Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 02.10.1997
Aktenzeichen: 14/10 RKg 14/95
Rechtsgebiete: BKGG, GG


Vorschriften:

BKGG § 10
BKGG § 11
GG Art. 3
GG Art. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am am 2. Oktober 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 14/10 RKg 14/95

Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit -Kindergeldkasse-, Regensburger Str. 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin.

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 2. Oktober 1997 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage, die Richter Dr. Udsching und Dr. Naujoks sowie die ehrenamtliche Richterin Bröckers und den ehrenamtlichen Richter Dr. Gasser

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. November 1994 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 25. August 1992 wird in vollem Umfang zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 1993 wird abgewiesen.

Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Kürzung des Kindergeldes (Kg) auf Sockelbeträge für das zweite und dritte Kind des Klägers in den Jahren 1992 und 1993.

Der Kläger bezog für seine drei Kinder im Dezember 1991 ungemindertes Kg in Höhe von 400 DM. Ab Januar 1992 kürzte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Februar 1992 das Kg auf die Sockelbeträge, weil das der Berechnung zugrunde gelegte Einkommen des Jahres 1990 in Höhe von 64.894 DM die für den Kläger geltende Einkommensgrenze von 54.680 DM überschreite. Der Bescheid enthält folgenden Zusatz: "Falls die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bzw zunächst nur vorläufig erfolgt ist, ergeht auch dieser Bescheid unter dem Vorbehalt der erneuten Überprüfung und ggf Rückforderung gemäß § 32 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Sofern in einem solchen Fall ein neuer Bescheid erteilt wird, sind Sie verpflichtet, diesen der Kindergeldkasse vorzulegen, da das Kindergeld dann neu berechnet werden muß."

Der Kindergeldfestsetzung lag der Einkommensteuerbescheid vom 27. September 1991 für das Jahr 1990 zugrunde, der unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), vom 12. Juli 1990 und weitere Verfassungsbeschwerden den Vorbehalt enthielt, daß der Bescheid hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge und, des Grundfreibetrages vorläufig sei. Auf den Widerspruch des Klägers setzte die Beklagte das maßgebliche Einkommen auf 57.499 DM herab, weil sie zusätzlich einen Behinderten Pauschbetrag für ein Kind des Klägers und die vom Kläger gezahlte Kirchensteuer berücksichtigte. Hiernach ermittelte sie ein um 20 DM höheres Gesamtkindergeld (Abhilfebescheid vom 1. April 1992). Den weitergehenden Widerspruch des Klägers, der vor allem negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie eine Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung berücksichtigt wissen wollte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. April 1992).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 25. August 1992 abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 17. Februar 1993 das Kg für das Jahr 1993 weiterhin auf die Sockelbeträge gekürzt. Auch dieser Bescheid enthält den Vorbehalt im Hinblick auf eine vorläufige Steuerfestsetzung. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung durch Urteil vom 24. November 1994 teilweise stattgegeben. Es hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für das erste Halbjahr 1992 Kg in Höhe von 640 DM unter dem Vorbehalt der endgültigen Feststellung der Kg-Höhe und der Rückforderung eventuell überzahlter Beträge nachzuzahlen. Für das Jahr 1993 hat es die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter demselben Vorbehalt Kg für das erste Halbjahr 1993 in Höhe von 120 DM nachzuzahlen. Die weitergehende Berufung bzw Klage hat das LSG abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe für das erste Halbjahr 1992 bzw 1993 nach der Regelung in § 11 Abs 3 Sätze 2 bis 6 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) Kg jeweils in der Höhe zu, in der es ihm für Dezember des Vorjahres jeweils zugestanden habe. § 11 Abs 3 Satz 2 BKGG setze zwar voraus, daß die Steuerfestsetzung noch ausstehe, dem müsse jedoch die hier erfolgte vorläufige Steuerfestsetzung gleichgestellt werden. Die laufende Kg-Gewährung müsse aus rechtsstaatlichen Gründen von endgültigen Steuerbescheiden ausgehen. Für die Fälle einer insoweit noch unsicheren Rechtslage sehe das Gesetz eine laufende Zahlung des Kg vor, wobei die Höhe der Leistung vorerst pauschal bestimmt werde und die Zahlung unter dem Vorbehalt der Änderung zu Gunsten und zu Lasten des Kg-Beziehers erfolge. Bei vorläufigen Steuerbescheiden stünden manchmal viele der für die Berechnung des Kg benötigten steuerlichen Werte endgültig fest. Die Höhe der Einkommens- und Kirchensteuer bleibe jedoch immer offen. Selbst in "günstigen" Fällen könne ein offensichtlich fehlender Einfluß des endgültigen Steuerbescheides auf die Kg-Höhe nicht angenommen werden, wenn sich das vorläufige kindergeldrechtliche Jahreseinkommen innerhalb der "Kürzungszone" des § 10 Abs 2 BKGG befinde, wie dies beim Kläger der Fall sei. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen die Festsetzung des maßgeblichen Einkommens hat das LSG dagegen nicht als durchgreifend angesehen.

