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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.03.2008
Aktenzeichen: XII ZB 182/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234 Abs. 1 Satz 2 A
ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 D
Die Berufungsbegründung kann auch dadurch erfolgen, dass auf andere Schriftsätze, z.B. solche im Prozesskostenhilfeverfahren, Bezug genommen wird, wenn diese von einem bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sind und inhaltlich den Anforderungen der Berufungsbegründung gerecht werden. Dafür ist nicht erforderlich, dass innerhalb der Begründungsfrist ausdrücklich auf solche Schriftsätze verwiesen wird, wenn sich eine entsprechende Bezugnahme aus den Begleitumständen und aus dem Zusammenhang ergibt (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554).
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 182/04

vom 5. März 2008

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2008 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Fuchs und Dose

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 7. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 27. Juli 2004 aufgehoben.

Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 5. November 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Beschwerdewert: 3.396 €

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt. Mit Urteil vom 5. November 2003, der Klägerin zugestellt am 11. November 2003, hat das Amtsgericht die Klage wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Beklagten abgewiesen.

Mit einem am 10. Dezember 2003 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin Prozesskostenhilfe für eine "nachfolgend entworfene" Berufung beantragt. Weiter hat sie zur Hauptsache beantragt, den Beklagten - unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils - zu verurteilen, an sie ab dem 1. Dezember 2003 Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 503 € zu zahlen. Im Folgenden begründete sie die Anträge. Nachdem der Beklagte im Prozesskostenhilfeverfahren aktuelle Verdienstbescheinigungen vorgelegt hatte, berechnete die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch mit Schriftsatz vom 16. März 2004 neu. Sie begehrte nun Trennungsunterhalt für Dezember 2003 in Höhe von 503 € und für die Zeit ab dem 1. Januar 2004 in Höhe von monatlich 730 € und bezog sich ergänzend auf ihr am 10. Dezember 2003 eingegangenes Prozesskostenhilfegesuch. Mit Beschluss vom 5. April 2004, der Klägerin zugestellt am 14. April 2004, bewilligte das Oberlandesgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe, soweit sie für die Zeit ab Januar 2004 monatlichen Trennungsunterhalt in Höhe von 283 € begehrt. Den weiter gehenden Antrag wies es zurück.

Mit einem am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom 15. April 2004 beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und legte zugleich Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts ein. Außerdem beantragte sie, den Beklagten für die Zeit ab Januar 2004 unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur Zahlung monatlichen Trennungsunterhalts in Höhe von 283 € zu verurteilen. Mit einem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz vom 30. April 2004 nahm die Klägerin ergänzend zum Prozesskostenhilfebeschluss Stellung. Sie wandte sich dabei gegen die Berücksichtigung der geleisteten Beiträge zur privaten Krankenversicherung für die gemeinsamen Kinder, die volle Berücksichtigung verschiedener Kreditverbindlichkeiten des Beklagten sowie die in der Unterhaltsberechnung des Oberlandesgerichts enthaltenen Zumutbarkeitskriterien für eine von ihr aufzunehmende Erwerbstätigkeit. Mit Beschluss vom 10. Mai 2004, der Klägerin zugestellt am 12. Mai 2004, wurde der Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist bewilligt.

Nach vorherigem Hinweis hat das Oberlandesgericht die Berufung verworfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerde-gerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an eine fristgemäße Berufungsbegründung überspannt; der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin damit in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Deswegen ist die Rechtsbeschwerde auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, innerhalb der - von ihm aus Gründen der Waffengleichheit für eine arme Partei - bis 14. Juni 2004 bemessenen Begründungsfrist habe die Klägerin keine ordnungsgemäße, den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügende Berufungsbegründung vorgelegt. Bis zum Fristablauf habe sie mit Schriftsatz vom 15. April 2004 lediglich einen auf den Prozesskostenhilfebeschluss abgestimmten Berufungsantrag gestellt, ohne diesen allerdings zu begründen oder auf ein anderes Schriftstück Bezug zu nehmen. Eine eindeutige Bezugnahme scheide schon deswegen aus, weil die Klägerin zuvor in mehreren Schriftsätzen verschiedene Anträge angekündigt habe. Die Wiederholung des Tenors eines die Prozesskostenhilfe teilweise bewilligenden Beschlusses, der von den früheren Schriftsätzen sowohl inhaltlich als auch im Ergebnis deutlich abweiche, könne nicht bedeuten, dass sich der Berufungsführer den Inhalt des Beschlusses zueigen mache und deshalb eine weitere Berufungsbegründung entbehrlich sei.

