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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.09.1998
Aktenzeichen: XII ZR 179/96
Rechtsgebiete: BGB, DDR / BodennutzungsVO
Vorschriften:
BGB § 133 | |
BGB § 157 | |
DDR / BodennutzungsVO § 17 Abs. 5 | |
DDR / BodennutzungsVO § 19 Abs. 1 und 4 |
Zur Abwicklung eines auf dem Gebiet der ehemaligen DDR vor dem Beitritt nach den Regelungen der Bodennutzungsverordnung abgeschlossenen Vertrages über die nichtlandwirtschaftliche Nutzung landwirtschaftlicher Flächen, wenn die Flächen für die nichtlandwirtschaftliche Nutzung nicht mehr benötigt werden.
BGH, Urteil vom 30. September 1998 - XII ZR 179/96 - OLG Rostock LG Schwerin
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 30. September 1998
Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Krohn, Dr. Zysk, Gerber und Sprick
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 13. Juni 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn (DDR). Die Deutsche Reichsbahn plante Anfang 1990 eine Erweiterung des Bahnhofs W.. Hierzu benötigte sie größere Flächen, die im Volkseigentum standen und von der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin (im folgenden: der Beklagten) landwirtschaftlich genutzt wurden. Durch Vertrag vom 16. Januar 1990/2. April 1990 überließ die Beklagte der Deutschen Reichsbahn diese Flächen, und zwar zum Teil zur dauernden Nutzung, zum anderen Teil - soweit sie lediglich für die Einrichtung der Baustelle benötigt wurden - zur zeitweiligen Nutzung. Nach § 6 des Vertrages hatte die Deutsche Reichsbahn an den Rat des Kreises W. eine Bodennutzungsgebühr zu zahlen. Außerdem hatte sie nach § 7 des Vertrages "für wirtschaftliche Nachteile, für eine Beschränkung der Nutzung, für zusätzliche Belastung bzw. für einen evtl. Ernteausfall" an die Beklagte einen finanziellen Ausgleich zu leisten (entsprechend § 17 Abs. 3 BodennutzungsVO). In § 1 des Vertrages wurde vereinbart, daß (u.a.) die BodennutzungsVO Grundlage der Vereinbarung sein solle.
Am 22. Juni 1990 zahlte die Deutsche Reichsbahn auf Anforderung an die Beklagte als Ausgleich für wirtschaftliche Nachteile 481.489,33 Mark (DDR). Davon sollten 271.721,82 Mark den Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile durch dauernden Entzug abdecken, die Restsumme den Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile für die nur zeitweise überlassenen Grundstücke, und zwar für die Jahre 1991 bis 1993.
Nach dem Beitritt der DDR wurde das Vorhaben, den Bahnhof W. in der geplanten Weise auszubauen, aufgegeben. Die überlassenen Flächen wurden deshalb von der Deutschen Reichsbahn, später der Klägerin, nicht mehr benötigt. Sie werden inzwischen wieder landwirtschaftlich genutzt. Streitig ist, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin die Flächen zurückgegeben hat: Nach Darstellung der Klägerin schon zum 1. Januar 1991, nach Darstellung der Beklagten erst im Juni 1994.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 1992 kündigte die Deutsche Reichsbahn den Vertrag zum 15. November 1992 mit der Begründung, die zur Nutzung überlassenen Flächen würden nicht gebraucht, weil das geplante Bauvorhaben nicht durchgeführt werde. Gleichzeitig verlangte sie von dem als Ausgleich für wirtschaftliche Nachteile gezahlten Betrag 114.432,26 DM zurück. Diesen Betrag macht sie mit der Klage geltend. Er setzt sich zusammen aus umgerechnet 91.674,75 DM, die sie als Erlösausfall und Ertragsminderung für die Jahre 1991 bis 1993 wegen der nur vorübergehend überlassenen Flächen gezahlt hat, und einem Teilbetrag von 22.757,51 DM aus der für die dauernde Nutzung erbrachten Zahlung.
