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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.04.2008
Aktenzeichen: XII ZB 131/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 233 Fd |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 2. April 2008
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. April 2008 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dose
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 17. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Juni 2006 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Lüneburg vom 3. April 2006 gewährt.
Beschwerdewert: 29.399 €
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Zugewinnausgleich. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage des Beklagten zur Zahlung verurteilt. Das Urteil ist der Klägerin am 5. April 2006 zugestellt worden.
Mit einem am 5. Mai 2006 per Telefax beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens begehrt. Diesem Antrag war keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin beigefügt; das entsprechende Formular nebst Anlagen ging beim Berufungsgericht erst mit dem Original des Prozesskostenhilfeantrags am 8. Mai 2006 ein.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2006 - der am 23. Mai 2006 formlos an die Klägerin versandt wurde - wies das Oberlandesgericht den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Die beabsichtigte Berufung sei bereits unzulässig, weil die Klägerin innerhalb der bis zum 5. Mai 2006 laufenden Rechtsmittelfrist ihre persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht dargelegt habe. Am 6. Juni 2006 hat die Klägerin Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt, diese gleichzeitig begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsersuchens hat die Klägerin vorgetragen, ihr Anwalt habe den unterschriebenen Antrag auf Prozesskostenhilfe einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der entsprechenden Anlagen bereits am 5. Mai 2006 der stets zuverlässigen Kanzleimitarbeiterin M. übergeben. Deren Aufgabe sei es gewesen, den vollständigen Schriftsatz noch am selben Tag mit Anlagen vorab per Telefax an das Oberlandesgericht zu übermitteln und sodann in die Post zu geben. Aus unerklärlichen Gründen habe Frau M. den Schriftsatz ohne die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an das Oberlandesgericht gefaxt und dies auch bei der durchgeführten Ausgangskontrolle übersehen. Dabei bestehe im Büro ihres Prozessbevollmächtigten seit Jahren die allgemeine Arbeitsanweisung, dass Schriftsätze, insbesondere bei noch am gleichen Tag ablaufender Notfrist, sofort vollständig nebst Anlagen per Telefax vorab an das Gericht zu übermitteln seien. Die Arbeitsanweisung erstrecke sich zudem darauf, dass Fristen, insbesondere Notfristen, erst nach Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Übersendeprotokolls zu löschen seien. Diese allgemeine Arbeitsanweisung sei - ebenso wie der Ablauf der Berufungsfrist am 5. Mai 2006 - auch der Kanzleimitarbeiterin M. bekannt gewesen. Ihr Vorbringen hat die Klägerin durch eine eidesstattliche Versicherung der Kanzleimitarbeiterin M. glaubhaft gemacht.
Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist mit Beschluss vom 19. Juni 2006 abgelehnt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht die von der Klägerin für eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist vorgetragenen Gründe mit unzutreffenden Erwägungen übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Wiedereinsetzung in die schuldlos versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung.
a) Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Ein Rechtsanwalt habe, wenn er Tätigkeiten an sein Personal delegiere, durch allgemeine Anweisungen die Einhaltung von Fristen und die sorgfältige Bearbeitung und Überwachung fristwahrender Maßnahmen sicherzustellen. Bei der Übermittlung mehrseitiger fristwahrender Schriftsätze per Telefax gehörten zu einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle - neben der Überprüfung des Sendeprotokolls - auch die visuelle Kontrolle des Stapeleinzuges und die Überprüfung der Zahl der übermittelten Seiten. Diese Arbeitsschritte seien jedoch in der glaubhaft gemachten Büroanweisung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht enthalten. Deshalb liege ein der Klägerin zurechenbares Anwaltsverschulden vor.
Das trifft zwar im Ansatz zu, kann die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags hier aber nicht rechtfertigen.
b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist einer Partei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu gewähren, wenn sie innerhalb der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch eingebracht hat und vernünftigerweise nicht damit rechnen muss, dass ihr Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt werde (Senatsbeschluss vom 23. Februar 2000 - XII ZB 221/99 - NJW-RR 2000, 1387 m.w.N.). Zu Recht geht das Berufungsgericht aber von einer Obliegenheit der Klägerin zur Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Anlagen aus. Für den Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO zwingend vor, dass sich der Antragsteller zur Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I 3001, abgedruckt bei Zöller/Philippi ZPO 26. Aufl. § 117 Rdn. 15) eingeführten Vordrucks bedienen muss. Ein Antragsteller kann deshalb grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er rechtzeitig, also vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck nebst den erforderlichen Anlagen zu den Akten gereicht hat (Senatsbeschlüsse vom 2. April 2008 - XII ZB 184/05 - zur Veröffentlichung bestimmt, vom 26. Oktober 2005 - XII ZB 125/05 - FamRZ 2006, 32, 33, vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901, 1902 und vom 19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548 f.; BGH Beschluss vom 26. September 2002 - I ZB 20/02 - FamRZ 2003, 89, 90).