2. Diese Auffassung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn die Klägerin hat ihre Berufung innerhalb der einmonatigen Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO begründet, sodass ihr wegen der schuldlosen Fristversäumung von Amts wegen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) auch insoweit Wiedereinsetzung zu bewilligen war.

a) Bei einer wortgetreuen Anwendung der im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts geltenden §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO hätte die Klägerin die Berufungsbegründung innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses für die Einhaltung der Begründungsfrist, hier also nach Zugang des die Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschlusses, nachholen müssen. Schon auf der Grundlage dieses früheren Rechts hatte der Bundesgerichtshof allerdings eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. zur Angleichung der Situation bemittelter und unbemittelter Rechtsmittelführer bei Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist für erforderlich gehalten (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juli 2003 - XII ZB 147/02 - NJW 2003, 3275, 3276 ff.; BGH Beschluss vom 25. September 2003 - III ZB 84/02 - NJW 2003, 3782 f. und vom 17. Juni 2004 - IX ZB 208/03 - NJW 2004, 2902, 2903).

Inzwischen hat der Gesetzgeber die Frist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Rechtsmittelbegründungsfrist durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) auf einen Monat verlängert (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Nach wie vor beginnt die Frist allerdings mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO), im Falle der Prozesskostenarmut also frühestens mit Zustellung des über die beantragte Prozesskostenhilfe befindenden Beschlusses. Innerhalb dieser Frist ist nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO auch die versäumte Prozesshandlung, hier also die Berufungsbegründung, nachzuholen (vgl. BGH Beschluss vom 29. Juni 2006 - III ZA 7/06 - FamRZ 2006, 1271 f.). Jedenfalls diese Frist war aus verfassungsrechtlichen Gründen schon auf die frühere Rechtslage anzuwenden.

b) Die Klägerin hat ihre Berufung spätestens am 30. April 2004 und damit innerhalb der einmonatigen Wiedereinsetzungsfrist begründet.

aa) Die Berufungsbegründung, die nach § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO entweder bereits in der Berufungsschrift selbst oder in einem weiteren Schriftsatz beim Berufungsgericht einzureichen ist, kann auch dadurch erfolgen, dass auf andere Schriftsätze Bezug genommen wird, die von einem bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sind und inhaltlich den Anforderungen der Berufungsbegründung gerecht werden. Die Partei muss auch nicht ausdrücklich auf das zur Begründung der Berufung geeignete frühere Vorbringen Bezug nehmen; vielmehr genügt es, dass sich die entsprechende Bestimmung aus den Begleitumständen und aus dem Zusammenhang ergibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554; vom 16. August 2000 - XII ZB 65/00 - NJW-RR 2001, 789; vom 15. Februar 1995 - XII ZB 7/95 - NJW 1995, 2112, 2113; vom 15. Februar 1989 - IVb ZR 55/88 - FamRZ 1989, 849 f. und vom 9. November 1988 - IVb ZB 154/88 - FamRZ 1989, 269).

Da im Allgemeinen keine Partei die mit der Versäumung einer Rechtsmittel- oder einer Rechtsmittelbegründungsfrist verbundenen Nachteile in Kauf nehmen will, muss im Zweifel angenommen werden, dass ein inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entsprechendes Prozesskostenhilfegesuch auch als Berufungsbegründung dienen soll, sofern nicht ein anderer Wille des Rechtsmittelführers erkennbar ist. Auch die (ggf. konkludente) Bezugnahme auf ein bei Berufungseinlegung bereits bei den Akten befindliches Prozesskostenhilfegesuch kann dabei ausreichen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727, BGHZ 165, 318, 320 f. = FamRZ 2006, 400, vom 16. August 2000 - XII ZB 65/00 - NJW-RR 2001, 789 und vom 9. November 1988 - IVb ZB 154/88 - FamRZ 1989, 269). Das ist hier der Fall, weil die Beklagte in ihrem innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 30. April 2004 im Hinblick auf den Prozesskostenhilfebeschluss des Gerichts einzelne Punkte des im Verfahren der Prozesskostenhilfe von seinem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten bereits vorgetragenen Sachverhalts ergänzt hat.

