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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 05.11.1997
Aktenzeichen: 9 RV 4/96
Rechtsgebiete: BVG


Vorschriften:

BVG § 30 Abs. 3, 4, 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 5. November 1997

in dem Rechtsstreit

Az: 9 RV 4/96

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen, Von-Vincke-Straße 23-25, 48143 Münster,

Beklagter und Revisionskläger.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 5. November 1997 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, Richter Dr. Kocher und Richter Prof. Dr. Bürck sowie die ehrenamtlichen Richter Mülder und Franke

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Dezember 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. April 1995 abgeändert.

Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 17. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 wird abgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 16. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 wird insoweit abgewiesen, als der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991 und Zahlung von Berufsschadensausgleich bis zum 31. März 1993 begehrt hat.

Im übrigen wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich (BSchA).

Der am 3. März 1933 geborene Kläger ist Hirnverletzter. Er hat 1945 als Volksschüler eine Granatsplitterverletzung erlitten, derentwegen als Schädigungsfolgen - seit 1. Januar 1988 bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH - anerkannt sind: Hirnverletzung mit Halbseitenlähmung links, allgemeine Hirnleistungsschwäche mit Wesensänderung, Hirnkrampfanfallsleiden und Schädelknochendefekt.

Seine Grundrente hat ab 1. Mai 1950 40 vH, ab 1. März 1952 50 vH, ab 1. April 1962 80 vH und seit 1. Januar 1988 100 vH der Rente eines Erwerbsunfähigen betragen.

Außerdem bezieht er seit Januar 1988 Ausgleichsrente, Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe V und Pflegezulage der Stufe I.

Nach Abschluß der Volksschule in H. /W. im Jahre 1948 begann er eine Tischlerlehre, wechselte dann 1949 zu einer Tätigkeit im Bergbau über, und trat schließlich im Mai 1954 als Metallhilfsarbeiter bei der Firma B. GmbH, D. , der späteren "G. GmbH" ein. Dort verrichtete er zunächst Tätigkeiten als Eichhelfer, später als Mechaniker (ohne geregelte Ausbildung) und wurde zum Schluß mit Aufgaben betraut, die denen eines gelernten Mechanikers entsprachen. Laut Auskunft seines Arbeitgebers von Anfang 1984 wäre er in die Leistungsgruppe 2 der Arbeiter einzustufen gewesen.

Anfang 1988 stellte er erstmals Antrag auf BSchA. Mit Bescheid vom 4. Juli 1989 setzte der Beklagte sein Durchschnittseinkommen nach § 7 Abs 1 der Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) wegen einer vor Abschluß der Schulausbildung erlittenen Schädigung und Vollendung des 45. Lebensjahres mit A 6 der Bundesbesoldungsordnung fest. Zugleich gab er ihm bekannt, daß sich bei einem Vergleich mit seinem tatsächlichen Einkommen kein schädigungsbedingter Einkommensverlust und somit auch kein BSchA ergebe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1990).

Im Sommer 1990 wurde die Arbeitgeberin des Klägers zahlungsunfähig. In der Zeit vom 1. September bis Ende November 1990 bezog der Kläger Konkursausfallgeld, ab 27. November 1990 Arbeitslosengeld. Am 27. Februar 1991 beantragte er beim Beklagten, aufgrund seiner Arbeitslosigkeit erneut BSchA. Mit Bescheid vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991 lehnte der Beklagte auch diesen Antrag ab. Im Widerspruchsverfahren hatte er am 14. August 1991 die Auskunft des Arbeitsamtes Duisburg erhalten, daß der Kläger auch ohne Kriegsbeschädigung "mit über 58 Jahren keine echten Chancen" (habe), "auf dem Arbeitsmarkt vermittelt zu werden". Die Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg (Az S 22 V 288/91 = 1. Klageverfahren) nahm der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 1993 zurück, nachdem sich der Beklagte verpflichtet hatte, ua den Bescheid vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991 nochmals zu überprüfen und einen neuen Bescheid zu erteilen.

Kurz darauf vollendete der Kläger das 60. Lebensjahr und erhielt auf seinen Antrag von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz mit Bescheid vom 15. April 1993 ab 1. April 1993 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige (§ 37 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB VI>). Mit Bescheid vom 17. Juni 1993 lehnte der Beklagte zunächst die Rücknahme derjenigen Altbescheide ab, mit denen er die Einstufung des Vergleichseinkommens in eine höhere Besoldungsgruppe als A 6 abgelehnt hatte. Mit Bescheid vom 16. Februar 1994 lehnte er auch die Rücknahme der Altbescheide ab, mit denen er BSchA wegen schädigungsbedingter Arbeitslosigkeit verneint hatte (Altbescheid vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991). Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 17. Juni 1993 und vom 16. Februar 1994 blieben erfolglos (streitbefangener Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1994).

