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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.01.2000
Aktenzeichen: XII ZB 22/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 519 Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 22/99

vom

19. Januar 2000

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Hahne, Sprick, Weber-Monecke und Prof. Dr. Wagenitz

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 7. Januar 1999 aufgehoben.

Dem Kläger wird wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 24. September 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

Beschwerdewert: 30.723 DM.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat die auf Zahlung rückständiger Mietzinsen gerichtete Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage verurteilt, an die Beklagte 26.237 DM nebst Zinsen zu zahlen. Gegen das dem Kläger am 30. September 1998 zugestellte Urteil hat dieser, vertreten durch seine frühere Prozeßbevollmächtigte, am 28. Oktober 1998 Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist, am Montag, den 30. November 1998, ist bei dem Oberlandesgericht per Telefax ein Antrag des Klägers, vertreten durch seinen jetzigen Prozeßbevollmächtigten, auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. Dezember 1998 eingegangen. Zur Begründung hat der neue Prozeßbevollmächtigte des Klägers ausgeführt, er sei erst an jenem Tag mit dessen Vertretung beauftragt worden, der bisherigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers sei das Mandat entzogen worden; für die Einarbeitung in die Sache und die Anfertigung der Berufungsbegründungsschrift benötige er die beantragte Fristverlängerung. Mit Verfügung vom 1. Dezember 1998, dem Kläger zugestellt am 3. Dezember 1998, hat der Senatsvorsitzende den Antrag mit der Begründung abgelehnt, eine Fristverlängerung würde den Rechtsstreit verzögern, der Kläger habe keine hinreichenden Gründe für die beantragte Verlängerung dargelegt; es stehe einer Partei zwar frei, nach Einlegung der Berufung den Anwalt zu wechseln, sie müsse aber sicherstellen, daß der neue Prozeßbevollmächtigte die Berufungsbegründungsfrist einhalten könne.

Mit am 11. Dezember 1998 eingegangem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. In dem Antrag auf Wiedereinsetzung hat er unter anderem vorgetragen, sein Anwalt habe bei dem erstmaligen Antrag auf Fristverlängerung darauf vertraut, dem Antrag werde stattgegeben.

Das Oberlandesgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.

Dem Kläger ist auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag (§ 234 ZPO) gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er war ohne eigenes oder ihm zurechenbares Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert, die versäumte Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Er beanstandet mit Recht, daß seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht stattgegeben worden ist.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Grundsätzlich kann der Rechtsmittelführer im Wiedereinsetzungsverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, er habe mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Vorsitzenden rechnen dürfen. Er ist vielmehr mit dem Risiko belastet, daß der Vorsitzende in Ausübung seines ihm gemäß § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingeräumten Ermessens eine beantragte Verlängerung auch dann versagt, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Etwas anderes gilt indessen, wenn der Rechtsmittelführer mit großer Wahrscheinlichkeit die Bewilligung der Fristverlängerung erwarten konnte. Das ist regelmäßig bei einem ersten Verlängerungsantrag der Fall, wenn ein ihn rechtfertigender erheblicher Grund im Sinne des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO geltend gemacht wurde (BGH Beschlüsse vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98 - MDR 1999, 374; vom 24. Oktober 1996 - VII ZB 25/96 - NJW 1997, 400; vom 12. Juli 1995 - IV ZB 9/95 - BGHR ZPO § 233 Fristverlängerung 12; vom 7. Oktober 1992 - VIII ZB 28/92 - NJW 1993, 134, 135; vom 14. Februar 1991 - VII ZB 8/90 - NJW 1991, 1359).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte der Kläger auf die Bewilligung der Fristverlängerung vertrauen. Zu den Gründen, die in der Gerichtspraxis als erheblich im Sinne des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO angesehen werden, zählen unter anderem Vergleichsverhandlungen, Krankheit oder Urlaub des Prozeßbevollmächtigten oder der Partei, berufliche Überlastung des Anwalts sowie unter bestimmten Voraussetzungen die Notwendigkeit einer (weiteren) Rücksprache mit der Partei (BGH, Beschluß vom 11. November 1998 aaO; Stein/Jonas/Grunsky ZPO 21. Aufl. § 519 ZPO Rdn. 15; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher § 519 ZPO Rdn. 14; Zöller/Gummer ZPO 21. Aufl. § 519 ZPO Rdn. 19; Thomas/Putzo ZPO 22. Aufl. § 519 ZPO Rdn. 12). Einen in diesem Sinne gleichermaßen erheblichen Grund hatte der Kläger zur Rechtfertigung des Fristverlängerungsantrages vorgetragen. Er hatte seiner bisherigen Prozeßbevollmächtigten das Mandat entzogen und seinen jetzigen Prozeßbevollmächtigten am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist mit seiner Vertretung beauftragt. Dieser konnte sich noch an demselben Tag nicht mehr in die Sache einarbeiten und die Berufungsbegründungsschrift anfertigen.

Der Kläger durfte deshalb darauf vertrauen, seinem Antrag werde stattgegeben. Mit einer hiervon abweichenden Verfahrenspraxis brauchte er nicht zu rechnen; sie widerspricht rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung (BVerfG NJW 1998, 3703 und 1989, 1147).

2. Es gereicht dem Kläger ferner nicht zum Verschulden, daß er am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist einen neuen Rechtsanwalt mit seiner weiteren Vertretung beauftragt hat. Einer Partei ist es nicht verwehrt, prozessuale Fristen bis zum letzten Tag auszunutzen (st.Rspr., vgl. z.B. BGHZ 9, 118, 119; BGH Beschluß vom 11. Oktober 1989 - IVa ZB 7/89 - VersR 1990, 326, 327; Senatsurteil vom 11. Juli 1990 - XII ZR 55/89 - BGHR ZPO § 233 Postbeförderung 4). Es steht ihr deshalb grundsätzlich auch frei, erst am letzten Tag der Frist einen Rechtsanwalt aufzusuchen. In einem solchen Fall muß die Partei allerdings sicherstellen, daß der Anwalt noch in der Lage ist, an diesem Tag die Frist ordnungsgemäß zu wahren (BGH Beschluß vom 19. September 1995 - VI ZB 10/95 und 11/95 - veröffentlicht bei juris). Aus der Notwendigkeit der Fristwahrung folgt indessen bei Fristen, die - wie die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 519 Abs. 3 Satz 2 ZPO - auf Antrag verlängert werden können, nicht, daß noch an demselben Tag eine Rechtsmittelbegründung bei dem zuständigen Gericht eingereicht werden muß. Der Fristablauf wird vielmehr zunächst auch durch eine Verlängerung der Begründungsfrist vermieden. Die Voraussetzungen hierfür lagen, wie bereits ausgeführt wurde, aufgrund des Antrags des jetzigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 30. November 1998 vor.

Ende der Entscheidung

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