Hiergegen haben beide Beteiligte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 10 und 11 BKGG sowie der Art 3 und 6 Grundgesetz (GG) sowie des Sozialstaatsprinzips. Die Beklagte habe die Höhe des Kg formal dem Wortlaut des BKGG entsprechend festgesetzt. Die §§ 10 und 11 BKGG seien jedoch verfassungswidrig, soweit in ihnen ein Verbot des Verlustabzugs festgelegt sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 25. August 1992 aufzuheben und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. November 1994 sowie die Bescheide der Beklagten vom 7. Februar 1992 und 1. April 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 1992 sowie den Bescheid vom 17. Februar 1993 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für drei Kinder in ungeminderter Höhe von Januar 1992 bis Dezember 1993 zu zahlen sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. November 1994 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 25. August 1992 in vollem Umfang zurückzuweisen sowie die Klage insgesamt abzuweisen und die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 11 Abs 3 BKGG. Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die in § 11 Abs 3 Satz 3 BKGG geforderte Voraussetzung der noch ausstehenden Steuerfestsetzung auch dann vorliege, wenn die Steuerfestsetzung nach § 165 Abgabenordnung (AO) vorläufig erfolgt sei. Das Steuerrecht unterscheide hinsichtlich der Wirksamkeit nicht zwischen endgültiger und vorläufiger Steuerfestsetzung, wie sich aus § 124 AO ergebe. Die Vorläufigkeit einer Steuerfestsetzung habe auch keine Auswirkungen auf Entstehung und Fälligkeit des Steueranspruchs. Die Fälligkeit einer Steuernachzahlung trete sowohl bei vorläufigen als auch bei endgültigen Steuerfestsetzungen nach der Bekanntgabe des Steuerbescheides ein. Schließlich seien auch vorläufige Steuerfestsetzungen gemäß § 251 Abs 1 AO vollstreckbar, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder durch Einlegung eines Rechtsbehelfes gehemmt sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils (1.); die Revision des Klägers ist unbegründet (2.).

1. Dem Kläger steht weder für das Jahr 1992 (1) noch für das Jahr 1993 (2) höheres Kg zu als ihm von der Beklagten gewährt wurde. Dem Revisionsantrag der Beklagten war daher stattzugeben. Der von der Beklagten in ihrer Revisionsbegründung formulierte Antrag ist allerdings auslegungsbedürftig: sie beantragt einerseits, das Urteil des LSG abzuändern, soweit sie unter Abänderung ihres Bescheides vom 7. Februar 1992 verurteilt worden sei, Kg in Höhe von 120 DM für das erste Halbjahr 1993 nachzuzahlen; andererseits, die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen. Der Antrag ist insoweit fehlerhaft, als der Bescheid vom 7. Februar 1992 nicht das erste Halbjahr 1993, sondern die Kg-Zahlung im Jahr 1992 zum Gegenstand hatte. Das angefochtene Urteil hat den Bescheid vom 7. Februar 1992 jedoch insoweit geändert, als die Beklagte verurteilt wurde, für das erste Halbjahr 1992 Kg in Höhe von 640 DM nachzuzahlen. Diesen sie belastenden Teil der Entscheidung hat die Beklagte in ihrem Antrag nicht gesondert aufgeführt. Daß sie das Urteil des LSG jedoch auch insoweit aufgehoben wissen will, ergibt sich aus ihrem Begehren, die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen. Da das SG die Klage in vollem Umfang abgewiesen hatte, bedurfte es im Hinblick auf die Kg-Zahlung im Jahr 1992 im Revisionsverfahren keines weitergehenden Antrags der Beklagten. Dies ergibt sich im übrigen auch aus der Revisionsbegründung: Nach Auffassung der Beklagten steht dem Kläger sowohl für das Jahr 1992 als auch für das Jahr 1993 ein Anspruch auf höheres Kg nicht zu.

