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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.03.2009
Aktenzeichen: XI ZR 492/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 314
BGB § 490
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 10. März 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Wiechers,

den Richter Dr. Joeres,

die Richterin Mayen und

die Richter Dr. Ellenberger und Dr. Matthias

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 2007 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12. Oktober 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 200.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die teilweise Rückzahlung zweier Darlehen nach deren fristloser Kündigung durch die klagende Sparkasse. Die seit den 50er Jahren bestehende Geschäftsbeziehung der S. OHG, später GmbH & Co. KG (nachfolgend: Schuldnerin) zur Klägerin war seit 2002 gestört. Dies führte am 14. Januar 2003 zu einer fristlosen Kündigung aller bestehenden Kredite durch die Klägerin mit der Begründung, dass sich die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin verschlechtert habe und deren Vermögensverhältnisse gefährdet seien. Am 4. November 2003 erklärte sich die Klägerin jedoch bereit, die Zusammenarbeit fortzusetzen, und schloss nach der Umfirmierung der Schuldnerin am 6. Juli 2004 mit dieser einen Kontokorrentkreditvertrag, einen Wechseldiskontkreditvertrag und zwei Tilgungsdarlehensverträge, in die jeweils die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin (nachfolgend: AGB Sparkassen) einbezogen wurden. Als Sicherheiten wurden Grundschulden und persönliche Bürgschaften der Eltern des Geschäftsführers der Schuldnerin vereinbart. Am 5. Oktober 2004 lies die Klägerin eine interne Bilanzbeurteilung erstellen, die zum Ergebnis kam, dass die Schuldnerin nicht in der Lage sei, ihre Zinsverpflichtungen aus ihren Erträgen zu finanzieren; ihre Vermögensund Finanzlage sowie ihre Rentabilität seien unzureichend. In der Folge kam es zu persönlichen Auseinandersetzungen des Vorstandes der Klägerin mit dem Geschäftsführer der Schuldnerin. Mit Schreiben vom 25. Juli 2005, das der Klägerin am 12. September 2005 zuging, teilte dieser der Klägerin mit, dass er die Stellung eines Insolvenzantrages wegen Zahlungsunfähigkeit sorgfältig prüfen werde, wenn die Klägerin nicht kurzfristig auf 30% ihrer Forderungen verzichte. Die Klägerin kündigte daraufhin am 15. September 2005 die Geschäftsverbindung fristlos, stellte sämtliche Kredite fällig und bezifferte die offenen Salden mit insgesamt 793.692,45 EUR.

Die Klägerin hat zunächst die Schuldnerin im Wege einer Teilklage auf Zahlung in Höhe von 200.000 EUR in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen, die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin ihr Zahlungsbegehren nicht auf die Kündigung vom 15. September 2005 stützen könne, denn ein wichtiger Grund hierfür habe nicht vorgelegen. Eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Schuldnerin sei nicht hinreichend dargetan. Die Klägerin hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

Während des Beschwerdeverfahrens wurde am 1. Mai 2008 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin hat Forderungen in Höhe von 624.413,05 EUR zur Tabelle angemeldet; der Beklagte hat diese bestritten. Die Klägerin erstrebt nunmehr die Feststellung der Teilforderung von 200.0000 EUR zur Tabelle.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGHReport 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1.

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich das Recht der Klägerin zu einer fristlosen Kündigung ihres Kreditengagements aus Nr. 26 Abs. 2 ABG Sparkassen in Verbindung mit §§ 314, 490 BGB ergibt. Danach setzt die fristlose Kündigung einer Geschäftsbeziehung einen wichtigen Grund voraus, aufgrund dessen dem Kündigenden die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung nicht zugemutet werden kann, wobei die berechtigten Belange des Darlehensnehmers zu berücksichtigen sind. Für eine Sparkasse ist ein solcher wichtiger Grund gegeben, wenn die Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen durch den Darlehensnehmer oder die Durchsetzbarkeit der Ansprüche der Sparkasse auch unter Verwertung etwaiger Sicherheiten gefährdet ist. Dies ist unter anderem der Fall, wenn eine wesentliche Verschlechterung oder erhebliche Gefährdung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers oder in der Werthaltigkeit der für das Darlehen gestellten Sicherheiten eintritt, insbesondere, wenn der Kunde die Zahlungen einstellt oder erklärt, sie einstellen zu wollen. In der unmittelbar drohenden Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Darlehensnehmers kann selbst dann ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung eines Darlehens liegen, wenn die Überschuldung nicht festgestellt ist (BGH, Beschlüsse vom 26. September 1985 - III ZR 213/84, WM 1985, 1493 und vom 21. September 1989 - III ZR 287/88, NJW-RR 1990, 110, 111; Senat , Urteil vom 20. Mai 2003 - XI ZR 50/02, WM 2003, 1416).