Dagegen hatte die Klage zum SG Duisburg (Az S 13 V 217/94 = 2. Klageverfahren) Erfolg. Mit seinem Urteil vom 18. April 1995 hob das SG den Bescheid vom 16. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 auf und verurteilte den Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991 und zur Zahlung von BSchA nach einem Vergleichseinkommen des Endgrundgehaltes der Besoldungsgruppe A 6 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) ab 1. Februar 1991 (Antragsmonat). Zugleich hob es auch den Bescheid vom 17. Juni 1993 (betreffend die Nichtrücknahme der Einstufung des klägerischen Vergleichseinkommens) auf, obwohl die Klage gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom 23 Januar 1995 zurückgenommen worden war.

Mit Urteil vom 7. Dezember 1995 wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil mit im wesentlichen folgender Begründung zurück: Die Arbeitslosigkeit des Klägers sei kein "Nachschaden" iS des § 30 Abs 11 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Daraus und aus den Entscheidungsgründen des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Oktober 1982 (SozR 3100 § 30 Nr 57), wonach der Gesetzgeber das Risiko der vom Beschädigten nicht verschuldeten Arbeitslosigkeit der öffentlichen Hand habe anlasten wollen, sei zu folgern, daß das durch die Arbeitslosigkeit verursachte Absinken des derzeitigen Einkommens unter das höhere Vergleichseinkommen als Einkommensverlust iS des § 30 Abs 4 BVG zu gelten habe. Bei anderer Betrachtungsweise würde dem Kläger ein Anspruch auf BSchA wegen schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem Berufsleben mit Vollendung des 60. Lebensjahres entgehen, obwohl er Altersruhegeld wegen schädigungsbedingter Schwerbehinderung in Anspruch genommen habe (vgl BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10 und SozR 3-3100 § 30 Nr 9).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte einen Verstoß gegen § 30 Abs 3, 4 und 11 BVG. Die Nachschadensregelung des § 30 Abs 11 BVG sei unanwendbar, da ein Einkommensverlust iS von § 30 Abs 3 und 4 BVG gefehlt habe. Denn der Einkommensverlust müsse durch die Schädigungsfolgen ursächlich bedingt sein. Dies treffe weder hinsichtlich des Konkurses der Arbeitgeberin des Klägers noch hinsichtlich seiner Arbeitslosigkeit zu. Das Gesetz enthalte keine Fiktion, daß die Arbeitslosigkeit stets schädigungsbedingt sei. Die Nachschadensregelung setze begrifflich einen "Vorschaden" voraus. Dieser fehle hier.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Dezember 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. April 1995 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

II

Die Revision des Beklagten ist im wesentlichen begründet.

Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, soweit seinetwegen Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, auch wenn er unanfechtbar geworden ist. Der Beklagte hat - im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen - zu Recht die Rücknahme seines Bescheides vom 19. März 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991 abgelehnt. Soweit sich der Kläger hiergegen wendet, liegt eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage vor (§ 54 Abs 1 und 4 SGG; BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 8 S 19; auch BSG SozR 2200 § 734 Nr 6 S 24; Steinwedel in Kasseler Komm, RdNr 16 zu § 44 SGB X).

Nur die Frage, ob die letztgenannten Bescheide vom Beklagten zurückzunehmen waren oder nicht, war noch sachlich zu überprüfen, weil der Kläger die Klage hinsichtlich der Höhe des Vergleichseinkommens (derentwegen er ursprünglich ebenfalls Neuprüfung beantragt hatte) mit Schriftsatz vom 23. Januar 1995 zurückgenommen hat. Das hat das SG verkannt, als es antragsgemäß auch den die Höhe des Vergleichseinkommens betreffenden Bescheid vom 17. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 aufgehoben hat. Es hätte insoweit die Klage abweisen müssen, weil die genannten Bescheide durch Klagerücknahme formelle Bestandskraft erlangt hatten (§ 87 SGG; vgl auch Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl RdNr 11 zu § 102). Da das LSG das sozialgerichtliche Urteil auch hinsichtlich der Aufhebung des Bescheides vom 17. Juni 1993 bestätigt hat, war auf die Revision des Beklagten die Klageabweisung durch die Revisionsinstanz nachzuholen.

