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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.11.2000
Aktenzeichen: XII ZB 189/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 519 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 519 Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 189/99

vom

29. November 2000

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Krohn, Gerber, Sprick und Weber-Monecke

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23. September 1999 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 60.000 DM

Gründe:

I.

Das Landgericht verurteilte die Beklagte zur Herausgabe von 400.000 Flaschen Leergut. Gegen dieses ihr am 23. Juni 1999 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 22. Juli 1999 Berufung ein, die das Berufungsgericht mangels rechtzeitiger Begründung durch Beschluß vom 1. September 1999 als unzulässig verwarf.

Mit am 8. September 1999 eingegangenem Schriftsatz begründete die Beklagte die Berufung und beantragte, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung trug sie vor und machte glaubhaft, daß ihre Prozeßbevollmächtigte das Mandat mit Schreiben vom 4. August 1999 niedergelegt habe, nachdem ein Restbetrag ihrer Honorarforderung in Höhe von 600 DM nicht sogleich habe beglichen werden können und die Beklagte zudem nicht bereit gewesen sei, sie von der Haftung für ihre Tätigkeit freizustellen. Dieses Schreiben enthalte keinen Hinweis auf den Lauf der Begründungsfrist und sei ihr, der Beklagten, am 9. August 1999 zugegangen.

Sie habe sich daraufhin sogleich bemüht, den für die Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts erforderlichen Vorschuß, den sie selbst nicht habe aufbringen können, von dritter Seite zu erhalten. Eine entsprechende Zusage habe sie aber erst am 25. August 1999 erreichen können. Ihre daraufhin beauftragten neuen Prozeßbevollmächtigten hätten die Akten am 26. August 1999 eingesehen und dabei festgestellt, daß die Frist zur Begründung der Berufung bereits abgelaufen gewesen sei.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, die zunächst beauftragte Prozeßbevollmächtigte habe es bei Kündigung des Mandats schuldhaft versäumt, auf die laufende Begründungsfrist hinzuweisen. Dieses Verschulden müsse die Beklagte sich zurechnen lassen. Es sei für die Versäumung der Frist auch ursächlich geworden. Die Beklagte habe nämlich nicht hinreichend dargetan, daß sie aus finanziellen Gründen ohnehin nicht in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Es liegt nahe, ein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer früheren Prozeßbevollmächtigten bereits darin zu sehen, daß diese bei Kündigung des Mandats nicht wenigstens zugleich um (erstmalige) Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nachgesucht hat (vgl. Senatsbeschluß vom 5. Juni 1996 - XII ZB 76/96 - NJWE-FER 1996, 41). Eine solche Verpflichtung kommt insbesondere in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das Mandat erst kurz vor Fristablauf niederlegt (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 874, 875). Hier datiert das Schreiben, mit dem das Mandat niedergelegt wurde, zwar vom 4. August 1999; zu diesem Zeitpunkt war die Monatsfrist des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO erst knapp zur Hälfte abgelaufen. Die Prozeßbevollmächtigte konnte indes aufgrund besonderer Umstände nicht ohne weiteres darauf vertrauen, daß ihr Schreiben die Beklagte rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erreichen werde. Denn mit Schreiben vom selben Tage teilte ihr das Landgericht mit, ihr Kostenfestsetzungsantrag habe der Beklagten (unter der gleichen Anschrift) nicht zugestellt werden können, da im Geschäftslokal niemand angetroffen worden sei. Auf die zugleich ausgesprochene Bitte, eine zustellfähige Anschrift mitzuteilen, antwortete die Prozeßbevollmächtigte unter dem 5. August 1999, daß ihr die Adresse der Beklagten "nicht mehr bekannt" sei.

2. Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil jedenfalls der Ausgangspunkt des angefochtenen Beschlusses zutrifft, die Prozeßbevollmächtigte sei verpflichtet gewesen, die Beklagte spätestens zugleich mit der Kündigung des Mandats auf die laufende Begründungsfrist hinzuweisen und insoweit aufzuklären (vgl. BGHZ 7, 280, 286). Diese Beurteilung nimmt die sofortige Beschwerde ausdrücklich hin.

