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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.10.2003
Aktenzeichen: XII ZR 126/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 539 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XII ZR 126/00

Verkündet am: 22. Oktober 2003

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2003 durch die Richter Gerber und Sprick, die Richterin Weber-Monecke, den Richter Fuchs und die Richterin Dr. Vézina

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. März 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufung der Klägerin stattgegeben worden ist.

Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1 als ihre Vertragspartnerin und die Beklagte zu 2 als Bürgin auf Rückzahlung eines Darlehens und auf rückständigen Pachtzins sowie Nebenkosten in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit gesonderten Verträgen hatte die Klägerin von der Stadt O. zum einen eine Gaststätte und zum anderen eine zugehörige Innenhoffläche gepachtet.

Mit Unterpachtvertrag vom 19./20. August 1993 verpachtete die Klägerin die Gaststätte einschließlich des im Vertrag als "Biergarten" bezeichneten Innenhofs an die Beklagte zu 1 und gewährte ihr ein Darlehen in Höhe von 150.000 DM. Den Innenhof nutzte die Beklagte zu 1 als Abstellfläche für eigene Fahrzeuge.

Die Beklagte zu 2 verbürgte sich der Klägerin gegenüber für die Verpflichtungen der Beklagten zu 1 aus dem Darlehen und dem Unterpachtverhältnis.

Die Stadt O. kündigte den Pachtvertrag über die Hoffläche fristgemäß und entzog der Klägerin den Besitz im Februar 1995. Dies teilte die Klägerin der Beklagten zu 1 am 27. April 1995 mit und wies sie darauf hin, daß die Hoffläche ab sofort nicht mehr zur Nutzung zur Verfügung stehe. Die Beklagte zu 1 widersprach mit Schreiben vom 10. Oktober 1995 unter Hinweis darauf, daß sie die Hoffläche im Sommer 1996 als Biergarten nutzen wolle. Mit Schreiben vom 18. Dezember 1995 erklärte sich die Klägerin außerstande, der Beklagten zu 1 die Nutzung der Hoffläche wieder einzuräumen.

Die Beklagte zu 1 zahlte den monatlichen Pachtzins bis einschließlich Februar 1996 in der vereinbarten Höhe von zuletzt 10.018,23 DM, danach bis zur völligen Zahlungseinstellung im Juli 1996 nur noch teilweise und stellte den Gaststättenbetrieb schließlich ein.

Das Pachtverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 endete am 2. April 1997 durch einen Vergleich, über dessen Umfang und Inhalt die Parteien streiten.

Das Landgericht folgte insoweit der Auffassung der Beklagten, mit dem Vergleich seien alle Forderungen der Klägerin bis auf einen Restbetrag des Brauereidarlehens in Höhe von 46.000 DM abgegolten, und verurteilte die Beklagten unter Abweisung der Klage im übrigen zur Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen.

Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin, mit der diese Zahlung weiterer 70.455,13 DM nebst 6,75 % Zinsen begehrte, hatte - bis auf einen Teil des Zinsanspruchs - Erfolg. Die Anschlußberufung der Beklagten, mit der diese abändernd Abweisung der Klage insgesamt begehrten, blieb erfolglos.

Die Beklagten nehmen die Zurückweisung ihrer Anschlußberufung hin. Mit ihrer Revision, die der Senat angenommen hat, verfolgen sie lediglich ihren Antrag weiter, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Teilaufhebung des angefochtenen Urteils und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat die im Rahmen der Vergleichsverhandlungen gewechselten Schreiben der Klägerin und der Beklagten zu 1 dahin ausgelegt, daß lediglich ein Teilvergleich zustande gekommen sei, bei dem die noch offenen Darlehensrückzahlungs- und Pachtzinsansprüche der Klägerin und insbesondere die Frage der Minderung des Pachtzinses wegen der Nichtgewährung des Pachtgebrauchs am Innenhof ausgeklammert worden seien. Dies begegnet revisionsrechtlich keinen Bedenken und wird von der Revision auch nicht angegriffen.

