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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.12.2001
Aktenzeichen: XII ZB 219/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 164
BGB § 675 Abs. 1
ZPO § 121 Abs. 1
ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 219/01

vom

12. Dezember 2001

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Dezember 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Fuchs und Dr. Ahlt

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 14. Zivilsenats - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 8. Oktober 2001 aufgehoben.

Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Wilhelmshaven vom 20. Juni 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Beschwerdewert: 6.000 DM

Gründe:

I.

Am 6. August 2001 beantragte der Kläger durch seinen erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, ihm unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. Prozeßkostenhilfe für eine durchzuführende Berufung gegen das ihm am 6. Juli 2001 zugestellte klagabweisende Urteil des Familiengerichts zu gewähren.

Mit Beschluß vom 6. September 2001 bewilligte ihm das Berufungsgericht Prozeßkostenhilfe für einen eingeschränkten Berufungsantrag und ordnete ihm Rechtsanwalt H. bei, dem die Ausfertigung dieses Beschlusses am 13. September 2001 zuging. Seinem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten wurde dieser Beschluß erst am 4. Oktober 2001 zugestellt, nachdem dieser mit Schriftsatz vom 26. September 2001 an die Entscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag erinnert hatte.

Nach Eingang des Bewilligungsbeschlusses bei ihm forderte Rechtsanwalt H. am selben Tage die Handakten des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten an, die ihm jedoch nicht vor dem 5. Oktober 2001 übersandt wurden. Zwischenzeitlich hatte er mit Schriftsatz vom 17. September 2001 um Überlassung der Gerichtsakten gebeten und diese am 20. Oktober 2001 erhalten.

Noch vor Erhalt der Prozeßvollmacht des Pflegers des Klägers, die ihm am 16. Oktober 2001 zuging, legte Rechtsanwalt H. am 4. Oktober 2001 namens des Klägers Berufung ein, die inzwischen fristgerecht begründet worden ist, und beantragte, dem Kläger wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist auch insoweit zurück, als es darin zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung des Wiedereinsetzungsgesuches gesehen hat, und verwarf die Berufung als unzulässig.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, mit der er sein Wiedereinsetzungsgesuch weiterverfolgt.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg. Dem Beklagten ist die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, weil er diese Frist ohne eigenes oder ihm zuzurechnendes Verschulden versäumt hat.

Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß der Kläger durch seine Mittellosigkeit gehindert war, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten, und daß dieses Hindernis erst mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die (teilweise) Bewilligung der Prozeßkostenhilfe an den Kläger oder seinen Prozeßbevollmächtigten entfiel (vgl. BGH, Beschluß vom 31. Januar 1978 - VI ZB 7/77 - NJW 1978, 1920 m.N.).

Insoweit kann dahinstehen, ob die Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, das Hindernis sei nicht erst mit der (verfahrensrechtlich gebotenen, vgl. Senatsbeschluß vom 14. November 1990 - XII ZB 141/90 - BGHR ZPO § 233 Verschulden 8) Zustellung des Bewilligungsbeschlusses an den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 4. Oktober 2001 entfallen, sondern bereits am 13. September 2001 mit der Bekanntgabe des Bewilligungsbeschlusses an den mit diesem Beschluß nach § 121 Abs. 1 ZPO beigeordneten zweitinstanzlichen Rechtsanwalt, mit der Folge, daß die zweiwöchige Frist für die Anbringung des Wiedereinsetzungsgesuchs (§ 234 Abs. 1 und 2 ZPO) schon an diesem Tage begonnen habe.

Die Beiordnung als solche macht den beigeordneten Rechtsanwalt noch nicht zum Prozeßbevollmächtigten der Partei (vgl. BGHZ 30, 226, 228 f.; Senatsbeschluß vom 16. Dezember 1992 - XII ZB 142/92 - ZPO § 234 Abs. 1 Fristbeginn 4); seine Rechtsbeziehungen zu ihr beurteilen sich wie auch sonst nach §§ 164, 675 Abs. 1 BGB (vgl. Thomas/Reichold ZPO 23. Aufl. § 121 Rdn. 2; Musielak/Fischer ZPO 2. Aufl. § 121 Rdn. 4; Zöller/Vollkommer ZPO 22. Aufl. § 85 Rdn. 22).

