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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 23.09.1997
Aktenzeichen: 2 BU 177/97
Rechtsgebiete: SGG, GG


Vorschriften:

SGG § 73a Abs. 3 iVm § 109 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 1, 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT BESCHLUSS

Beschlossen am 23. September 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 2 BU 177/97

Prozeßbevollmächtigter:

Kläger und Beschwerdeführer,

gegen

Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft, M 5, 7, 68161 Mannheim,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am 23. September 1997 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Krasney, die Richter Dr. Burchardt und Klüglein sowie die ehrenamtlichen Richter Faupel und Hanel beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 13. Mai 1997 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger ist mit seinem Begehren, ihm wegen der Folgen des am 9. Dezember 1993 erlittenen Arbeitsunfalls Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 31. Dezember 1995 hinaus zu zahlen, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 27. November 1995 idF des Widerspruchsbescheids vom 16. Februar 1996; Urteile des Sozialgerichts vom 22. August 1996 und des Landessozialgerichts <LSG> vom 13. Mai 1997). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Dauerrente ab dem 1. Januar 1996, da seine Erwerbsfähigkeit ab diesem Zeitpunkt infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr in rentenberechtigendem Grad gemindert sei.

Mit seiner hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Klärungsbedürftig sei die Rechtsfrage, ob die Regelung des § 73a Abs 3 iVm § 109 Abs 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit dem Grundgesetz (GG), insbesondere mit Art 1 Abs 1, 3 Abs 1, 19 Abs 4 sowie 20 Abs 1 und 3 GG vereinbar sei.

Die Beschwerde ist zurückzuweisen. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Zulassungsgrund liegt nicht vor.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung ist nur dann anzunehmen, wenn die vom Beschwerdeführer angeführte Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsbedürftig, klärungsfähig und entscheidungserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 53 und 54; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNr 63). Zwar kann auch die Klärungsbedürftigkeit der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 11 und 17; Krasney/Udsching aaO RdNr 64 mwN). Gleichwohl ist die vom Beschwerdeführer angeführte Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig iS einer grundsätzlichen Bedeutung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.

Bis zur Einführung der Prozeßkostenhilfe für das sozialgerichtliche Verfahren (s Art 4 Nr 12 Buchst b des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 - BGBl I 677 -) sah das SGG die Möglichkeit, einem Beteiligten Armenrecht zu gewähren und ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen, nicht vor, abgesehen von den Verfahren vor dem Bundessozialgericht <BSG> (s § 167 Abs 1 SGG aF). Diese Besonderheit wurde damit gerechtfertigt, daß das Verfahren vor dem Sozialgericht grundsätzlich kostenfrei ist (§ 183 SGG) und das Gericht nach § 103 SGG verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (s BSG SozR Nr 21 zu § 109 SGG). Wie der Amtlichen Begründung zur Einführung der Prozeßkostenhilfe für das sozialgerichtliche Verfahren zu entnehmen ist (s BT-Drucks 8/3068, S 22123) hatte sich gerade in Verfahren, die komplizierte Materien zum Gegenstand haben oder die von einschneidender Bedeutung für den Betroffenen sind, die Mitwirkung von Rechtsanwälten sowohl im Interesse der Partei als auch im Interesse einer geordneten Rechtspflege als wertvoll erwiesen. Auch in Verfahren, in denen das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären hat, können die Anwälte als Sachverwalter der Parteien maßgeblich dazu beitragen, daß die erheblichen Tatsachen sachgemäß ermittelt und dargestellt werden und daß das Wesentliche in rechtlicher Hinsicht gründlich beleuchtet wird. Aus diesen Gründen und im Hinblick auf den Grundsatz der prozessualen Gleichstellung des Versicherten mit dem Versicherungsträger hat der Gesetzgeber auch für das sozialgerichtliche Verfahren die Möglichkeit vorgesehen, daß "dem Betroffenen auch im sozialgerichtlichen Verfahren, soweit dies erforderlich erscheint (vgl § 119 Abs 2 ZPO idF des Art 1 Nr 4), ein Rechtsanwalt im Wege der Prozeßkostenhilfe beigeordnet werden kann" (s Amtliche Begründung aaO S 23).

Im Hinblick darauf hat der Gesetzgeber in § 73a Abs 3 SGG auch ausdrücklich klargestellt, daß die Regelung in § 109 Abs 1 Satz 2 SGG von der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe unberührt bleibt (s Amtliche Begründung aaO S 39). Das bedeutet nichts anderes, als daß theoretisch auch bei demjenigen Antragsteller die Einholung des beantragten Gutachtens von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden darf, der an sich die persönlichen Voraussetzungen des § 73a Abs 1 SGG iVm §§ 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erfüllt (s Gouder SGb 1984, 89, 90).

