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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 28.08.1997
Aktenzeichen: 14/10 RKg 3/96
Rechtsgebiete: BKGG


Vorschriften:

BKGG § 11a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 28. August 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 14/10 RKg 3/96

Klägerin und Revisionsklägerin,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Land Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch das Landesbesoldungsamt Mecklenburg-Vorpommern, Wilhelm-Riefstahl-Platz 3, 17235 Neustrelitz,

Beklagter und Revisionsbeklagter.

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 28. August 1997 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage, die Richter Dr. Udsching und Schriever sowie die ehrenamtlichen Richter Leingärtner und Koch

für Recht erkannt:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 14. September 1995 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin für 1993 Kindergeldzuschlag (KgZ) zusteht.

Die verheiratete Klägerin bezieht für ihren Sohn M. Kindergeld (Kg). Sie wird gemeinsam mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. Der Steuerbescheid für 1994 weist Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 34.899,00 DM aus; nach Abzug von Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen verblieb ein steuerpflichtiges Einkommen von 15.631;00 DM; nach Abzug des Kinderfreibetrages in Höhe von 4.104,00 DM betrug das zu versteuernde Einkommen 11.527,00 DM. Daraus ergab sich nach der Splittingtabelle eine tarifliche Einkommensteuer von 40,00 DM, die zur Freistellung des Existenzminimums auf Null DM gemindert wurde. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab, ihr für das Jahr 1993 KgZ zu gewähren, weil das zu versteuernde Einkommen den maßgeblichen Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 11.232,00 DM übersteige (Bescheid vom 23. November 1994 und Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 1995). Im nachfolgenden Klageverfahren machte die Klägerin geltend, wegen der Anwendung des § 32d EStG iVm der Zusatztabelle 1993 zur Steuerfreistellung des Existenzminimums blieben bei kinderlosen Ehepaaren zu versteuernde Erwerbsbezüge bis 22.139,00 DM steuerfrei. Bei Erwerbsbezügen von 15.631,00 DM habe sich der ihr zustehende Kinderfreibetrag von 4.104,00 DM daher nicht ausgewirkt.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. September 1995). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe bei der Prüfung des Anspruchs auf KgZ nach § 11a Abs 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zutreffend auf den Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Satz 1 EStG abgestellt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe die letztgenannte Norm zwar für verfassungswidrig erklärt. Sie sei jedoch im Rahmen des § 11a BKGG bis zu der vom Gesetzgeber bis zum 1. Januar 1996 vorzunehmenden Neuregelung grundsätzlich weiter anzuwenden. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet gewesen, die bereits ab 1993 vom BVerfG vorgeschriebene Steuerfreistellung des Existenzminimums auf die KgZ-Regelung zu übertragen.

Mit ihrer vom SG zugelassenen Sprungrevision (Beschluß vom 21. Dezember 1995) rügt die Klägerin die Verletzung des § 11a BKGG. Sie trägt dazu vor, diese Vorschrift sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß nicht der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Satz 1 EStG, sondern der sich aus § 32d EStG ergebende Freibetrag maßgeblich sei. Der zum 1. Januar 1993 eingeführte § 32d EStG sei als Ergänzung des § 32a EStG anzusehen und stelle seiner Zielsetzung nach eine Erhöhung des Grundfreibetrages verbunden mit einer Tarifänderung dar. Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) stehe einer Auslegung des § 11a Abs 1 BKGG entgegen, die denjenigen Steuerpflichtigen den KgZ verwehre, deren zu versteuerndes Einkommen zwar über dem Grundfreibetrag des § 32a EStG liege, die aber wegen der Anwendung des § 32d EStG auch ohne Kinderfreibetrag keine Einkommensteuer zu zahlen hätten. Maßgeblich sei allein, daß sich auch in diesem Fall der Kinderfreibetrag nicht steuermindernd auswirke. Eine weitere Ungleichbehandlung liege darin, daß Eltern mit gleichem Nettoeinkommen dann den KgZ erhielten, wenn in dem Einkommen steuerfreie Bezüge wie Arbeitslosengeld enthalten seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 14. September 1995 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. November 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Januar 1995 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für ihren Sohn M. für das Jahr 1993 den Zuschlag zum Kindergeld nach § 11a BKGG in Höhe von 779,76 DM zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht für das Jahr 1993 ein Anspruch auf den KgZ nicht zu.