Auch soweit die Vorinstanzen den Bescheid vom 16. Februar 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 aufgehoben haben, ist die Revision des Beklagten begründet. Zu Recht hat der Beklagte es abgelehnt, den Altbescheid vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991 zurückzunehmen.

Gemäß § 30 Abs 3 BVG erhalten rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, BSchA. Der BSchA bemißt sich im Regelfall nach dem in § 30 Abs 4 Satz 1 BVG definierten Einkommensverlust (Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen - tatsächlichen - Bruttoeinkommen zuzüglich Ausgleichsrente - § 32 BVG - einerseits und dem höheren - fiktiven - Vergleichseinkommen andererseits). Der Eintritt der Arbeitslosigkeit Ende November 1990 war, wovon das LSG erkennbar ausgeht, nicht durch Schädigungsfolgen, sondern durch den Konkurs der Arbeitgeberin des Klägers bedingt. Auch das Andauern der Arbeitslosigkeit war nicht auf Schädigungsfolgen, sondern - entsprechend der vom Arbeitsamt Duisburg erteilten Auskunft - auf das Alter des Klägers und auf die Lage des Arbeitsmarktes zurückzuführen.

Zur Bejahung eines Anspruchs auf BSchA ist das LSG denn auch nur auf dem Wege eines Gegenschlusses zu einer Einzelbestimmung der "Nachschadensregelung" in § 30 Abs 11 Satz 1 BVG gelangt. § 30 Abs 11 Satz 1 BVG sieht folgendes vor: Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung, das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), so gilt statt dessen als Einkommen das Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädige ohne den Nachschaden angehören würde, dh ein fiktives, in der Regel über dem tatsächlichen derzeitigen Bruttoeinkommen liegendes fiktives Einkommen. Der Einkommensverlust ermittelt sich mithin nach dieser Regelung aus dem Vergleich zweier fiktiver Rechengrößen. Sinn der mit dem Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes vom 18. Dezember 1975 (HStruktG-AFG - BGBl I S 3113) eingeführten Regelung war es, zu verhindern, daß in Fällen, in denen ein - unter Umständen auch nur geringer - schädigungsbedingter Einkommensverlust eingetreten ist, zugleich auch versorgungsfremde, unabhängig von der Schädigung eingetretene berufliche Einbußen mitentschädigt werden müssen (vgl BT-Drucks 7/4127 S 55). Die Regelung sollte also die öffentlichen Haushalte vor Mehrbelastungen schützen, die dadurch entstehen können, daß schädigungsunabhängige Ereignisse einen bereits vorhandenen Einkommensverlust vergrößern. Hiervon hat der Gesetzgeber wiederum eine Ausnahme zugelassen: Vergrößert sich der Einkommensverlust dadurch, daß der Berechtigte arbeitslos geworden oder altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, so gilt dies nicht als schädigungsunabhängiger Nachschaden (vgl dazu heute § 30 Abs 11 Satz 1 2. Halbsatz BVG).

Die Ausnahmeregelung bietet aber - im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen keine Handhabe für die Zuerkennung eines sonst nicht vorhandenen Anspruchs auf BSchA. Die Nachschadensregelung ist eine Regelung zu Lasten des Beschädigten. Sie soll verhindern, daß der BSchA durch Berücksichtigung schädigungsunabhängiger Einkommensverluste erhöht wird. Besteht ein Anspruch, auf BSchA sonst nicht, so kann er nicht durch die in § 30 Abs 11 Satz 1 2. Halbsatz BVG genannten Umstände, dh nicht durch den Eintritt von (schädigungsfremder) Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, begründet werden. Denn in einem solchen Fall ist die Nachschadensregelung des § 30 Abs 11 BVG insgesamt, also einschließlich ihrer Ausnahmeregelungen, unanwendbar. Das entspricht auch der Rechtslage vor Inkrafttreten des HStruktG-AFG. Danach konnte sich ebensowenig ein schädigungsbedingter Einkommensverlust allein aufgrund einer unverschuldet, aber schädigungsfremd eingetretenen Arbeitslosigkeit ergeben (BT-Drucks 7/4127 S 55).