2.

Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsurteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt hat, soweit es hier die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung verneint hat.

a)

Die tatrichterliche Entscheidung der Frage, ob ein die fristlose Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund besteht, unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung (Senat, BGHZ 154, 146, 153 ; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1994 - II ZR 9/94, WM 1995, 709, 710). Diese ist im Wesentlichen darauf beschränkt, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt hat, ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensfehler unterlaufen sind und ob es den Tatsachenstoff vollständig gewürdigt hat (Senat, BGHZ aaO; BGH, Urteil vom 17. Januar 2001 - VIII ZR 186/99, WM 2001, 1031, 1032). Dieser Überprüfung hält das Berufungsurteil nicht stand, weil das Berufungsgericht den von der Klägerin vorgetragenen Tatsachenstoff zum Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht vollständig gewürdigt und dadurch deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.

b)

Artikel 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass gerichtliche Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblichen Vorbringens und der Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Vortrages bzw. Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfGE 50, 32, 36 ; 60, 250, 252 ; 65, 305, 307 ; 69, 141, 144) .

c)

Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2006 das ihr am 12. September 2005 zugegangene Schreiben des Geschäftsführers der Schuldnerin vom 25. Juli 2005 vorgelegt, in dem dieser für den Fall, dass die Klägerin nicht kurzfristig auf 30% ihrer Forderungen verzichtet, angedroht hat, prüfen zu wollen, ob die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erklärt und ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden müsse. Die Klägerin hat diese Drohung mit einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ausdrücklich als Beleg dafür vorgetragen, dass sich deren wirtschaftliche Situation seit der Kreditgewährung im Juli 2004 erheblich verschlechtert habe, was die Klägerin zur Kündigung vom 15. September 2005 veranlasst habe. Diesen Vortrag hat die Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 24. Juli 2007 und vom 17. August 2007 wiederholt.

d)

Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht beanstandet, lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen der Klägerin sowie den von ihr angetretenen Urkundenbeweis zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht stellt vielmehr wiederholt darauf ab, dass die Klägerin eine wesentliche Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen der Schuldnerin oder in der Werthaltigkeit der von ihr gestellten Sicherheiten auch im zweiten Rechtszug nicht dargetan habe. Das Schreiben der Schuldnerin vom 25. Juli 2005 ist jedoch durchaus geeignet, die Einschätzung der Klägerin, dass sich die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin nachhaltig verschlechtert habe, zu rechtfertigen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Umstand, dass der Geschäftsführer dort von einer "sehr angespannten Liquiditätslage" spricht, sondern auch daraus, dass er von der Klägerin einen kurzfristigen Verzicht auf 30% ihrer Forderungen verlangt und zugleich beansprucht, dass die Klägerin bis zum 30. November 2005 keinerlei Zwangsmaßnahmen gegen die Schuldnerin betreiben solle. Für den Fall, dass die Klägerin bis zum 15. September 2005 dieses Angebot nicht annehme, kündigt der Geschäftsführer an, "sorgfältig prüfen" zu müssen, "ob beim zuständigen Amtsgericht die Zahlungsunfähigkeit zu erklären ist und ein entsprechender Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden müsste". Soweit die Beschwerdeerwiderung demgegenüber geltend macht, dass die Insolvenzandrohung nur unter "psychologischtaktischen Gesichtspunkten" in den Raum gestellt worden sei, um die Bitte um einen Forderungsnachlass zu unterstützen, und erkennbar nicht ernst gemeint gewesen sei, erscheint dies keineswegs so selbstverständlich, dass es eines Eingehens auf den Vortrag der Klägerin durch das Berufungsgericht nicht bedurft hätte.

3.

Das Übergehen dieses Vortrages und der Beweisantritte der für das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes beweisbelasteten Klägerin verletzt deren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99 ; 60, 247, 250 ; 62, 392, 396 ; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGHZ 154, 288, 296 f.) , und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

4.

Das Berufungsgericht wird nunmehr das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes unter Berücksichtigung des bislang übergangenen Sachvortrages der Klägerin erneut zu würdigen haben.

Ende der Entscheidung

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