(1) Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stand auch im ersten Halbjahr 1992 kein Anspruch auf höheres Kg zu.

Nach § 10 Abs 2 BKGG (idF des Steueränderungsgesetzes 1992, BGBl I S 297) wird das Kg auf den Sockelbetrag gemindert, wenn das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten den für ihn maßgeblichen Freibetrag um wenigstens 480 DM übersteigt. Daß diese Grenze bei Zugrundelegung des von der Beklagten berücksichtigten Einkommens des Klägers überschritten wird, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Danach hat die Beklagte das dem Kläger zustehende Kg zutreffend auf die Sockelbeträge gekürzt.

Für die Kürzung des Kg auf den Sockelbetrag ist das Einkommen im vorletzten Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr maßgeblich, für das die Kg-Zahlung in Betracht kommt, und zwar so, wie das Einkommen der Besteuerung zugrunde gelegt worden ist (§ 11 Abs 3 Satz 1 BKGG). Steht die Steuerfestsetzung noch aus, so werden zunächst nur die Sockelbeträge gezahlt (§ 11 Abs 3 Satz 2 BKGG). Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die endgültige Beschränkung des Kg-Anspruchs auf den Sockelbetrag grundsätzlich eine verbindliche Festsetzung des Einkommens im Steuerbescheid voraussetzt. Bis zur endgültigen Feststellung des maßgeblichen Einkommens des Berechtigten kann in den Fällen des § 11 Abs 3 BKGG über den Kg-Anspruch nicht abschließend entschieden werden. Es ergehen vielmehr nur Entscheidungen über die Bewilligung der Sockelbeträge; Entscheidungen hinsichtlich der Differenz zwischen dem Sockelbetrag und dem vollen Kg ergehen nur vorläufig und schließen eine endgültige Entscheidung zugunsten des Betroffenen nicht aus (so die st Rspr des BSG: BSGE 63, 167, 170 = SozR 5870 § 10 Nr 9; SozR 3-5870 § 11 Nr 1).

§ 11 Abs 3 BKGG regelt allerdings die Fälle vorläufiger Kg-Gewährung nicht abschließend. § 11 Abs 3 Satz 2 und 3 BKGG beziehen sich nur auf Fälle, in denen eine Steuerfestsetzung noch aussteht. Soweit der Anspruch auf den Differenzbetrag zwischen vollem Kg und Sockelbetrag deshalb ungewiß bleibt, weil die maßgebende Steuerfestsetzung vorläufig erfolgte, fehlt in § 11 Abs 3 BKGG eine Regelung. Entgegen der Auffassung des LSG werden Fälle, in denen der Kg-Gewährung eine vorläufige Steuerfestsetzung zugrunde liegt, von § 11 Abs 3 Satz 2 BKGG nicht erfaßt.

§ 11 Abs 3 Satz 2 BKGG setzt das Fehlen der Steuerfestsetzung voraus, ohne zwischen vorläufiger und endgültiger Steuerfestsetzung zu differenzieren. Nach § 164 AO kann eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgen; § 165 AO sieht die Möglichkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung u.a. dann vor, wenn das BVerfG die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem GG festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist (§ 165 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AO) sowie dann, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens u.a. beim BVerfG ist (§ 165 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AO). Von diesen Möglichkeiten hatte das für den Kläger zuständige Finanzamt unter Bezugnahme auf den Beschluß des BVerfG vom 12. Juni 1990 (SozR 3-5870 § 10 Nr 1) zum Familienlastenausgleich sowie beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerden zum Grundfreibetrag hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge und des Grundfreibetrages im hier maßgeblichen Steuerbescheid Gebrauch gemacht.

