Kontenentwicklung auch nicht als unschlüssig erachten dürfen.
4. Rechtsfehlerhaft ist weiter die vom Berufungsgericht für durchgreifend erachtete Reduzierung der Hauptschuld um 214.735,43 DM, weil die Zedentin diesen Betrag vorbehaltlos gutgeschrieben habe. Das Berufungsgericht übersieht, wie die Revision zu Recht rügt, insoweit, dass die Zedentin das in der Gutschrift liegende abstrakte Schuldanerkenntnis (BGHZ 105, 263, 269) nach dem von der Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Juni 1999 unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag kondizieren kann, weil sie danach in Höhe des gutgeschriebenen Betrags keine Deckung erlangt hat (vgl. nur Senatsurteil vom 7. Juli 1992 - XI ZR 239/91, WM 1992, 1522, 1523).
5. Zu Recht beanstandet die Revision schließlich, dass das Berufungsgericht unter Berufung auf § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB nur Gutschriften, nicht aber Belastungen nach dem 30. Mai 1997 berücksichtigt hat. Diese Auffassung steht ersichtlich im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach haftet der Bürge bei einer gegenständlich beschränkten Kontokorrentbürgschaft grundsätzlich nach § 356 HGB in dem bei Fristende erreichten Umfang weiter, wenn das debitorische Kontokorrent - wie hier - bis zur Inanspruchnahme des Bürgen ungekündigt fortbesteht (BGH, Urteil vom 15. Januar 2004 - IX ZR 152/00, WM 2004, 720, 722 m.w.Nachw.). Der Hinweis des Berufungsgerichts auf § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB entbehrt entgegen der Ansicht des Beklagten schon deshalb jeder Grundlage, weil die Fortführung des Kontokorrents nicht auf einer nach Übernahme der Bürgschaft getroffenen Vereinbarung mit der Hauptschuldnerin beruht, sondern bereits bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages vereinbart war.
III.
Das angefochtene Urteil war nach alledem aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, war sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Ende der Entscheidung
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