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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.09.2007
Aktenzeichen: XII ZB 80/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 516 | |
ZPO § 565 | |
ZPO § 621 a Abs. 1 |
Sie ist ferner grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar. Dies gilt auch dann, wenn sie aufgrund eines für das Gericht und den Verfahrensgegner offensichtlichen Irrtums des Rechtsmittelführers über tatsächliche oder rechtliche Umstände erklärt wurde.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 26. September 2007
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. September 2007 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Dr. Ahlt und Dose
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. Mai 2007 wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 3.000 €
Gründe:
I.
Gegen den ihm am 28. August 2006 zugestellten Beschluss des Familiengerichts, mit dem seinem Antrag auf Regelung des Umgangs mit seinem Kind nur eingeschränkt stattgegeben wurde, legte der Antragsteller mit Faxschreiben seiner damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 27. September 2006 Beschwerde ein.
Nach erstmaliger Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 30. November 2006 verlängerte der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Begründungsfrist auf den weiteren, am 30. November 2006 eingegangenen Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers im Einverständnis mit der Beteiligten zu 2 erneut bis zum 2. Januar 2007.
Mit am 4. Dezember 2006 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 2. Dezember 2006 erklärte der Antragsteller, er nehme seine Beschwerde zurück, weil seine Verfahrensbevollmächtigte versäumt habe, die Beschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist zu begründen. Ferner teilte er mit, seiner Verfahrensbevollmächtigten deshalb das Mandat entzogen zu haben. Da er sich nunmehr nur noch selbst vertrete, sei Schriftwechsel nur noch mit ihm zu führen.
Mit weiterem, am 11. Dezember 2006 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 10. Dezember 2006 erklärte der Antragsteller, er wolle an seiner Beschwerde festhalten. Vorsorglich fechte er seine Rücknahmeerklärung an, weil er irrtümlich davon ausgegangen sei, die "am 23. Oktober 2006 ablaufende" Beschwerdebegründungsfrist sei versäumt. Von den beiden beantragten und gewährten Fristverlängerungen habe er erst jetzt erfahren. Zugleich begründete er seine Beschwerde.
Das Oberlandesgericht verwarf die Beschwerde als unzulässig. Die Rücknahmeerklärung des Antragstellers sei wirksam und könne weder durch Widerruf noch durch Anfechtung rückgängig gemacht werden. Soweit das Schreiben vom 10. Dezember 2006 als erneute befristete Beschwerde auszulegen sei, sei die Rechtsmittelfrist abgelaufen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.
II.
Die nach §§ 621e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - an einem Zulassungsgrund nach § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Ein solcher ist auch erforderlich, soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen einen ein Rechtsmittel als unzulässig verwerfenden Beschluss richtet (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 155, 21, 22).
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Denn sämtliche von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind bereits höchstrichterlich im Sinne der angefochtenen Entscheidung geklärt. Insbesondere hat das Berufungsgericht dem Antragsteller auch nicht den Zugang zur Beschwerdeinstanz aufgrund überspannter Anforderungen versagt (vgl. BGHZ 151, 221, 226 f.).
1. Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass das eine Beschwerdebegründung enthaltende Schreiben des Antragstellers vom 10. Dezember 2006 zwar als erneute Beschwerdeeinlegung angesehen werden kann, aber nicht geeignet war, die am 28. September 2006 abgelaufene Frist zur Einlegung der Beschwerde zu wahren. Zutreffend ist ferner, dass die Erklärung der Rücknahme der am 27. September 2006 eingelegten Beschwerde in der vorliegenden Familiensache der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) gemäß § 78 Abs. 3 ZPO nicht dem Anwaltszwang unterlag und die Rücknahme eines Rechtsmittels grundsätzlich weder widerrufen noch angefochten werden kann (Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2006 XII ZB 71/04 FamRZ 2007, 375). Insoweit erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
2. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde allein geltend, ein die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigender Rechts- und Verfahrensfehler des Beschwerdegerichts bestehe darin, dass es die Auslegungsbedürftigkeit der Rücknahmeerklärung nicht erkannt habe. Es sei für das Gericht und für die Beteiligte zu 2 offensichtlich gewesen, dass die Rücknahme nur für den - in Wirklichkeit nicht vorliegenden - Fall einer bereits eingetretenen Versäumung der Begründungsfrist habe erklärt werden sollen. Zumindest aber könne die Beteiligte zu 2 sich hier wegen des offensichtlichen Irrtums des Antragstellers nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht auf die Rücknahme der Beschwerde berufen. Die angefochtene Entscheidung verstoße daher gegen den Anspruch des Antragstellers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Artt. 2, 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG), demzufolge die Prüfung der materiellen Rechtslage, soweit irgend möglich, nicht beeinträchtigt werden dürfe.
a) Rücknahmeerklärungen unterliegen als Prozesshandlungen der uneingeschränkten Nachprüfung - auch auf ihre Auslegung hin - durch das Rechtsbeschwerdegericht (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 1996 XII ZR 14/95 FamRZ 1996, 1142). Dieses hat verfahrensrechtliche Erklärungen frei zu würdigen und dabei unter Heranziehung aller für das Beschwerdegericht erkennbaren Umstände und unter Beachtung der durch die gewählten Bezeichnungen bestehenden Auslegungsgrenzen darauf abzustellen, welcher Sinn ihnen aus objektiver Sicht beizumessen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2006 IV ZB 38/05 MDR 2006, 1126 m.w.N.).