Ob allerdings in der Benennung des beizuordnenden Rechtsanwalts im Prozeßkostenhilfegesuch bereits eine durch schlüssige Erklärung dem Gericht gegenüber erteilte Vollmacht gesehen werden kann, wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf Zöller/Vollkommer aaO § 80 Rdn. 5 annimmt, hat der Senat bislang offen gelassen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Januar 2001 - XII ZB 124/00 - FamRZ 2001, 1606, vom 22. November 2000 - XII ZB 28/00 - FamRZ 2001, 1143, 1144 und vom 22. Januar 1986 - IVb ZB 122/85 - VersR 1986, 580). Diese Frage bedarf auch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn hätte die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO bereits am 13. September 2001 zu laufen begonnen, wäre auch sie ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden versäumt worden und ihm auch insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Insoweit kann hier dahinstehen, ob Rechtsanwalt H. überhaupt ein Verschulden an der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist trifft. Selbst wenn in der Benennung des beizuordnenden Rechtsanwalts eine stillschweigende Vollmachtserteilung zu sehen wäre, deckt sich der zeitliche Anwendungsbereich der Zurechnung eines Anwaltsverschuldens nach § 85 Abs. 2 ZPO nicht notwendigerweise mit dem Zeitraum dieser Bevollmächtigung. Denn die Zurechnung eines Anwaltsverschuldens setzt stets auch das Bestehen eines wirksamen Mandats im Innenverhältnis voraus, das indes nicht schon mit der Erteilung der Vollmacht, sondern erst mit der Annahme des Mandats entsteht; ein vor dessen Annahme liegendes Verschulden des Rechtsanwalts ist der Partei auch dann nicht zuzurechnen, wenn das Mandatsverhältnis später zustande kommt (vgl. Musielak/Weth aaO § 85 Rdn. 15; MünchKomm-ZPO/v. Mettenheim 2. Aufl. § 85 Rdn. 21; Stein/Jonas/Bork 21. Aufl. § 85 Rdn. 13; vgl. auch BGH, Beschluß vom 23. Februar 1973 - IV ZB 98/72 - VersR 1973, 446, 447 zu § 232 Abs. 2 ZPO a.F.).

Sollte die Frist zur Anbringung des Wiedereinsetzungsgesuchs hier versäumt worden sein, wäre dem Kläger insoweit auch ohne ausdrücklichen Antrag von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren, weil ihm ein etwa gegebenes Verschulden von Rechtsanwalt H. an der Versäumung dieser Frist nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen wäre. Denn ein Mandatsverhältnis zwischen dem Kläger und Rechtsanwalt H., das eine solche Zurechnung allein rechtfertigen könnte, ist jedenfalls nicht vor Ablauf einer am 13. September 2001 in Lauf gesetzten Frist zustande gekommen, so daß das Wiedereinsetzungsgesuch vom 4. Oktober 2001 mit der zugleich nachgeholten Berufungseinlegung innerhalb der zweiwöchigen Frist einging, innerhalb derer auch ein Gesuch um Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist anzubringen gewesen wäre.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß der zweitinstanzliche Rechtsanwalt bereits mit Schriftsatz vom 17. September 2001 Einsicht in die Gerichtsakten beantragt hatte. Diesem Schriftsatz ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht zu entnehmen, daß Rechtsanwalt H. sich bereits zum Prozeßbevollmächtigten des Klägers bestellt hätte. Eine ausdrückliche Erklärung dieses Inhalts enthält dieser Schriftsatz nicht, und das Berufungsgericht durfte auch nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß das Gesuch um Akteneinsicht eine solche Erklärung stillschweigend enthalte. Denn zumindest ebenso naheliegend war die Annahme, daß Rechtsanwalt H. zunächst nur Einsicht in die Gerichtsakten nehmen wollte, um entscheiden zu können, ob er das Mandat übernahm oder nicht, zumal er aus dem Bewilligungsbeschluß allein noch nicht einmal ersehen konnte, ob der Kläger es ihm überhaupt schon - gegebenenfalls durch schlüssige Erklärung - angetragen hatte, weil dieser Beschluß keinen Hinweis darauf enthält, ob der Kläger ihn als beizuordnenden Anwalt namentlich benannt hatte.

Auch der Rücksendung der Akte mit Schriftsatz vom 21. September 2001 sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß Rechtsanwalt H. sich nunmehr - nach Akteneinsicht - für den Kläger bestelle. Vielmehr hat Rechtsanwalt H. erst durch seinen Schriftsatz vom 4. Oktober 2001, mit dem er namens des Klägers Berufung einlegte und Wiedereinsetzung beantragte, seine Bereitschaft zur Übernahme des Mandats zu erkennen gegeben.

Ende der Entscheidung

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