bb) Zu Unrecht meint das Oberlandesgericht, eine Berufungsbegründung durch konkludente Bezugnahme auf das Prozesskostenhilfegesuch scheitere vorliegend daran, dass die Klägerin im Bewilligungsverfahren verschiedene Schriftsätze mit unterschiedlichen Berechnungen eingereicht habe. Die Klägerin hatte zwar ihre ursprüngliche, im Schriftsatz vom 10. Dezember 2003 enthaltene Unterhaltsberechnung mit Schriftsatz vom 16. März 2004 nach Maßgabe der im Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegten Verdienstbescheinigungen angepasst und zugleich geänderte Berufungsanträge angekündigt. Der Inhalt dieses Schriftsatzes widerspricht dem früheren Vortrag jedoch nicht, sondern ergänzt diesen und baut lediglich darauf auf. Schon die zeitliche Abfolge verdeutlicht, dass die mit Schriftsatz vom 16. März 2003 zuletzt dargelegte Unterhaltsberechnung der Rechtsauffassung der Klägerin entspricht, die sie dem erstinstanzlichen Urteil entgegensetzen möchte.

cc) Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin für die Berufungs-begründung nicht auf ihr Prozesskostenhilfegesuch beziehen wollte, könnten sich allenfalls daraus ergeben, dass sie ihre Anträge in der Berufungsschrift vom 15. April 2004 an den Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe ange-passt hat. Denn der Berufungsführer kann sein Rechtsmittel auch dadurch ordnungsgemäß begründen, dass er sich (ggf. konkludent) auf die Gründe eines die Prozesskostenhilfe teilweise bewilligenden Beschlusses bezieht und sich die darin enthaltenen, für ihn günstigen Argumente zu eigen macht (vgl. Senatsurteil vom 29. September 1993 - XII ZR 209/02 - FamRZ 1994, 102, 103). Allerdings hat die Klägerin mit ihrem am 30. April 2004 und damit innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz die Gründe des Bewilligungsbeschlusses angegriffen und damit deutlich gemacht, sich die Unterhaltsberechnung des Oberlandesgerichts gerade nicht zu eigen machen zu wollen. Mit diesem Vortrag hat sie objektiv zu erkennen gegeben, lediglich aus Kostengründen ihren Berufungsantrag dem Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe anzupassen und einen geringeren Trennungsunterhalt geltend zu machen, im Übrigen aber bei ihrer im Prozesskostenhilfeverfahren zuletzt mit Schriftsatz vom 16. März 2004 vertretenen Rechtsauffassung zu bleiben. Dabei ist auch die Klägerin ersichtlich davon ausgegangen, ihre Berufung abschließend begründet zu haben.

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 21. Juni 2004 auf den Hinweis des Gerichts, es fehle an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung, vorgetragen hat, die Berufungsschrift vom 15. April 2004 nehme nicht nur auf das Prozesskostenhilfegesuch, sondern auch auf die Gründe des Bewilligungsbeschlusses vom 5. April 2004 Bezug. Denn dieser hilfsweise erhobene spätere Vortrag kann den objektiven Erklärungsgehalt der zuvor rechtzeitig eingegangenen Schriftsätze nicht erschüttern.

dd) Durch die sich aus dem Zusammenhang, insbesondere aus dem Inhalt des Schriftsatzes vom 30. April 2004, ergebende Bezugnahme der Klägerin auf ihren im Verfahren der Prozesskostenhilfe zuletzt eingereichten Schriftsatz vom 16. März 2004 ist auch den formellen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO an eine Berufungsbegründung Genüge getan. Die in dem in Bezug genommenen Schriftsatz enthaltene Unterhaltsberechnung und die weitere Bezugnahme auf den ursprünglichen Prozesskostenhilfeantrag vom 10. Dezember 2003 verdeutlichen, welche entscheidungserheblichen Gründe nach Ansicht der Klägerin für die Fehlerhaftigkeit des erstinstanzlichen Urteils sprechen (vgl. zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung BGH Beschluss vom 21. Mai 2003 - VIII ZB 133/02 - NJW-RR 2003, 1580).

3. Weil die Klägerin die bis zum 11. Januar 2004 laufende Berufungsbegründungsfrist wegen ihrer Prozesskostenarmut schuldlos versäumt hatte und sie die Berufungsbegründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt hat, war ihr auch Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu bewilligen. Damit ist der Verwerfung der Berufung in dem angefochtenen Beschluss die Grundlage entzogen und der Beschluss deswegen auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin aufzuheben (Senatsbeschluss vom 15. August 2007 - XII ZB 101/07 - FamRZ 2007, 1725, 1726). Das Berufungsgericht wird somit neu über die Sache zu entscheiden haben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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