Bei einem Antrag nach § 109 SGG kann das Gericht nach § 103 SGG verfahren und von Amts wegen einen Sachverständigen beauftragen. Es muß so verfahren, wenn es nach Lage der Akten ein Sachverständigengutachten für notwendig erachtet. Dann entstehen dem Antragsteller keine Kosten (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 109 RdNr 13 mwN). Will das Gericht nach § 109 SGG verfahren, so steht es in seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es die Einholung des beantragten Gutachtens von einem Kostenvorschuß abhängig machen will (s BSG SozR Nr 21 zu § 109 SGG; Meyer-Ladewig aaO). Hält das Gericht den Sachverhalt für ausreichend geklärt und sieht es damit keinen Anlaß, ein Gutachten von sich aus nach § 103 SGG einzuholen, wird es in der Regel die gutachtliche Anhörung des vom Antragstellers benannten Arztes davon abhängig machen, daß er die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt. Dabei hat das Gericht eine Frist zur Zahlung des Vorschusses zu bestimmen. Dies gilt auch bei finanziellem Unvermögen des Antragstellers (Meyer-Ladewig aaO RdNr 13 mwN).

Inwiefern diese für das sozialgerichtliche Verfahren geltende Sonderregelgung unter Berücksichtigung des dargestellten Entscheidungsspielraums des Gerichts unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich erscheint, ist nicht ersichtlich und vom Beschwerdeführer auch insofern nicht näher dargelegt. Dies gilt um so mehr, als das Gericht das Gutachten einholen muß, soweit nicht Ablehnungsgründe iS des § 109 Abs 2 SGG vorliegen; vor allem kann das Gericht nicht davon absehen, weil es die Einholung eines Gutachtens nicht für notwendig hält (BSG SozR Nr 30 zu § 109 SGG) oder den Sachverständigen nicht für geeignet hält (Meyer-Ladewig aaO RdNr 12). Diese Verpflichtung zur Einholung des Gutachtens bedeutet im Kern nichts anderes, als daß das Gericht die für die Prozeßkostenhilfe in dem Fall nach § 114 Abs 1 ZPO zwingend vorgeschriebene Erfolgsaussicht, die verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfG NJW 1992, 889), nicht prüfen kann.

Im Hinblick auf die dargelegten Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens ist dem Kläger auch nicht - wie er mit der Beschwerde meint - effektiver Rechtsschutz verwehrt, wenn er den von ihm geforderten Auslagenvorschuß nicht aufbringen kann. Dies folgt vor allem aus der Amtsermittlungspflicht des Gerichts und dem Gebot, bei Erhebung des Kostenvorschusses im Rahmen des Ermessens den Grundsatz der prozessualen Gleichstellung der Beteiligten zu beachten. Zudem kann eine ermessensfehlerfreie Ausübung iS des § 109 Abs 1 Satz 2 SGG es im Einzelfall gebieten, die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG auch dann nicht von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen, wenn zwar ein von Amts wegen eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten bereits vorliegt, es sich aber - zB - um eine besonders schwierige Kausalitätsfrage aus dem Bereich des Unfallversicherungsrechts handelt oder die medizinische Frage besonders kontrovers ist, oder aber wenn der nach § 109 SGG benannte Arzt auf seinem Fachgebiet eine besondere wissenschaftliche Reputation genießt oder über neue Untersuchungsmethoden verfügt (Gouder SGb 1984, 89, 94).

Der Beschwerdeführer weist zwar zu Recht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach Art 3 Abs 3, 20 Abs 3 und 19 Abs 4 GG das Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes zu entnehmen ist (BVerfG NJW 1992, 889). Danach dürfen bei dem summarischen Verfahren der Prozeßkostenhilfe die Anforderungen an die Aussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht weit überspannt werden und dadurch den Zweck der Prozeßkostenhilfe verfehlen. Der genannte Grundsatz wird jedoch durch die angegriffene Regelung im Hinblick auf den dargelegten Entscheidungsspielraum des Gerichts und die von ihm vorzunehmende Abwägung bei der Anforderung eines Kostenvorschusses nicht verletzt. Vielmehr ist das BVerfG in seinem Beschluß vom 22. Januar 1959 (BVerfGE 9, 124) ebenfalls davon ausgegangen, daß die Einführung der Prozeßkostenhilfe (seinerzeit des Armenrechts) verfassungsrechtlich auch nicht im Hinblick auf § 109 Abs 1 Satz 2 SGG geboten war.

Eine Überprüfung der vom LSG zu dem Antrag des Klägers nach § 109 SGG erörterten Ablehnungsgründe im übrigen ist im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, weil § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG es ausdrücklich ausschließt, die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 109 SGG zu stützen. Dieser Hinweis soll in keiner Weise eine verfahrensfehlerhafte Anwendung dieser Vorschrift durch das LSG andeuten.

Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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