Das gesamte für das Bauvorhaben der Deutschen Reichsbahn vorgesehene Gelände war der Beklagten im Jahre 1973 in einem Kooperationsvertrag von dem VEG T.G.S. (das Rechtsträgerin der Flächen war) zur landwirtschaftlichen Nutzung überlassen worden. Rechtsnachfolgerin dieses VEG ist die T.G.S. GmbH. Das landwirtschaftliche Kooperationsverhältnis der Beklagten mit ihr wurde nach dem Beitritt der DDR entflochten, und bei der Vermögensauseinandersetzung, über die sich die Beteiligten ab 23. April 1993 einigten, wurde der gesamte von der deutschen Reichsbahn geleistete Ausgleichsbetrag zugunsten der T.G.S. GmbH berücksichtigt.
Die Beklagte hat der G.S. GmbH den Streit verkündet. Diese ist in der Berufungsinstanz dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Zinsforderung stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen will.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin könne gegen die Beklagte keine Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen. Rechtsgrund für die von der Klägerin geleisteten Zahlungen sei der Nutzungsvertrag vom 16. Januar/2. April 1990. Dieser Rechtsgrund sei durch die von der Klägerin erklärte Kündigung nicht entfallen, da die Klägerin zur Kündigung nicht berechtigt gewesen sei. Der Vortrag, die Flächen würden seit dem 1. Januar 1991 wieder von der Beklagten bzw. ihrer Streithelferin genutzt, reiche für sich allein auch nicht aus, diesen Rechtsgrund entfallen zu lassen.
Die Klägerin könne auch nicht mit der Begründung, sie benötige die Flächen nicht mehr, eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage erreichen. Eine solche Anpassung scheide grundsätzlich aus, wenn sich Veränderungen nur ergeben hätten in einem Bereich, für den nach dem Vertrag ein Vertragspartner das Risiko einer unerwarteten zukünftigen Entwicklung zu tragen habe. Derjenige, dem in einem Vertrag das Nutzungsrecht an einer Sache überlassen werde, trage regelmäßig das Verwendungsrisiko.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
2. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht an, die Klägerin habe das Verwendungsrisiko für die von ihr übernommenen Flächen zu tragen. Es ist zwar richtig, daß derjenige, der sich vertraglich das Nutzungsrecht an einer Sache einräumen läßt, regelmäßig das Risiko übernimmt, während der gesamten Vertragszeit eine Nutzungsmöglichkeit für die Sache zu haben. Das gilt jedoch nur, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht ausschließlich auf den allgemeinen Grundsatz abstellt und übersieht, daß der zwischen den Parteien abgeschlossene Nutzungsvertrag in zulässiger Weise eine davon abweichende Regelung enthält. Da es das Berufungsgericht unterlassen hat, den Nutzungsvertrag unter diesem Gesichtspunkt auszulegen, und da in diesem Zusammenhang weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten und auch nicht erforderlich sind, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. z.B. Urteil vom 14. Dezember 1990 - V ZR 223/89 - NJW 1991, 1180, 1181; Zöller/Gummer, ZPO 20. Aufl. § 550 Rdn. 10, jeweils m.w.N.).
Die Vertragschließenden haben bei Abschluß des Nutzungsvertrages nicht nur gewußt, daß die von ihnen vereinbarte Regelung den Bestimmungen der BodennutzungsVO unterlag, die damals in der DDR zwingendes Recht darstellten. Sie haben vielmehr in § 1 des Vertrages ausdrücklich vereinbart, daß die Regelungen der BodennutzungsVO zur "Grundlage" des Vertrages werden sollten. Nach § 19 Abs. 1 BodennutzungsVO waren "nichtlandwirtschaftliche Nutzer" verpflichtet, den von den landwirtschaftlichen Betrieben oder gesellschaftlichen Organisationen zur Verfügung gestellten Boden zurückzugeben, wenn sie ihn nicht mehr benötigten. Nach § 19 Abs. 4 BodennutzungsVO war "durch eine enge Zusammenarbeit" zwischen dem nicht landwirtschaftlichen Nutzer und dem Landwirtschaftsbetrieb sicherzustellen, daß die Rückführung der Flächen schnell und effektiv erfolgte.
Nach diesen zum Vertragsbestandteil gemachten Regelungen waren die Vertragsparteien nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, das Nutzungsverhältnis zu beenden, wenn der nichtlandwirtschaftliche Nutzer die landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr benötigte. Die Beendigung des Nutzungsverhältnisses und die Rückführung der Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung hatten zur Folge, daß die zuvor für eine längere Nutzungsdauer vertraglich festgesetzten Ausgleichsbeträge für wirtschaftliche Nachteile neu festzusetzen waren (vgl. Autorenkollektiv Oehler u.a., Kommentar zur BodennutzungsVO und ihren Durchführungsbestimmungen, § 19 BodennutzungsVO Anm. 1.1).