Hier hat das Beschwerdegericht jedoch zu Recht keinen Anlass gesehen, der Rücknahmeerklärung des Antragstellers einen vom Wortlaut abweichenden Sinn beizulegen. Die Formulierung "nehme ich die durch meine Verfahrensbevollmächtigte ... eingelegte Beschwerde vom 27.09.2006 gegen den Beschluss des Amtsgericht Darmstadt, Familiengericht vom 23.08.06 (52 F 2260/04 UG) hiermit zurück", wobei das Wort "zurück" durch Fettdruck in der Mitte einer neuen Zeile hervorgehoben ist, ist aus objektiver Sicht eindeutig.
Die Erklärung der Rücknahme wird auch nicht durch die nachfolgende Begründung ("weil meine Verfahrensbevollmächtigte versäumt hat, die Beschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist zu begründen") relativiert.
Zwar war für das Gericht und auch für die Beteiligte zu 2 offensichtlich, dass der Antragsteller einem Irrtum unterlag, soweit er davon ausging, die Begründungsfrist sei bereits versäumt. Dies stellt jedoch lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum dar, nicht jedoch einen Irrtum über den Inhalt oder die Tragweite seiner Rücknahmeerklärung.
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt auch eine Auslegung oder Umdeutung der Rücknahmeerklärung dahingehend, dass die Beschwerde nur für den Fall tatsächlich versäumter Begründungsfrist zurückgenommen werde, nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass eine solche Auslegung bereits angesichts des Wortlauts der Erklärung ("nehme ich ... zurück, weil ..." und nicht etwa: "nehme ich ... zurück, falls ...") fern liegt, wäre dies, wie auch die Rechtsbeschwerde nicht verkennt, eine bedingte Rücknahme. Die Rücknahme eines Rechtsmittels ist aber bedingungsfeindlich; sie kann nicht einmal, was in Bezug auf andere Prozesshandlungen ausnahmsweise zulässig sein kann, von einer innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht werden (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 1989 IVb ZB 135/88 FamRZ 1990, 147, 148 f. m.N.). Andernfalls könnte der Rechtsmittelkläger beispielsweise seine Erklärung, das Rechtsmittel zurückzunehmen, in ein Hilfsverhältnis zu seinem Rechtsmittelantrag stellen und auf diese Weise eine ihm nachteilige rechtskraftfähige Entscheidung von vornherein vermeiden.
Ist aber eine bedingte Rücknahmeerklärung unzulässig und deshalb wirkungslos, verbietet sich eine solche Auslegung, weil sie dem wirklichen Willen der Partei, das Verfahren zu beenden, zuwiderliefe. Dies gilt auch dann, wenn dieser Wille - wie hier - auf einem Motivirrtum beruhte.
Aus den gleichen Gründen verbietet sich auch eine Umdeutung der erklärten Rücknahme in eine bedingte Rücknahme. Die Umdeutung einer Prozesshandlung in eine andere setzt nämlich stets voraus, dass sie als solche unwirksam ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2006 XII ZB 176/03 FamRZ 2007, 375), während die Voraussetzungen der Wirksamkeit einer anderen, dem gleichen Zweck dienenden Prozesshandlung erfüllt sind (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 2002 XII ZB 46/02 FuR 2002, 432; Senatsurteil vom 6. Dezember 2000 XII ZR 219/98 ZIP 2001, 305, 307 m.w.N.). Hier ist das Gegenteil der Fall: Die vom Antragsteller erklärte Rücknahme ist wirksam; als bedingte Rücknahme wäre sie es nicht.
c) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde ferner darauf, dass Verfahrensvorschriften kein Selbstzweck seien und die Klärung materieller Rechtsfragen möglichst nicht an Formalien scheitern solle. Denn die unwiderruflich verfahrensbeendende Wirkung der Rücknahme einer Klage oder eines Rechtsmittels ist kein Formalismus, sondern unerlässlich, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Prozesshandlungen der Parteien, die die Einleitung oder Beendigung eines Verfahrens betreffen, vertragen keinen Schwebezustand (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 1989 IVb ZB 135/88 FamRZ 1990, 147, 148 f. m.N.). Die Klärung materieller Rechtsfragen muss aufgrund der Parteimaxime zurückstehen, wenn die das Verfahren betreibende Partei ihren darauf gerichteten Antrag wirksam zurückgenommen hat.
d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde vermag auch der Grundsatz von Treu und Glauben hier keine andere Entscheidung zu rechtfertigen.
Lediglich für den Fall, dass eine durch einen Prozessbevollmächtigten erklärte Rücknahme zu dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers in Widerspruch stand und der Irrtum des Prozessbevollmächtigten, auf dem diese Erklärung beruhte, für den Rechtsmittelgegner und das Gericht offensichtlich war, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Gegner sich nach Treu und Glauben nicht auf die Rücknahme berufen kann und diese als unwirksam zu behandeln ist (BGH, Beschluss vom 21. März 1977 II ZB 5/77 VersR 1977, 574; vgl. auch Senatsbeschluss vom 2. Dezember 1987 IVb ZB 125/87 FamRZ 1988, 496).
Damit ist der vorliegende Fall indes nicht vergleichbar. Denn hier hat nicht ein Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigter die Rücknahme entgegen dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers erklärt. Vielmehr hat der Antragsteller die Rücknahme selbst erklärt, und dies entsprach auch seinem wirklichen, wenn auch auf einem offensichtlichen Motivirrtum beruhenden Willen. In einem solchen Fall kann die Frage, ob das Verfahren durch die Rücknahme beendet wurde, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht davon abhängig gemacht werden, ob dies bei vernünftiger Betrachtung aus der Sicht eines sachkundigen Dritten dem objektiven Interesse des Antragstellers entsprochen hätte. Denn andernfalls würde die Frage der Beendigung des Verfahrens letztlich von der Zulässigkeit des Rechtsmittels abhängen, die aber nur im Rahmen eines (noch) anhängigen Rechtsmittelverfahrens geprüft werden darf.
Ende der Entscheidung
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