Nach § 11a Abs 1 Satz 1 BKGG (in der Neufassung vom 30. Januar 1990, BGBl I S 149) erhöht sich das Kg für die Kinder, für die dem Berechtigten der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs 6 EStG (idF des Gesetzes vom 25. Februar 1992, BGBl I S 297) zusteht, um einen Zuschlag, dessen Höhe sich nach § 11a Abs 6 BKGG bemißt, wenn das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs 5 EStG) geringer ist als der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG (idF des Gesetzes v. 25. Februar 1992, BGBl I S 297). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, denn ihr zu versteuerndes Einkommen war im Jahr 1993 - um 295,00 DM - höher als der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

Die Tatsache, daß sich der Kinderfreibetrag bei der Klägerin nicht steuermindernd ausgewirkt hat, weil die im Veranlagungszeitraum 1993 tariflich festzusetzende Einkommensteuer wegen der Übergangsregelung in § 32d Abs 1 Satz 1 EStG (eingefügt zunächst als § 32c durch Art 19 Nr 3 des Gesetzes zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms <FKPG> vom 23. Juni 1993, BGBl I S 944) auch ohne Berücksichtigung des Kinderfreibetrages auf Null DM festzusetzen gewesen wäre, führt zu keinem anderen Ergebnis. § 11a BKGG läßt auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben eine Auslegung, die den Anspruch der Klägerin als begründet erscheinen läßt, nicht zu (1.). Die Vorschrift ist insoweit auch nicht verfassungswidrig (2.).

1. § 11 a Abs 1 BKGG verweist wegen des Anspruchs auf KgZ auf die Regelung des Grundfreibetrags in § 32a Abs 1 Nr 1 EStG, die das BVerfG mit Beschluß vom 25. September 1992 (BVerfGE 87, 153, 154 f) für verfassungswidrig erklärt hat, weil durch die in dieser Vorschrift vorgesehenen Grundfreibeträge nicht gewährleistet sei, daß dem Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinen Erwerbsbezügen soviel verbleibe, wie er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und - unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG - desjenigen seiner Familie bedürfe (Existenzminimum). Hierdurch ist in § 11a Abs 1 Satz 1 BKGG jedoch keine Regelungslücke entstanden, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung im Sinne der Klägerin geschlossen werden könnte.

Der Gesetzgeber hat die vom BVerfG in der genannten Entscheidung aufgestellten Forderungen umgesetzt. Hierzu zählte bis zum Ablauf des Jahres 1995 eine Änderung des § 11a BKGG nicht. Das BVerfG hatte § 32a Abs 1 Nr 1 EStG bis zu einer Neuregelung, die spätestens bis zum 1. Januar 1996 zu erfolgen hatte, für weiterhin anwendbar erklärt. Es mußte lediglich sichergestellt werden, daß mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1993 die Erwerbsbezüge insoweit von der Besteuerung freigestellt wurden, als sie zur Deckung des existenznotwendigen Bedarfs benötigt werden. Der Gesetzgeber hat dieser Forderung dadurch entsprochen, daß er im FKPG § 32c in das EStG eingefügt hat, der durch das Standortsicherungsgesetz vom 13. September 1993 (BGBl I S 1569) inhaltsgleich zu § 32d EStG geworden ist. Danach wird die tariflich festzusetzende Einkommensteuer (§ 2 Abs 6 EStG) zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums entweder entsprechend § 32d Abs 1 Satz 2 EStG gemindert oder bei Unterschreitung der in § 32d Abs 1 Satz 1 EStG genannten Beträge auf Null DM reduziert.

Hieraus folgt jedoch nicht, daß die an § 32a Abs 1 Nr 1 EStG anknüpfende Regelung des § 11a Abs 1 Satz 1 BKGG, die der Gesetzgeber trotz der Entscheidung des BVerfG zu § 32a EStG unverändert gelassen hat, seit der Einfügung des § 32d EStG keinen vollständigen und eindeutigen Regelungsgehalt aufweist. Dies aber wäre Grundvoraussetzung einer verfassungskonformen Auslegung. Sie ist nur zulässig, wenn eine Norm unter Berücksichtigung des Wortlauts, des Sinn und Zwecks und der Entstehungsgeschichte mehrere Auslegungen zuläßt. In diesem Fall sind diejenigen Auslegungen auszuschließen, die der Verfassung nicht entsprechen (vgl BVerfGE 30, 129, 148; 32, 373, 383). Diese Voraussetzungen liegen in bezug auf § 11 a Abs 1 BKGG nicht vor.

