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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.11.1999
Aktenzeichen: XII ZB 132/98
Rechtsgebiete: EGBGB 1986, SGB VI


Vorschriften:

EGBGB 1986 Art. 17 Abs. 3
SGB VI § 113 Abs. 3
EGBGB 1986 Art. 17 Abs. 3; SGB VI § 113 Abs. 3

Zur Billigkeitsentscheidung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB unter Berücksichtigung der Tatsache, daß nach § 113 Abs. 3 SGB VI bei der Zahlung eines auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Rentenbetrages an einen nicht deutschen Berechtigten im Ausland die persönlichen Entgeltpunkte nur zu 70 % berücksichtigt werden.

BGH, Beschluß vom 10. November 1999 - XII ZB 132/98 - KG Berlin AG Tempelhof-Kreuzberg


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 132/98

vom

10. November 1999

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Krohn, Gerber, Sprick und Weber-Monecke

beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des 3. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin als Senat für Familiensachen vom 21. September 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das Kammergericht zurückverwiesen.

Wert: 3.494 DM.

Gründe:

I.

Die Parteien, beide türkische Staatsangehörige, die Ehefrau (Antragstellerin) im Jahre 1942 und der Ehemann (Antragsgegner) im Jahre 1933 geboren, haben am 20. Juni 1956 in der Türkei geheiratet. Aus der Ehe sind vier inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen, die ebenso wie die Ehefrau in der Türkei leben. Der Ehemann ist 1970 ohne seine Familie zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland gekommen und lebt seither hier.

Auf den am 4. September 1997 zugestellten Antrag der Ehefrau ist die Ehe durch Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - unter Anwendung türkischen Rechts geschieden worden. Zugleich ist auf den Antrag der Ehefrau gemäß Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB der Versorgungsausgleich durchgeführt worden. Von dem Versicherungskonto des Ehemannes, der nach Auskunft der Landesversicherungsanstalt Oberbayern (LVA, weitere Beteiligte zu 1.) in der Ehezeit (vom 1. Juni 1956 bis zum 31. August 1997, § 1587 Abs. 2 BGB) inländische Versorgungsanwartschaften in Höhe von monatlich 873,61 DM erworben hat, sind auf ein Versicherungskonto der Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 436,80 DM, bezogen auf den 31. August 1997, übertragen worden.

Gegen die Entscheidung zum Versorgungsausgleich hat der Ehemann Beschwerde eingelegt, mit der er geltend gemacht hat, der Versorgungsausgleich hätte wegen grober Unbilligkeit gemäß § 1587 c BGB ausgeschlossen werden müssen. Die Ehefrau habe von ihm bei Besuchen in der Türkei insgesamt 60.000 DM erhalten, damit sie durch Erwerb einer Immobilie Vorsorge treffen könne. Die Ehefrau habe das Geld dem ältesten Sohn der Parteien zur Verfügung gestellt, bei dem sie unentgeltlich bei freier Kost wohne.

Die Ehefrau hat den Erhalt jeglicher Zuwendung von Seiten des Ehemannes bestritten und geltend gemacht, dieser habe, seitdem er die Türkei verlassen habe, keine Unterhaltsleistungen für die Familie erbracht. Sie, die Ehefrau, habe, bedingt durch die Erziehung der vier Kinder, keine Vorsorge für ihr Alter treffen können. Inzwischen sei sie alt, krank und auf finanzielle Mittel angewiesen, wobei die Durchführung des Versorgungsausgleichs ihr eine hinreichende ärztliche Versorgung ermöglichen würde.

Das Kammergericht hat auf die Beschwerde des Ehemannes die amtsgerichtliche Entscheidung zum Versorgungsausgleich teilweise abgeändert, und zwar dahin, daß von dem Versicherungskonto des Ehemannes auf ein bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA, weitere Beteiligte zu 2.) zu begründendes Konto der Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 145,60 DM, bezogen auf den 31. August 1997, zu übertragen seien.

Hiergegen wendet sich die Ehefrau mit der zugelassenen weiteren Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Kammergericht.

