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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.05.2006
Aktenzeichen: XII ZB 42/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 139 Abs. 1
ZPO § 238 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
a) Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagenden Beschluss setzt keine gleichzeitige Anfechtung des früheren, die Berufung wegen Versäumung dieser Frist verwerfenden Beschlusses voraus.

b) Das Berufungsgericht verstößt gegen seine richterliche Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 ZPO, wenn es davon ausgeht, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers keine Vorfristen notiert werden, ohne dem Beschwerdeführer, der hierzu nicht vorgetragen hatte, weil es nach seinem Vorbringen darauf nicht ankam, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 42/05

vom 10. Mai 2006

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt und die Richterin Dr. Vézina

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 4. Januar 2005 aufgehoben.

2. Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Viersen vom 12. August 2004 gewährt.

Beschwerdewert: 7.319 €

Gründe:

I.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. August 2004 zugestellte Urteil des Amtsgerichts am 21. September 2004 Berufung eingelegt.

Das Berufungsgericht hat auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 23. November 2004 verlängert. Durch Beschluss vom 29. November 2004 hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Frist begründet worden sei.

Am 8. Dezember 2004 hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss vom 4. Januar 2005 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin nicht auch den zuvor ergangenen, die Berufung verwerfenden Beschluss des Landgerichts angefochten hat. Denn mit der Stattgabe der Wiedereinsetzung wird der Beschluss über die Verwerfung der Berufung ohne weiteres gegenstandslos (BGHZ 98, 325, 328; BGH Beschlüsse vom 12. Juli 1967 - V ZR 78/65 - NJW 1968, 107, vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81 - NJW 1982, 887; missverständlich insoweit: Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 238 Rdn. 7 und HK ZPO Saenger § 238 Rdn. 8). Die Rechtsbeschwerde ist auch gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Dieser Zulassungsgrund liegt u.a. vor, wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, namentlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör, beruht (BGHZ 151, 221, 226 f.). Einen solchen Verstoß rügt die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

Das Berufungsgericht hat dadurch, dass es - ohne der Beklagten zuvor einen Hinweis zu erteilen - unterstellt hat, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten würden keine Vorfristen bei der Eintragung von Berufungsbegründungsfristen notiert, gegen seine richterliche Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei im Fristenkalender von der sonst zuverlässigen Kanzleikraft K. entgegen seiner ausdrücklichen Anweisung nicht auf den 23. November 2004, sondern den 25. November 2004 notiert worden. Die Akte sei ihm, wie bei roten Fristsachen üblich, einen Tag vor Fristablauf zur Erledigung vorgelegt worden. Dabei habe er festgestellt, dass die Frist bereits am 23. November 2004 abgelaufen sei.

Dazu, ob in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten Vorfristen notiert werden, hat sich die Beklagte nicht geäußert. Das war nach ihrem Vortrag im Wiedereinsetzungsgesuch auch nicht erforderlich. Denn danach kam es auf die Eintragung einer Vorfrist nicht an, weil auch bei deren Eintragung und einer Vorlage der Akten zum Zeitpunkt der Vorfrist ihr Prozessbevollmächtigter die versehentliche fehlerhafte Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender nicht erkennen und damit diesen Fehler nicht beheben konnte.

Das Berufungsgericht hätte deshalb, wenn es dennoch der Ansicht war, die Eintragung einer Vorfrist hätte zu einer Entdeckung des Fehlers führen können, die Beklagte auf diese Ansicht hinweisen müssen, um ihr Gelegenheit zu geben, hierzu vorzutragen.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Denn sie hat diese Frist weder aus eigenem noch aus ihr zuzurechnendem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt.

1. Die Beklagte hat mit der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach Erteilung des gebotenen Hinweises gegenüber dem Berufungsgericht vorgetragen hätte. Sie hat diesen Vortrag durch Vorlage von Kopien des Fristenkalenders und der Handakte sowie durch eidesstattliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht. Diese ergänzenden Angaben sind zu berücksichtigen. Zwar müssen nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (st. Rspr. BGH Beschluss vom 4. März 2004 - IX ZB 71/03 - FamRZ 2004, 1552 m.w.N.).

Nach dem Vortrag der Beklagten war in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - sichergestellt, dass außer der Rechtsmittelbegründungsfrist regelmäßig auch eine Vorfrist notiert wird. Diese war auch im vorliegenden Fall eingetragen und die Akten sind dem Prozessbevollmächtigten am Tag der Vorfrist vorgelegt worden. Dieser hat die Berufungsbegründungsfrist erneut berechnet und überprüft, ob der Erledigungsvermerk über die Eintragung der Frist im Fristenkalender in den Handakten angebracht war. Der Erledigungsvermerk, wonach die Frist auf den 23. November 2004 notiert worden war, befand sich in der Handakte. Da der Fall noch mit der Mandantschaft besprochen werden musste und nicht kompliziert erschien, fertigte der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründung nicht sofort an, sondern ließ sich die Akte einen Tag vor Fristablauf erneut vorlegen. Die Akte wurde ihm - ausgehend von der falsch im Fristenkalender notierten Frist - am 24. November 2004, somit nach Ablauf der Frist, erneut vorgelegt. Danach kann dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten kein Organisationsverschulden angelastet werden.

2. Dem Prozessbevollmächtigten gereicht es auch nicht zum Verschulden, dass er die Berufungsbegründung nicht unverzüglich nach Vorlage zur Vorfrist gefertigt hat. Hierzu war er nicht verpflichtet. Vielmehr durfte er im Hinblick darauf, dass die Sache nicht kompliziert war, die in der Kanzlei übliche Wiedervorlage am Tag vor Fristablauf verfügen.

3. Über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens - zu denen auch die Kosten des für den Beklagten erfolgreichen Beschwerdeverfahrens gehören - ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (vgl. Zöller/Greger, aaO § 238 Rdn. 11 m.w.N.; BGH Beschluss vom 24. Juli 2000 - II ZB 20/99 - NJW 2000, 3284, 3286).

Ende der Entscheidung

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