Dem Kläger steht das volle Kg auch nicht, wie das LSG angenommen hat, auf Grund der Sonderregelung in § 11 Abs 3 Satz 3 BKGG für das erste Halbjahr 1992 zu. Abweichend von dem in § 11 Abs 3 Satz 2 BKGG aufgestellten Grundsatz, daß bei ausstehender Steuerfestsetzung zunächst nur die Sockelbeträge gezahlt werden, ist nach § 11 Abs 3 Satz 3 BKGG Berechtigten, denen für Dezember des vorigen Jahres mehr als die Sockelbeträge zustand, die Sockelbeträge übersteigendes Kg nach dem für diesen Monat maßgeblichen Einkommen bis einschließlich Juni unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu zahlen. Die Regelung knüpft an den voranstehenden Satz an und setzt ebenfalls voraus, daß noch keine Steuerfestsetzung vorliegt. Sie wurde durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (vom 22. Dezember 1983, BGBl I S 1532) eingeführt, während Satz 2, zusammen mit der Einführung von Sockelbeträgen im Kg-Recht, bereits Bestandteil des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 (vom 20. Dezember 1982, BGBl I S 1857) war. Die Abhängigkeit der Zahlung des vollen Kg vom Vorliegen der Steuerfestsetzung hatte zunächst dazu geführt, daß die Finanzämter von den betroffenen Kg-Berechtigten bedrängt wurden, ihre Einkommensteuerfestsetzung vorrangig zu bearbeiten (vgl BTDrucks 10/691, S 34). Die Einfügung des Satzes 3 hatte deshalb in erster Linie das Ziel, die Finanzämter zu entlasten, indem den Berechtigten, die aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse am Ende des Vorjahres Anspruch auf ein die Sockelbeträge übersteigendes Kg hatten, Kg in entsprechender Höhe zunächst weitergezahlt wurde. Aus der Tatsache, daß die Weiterzahlung auf sechs Monate befristet wurde, wird deutlich, daß die Regelung allein eine vorübergehende Verzögerung beim Abschluß des Steuerfestsetzungsverfahrens überbrücken sollte. Nach der Praxis der Finanzämter liegen zumindest bei der Gruppe der abhängig beschäftigten Kg-Berechtigten, bei der die Fortzahlung des ungeminderten Kg die größte praktische Bedeutung hat, bis zu diesem Zeitpunkt endgültige Steuerbescheide vor.

Die hinsichtlich vorläufiger Steuerbescheide vorhandene Regelungslücke ist nicht in der Weise zu schließen, daß § 11 Abs 3 Satz 3 BKGG analog angewendet wird. Die Dauer von sechs Monaten reicht nämlich regelmäßig nicht aus, um die Vorläufigkeit eines Steuerbescheides aufgrund eines Vorbehalts nach § 165 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AO etwa wegen eines beim BVerfG anhängigen Verfahrens zu überbrücken. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber auch die vorläufige Steuerfestsetzung in den Anwendungsbereich des § 11 Abs 3 Satz 2 BKGG hätte einbeziehen wollen, weil die Begrenzung der Weiterzahlung des höheren Kg auf sechs Monate in Satz 3 hier ihren Sinn verfehlen würde, eine Kontinuität der Kg-Zahlung zu gewährleisten. Denn angesichts der Tatsache, daß die Mehrzahl aller Steuerbescheide seit langem Vorbehalte nach § 165 Abs 1 Satz 2 AO enthält, die - etwa wegen der langen Dauer der Verfahren vor dem BVerfG - häufig erst nach vielen Jahren entfallen, müßte das Kg in nahezu allen Fällen nach sechs Monaten doch noch auf den Sockelbetrag gekürzt werden, wie es das LSG auch ausgesprochen hat.

Die Regelungslücke hat die Verwaltung daher zutreffend in der Weise geschlossen, daß sie die vorläufige Steuerfestsetzung so weit wie möglich der endgültigen Steuerfestsetzung gleichgestellt hat. Im Hinblick auf die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung in dem der Einkommensermittlung zugrundeliegenden Steuerbescheid war es der Beklagten nur verwehrt, über die Differenz zwischen dem Sockelbetrag und dem vollen Kg endgültig zu entscheiden. Sie hat den Kg-Bescheid deshalb zutreffend mit einem Widerrufsvorbehalt für den Fall versehen, daß die endgültige Steuerfestsetzung von der vorläufigen abweichen sollte. Die Zulässigkeit eines derartigen Vorbehalts ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 11 Abs 3 Satz 3 BKGG, der ebenfalls den Fall einer vorläufigen Zahlung regelt. Damit ist dem Erfordernis des § 32 Abs 1 SGB X Genüge getan (vgl BSGE 63, 107 = SozR 1300 § 47 Nr 2; BSG SozR 3-3870 § 54 Nr 1; Schroeder-Printzen, SGB X, 3. Aufl, 1996, § 32 RdNr 7).