1. Das Kammergericht hat die angefochtene Entscheidung wie folgt begründet: Gemäß Art. 17 Abs. 3 EGBGB unterliege der Versorgungsausgleich grundsätzlich dem nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift anzuwendenden Recht, hier also dem auf die Ehescheidung angewandten türkischen Recht. Da das türkische Recht die Durchführung eines Versorgungsausgleichs nicht vorsehe, sei dieser nach den - hier vorliegenden - Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EGBGB nach deutschem Recht durchzuführen, soweit die Durchführung im Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse auch während der nicht im Inland verbrachten Zeit der Billigkeit nicht widerspreche. Nach dem Willen des Gesetzes diene die Billigkeitsregel des Art. 17 Abs. 3 EGBGB insbesondere dazu, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute zu berücksichtigen und dem Eheverlauf Rechnung zu tragen. Es sollten unbillige Ergebnisse vermieden werden, die sich etwa dadurch ergeben könnten, daß ein Ehegatte inländische Anwartschaften abgeben müßte, während der andere Ehegatte bereits seiner Alterssicherung dienende Vermögenswerte im Ausland besitze, an denen der ausgleichspflichtige Ehegatte nicht teilhaben könne. Im vorliegenden Fall sei nicht ersichtlich, daß die Ehefrau über derartige Vermögenswerte verfüge. Der Vortrag des Ehemannes über die von ihm behaupteten Zahlungen an die Ehefrau sei weder - durch Überweisungsträger - belegt noch genauer nach Zeit, Ort und Umständen der Übergabe substantiiert worden, so daß er einer Beweisaufnahme nicht zugänglich gewesen sei.

Die Billigkeitsklausel des Art. 17 Abs. 3 EGBGB eröffne dem Gericht indessen einen weiten Ermessensspielraum und ermögliche beispielsweise auch die Durchführung eines Teilausgleichs, wenn nur das Überschreiten einer bestimmten Grenze der Billigkeit widerspreche. Im Rahmen der anzustellenden Billigkeitsprüfung seien die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse auch unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Lebensverhältnisse in den beteiligten Ländern zu betrachten. Denn der Billigkeitsvorbehalt habe einen stark kollisionsrechtlichen Einschlag und decke notwendig entstehende Angleichungsprobleme mit ab. Solche Probleme ergäben sich vorliegend daraus, daß die ausgleichsberechtigte Ehefrau während der gesamten Ehezeit in der Türkei gelebt und die gemeinsamen Kinder versorgt habe, wohingegen der Ehemann in Deutschland berufstätig gewesen sei. Nachdem sich die Eheleute weiterhin in verschiedenen Ländern aufhielten, könne sich bei einer - dem Ziel des Versorgungsausgleichs zur Herbeiführung einer gleichmäßigen sozialen Sicherung an sich entsprechenden - hälftigen Aufteilung der erworbenen Anwartschaften ein Ungleichgewicht daraus ergeben, daß sich das Lebenshaltungsniveau in den beiden Ländern deutlich unterscheide. So liege es hier, da die Lebenshaltungskosten in der Türkei nur ein Drittel des inländischen Niveaus erreichten. Es erscheine daher angemessen, diesen Umstand bei den Transferleistungen in die Türkei zu berücksichtigen, indem wegen des auch unterhaltsrechtlichen Bezuges des Versorgungsausgleichs wie bei der Bemessung des Unterhalts im Rahmen der Billigkeitsabwägung eine entsprechende Anpassung vorgenommen werde (§ 287 ZPO). Demgemäß sei nur ein Drittel des nach deutschem Recht ermittelten Ausgleichsbetrages von monatlich 436,80 DM, d.h. ein Anwartschaftswert von monatlich 145,60 DM, auf die Ehefrau zu übertragen. Hierbei gehe das Gericht davon aus, daß sich die Lebensverhältnisse in Deutschland und der Türkei voraussichtlich während des Rentenbezuges der Ehefrau nicht angleichen würden.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.

Das Kammergericht ist zwar rechtlich zutreffend von der Anwendbarkeit des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EGBGB im vorliegenden Fall ausgegangen (vgl. Sen.Beschl. v. 26. Oktober 1989 - IVb ZB 179/88 = FamRZ 1990, 142, 143 a.E.; Staudinger/von Bar/Mankowski, BGB, 13. Bearb. Art. 17 EGBGB Rdn. 334, Stichwort: Türkei, m.w.N.) und hat danach im Ansatz ebenfalls zutreffend eine Billigkeitsabwägung unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse vorgenommen (Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB).

Die Anwendung einer derartigen Billigkeitsklausel und Würdigung eines gefundenen Ergebnisses unter dem Gesichtspunkt, ob es "der Billigkeit nicht widerspricht", ist in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Sie ist im Verfahren der weiteren Beschwerde nur begrenzt, insbesondere dahin nachprüfbar, ob der Tatrichter die maßgebenden Umstände ausreichend und umfassend in seine Abwägung einbezogen hat (st.Rspr. vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 29. April 1981 - IVb ZB 813/80 = FamRZ 1981, 756, 757; vom 18. Februar 1987 - IVb ZB 112/85 = BGHR BGB § 1587 c Nr. 1 grobe Unbilligkeit 3; vom 23. Februar 1994 - XII ZB 39/93 = FamRZ 1994, 825, 826 f.). Insoweit ist es im Grundsatz rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Kammergericht bei seiner Entscheidung auf die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Deutschland einerseits und der Türkei andererseits abgestellt hat. Denn diese prägen die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse an dem jeweiligen Aufenthaltsort in maßgeblicher Weise. Allerdings erübrigt der Hinweis auf die Höhe der allgemeinen Lebenshaltungskosten nicht die Prüfung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, da diese zusätzlich durch individuelle Besonderheiten bestimmt sein können. Auch das hat das Kammergericht indessen im Grundsatz nicht verkannt.