Die von der Klägerin im Ergebnis angestrebte Lösung, daß die SGe im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung die Verweisung in § 11 a Abs 1 Satz 1 BKGG dahingehend modifizieren (auslegen), daß nicht mehr die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärte Grundfreibetragsregelung des § 32a Abs 1 Nr 1 EStG anzuwenden sei, sondern daß sich der Grundfreibetrag aus § 32d Abs 1 Satz 1 EStG ergebe, würde eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung darstellen, da sie gegen den eindeutigen gesetzgeberischen Willen verstößt. Dieser kommt bereits in der Tatsache zum Ausdruck, daß die in Satz 1 des § 11a Abs 1 BKGG enthaltene Verweisung auf § 32a Abs 1 Nr 1 EStG auch nach der Einfügung von § 32d EStG bewußt (vgl hierzu: Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BT-Drucks 12/7028 S 2) nicht abgeändert wurde. In Anbetracht des eindeutigen gesetzgeberischen Willens bleibt für eine hiervon abweichende - verfassungskonforme - Auslegung kein Raum. Es käme nur eine Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG in Betracht, wenn der Senat - im Hinblick auf die ab 1. Januar 1993 neugeschaffene Steuerminderungsregelung zur Freistellung des Existenzminimums - von der Verfassungswidrigkeit des § 11a Abs 1 BKGG überzeugt wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.

2. § 11 a BKGG war - auch nach dem Inkrafttreten des § 32d EStG - nicht verfassungswidrig. Der Klägerin ist wohl zuzugestehen, daß der KgZ nunmehr seiner ursprünglichen sozialpolitischen Zielrichtung nicht mehr voll gerecht werden konnte. Der KgZ wurde aus Gründen "sozialer Gerechtigkeit" für denjenigen Personenkreis als Ausgleich geschaffen, bei dem sich mangels hinreichenden Einkommens der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs 6 EStG steuerlich nicht oder nicht voll auswirkte (BT-Drucks 10/2886 S 7). Der KgZ stellt damit einen weiteren Teil des vom Gesetzgeber in einem dualen System ausgestalteten Familienlastenausgleichs (BT-Drucks 9/1240 S 66) dar. Einerseits sollte durch die allgemeine Sozialleistung des Kg die wirtschaftliche Belastung teilweise ausgeglichen werden, die Eltern durch die Sorge für ihre Kinder entsteht. Andererseits war der steuerliche Kinderfreibetrag dazu bestimmt, im Steuerrecht zu berücksichtigen, daß die Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen durch den Unterhalt ihrer Kinder gemindert wird. Mithin trug das Einkommensteuerrecht zusammen mit dem Kg und zugleich wie dieses dazu bei, daß dem Steuerpflichtigen wirtschaftlich das steuerlich zu verschonende Existenzminimum (BVerfG, Beschluß vom 25. September 1992 - BVerfGE 87, 153, 169 f) verblieb. In den Fällen, in denen es wegen geringen Einkommens ganz oder teilweise unmöglich war, den zustehenden Kinderfreibetrag auszuschöpfen, übernahm der KgZ als rechtlich selbständiger Teil des Kg auch diejenige Seite des Familienlastenausgleichs, die bei höheren Einkommen über die steuerliche Entlastungsfunktion des Kinderfreibetrages erreicht wurde. Durch den KgZ wurde somit nicht die Funktion des Kg als allgemeine Sozialleistung, sondern seine auf das Einkommensteuerrecht bezogene Entlastungsfunktion im dualen System des Familienlastenausgleichs ergänzt (vgl hierzu eingehend: BSG, Urteil vom 3. Dezember 1996 - 10 RKg 12/95 - SozR 3-5870 § 11a Nr 10 - mwN).

Da der KgZ danach als Ersatz für den nicht oder nicht voll ausgeschöpften steuerlichen Kinderfreibetrag allein von den Regelungen des Steuerrechts abhing, wäre es zwar konsequent gewesen, das Kindergeldrecht insoweit mit dem geänderten Steuerrecht zu harmonisieren und den KgZ allen Berechtigten zu gewähren, bei denen sich der Kinderfreibetrag bei der Festsetzung der Einkommensteuer nicht (voll) auswirkte. Aus der Tatsache, daß sich der Gesetzgeber nicht für diese Lösung entschieden hat, ergeben sich jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die eine Aussetzung des Rechtsstreits und eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG begründen.

Ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 GG ("Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung") kommt ebensowenig in Betracht wie eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG), denn ein Anspruch des Klägers auf eine kindbezogene staatliche Förderung gleich welcher Art läßt sich aus diesen Grundgesetznormen nicht ableiten (vgl BVerfG, Beschluß vom 29. Mai 1990 - BVerfGE 82, 60, 99 f). In Anbetracht des Beschlusses des BVerfG vom 25. September 1992 (aaO) war der Gesetzgeber - zur Wahrung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner Familie - lediglich gehalten, mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1993 sicherzustellen, daß dem Steuerpflichtigen bei der Einkommenbesteuerung die Erwerbsbezüge belassen wurden, die er zu Deckung eines existenznotwendigen Bedarfs benötigte. Um dieser Forderung zu genügen, mußte in kürzester Zeit allein für diesen Bereich eine Übergangsregelung geschaffen werden. Wegen der tiefgreifenden Auswirkungen der Entscheidung auf die öffentlichen Haushalte hat das BVerfG dem Gesetzgeber für eine umfassende Neuordnung ausdrücklich eine Frist bis zum Ablauf des Jahres 1995 eingeräumt. Dies gilt auch für die Auswirkungen der Steuerfreistellung des Existenzminimums auf den Familienlastenausgleich, der im Jahressteuergesetz 1996 umfassend neu geregelt wurde.

Die unterbliebene Anpassung der Voraussetzungen für die Gewährung des KgZ verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st Rspr des BVerfG, zB Beschluß vom 29. Mai 1990 - BVerfGE 82, 60, 86 mwN). Zu vergleichen ist hier die Gruppe von Steuerpflichtigen, deren steuerpflichtiges Einkommen unter der Grundfreibetragsgrenze des § 32a Abs 1 Nr 1 EStG lag und die demzufolge, da sie den Kinderfreibetrag nicht oder nicht voll ausnutzen konnte, in den Genuß des KgZ kam, mit der Gruppe von Steuerpflichtigen, deren steuerpflichtiges Einkommen über dieser Grenze lag, die wegen der Übergangsregelung in § 32d Abs 1 EStG jedoch tatsächlich - auch ohne Berücksichtigung des Kinderfreibetrages - keine oder nur so geringe Steuern zu entrichten hatten, daß sich der Kinderfreibetrag nicht voll auswirkte.

Ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen beiden Gruppen ergibt sich bereits daraus, daß die zuletzt genannte Gruppe über ein höheres Einkommen verfügte. Der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG betrug 5.616,00 DM (bei Alleinstehenden) bzw 11.232,00 DM (bei Verheirateten), derjenige nach § 32d EStG lag 1993 bei 11.000,00 DM (für Alleinstehende) bzw 22:000,00 DM (für Verheiratete). Der Unterschied in der Höhe des Einkommens hatte früher zur Folge, daß Bezieher von Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages die Kinderfreibeträge nicht oder nicht voll ausnutzen konnten, während sich die Kinderfreibeträge bei Beziehern von höherem Einkommen voll steuermindernd auswirkten. Dieser Unterschied ist durch die steuerliche Neuregelung bis zu der neugeschaffenen Steuerentlastungsgrenze zwar entfallen. Daraus allein folgt jedoch nicht, daß auch eine Gleichbehandlung hinsichtlich des KgZ von Verfassungs wegen geboten ist. Die Neuregelung hat die Rechtsstellung der Bezieher von Einkommen zwischen dem alten Grundfreibetrag und der neuen Steuerentlastungsgrenze nicht verschlechtert, sondern verbessert. Sie bekommen zwar nach wie vor keinen KgZ, zahlen gegenüber dem früheren Rechtszustand jedoch weniger oder überhaupt keine Einkommensteuer mehr. Demgegenüber ist die Lage derjenigen, die bereits früher mit ihrem Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages lagen, unverändert geblieben: Sie erhalten nach wie vor KgZ in der früheren Höhe. Das Begehren der Klägerin, deren Existenzminimum durch die Neuregelung entsprechend den Vorgaben des BVerfG steuerfrei gestellt worden ist, läuft somit darauf hinaus, den Gesetzgeber zu verpflichten, die einmal getroffene sozialpolitische Grundentscheidung, eine fehlende oder unvollständige Ausnutzung des steuerlichen Kinderfreibetrages durch Gewährung eines KgZ zu kompensieren, in Zukunft an jede Änderung des Steuersystems anzupassen. Dies läßt sich jedoch bei einer Sozialleistung wie dem KgZ, die nicht wie die Sozialhilfe der Wahrung des Existenzminimums dient, nicht aus der Verfassung ableiten. Im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, ein bestimmtes, von ihm selbst geschaffenes sozialpolitisches Konzept beizubehalten und bei geänderten Rahmenbedingungen gegebenfalls fortzuentwickeln.