Der Senat weicht mit dieser Auffassung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des BSG ab. So hat der 4b-Senat des BSG bereits mit Urteil vom 9. Oktober 1986 (SozR 3100 § 30 Nr 67, dort auf S 253 ff) angenommen, daß die Anwendung der Nachschadensregelung eine vorherige anspruchsbegründende Minderung des Erwerbseinkommens gemäß § 30 Abs 3 BVG voraussetzt (aaO S 254, ebenso der Senat BSGE 62, 1, 3 = SozR 3100 § 30 Nr 69 S 259). Auf der gleichen Linie liegt die Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. November 1988 (SozR 3100 § 30 Nr 75). In ihr ist nicht geprüft worden, ob der Beschädigte, der altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war, seit diesem Zeitpunkt einen Minderverdienst gegenüber dem erlernten Beruf hinnehmen mußte, sondern nur, ob ihm ein sogenannter "Renten-BSchA" zusteht. Dabei hat der Senat (aaO S 274) die Anwendung des damaligen § 30 Abs 6 Satz 1 BVG (heute § 30 Abs 11 Satz 1 BVG) auf diesen Fall ausdrücklich abgelehnt und ausgeführt, die Regelung setze eine anspruchsbegründende, also schädigungsbedingte Minderung des Erwerbseinkommens gemäß Abs 3 voraus.

Soweit sich das LSG auf weiter zurückliegende Entscheidungen des erkennenden Senats bezieht, insbesondere auf das Urteil vom 27. Oktober 1982 (SozR 3100 § 30 Nr 57; vgl auch SozR 3100 § 30 Nr 48), darf die darin enthaltene Aussage, daß der Gesetzgeber das Risiko der ungewollten Arbeitslosigkeit und die Zufälligkeiten der Konjunktur und der Arbeitsmarktlage der öffentlichen Hand zurechnen wollte, nicht verabsolutiert werden. Wie das LSG selbst erkannt hat, betraf der diesem Urteil zugrundeliegende Fall einen Beschädigten, der vor Eintritt seiner konkursbedingten Arbeitslosigkeit bereits Anspruch auf BSchA hatte. Das vom LSG zitierte Urteil des Senats vom 20. Mai 1992 (SozR 3-3642 § 8 Nr 3 = Breithaupt 1993, S 131) betrifft einen mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbaren Sondertatbestand. In diesem Urteil ging es um das Ausscheiden Schwerbeschädigter aus dem Erwerbsleben unter Inanspruchnahme vorzeitiger Altersrente (vgl dazu BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10 mwN).

§ 30 Abs 11 Satz 1 2. Halbsatz BVG kann auch nicht deswegen zugunsten des Klägers angewendet werden, weil bereits zur Zeit des Erlasses der Bescheide, um deren Rücknahme hier gestritten wird (19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991), abzusehen war, daß der Kläger bei Inanspruchnahme eines vorzeitigen Altersruhegeldes wegen Schwerbeschädigung nicht BSchA wegen schädigungsbedingten vorzeitigen Ausscheidens aus dem Berufsleben erhalten konnte (vgl zur Rechtsprechung des Senats zu dieser Frage die bereits zitierte Entscheidung BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30, Nr 10, ferner SozR 3-3100 § 30 Nr 9). Ist der Beschädigte, wie hier, mehr als ein Jahr vor Vollendung des 60. Lebensjahres aus schädigungsfremder Ursache arbeitslos geworden und geblieben und besteht daher die Möglichkeit, daß er neben dem Recht, bei Vollendung des 60. Lebensjahres Altersruhegeld wegen schädigungsbedingter Schwerbehinderung (§ 37 SGB VI) in Anspruch zu nehmen, auch das Recht erwirbt, auf Antrag Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (§ 38 SGB VI) zu erhalten, so ändert das grundsätzlich nichts daran, daß der Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen ist.