Daraus ergibt sich eindeutig, daß die Klägerin das Verwendungsrisiko gerade nicht übernommen hat. Schon aus diesem Grunde kann das Berufungsurteil mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben.
3. Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Im Ergebnis zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, eine Anwendung der Lehre von der Geschäftsgrundlage komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Ist für den Fall einer als möglich angesehenen zukünftigen Entwicklung, die den Vertragszweck in Frage stellen könnte, bereits in dem - evtl. auch ergänzend auszulegenden - Vertrag eine Regelung getroffen, so gilt grundsätzlich allein diese Regelung und daneben ist kein Raum für die Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (BGHZ 90, 69, 74; BGH, Urteil vom 1. Februar 1990 - VII ZR 176/88 - NJW-RR 1990, 601, 602; MünchKomm-BGB/Roth, 3. Aufl. § 242 Rdn. 555; RGRK-BGB/Alff, 12. Aufl. § 242 Rdn. 57; Palandt/Heinrichs, BGB 57. Aufl. § 242 Rdn. 116 jeweils m.N.). Es ist dargelegt, daß der Nutzungsvertrag eine Regelung darüber enthält, was geschehen soll, wenn die Klägerin die überlassenen Grundstücke nicht benötigen sollte. In diesem Fall sollte die Nutzung durch die Klägerin beendet und die Höhe der Ausgleichszahlung neu festgesetzt werden.
Diese Regelung stellt zugleich eine selbständige Anspruchsgrundlage für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch dar. In Höhe der Differenz zwischen den ursprünglich vereinbarten, bereits gezahlten Ausgleichsbeträgen und den neu festzusetzenden Ausgleichszahlungen steht der Klägerin ein vertraglicher Erstattungsanspruch zu. Es ist unstreitig, daß das Nutzungsverhältnis inzwischen - jedenfalls bezüglich der zur dauernden Nutzung überlassenen Flächen vorzeitig - beendet worden ist und daß die Flächen wieder landwirtschaftlich genutzt werden. Daß die Beklagte die Flächen, nachdem die Klägerin sie zurückgegeben hatte, der Streithelferin überlassen hat im Zusammenhang mit der vertraglichen Auflösung der zwischen ihr und der Streithelferin seit 1973 bestehenden Kooperation, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
4. Bei der Neuberechnung der der Beklagten zustehenden Ausgleichszahlungen für wirtschaftliche Nachteile sind die ursprünglich vereinbarten Beträge zu vermindern im Verhältnis der im Vertrag vorgesehenen Nutzungsdauer zu der bis zur Beendigung des Nutzungsverhältnisses tatsächlich erfolgten Nutzungsdauer. Bezüglich der Flächen, die nur zur vorübergehenden Nutzung überlassen werden sollten, ergibt sich die vorgesehene Nutzungsdauer eindeutig aus dem Vertrag. Bezüglich der zur dauernden Nutzung überlassenen Flächen ist die tatsächliche Nutzungsdauer ins Verhältnis zu setzen zu einer Nutzungsdauer von fünf Jahren. Nach § 9 Abs. 3 Buchst. e BodennutzungsVO ist es nämlich als dauernder Entzug anzusehen, wenn eine nichtlandwirtschaftliche Nutzung von mehr als fünf Jahren vorgesehen ist. Auch diese Bestimmung ist zum Vertragsbestandteil gemacht worden. Aus ihr ergibt sich, daß eine für den dauernden Entzug der Nutzung gezahlte Ausgleichszahlung nach einer tatsächlichen Nutzung von fünf Jahren als abgegolten angesehen werden sollte.
Zwischen den Parteien ist streitig, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise - evtl. durch eine stillschweigende Vereinbarung - das Nutzungsverhältnis beendet worden ist. Das Berufungsgericht hat hierzu - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen getroffen. Der Senat ist deshalb zu einer abschließenden Entscheidung (§ 565 Abs. 3 ZPO) nicht in der Lage. Die Sache muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit es die notwendigen Feststellungen - evtl. nach ergänzendem Vortrag der Parteien - nachholen kann.
Ende der Entscheidung
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