Letzteres war hier nicht der Fall. Die Klägerin hat die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst mit dem Original des Prozesskostenhilfeantrages am 8. Mai 2006, somit drei Tage nach Ablauf der am 5. Mai 2006 endenden Berufungsfrist, beim Oberlandesgericht eingereicht.
c) Der Klägerin ist aber trotz der verspätet eingegangenen Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu bewilligen, weil sie die Frist schuldlos versäumt und die Wiedereinsetzung frist- und formgerecht beantragt hat (§§ 234, 236 ZPO). Sie musste deswegen nicht mit der Versagung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen. Denn selbst wenn innerhalb der Berufungsfrist kein vollständiger Prozesskostenhilfeantrag eingegangen ist, bleibt es bei einer unverschuldeten Versäumung der Berufungsfrist, sofern auch der verspätete Eingang des Prozesskostenhilfeantrags unverschuldet ist und innerhalb der Frist des § 234 ZPO nachgeholt wird (BGH Beschluss vom 21. Februar 2002 - IX ZA 10/01 - NJW 2002, 2180). So liegt der Fall hier.
Der verspätete Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist nicht auf ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurückzuführen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig abgesandt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 24. März 1993 - XII ZB 12/93 - NJW 1993, 1655, 1656; BGH Beschluss vom 26. Januar 2006 - I ZB 64/05 - FamRZ 2006, 694, 695). Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung an den richtigen Adressaten zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723 und vom 24. März 1993 - XII ZB 12/93 - NJW 1993, 1655, 1656; BGH Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - VIII ZB 128/06 - veröffentlicht bei juris; vom 26. Januar 2006 - I ZB 64/05 - FamRZ 2006, 694, 695; vom 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04 - NJW 2004, 3491 und vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1275, 1276).
bb) Diese Pflicht zur Einrichtung einer wirksamen Ausgangskontrolle hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht schuldhaft verletzt. Das unterzeichnete Prozesskostenhilfeersuchen lag der für die Versendung von Schriftsätzen zuständigen, seit 12 Jahren zuverlässig arbeitenden Kanzleimitarbeiterin M. am 5. Mai 2006 vollständig mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen vor und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte sie auf den Ablauf der Berufungsfrist am selben Tag hingewiesen. Durch seine allgemeine Büroanweisung hatte der Prozessbevollmächtigte sichergestellt, dass fristgebundene Schriftsätze vor Fristablauf stets vollständig nebst Anlagen vorab per Telefax zu übermitteln sind. Auch hat er die Ausgangskontrolle nach den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so organisiert, dass nach der Versendung des Telefax die vollständige Übermittlung des Schriftsatzes anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen und die Frist erst dann aus dem Fristenkalender zu streichen ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der Prozessbevollmächtigte nicht gehalten, seine Anweisung weiter dahin zu präzisieren, dass bei der Ausgangskontrolle die Anzahl der in den Stapeleinzug des Faxgerätes eingelegten und der übermittelten Seiten auf ihre Vollständigkeit hin zu kontrollieren sind. Denn diese Pflicht ist für eine geschulte und zuverlässig arbeitende Bürokraft erkennbar bereits in der allgemeinen Anweisung enthalten, die Schriftsätze nebst Anlagen vollständig zu übersenden und die vollständige Übersendung anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen.
Wenn die Kanzleimitarbeiterin M. gleichwohl bei der Übersendung fehlerhaft handelte, indem sie entgegen der allgemeinen Büroanweisung den Prozesskostenhilfeantrag nicht vollständig, sondern versehentlich ohne die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Stapeleinzug legte, und entsprechend auch nur die Übermittlung des unvollständigen Schriftsatzes anhand des Sendeprotokolls überprüfte, kann das kein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten begründen, zumal ein solches Versehen nach dem Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung zuvor noch nicht geschehen und deswegen auch nicht zu erwarten war. Die Fristversäumung beruhte vielmehr auf einem Verschulden der Büroangestellten M., das der Klägerin nicht zuzurechnen ist. Die Klägerin durfte deswegen trotz des ursprünglich unvollständigen Antrags mit der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe rechnen, weil sie und ihr Prozessbevollmächtigter erst mit Zugang des Prozesskostenhilfebeschlusses von der verspätet eingegangenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfahren hatten und die unverschuldete Fristversäumung eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist ermöglicht.
cc) Die Klägerin hat die Wiedereinsetzung innerhalb der 14-tägigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO seit Versagung der Prozesskostenhilfe beantragt und zugleich mit der Berufungseinlegung die versäumte Handlung nachgeholt (zum Fristbeginn nach Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe vgl. Senatsbeschluss vom 26. Mai 1993 - XII ZB 70/93 - FamRZ 1993, 1428 f.).
d) Bis zur Versagung der Prozesskostenhilfe durch das Oberlandesgericht war die Klägerin wegen wirtschaftlichen Unvermögens ebenfalls schuldlos daran gehindert, ihre Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil zu begründen. Ihr ist auch ohne Antrag Wiedereinsetzung in die am 5. Juni 2006 abgelaufene und damit versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren (§§ 234 Abs. 1 Satz 2, 236 Abs. 2 Satz 2, 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO), weil sie mit dem am 7. Juni 2006 eingegangenen Schriftsatz innerhalb der einmonatigen Wiedereinsetzungsfrist die Berufungsbegründung und damit auch diese versäumte Handlung nachgeholt hat.
Ende der Entscheidung
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