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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 18.04.2007
Aktenzeichen: XII ZR 139/05
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 536 b |
Erfüllungsansprüche sind nur dann ausgeschlossen, wenn die Mietvertragsparteien einen bestimmten, bei Überlassung vorhandenen (schlechten) Zustand der Mietsache als vertragsgemäß vereinbart haben.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 18. April 2007
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2007 durch die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 15. Juli 2005 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt Räumung von Geschäftsräumen nach außerordentlicher Kündigung des Mietvertrages wegen Zahlungsverzuges.
Er vermietete mit schriftlichem Vertrag vom 20. Mai 2003 an die Beklagte im Anwesen K. straße 22 in W. ein "Ladengeschäft im Erdgeschoss, Gewölbekeller und Lagerraum im Untergeschoss" auf die Dauer von fünf Jahren zu einem monatlichen Mietzins von 600 € zuzüglich 70 € Nebenkostenvorauszahlung und Mehrwertsteuer.
In der "Anlage Nr. 1 zum Mietvertrag" heißt es: "Der Mieter hat das Mietobjekt besichtigt und übernimmt es im derzeit vorhandenen Zustand. Er anerkennt ausdrücklich, dass es für die von ihm vorgesehenen Vertragszwecke in der vorliegenden Form geeignet ist."
Vor Abschluss des Mietvertrages hatte sich die Beklagte am 29. April 2003 nach Besichtigung des Mietobjektes in einem Schreiben an den Kläger mit der Überschrift "Einrichtungsskizze Ladenobjekt" unter anderem wie folgt geäußert: "Die gegebenen Örtlichkeiten entsprechen vom Boden, Kellerraum und der Holzvertäfelung nebst Säulen und den Säulenaufsätzen bereits den Vorgaben. ..."
Beim Gewölbekeller handelt es sich um einen Kellerraum, dessen Wände und Decke gemauert, aber nicht verputzt sind. Aus den Zwischenräumen rieselt Sand.
Ab April 2004 zahlte die Beklagte anstelle von ursprünglich 777,20 € nur noch 291,95 € Miete im Monat mit der Begründung, dass der Gewölbekeller wegen Absandens nicht genutzt werden könne, und der Lastenaufzug defekt sei. Dies rechtfertige einen Mietabzug von 62,5 %. Der Kläger erklärte daraufhin wiederholt die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges, zuletzt mit Schreiben vom 9. August 2004, 8. Oktober 2004 und 5. März 2005.
Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Räumung und Herausgabe verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Das Landgericht hat ausgeführt: Das Amtsgericht habe festgestellt, die Beklagte habe bei Vertragsschluss um das Absanden des Gewölbekellers gewusst. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts, die dieser Feststellung zugrunde liege, lasse keinen Fehler erkennen. Sie sei nicht widersprüchlich, laufe nicht den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwider und lasse auch nicht Teile des Beweisergebnisses ungewürdigt. Deshalb sei die Kammer an die Feststellungen des Amtsgerichts gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Selbst wenn die Beklagte über das Absanden des Gewölbekellers nicht unterrichtet gewesen sein sollte, so sei ihr dieser Umstand jedenfalls infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben mit der Folge des Gewährleistungsausschlusses. Der Augenschein habe ergeben, dass Wände und Decken dieses alten Kellerraumes grob gemauert seien und die Fugen mit Mörtel und Sand und nur zum kleinen Teil mit Beton ausgefüllt seien. Das Fugenbild sei auffällig uneben, ungleichmäßig, porös und lückenhaft. Es springe ins Auge, dass sich immer wieder Fugenmaterial aus dem alten Gemäuer löse.
Im Übrigen sei dieser Punkt nicht geeignet, eine Minderung von mehr als 10 % zu rechtfertigen. Der Keller habe nicht als Verkaufsraum dienen sollen. Eine Kürzung der Miete um nahezu 2/3 lasse sich unter keinem Gesichtspunkt rechtfertigen. Von einem entschuldbaren Irrtum könne keine Rede sein. Die Kürzung um ein Vielfaches dessen, was sich bestenfalls rechtfertigen lasse, sei in augenfälliger Weise unverhältnismäßig und willkürlich. Mit der konkreten Nutzungsbeeinträchtigung, die mit dem Versanden des Gewölbekellers einhergehe, habe eine solche Kürzung der Miete nichts mehr zu tun. Deshalb sei die Beklagte mit der Zahlung schuldhaft in Verzug geraten. Ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten wegen des entgegen § 6 des Mietvertrages nicht auf ihren Namen angelegten Kautionsbetrages lasse sich nicht erkennen. Der Kläger habe durch Bankbestätigung nachgewiesen, dass er den Betrag auf einem gesonderten Sparkonto angelegt habe.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
a) Entgegen seiner Auffassung war das Berufungsgericht an die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gebunden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 162, 313, 315 ff.) hat das Berufungsgericht auch nach der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Reform des Rechtsmittelrechts die erstinstanzliche Beweiswürdigung darauf zu überprüfen, ob konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind. Anders als im Revisionsverfahren (§ 559 Abs. 2 ZPO) ist es dabei nicht auf Verfahrensfehler und Verstöße gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze beschränkt.