Streitgegenstand des Verfahrens war nicht nur die Frage, ob dem Kläger aufgrund der Unrichtigkeit des Bescheides vom 19. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1991 Anspruch auf BSchA seit 1. Februar 1991 zustand. Vielmehr hatte der Beklagte aufgrund des in der mündlichen Verhandlung vor dem SG im ersten Klageverfahren am 4. Februar 1993 gestellten Antrages auch zu prüfen, ob der Kläger aufgrund von Umständen, die nach Erlaß der Altbescheide eingetreten sind, später einen Anspruch auf BSchA erworben hatte. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Lehnt ein Leistungsträger die Gewährung einer Dauerleistung ab und stellt der Betroffene wegen dieses Bescheides später Antrag auf einen Zugunstenbescheid gemäß § 44 Abs 1 SGB X, so verfolgt der Betroffene außer dem Maximalziel, die erstrebte Leistung rückwirkend, dh aufgrund des mit dem Altbescheid abgelehnten Antrages, zu erhalten, auch das weniger weitreichende Ziel, die Leistung wenigstens vom Zeitpunkt seines Neuprüfungsantrages an zu beziehen, und sei es auch wegen erst nach Erlaß des aufzuhebenden Bescheides eingetretener tatsächlicher und/oder rechtlicher Umstände. Denn der Betroffene verfolgt nicht nur die Aufhebung des von ihm für fehlerhaft gehaltenen Altbescheides, sondern er möchte die Gewährung der ihm - nach seiner Auffassung - zustehenden Leistung erreichen. Der Leistungsträger darf in diesem Fall zwar den auf § 44 SGB X gestützten Antrag nicht zugleich als Antrag nach § 48 SGB X behandeln, weil der Altbescheid selbst keine Dauerwirkung entfaltet hat (BSGE 58, 27 = SozR 1300 § 44 Nr 16). Er muß über ihn aber in aller Regel auch als neuen Leistungsantrag (§ 16 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -) entscheiden. Lehnt er die beantragte Rücknahme des - vom Antragsteller als rechtswidrig angesehenen - Ablehnungsbescheides nach § 44 Abs 1 SGB X ab, so bedeutet dies in aller Regel auch, daß er die Voraussetzungen für eine Leistung unter Berücksichtigung inzwischen eingetretener neuer Umstände verneint. Dementsprechend hat der Senat schon in seinem Urteil vom 6. März 1996 (BSGE 78, 51), allerdings ohne ausführliche Begründung, im Rahmen einer Klage gegen die Ablehnung eines Zugunstenbescheides auch Ansprüche mitgeprüft und über sie mitentschieden, die erst durch eine nach Erlaß der Altbescheide eingetretene Rechtsänderung entstanden sein konnten.

Der Senat hat daher nicht nur darüber zu befinden, ob die Altbescheide zu Recht ergangen waren, sondern auch, ob der zugleich mit dem Antrag auf ihre Überprüfung - am 4. Februar 1993 - gestellte neue Leistungsantrag mit dem Bescheid vom 16. Februar 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1994 abgelehnt werden durfte. Insoweit liegt lediglich eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) vor. Über diese Klage ist jedoch eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich, weil die vom LSG getroffenen Feststellungen hierzu nicht ausreichen.

Nicht zugute kommen kann dem Kläger allerdings die von der Rechtsprechung (BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10) angenommene Beweiserleichterung bei Inanspruchnahme der Altersrente wegen schädigungsbedingter Schwerbehinderung. Denn nach den Feststellungen des LSG stand ihm zu dem Zeitpunkt, als er vorgezogenes Altersruhegeld wegen schädigungsbedingter Schwerbehinderung (§ 37 SGB VI) beantragte, auch das Recht zu, Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (§ 38 SGB VI) in Anspruch zu nehmen (vgl Urteil des Senats vom 10. Mai 1994 SozR 3-3100 § 30 Nr 9). Trotzdem kann aber seit dem 1. April 1993 ein Anspruch auf BSchA begründet sein. Es ist nämlich möglich, daß ihm seit dem 1. April 1993 ein Anspruch auf den sogenannten "Renten-BSchA" (§ 30 Abs 4 Sätze 3 und 4 BVG) zusteht. Das wäre der Fall, wenn seine Anwartschaft auf Versichertenrente in einzelnen Monaten des Versicherungsverlaufs, welcher der Berechnung der seit 1. April 1993 bezogenen Altersrente zugrunde liegt, durch eine schädigungsbedingte Minderung seines versicherungspflichtigen Entgelts beeinträchtigt worden wäre, also wegen schädigungsbedingter Minderverdienste (Erzielung von unterhalb des Vergleichseinkommens liegendem versicherungspflichtigen Entgelt - vgl RdSchr BMA vom 28. Juli 1987 BABl 1987 Nr 9 S 98 auf S 99 ff) die Höhe seiner Rente gemindert sein sollte (§ 30 Abs 4 Sätze 3 und 4 BVG), ohne daß - etwa wegen der Neutralisierung eines derartigen Minderverdienstes durch die Ausgleichsrente - ein Anspruch auf BSchA entstanden zu sein braucht. Diese Zeiten wären dann zum Ausgleich eines rentenrechtlichen Nachteils gegebenenfalls mit höheren Entgeltpunkten zu berücksichtigen. Insoweit wird das LSG weitere Feststellungen zu treffen haben (zur Feststellung des sogenannten "Renten-BSchA" siehe im übrigen SozR 3100 § 30 Nr 75 und SozR 3-3100 § 30 Nr 5 auf S 12).

Über die Kosten wird das LSG im Rahmen der das Verfahren abschließenden Entscheidung zu befinden haben. .

Ende der Entscheidung

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