Es hat jedoch rechtsfehlerhaft bei der Ermäßigung des an sich als Versorgungsausgleich ermittelten Ausgleichsbetrages auf ein Drittel die gesetzliche Regelung des § 113 Abs. 3 SGB VI nicht beachtet, nach welcher bei Leistungen an Berechtigte im Ausland (§§ 110 ff. SGB VI, vgl. von Einem/Schäfer/Bressel/Göhde, Gesetzliche Rentenversicherung, Sozialgesetzbuch VI - Frankfurter Kommentare - 1999 § 110 Rdn. 1), soweit diese nicht Deutsche sind, die persönlichen Entgeltpunkte nur zu 70 % berücksichtigt, d.h. die Renten nur in Höhe von 70 % ausgezahlt werden. Diese - nach herrschender Meinung als verfassungsgemäß angesehene (vgl. BSGE 54, 97 ff. zu § 1323 RVO 1982 im Anschluß an BVerfGE 51, 1 ff.; Wannagat, Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Rentenversicherung, § 113 SGB VI Rdn. 10, 11; von Maydell, Gemeinschaftskommentar SGB VI § 113 Rdn. 26, 27; § 110 Rdn. 5 ff.) - Regelung hat im vorliegenden Fall zur Folge, daß die Ehefrau, wie die weitere Beschwerde geltend macht, statt der vom Kammergericht übertragenen Anwartschaften von monatlich 145,60 DM bei Eintritt in das Rentenalter nur einen Betrag auf der Grundlage von Anwartschaften in Höhe von monatlich 101,92 DM erhalten wird. Die Entscheidung des Kammergerichts führt damit entgegen der mit ihr verfolgten Absicht des Gerichts nicht zu einem Ergebnis, bei dem die Ehefrau einen Betrag zur Verfügung hätte, der - gemessen an den Lebenshaltungskosten in der Türkei - in etwa einem Wert von monatlich 436,80 DM in Deutschland entspräche. Ihr verbliebe vielmehr nur ein Wert in Höhe von 70 % des angestrebten Ausgleichs. Das steht nicht in Einklang mit den vom Kammergericht angestellten Billigkeitserwägungen und entbehrt auch im übrigen unter den sonstigen für die Billigkeitsentscheidung maßgeblichen Umständen der rechtlichen Grundlage.

Der angefochtene Beschluß kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache ist vielmehr unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Kammergericht zurückzuverweisen, damit dieses unter Beachtung der aufgezeigten Gesichtspunkte erneut in die Billigkeitsabwägung nach Art. 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EGBGB eintritt.

Dabei wird bei der Beurteilung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse auf seiten des Ehemannes gegebenenfalls zu berücksichtigen sein, daß er nicht nur über die - der Höhe nach noch festzustellende - insgesamt in Deutschland erworbene Altersrente verfügt, sondern auch in die allgemeine soziale Sicherung, einschließlich der gesetzlichen Krankenversicherung und der ggf. eintretenden ergänzenden Sozialhilfe, einbezogen ist. Auf seiten der Ehefrau kann ins Gewicht fallen, daß sie zwar bei dem ältesten Sohn der Parteien lebt und versorgt wird und auch sozial in die Familie eingebunden ist, daß ihr aber, wie die weitere Beschwerde vor allem hervorhebt, eine gesetzliche Krankenversicherung fehlt und sie deshalb für Arzt- und Heilbehandlungskosten aus eigenen Mitteln aufkommen muß. Gerade im Hinblick auf die fehlende Vorsorge für eine ausreichende medizinische Versorgung, auf die die Ehefrau bereits im Beschwerdeverfahren hingewiesen hat, kann sich die Notwendigkeit ergeben, bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehefrau nicht ausschließlich auf das geringere allgemeine Lebenshaltungsniveau in der Türkei abzustellen, sondern eine differenziertere Gegenüberstellung mit der wirtschaftlichen Situation des Ehemannes vorzunehmen.

Ende der Entscheidung

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