3. Der weitere Sachvortrag der sofortigen Beschwerde rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Insoweit kann dahinstehen, ob dieser Vortrag schon deshalb nicht zu berücksichtigen ist, weil alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden müssen (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO), oder ob es sich hier um eine auch nach dieser Frist noch zulässige Ergänzung und Erläuterung rechtzeitigen, aber unklaren und unvollständigen Vortrags handelt.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nämlich nicht gewährt werden, wenn die Möglichkeit offengeblieben ist, daß die Fristversäumung auf eigenes oder ihr zuzurechnendes Verschulden der Partei zurückzuführen ist (vgl. Senatsbeschluß vom 8. Mai 1996 aaO). Hier ist die Ursächlichkeit eines solchen Verschuldens auch durch das Vorbringen der sofortigen Beschwerde nicht ausgeräumt:

a) Die vorstehend unter 2. dargelegte Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts bei Niederlegung des Mandats während laufender Berufungsbegründungsfrist erfordert nicht nur den Hinweis auf diese Frist und deren Bedeutung, sondern auch die Aufklärung über die zur Wahrung der Frist zu treffenden Maßnahmen. Die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hätte dieser daher erläutern müssen, daß es zur Wahrung der Berufungsbegründungsfrist entweder der Einreichung einer Berufungsbegründungsschrift oder aber eines Antrages auf Fristverlängerung (§ 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO) bedurfte. Dabei ist davon auszugehen, daß eine unter Hinweis auf eine Mandatsniederlegung beantragte erstmalige Fristverlängerung regelmäßig bewilligt wird.

b) Soweit die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten es unterlassen hat, diese auf die Möglichkeit hinzuweisen, durch einen beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt statt einer Berufungsbegründung zunächst einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist einzureichen, kann die Ursächlichkeit dieses Anwaltsverschuldens für die Versäumung der Frist auch durch den Hinweis, die Beklagte sei bis zum Ablauf der Frist illiquide gewesen, nicht ausgeräumt werden.

Die Beklagte hat durch eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vom 19. Oktober 1999 lediglich glaubhaft gemacht, dieser habe nach Zugang der Mandatskündigung zwei andere Rechtsanwälte angesprochen und um Fertigung einer Berufungsbegründungsschrift gebeten, was diese jedoch von der Zahlung eines Vorschusses abhängig gemacht hätten.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Beklagte, wäre sie von ihrer Prozeßbevollmächtigten hinreichend aufgeklärt worden, ihr Ansinnen zunächst auf die Einreichung eines Fristverlängerungsantrages beschränkt und einen Rechtsanwalt gefunden hätte, der hierzu auch ohne Vorschuß bereit gewesen wäre.

Um die Möglichkeit auszuschließen, daß die unzureichende Aufklärung für die Versäumung der Frist ursächlich war, hätte die Beklagte zudem vortragen und glaubhaft machen müssen, daß ihre Prozeßbevollmächtigte auch dann nicht mehr für sie tätig geworden wäre, wenn sie sie gebeten hätte, ungeachtet der Niederlegung des Mandats wenigstens einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist zu stellen (vgl. BGH, Beschluß vom 14. Juli 1988 - III ZB 13/88 BGHR ZPO § 233 Mandatsniederlegung 1).

c) Das Vorbringen der sofortigen Beschwerde ist zudem nicht geeignet, ein eigenes (Mit-) Verschulden der Beklagten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auszuräumen. Beruht die Fristversäumung darauf, daß die Partei mittellos ist, ist sie grundsätzlich nur dann unverschuldet, wenn die Partei innerhalb der Frist unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen um Prozeßkostenhilfe nachsucht (vgl. Thomas/Putzo, ZPO 22. Aufl. § 233 Rdn. 37 m.N.). Das ist nicht geschehen.

Ende der Entscheidung

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