(2) Die im Verlauf des Berufungsverfahrens erfolgte Kg-Bewilligung für das Jahr 1993 (Bescheid vom 17. Februar 1993) ist - was vom BSG von Amts wegen zu prüfen ist - Gegenstand des Verfahrens geworden. Das folgt allerdings nicht, wie das LSG angenommen hat, aus § 96 SGG. Dem Wortlaut nach liegen die Voraussetzungen von § 96 SGG nicht vor, denn der neue Bescheid hat den angefochtenen weder abgeändert noch ersetzt. Zwar wird § 96 SGG u.a. dann entsprechend angewandt, wenn es bei einem Sozialleistungsanspruch um eine nachfolgende Leistungsperiode geht, bei der dieselbe Rechtsfrage streitig ist. Diese Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 96 SGG über den Wortlaut des Gesetzes hinaus ist allerdings nur unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie gerechtfertigt. Danach setzt die erweiternde Anwendung des § 96 SGG voraus, daß sich mit der Entscheidung der Rechtsfrage in bezug auf die anhängige Leistungsperiode auch der Streit über den nachfolgenden Zeitraum ohne weiteren Verfahrensaufwand, etwa ohne die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen, erledigt. Dies ist dann grundsätzlich nicht der Fall, wenn die rechtliche Beurteilung von Tatsachen abhängt, die - wie dies bei der Höhe des jährlichen Einkommens der Fall ist - ständigem Wechsel unterliegen. Dies hat der 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Hinblick auf nachfolgende Honorarabrechnungsquartale in seiner neueren Rechtsprechung deutlich gemacht und eine Einbeziehung weiterer Bescheide dann abgelehnt, wenn zwar die Rechtsgrundlagen und die umstrittenen Rechtsfragen jeweils übereinstimmten, aber die rechtlich erheblichen Sachverhaltsumstände und Tatsachengrundlagen in den verschiedenen Abrechnungszeiträumen nicht oder nur teilweise deckungsgleich sind (Urteil vom 24. August 1994 <SozR 3-1500 § 96 Nr 3 S 5>; Urteil vom 18. Oktober 1995 - 6 RKa 12/95 -, nicht veröffentlicht). Ändern sich tatsächliche Gegebenheiten, die für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind oder zumindest sein können, führt die Einbeziehung der später ergangenen Bescheide in der Regel nicht zu einer Beschleunigung, sondern zu einer Belastung des anhängigen Verfahrens mit möglicherweise erheblichem Ermittlungsaufwand, der einer zügigen Erledigung hinderlich ist (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 10 und 12).

Der Bescheid vom 17. Februar 1993 ist zwar nicht nach § 96 SGG, wohl aber nach § 99 Abs 1 SGG trotz des Widerspruchs der Beklagten im Wege der (gewillkürten) Klageänderung Gegenstand des anhängigen Prozesses geworden, weil das LSG im Ergebnis die Klageänderung als sachdienlich angesehen hat. Diese Annahme ist gemäß § 99 Abs 4 SGG unanfechtbar und damit auch im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen. Auf die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens hinsichtlich des Folgebescheides kann hier verzichtet werden (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 12; BSGE 78, 98, 103 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12), weil der Ursprungsbescheid vom selben, am Verfahren beteiligten Rechtsträger erlassen wurde, der auch für den Widerspruchsbescheid zuständig gewesen wäre und eine Abhilfe durch einen Widerspruchsbescheid nicht zu erwarten wäre.

In sachlicher Hinsicht ergibt sich auch für 1993 kein anderes Ergebnis. Dem Kläger steht insbesondere ein Anspruch aus § 11 Abs 3 Satz 3 BKGG auf höheres Kg für die ersten sechs Monate des Jahres nicht zu. Im Zeitpunkt der Bewilligung des Kg lag durch den mit Vorbehalten versehenen Steuerbescheid für 1991 eine Steuerfestsetzung iS von § 11 Abs 3 Satz 2 BKGG vor, so daß eine Anwendung des § 11 Abs 3 Satz 3 BKGG auch für das Jahr 1993 nicht in Betracht kommt.