Mit Erfolg macht die Revision geltend, dass die Beweiswürdigung des Amtsgerichts an Mängeln leide, die Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
aa) Das Amtsgericht hat ausgeführt: "Wenn die Beklagte mit Schreiben vom 29. April 2003 erklärte, die gegebenen Örtlichkeiten würden vom Boden, Kellerraum und Holzvertäfelung der Vorgabe entsprechen, kann dies zumindest ein Indiz dafür sein, dass das Versanden der Beklagten bei Besichtigung der Räumlichkeiten auffallen musste und von ihr nicht als störend empfunden wurde."
Die vom Amtsgericht angenommene Indizwirkung kommt dem Schreiben aber nicht zu. Aus ihm ergibt sich nämlich weder, dass zum Zeitpunkt der Besichtigung Sand auf dem Boden lag, noch dass die Beklagte erkannt hat, dass Sand aus den Wänden rieselte. Das erkennt auch das Amtsgericht, wenn es im nächsten Satz ausführt: "Zuzugeben ist allerdings, dass der Kläger auch durch Säuberung des Kellerraumes, vor einer Besichtigung, die Möglichkeit gehabt hätte, den Keller in einen sandfreien Zustand zu bringen." Dennoch wertet das Amtsgericht das Schreiben der Beklagten vom 29. April 2003 als Indiz für die Kenntnis der Beklagten vom Absanden des Gewölbekellers.
bb) Das Amtsgericht hat den Satz in der Anlage 1 zum Mietvertrag: "Der Mieter hat das Objekt besichtigt und übernimmt es im derzeit vorhandenen Zustand" wegen der Wortwahl "derzeit vorhandenen Zustand" als Indiz dafür angesehen, dass der Beklagten das Versanden des Kellers bei Vertragsschluss bekannt war. Der Ausdruck "im derzeit vorhandenen Zustand" deute darauf hin, dass irgendein Mangel vorgelegen haben müsse; nachdem das Versanden der einzige gerügte Mangel des Mietobjektes sei, deute auch dies darauf hin, dass das Versanden bereits bei Vertragsabschluss bekannt gewesen sei.
Damit hat das Amtsgericht die Grenzen zulässiger Auslegung überschritten. Der gewählten Formulierung kommt die vom Amtsgericht angenommene Indizwirkung nicht zu. Die Formulierung findet sich in vielen Mietverträgen und dient der Beschreibung des Mietobjektes. Ein Hinweis auf verborgene Mängel oder gar darauf, dass dem Mieter solche bekannt gewesen seien, kann ihr nicht entnommen werden.
cc) Das Amtsgericht hat die Aussage des Zeugen B. , "nicht als glaubhaft" beurteilt, weil der Zeuge lediglich von einem Gespräch zwischen ihm und dem Kläger, nicht aber von sich aus von einem weiteren Gespräch zwischen den Parteien berichtet habe; danach habe er, auf das weitere Gespräch angesprochen, erklärt, die behauptete Äußerung sei nicht gefallen, ohne dass er über weitere Einzelheiten des Gesprächs berichtet habe.
Zu Recht rügt die Revision, dass dieses weitere Gespräch nicht Gegenstand des Beweisthemas war und nicht ersichtlich ist, dass das Gericht den Zeugen B. überhaupt nach weiteren Einzelheiten dieses Gesprächs gefragt hat. Wenn der Zeuge - ungefragt - zusätzliche, nicht zum Beweisthema gehörende Angaben unterlassen hat, dann spricht das allein nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Aussage. Es kommt hinzu, dass das Amtsgericht ein wesentliches Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussage übersehen hat. Nach der Rüge der Beklagten, dass der Keller absande, kam es zu einer umfangreichen Korrespondenz zwischen den Parteien. Dabei hat der Kläger in keinem Schreiben erwähnt, dass er die Beklagte vor Vertragsschluss auf diesen Mangel hingewiesen habe. Erstmals in der Klageschrift macht der Kläger geltend, er habe die Beklagte im Rahmen der Vertragsverhandlungen auf die Absandung hingewiesen. Im Übrigen widerspricht es jeglicher Lebenserfahrung, dass ein Mieter Räume anmietet, in denen Sand von Wänden und Decken rieselt, ohne auf der Beseitigung dieses Mangels zu bestehen oder sich seine Rechte vorzubehalten.
b) Mit Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Hilfsbegründung des Landgerichts, dass der Beklagten, wenn sie nicht über das Absanden des Gewölbekellers unterrichtet worden sei, dieser Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sei. In der Regel trifft den Mieter keine Erkundungs- und Untersuchungspflicht (BGH, Urteil vom 4. April 1977 VIII ZR 143/75 NJW 1977, 1236). Grob fahrlässig handelt er, wenn er die erforderliche Sorgfalt bei Vertragsschluss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 28. November 1979 VIII ZR 302/78 NJW 1980, 777). Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 536b Satz 2 BGB ist anzunehmen, wenn die Umstände, die auf bestimmte Unzulänglichkeiten hindeuten, den Verdacht eines dadurch begründeten Mangels besonders nahelegen, der Mieter aber gleichwohl weitere zumutbare Nachforschungen unterlassen hat (Schmidt-Futterer/Eisenschmid Mietrecht 9. Aufl. § 536b Rdn. 16). Dass bei der Besichtigung des Gewölbekellers Sand auf dem Boden lag, hat die Klägerin nicht behauptet und das Berufungsgericht nicht festgestellt. Dann bestand aber für die Beklagte kein Anlass, das Gewölbe daraufhin zu untersuchen, ob Sand aus Mauern und Decken rieseln könnte.
Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass Gewährleistungsansprüche der Beklagten selbst dann nicht ausgeschlossen wären, wenn der Beklagten die Absandung infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben wäre, nämlich dann nicht, wenn der Kläger sie arglistig verschwiegen haben sollte. Denn unstreitig hatte der Kläger von dem Mangel Kenntnis. Das Verschweigen des die Gebrauchstauglichkeit der Mieträume beeinträchtigenden Absandens könnte arglistig sein (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 1993 III ZR 156/92 NJW 1994, 253 f.; Schmidt-Futterer/Eisenschmid aaO § 536d Rdn. 4) und würde dann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts Gewährleistungsrechte der Beklagten nicht ausschließen (§ 536b Satz 2, 2. Halbs. BGB).
c) Zu Recht wendet sich die Revision auch gegen die weitere Hilfsbegründung des Landgerichts, ein Einbehalt von nahezu 2/3 der Miete lasse sich unter keinem Gesichtspunkt rechtfertigen; schon deshalb sei die Beklagte mit einem die fristlose Kündigung rechtfertigenden Teil der Miete in Verzug. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich die Beklagte wegen der Mängel neben der Minderung auch auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen hat. Sie hat vorgetragen, dass die Beseitigung der bestehenden Mängel einen Aufwand von mehr als 10.000 € erfordere.
Der Anspruch des Mieters auf Erfüllung (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) besteht neben der Minderung und kann dem Vermieter nach § 320 BGB entgegengehalten werden (Senatsurteil vom 26. Februar 2003 - XII ZR 66/01 - NJW-RR 2003, 727 f.; Schmidt-Futterer/Eisenschmid aaO § 536b Rdn. 53, 54). Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages hindert den Eintritt des Verzugs mit der Folge, dass eine außerordentliche Kündigung wegen Verzugs nicht möglich ist (BGHZ 84, 42, 44).
d) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Beklagte auch nicht wegen § 12 des Mietvertrages gehindert, sich gegenüber dem Mietzinsanspruch auf ein Zurückbehaltungsrecht zu berufen. Nach § 12 Abs. 1 des Mietvertrages war die Beklagte nur verpflichtet, die Absicht der Zurückbehaltung einen Monat vor Fälligkeit des Mietzinses anzuzeigen, wenn sie ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Schadenersatzanspruchs nach § 536a BGB geltend macht. Das ist hier nicht der Fall.
3. Der Senat ist nicht in der Lage abschließend zu entscheiden. Der Rechtsstreit muss an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit es die erforderlichen Feststellungen verfahrensfehlerfrei nachholt.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Sollte die Beweisaufnahme ergeben, dass die Beklagte den Mangel bei Abschluss des Vertrages gekannt hat, so wäre sie dadurch nicht gehindert, die Einrede des nicht erfüllten Vertrages zu erheben. Der Mieter kann den Erfüllungsanspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB nämlich auch dann noch geltend machen, wenn die Minderung nach § 536b BGB ausgeschlossen ist (Emmerich/Sonnenschein Miete 8. Aufl. § 536b Rdn. 2). Erfüllungsansprüche sind nur dann ausgeschlossen, wenn die Mietvertragsparteien einen bestimmten, bei Überlassung vorhandenen (schlechten) Zustand der Mietsache konkret als vertragsgemäß vereinbart haben (BGH, Urteil vom 20. Januar 1993 VIII ZR 22/92 NJW-RR 1993, 522 f.; Blank/Börstinghaus Miete 2. Aufl. § 536b BGB Rdn. 10). Dieser Schluss wird allerdings häufig gerechtfertigt sein, wenn der Mieter den Mietvertrag in positiver Kenntnis eines bestimmten Mangels abschließt, d.h. die Mietsache so, wie sie ist, akzeptiert (Emmerich/Sonnenschein aaO).
Grundsätzlich gewährt § 320 BGB ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem gesamten Mietzinsanspruch. Allerdings kann der Mieter gegen Treu und Glauben verstoßen (§ 242 BGB), wenn er einen unangemessen hohen Teil der Miete einbehält. Was als angemessen zu gelten hat, ist in erster Linie eine Frage des tatrichterlichen Ermessens und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BGH, Senatsurteil vom 26. März 2003 XII ZR 167/01 NZM 2003, 437). Dabei kann der Rechtsgedanke des § 536b BGB (§ 539 BGB a.F.) bei der Anwendung des § 320 Abs. 2 BGB herangezogen werden (BGH, Urteil vom 5. Juli 1989 VIII ZR 334/88 NJW 1989, 3222).
Ende der Entscheidung
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