Zwischen den Parteien steht auch außer Streit, daß sich die rückständigen Pachtzinsen für die Zeit vom 1. März 1996 bis 31. März 1997 zuzüglich der Nebenkosten für 1994 und 1995 abzüglich geleisteter Zahlungen und Gutschriften rechnerisch zutreffend auf den Betrag von 70.455,13 DM belaufen, den das Berufungsgericht der Klägerin über den in erster Instanz zugesprochenen Betrag von 46.000 DM hinaus zugesprochen hat, wenn dieser Berechnung der ungeminderte Pachtzins zugrunde gelegt wird.

II.

Mit Erfolg rügt die Revision indes, daß das Berufungsgericht der Klägerin den ungeminderten Pachtzins zugebilligt hat.

Das Berufungsgericht unterstellt zwar, daß die seit Februar 1995 entzogene Nutzung des Innenhofs einen nicht nur unwesentlichen Mangel des Pachtobjekts darstellt, und läßt den Umfang der dadurch bedingten Beeinträchtigung des Pachtgebrauchs dahinstehen. Gleichwohl verneint es eine Minderung des Pachtzinses in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. mit der Begründung, die Beklagten könnten sich darauf nicht berufen, weil die Beklagte zu 1 den Pachtzins in der Zeit von April 1995 bis Februar 1996 ungekürzt und ohne Vorbehalt weitergezahlt habe.

Das hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.

Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß Ziffer 24 ("Schlußbestimmungen") des Pachtvertrages zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1, der im letzten Satz des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung in Bezug genommen ist, folgende Bestimmung enthält:

"Auch wiederholt geübte Nachsicht gilt nicht als stillschweigende Duldung von Vertragsverstößen und Versäumnissen; irgendwelche Rechte können daraus nicht hergeleitet werden."

Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Klausel nicht befaßt, so daß der Senat sie selbst auslegen kann. Im Ergebnis führt diese Auslegung dazu, daß § 539 BGB a.F. - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht entsprechend anwendbar ist, weil die Vertragsparteien dies zulässigerweise (vgl. Staudinger/Emmerich BGB [1995] § 539 Rdn. 10) abbedungen haben.

Aus der systematischen Stellung der Klausel in den "Schlußbestimmungen", deren übrige Bestimmungen für beide Vertragsparteien gleichermaßen gelten, und auch aus dem Wortlaut der Klausel ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß sie etwa nur für Vertragsverstöße des Pächters gelten solle; sie betrifft daher gleichermaßen den Fall, daß der Pächter bei Vertragsverstößen oder Versäumnissen des Verpächters Nachsicht übt.

Als Vertragsverstoß oder Versäumnis des Verpächters ist es auch und insbesondere anzusehen, wenn dieser den nach dem Vertrag geschuldeten Gebrauch ganz oder teilweise nicht mehr gewährt.

Unter den Begriff der vom Pächter in Ansehung einer solchen Vertragsverletzung geübten "Nachsicht" fällt - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch die ungekürzte Weiterzahlung des Pachtzinses, weil unter dem weit gefaßten, untechnischen Begriff der "Nachsicht" jedes Verhalten zu verstehen ist, das einen Verzicht auf oder ein Zuwarten mit Gegenmaßnahmen oder anderen rechtlichen Konsequenzen darstellt. Insbesondere der klarstellende Zusatz, daß "irgendwelche Rechte ... daraus nicht hergeleitet werden" können, zeigt unmißverständlich, daß diese Klausel den Sinn hat, ein schützenswertes Vertrauen darauf, die andere Vertragspartei werde aus einer Vertragsverletzung keine Rechte (mehr) herleiten, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Infolgedessen ist dem Grundgedanken, der der entsprechenden Anwendung des § 539 BGB a.F. in Fällen über längere Zeit ungekürzter Fortzahlung des Miet- oder Pachtzinses trotz eines nachträglich aufgetretenen Rechtsmangels zugrunde liegt, im vorliegenden Fall durch die vertragliche Regelung der Boden entzogen.

III.

Mit der gegebenen Begründung kann das Urteil des Berufungsgerichts im Umfang seiner Anfechtung daher keinen Bestand haben. Eine abschließende Entscheidung ist dem Revisionsgericht verwehrt, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen zum Ausmaß der mit der Entziehung der Hoffläche verbundenen Gebrauchsbeeinträchtigung getroffen hat, hiervon aber die Höhe der Minderung abhängt. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es diese Feststellungen nachholen kann.

Ende der Entscheidung

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