2. Die Revision des Klägers, die sich ausschließlich auf verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der in § 11 Abs 1 und 2 BKGG geregelten Einkommensberechnung stützt, ist unbegründet. Die Einwände gegen das Verbot des Ausgleichs mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des Ehegatten (§ 11 Abs 1 BKGG) sowie gegen die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs nach § 10e Einkommensteuergesetz (EStG) auf Fälle mit positiven Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 11 Abs 2 Nr 4 BKGG) waren bereits Gegenstand des Beschlusses des BVerfG vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60-105 = SozR 3-5870 § 10 Nr 1). Das BVerfG hat es als sachlich gerechtfertigt angesehen, fiktive Verluste, wie sie etwa durch die Absetzbarkeit von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung nach § 7b EStG (der teilweise durch § 10e EStG ersetzt wurde) eintreten, bei der Ermittlung des für das Kg maßgebenden Einkommens unberücksichtigt zu lassen. Soweit § 11 Abs 1 BKGG auch die Berücksichtigung realer Verluste aus anderen Einkommensarten ausschließt, hat das BVerfG die Verfassungswidrigkeit deshalb verneint, weil der Gesetzgeber der Verwaltungspraktikabilität entscheidendes Gewicht habe beimessen dürfen. Dieser Gesichtspunkt lasse grundsätzlich zwar eine Ungleichheit nur dann zu, wenn es sich um geringfügige und besonders gelagerte Fälle handele. Angesichts des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes, der durch eine Auseinanderrechnung von fiktiven und realen Verlusten erforderlich würde und der damit einhergehenden Gefahr, daß der angestrebte Einspareffekt durch den erheblichen Mehraufwand teilweise aufgezehrt werden würde, sei auch die unterbliebene Berücksichtigung realer Verluste verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG (iVm Art 6 Abs 1 GG) hat das BVerfG (aaO) schließlich auch nicht im Verbot des Verlustausgleichs unter Ehegatten gesehen, weil das Verbot den verheirateten Kg-Berechtigten nicht diskriminiere, sondern alleinstehende Kg-Berechtigte in gleicher Weise treffe.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die heute zu einer abweichenden verfassungsrechtlichen Wertung Anlaß geben. Soweit der Kläger verfassungsrechtliche Bedenken aus der unterschiedlichen Behandlung von Selbständigen, Gewerbetreibenden und Unternehmern einerseits und abhängig Beschäftigten andererseits ableitet, sind diese ebenfalls unbegründet. Der Kläger sieht eine Ungleichbehandlung darin, daß ein (ausschließlich) freiberuflich Tätiger oder Gewerbetreibender durch steuerliche Möglichkeiten seinen Gewinn so weit herabsetzen könne, daß er bis zum Höchstbetrag Kg-berechtigt werde, während ein Unselbständiger diese Möglichkeit nicht habe und bei vergleichbarem Lebensstandard auf den Sockelbetrag gekürzt werde. Damit wird aber ein Verstoß der Kg-Regelung gegen Art 3 Abs 1 GG nicht dargetan, denn diese knüpft gleichermaßen für Selbständige wie für Unselbständige an das steuerrechtliche Einkommen an. Etwaige Verstöße gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung wären im steuerrechtlichen Verfahren geltend zu machen. Die Ausnahme, die wegen des komplexen Zusammenhangs von Steuerrecht und Kg für den Familienlastenausgleich zur Wahrung des Existenzminimums vom BVerfG gemacht worden ist und dazu geführt hat, daß die Verfassungsmäßigkeit der Regelung unter Einbeziehung von Steuerrecht und Kg-Recht zu prüfen war, liegt hier nicht vor. Im übrigen wird der Kläger von etwaigen steuerlichen Begünstigungen von Gewerbetreibenden ebenfalls begünstigt, nämlich soweit er Gewerbetreibender ist und steuerliche Verluste geltend machen kann. Das Kg-rechtliche Verbot des Verlustausgleichs trifft Selbständige, Unselbständige und Bezieher gemischter Einkommensarten in gleicher Weise. Soweit der Kläger einen Vergleich mit einem Bezieher von Einkünften ausschließlich aus selbständiger Tätigkeit herstellt, kann daraus für die Rechtmäßigkeit des Verbots des Verlustausgleichs nichts hergeleitet werden. Beim Bezug nur einer Einkunftsart stellt sich die Frage nicht; damit fehlt es an der Vergleichbarkeit.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

Zurück