Selbst wenn man in der beibehaltenen Anknüpfung des § 11a BKGG an § 32a Abs 1 Nr 1 EStG im Hinblick auf das sozialpolitische Ziel des KgZ einen Systembruch sieht, stellt dies allein noch keine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG dar. Die systemwidrige Ungleichbehandlung einer Gruppe von Betroffenen kann nur ausnahmsweise als Indiz dafür gewertet werden, daß die maßgebende Regelung gegen das Willkürverbot verstößt (st Rspr des BVerfG, vgl BVerfGE 9, 20, 28; 81, 156, 207). Eine solche Ausnahme liegt im Hinblick auf die unterbliebene Anpassung des § 11a Abs 1 BKGG an die nur als Übergangsregelung konzipierte Grundfreibetragsregelung des § 32d Abs 1 EStG nicht vor. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber nur zur Steuerfreistellung des Existenzminimums verpflichtet war; ihm aber bei der Einräumung weiterer Vergünstigungen ein Gestaltungsspielraum zusteht. Er kann grundsätzlich stets frei bestimmen, ob, ab wann, in welcher Höhe und gegenüber welchem Personenkreis er eine bestehende Sozialleistung ausweitet, so lange er sich nicht von unsachlichen Erwägungen leiten läßt (BSG SozR 3-5870 § 11a Nr 6 mwN; vgl auch: BVerfGE 39, 148, 153 ff mwN). Die Forderung der Klägerin, der Gesetzgeber müsse im Interesse sozialer Gerechtigkeit stets strikte Gleichförmigkeit schaffen, begründet tendenziell die Gefahr, daß Reformen, die sich vor allem aus finanziellen Gründen nur schrittweise verwirklichen lassen, von vornherein unterbleiben (BVerfGE 40, 121, 140; 69, 272, 304). Der Gesetzgeber hat der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte den Vorrang eingeräumt gegenüber einer durch Ausweitung von Sozialleistungen eintretenden Vergrößerung des ohnehin durch den Ausfall von Steuern entstandenen Finanzbedarfs. Damit hat er sich innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums bewegt, den er mit der gänzlichen Neuregelung des Kindergeldrechts im Jahressteuergesetz 1996 (vom 11. Oktober 1995, BGBl I S 1250) nur weiter ausgefüllt hat.

Der Senat teilt im übrigen auch nicht die Ansicht der Klägerin, es sei mit Art 3 GG unvereinbar, wenn Berechtigte mit steuerpflichtigen Einkünften über der Grundfreibetragsgrenze des § 32a Abs 1 Nr 1 EStG den KgZ gemäß § 11a BKGG nicht erhielten, dieser Ausschluß demgegenüber bei Berechtigten mit identischen jährlichen Nettoeinkünften nicht eingreife, sofern sich diese aus steuerpflichtigen Einkünften unterhalb des Grundfreibetrages und aus den Progressionsvorbehalt (§ 32b EStG) auslösenden Leistungen (zB Arbeitslosengeld) zusammensetzen. Dieser Einwand richtet sich gegen die ursprüngliche Konzeption des KgZ unabhängig von der durch die Einfügung des § 32d EStG eingetretenen Änderung. Prüfungsmaßstab kann auch insoweit nur sein, ob der Gesetzgeber durch die in § 11a Abs 1 BKGG vorgesehene Anknüpfung an das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs 5 EStG) gegen das aus Art 3 Abs 1 GG abgeleitete Willkürverbot verstoßen hat. Das ist zu verneinen. Der Gesetzgeber hat die Bezieher von steuerfreien Einkünften wie Arbeitslosengeld usw beim KgZ nicht bevorzugt. Durch die Bestimmung eines geringeren Prozentsatzes als 19 vH, wie in § 11a Abs 6 Satz 1 BKGG vorgesehen, nämlich durch die Zugrundelegung des Unterschiedsbetrags zwischen dem aus § 11a Abs 6 Satz 1 BKGG hervorgehenden und dem im Steuerbescheid nach § 32b EStG ausgewiesenen besonderen Steuersatz (§ 11 a Abs 6 Satz 2 BKGG), hat er bei der Berechnung der Höhe des KgZ einen Ausgleich dafür geschaffen, daß neben steuerpflichtigen auch steuerfreie Einnahmen erzielt worden sind. Dadurch fällt der KgZ entsprechend geringer aus.

Ob eine andere Methode zur Berücksichtigung solcher steuerfreier Einnahmen sachgerechter gewesen wäre, kann dahinstehen. Der Gleichheitsgrundsatz ist nicht bereits dann verletzt, wenn der Gesetzgeber nicht die zweckmäßigste Lösung gewählt hat. Entscheidend ist, daß er sachlich differenziert und dabei eine vertretbare Lösung gefunden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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