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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 09.10.2001
Aktenzeichen: B 1 KR 12/01 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 103
SGG § 128 Abs 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az: B 1 KR 12/01 R

in dem Rechtsstreit

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 9. Oktober 2001 durch den Präsidenten von Wulffen und die Richter Steege und Dr. Dreher sowie die ehrenamtlichen Richter Braun und Ries

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 2000 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger, der bei einer Baufirma beschäftigt war, bezog aufgrund von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Ärzte Dr. Z. und Dr. G. vom 15. bis 21. Dezember 1995 und vom 30. Dezember 1995 bis 11. Juni 1996 Krankengeld. Nachdem die Beklagte in Erfahrung gebracht hatte, daß die Mitgliedschaft des Klägers wegen Ausscheidens aus der Beschäftigung bereits am 15. November 1995 geendet habe, forderte sie unter gleichzeitiger Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen Krankengeld in Höhe von 15.477,09 DM zurück (Bescheide vom 27. Juni 1996 und vom 21. August 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1997).

Klage und Berufung waren erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Es sei zwar nicht feststellbar, daß die Beschäftigung tatsächlich nur bis November 1995 gedauert habe, denn der Kläger sei nach Zeugenaussagen auch danach weiter kontinuierlich auf Baustellen der Firma tätig gewesen. Ein Krankengeldanspruch habe aber deshalb nicht bestanden, weil der Kläger nicht arbeitsunfähig gewesen sei. Die gegenteilige ärztliche Beurteilung, die zur Krankschreibung geführt habe, sei durch die tatsächliche Arbeitsleistung über einen Zeitraum von annähernd einem halben Jahr widerlegt. Den vom Kläger gestellten Beweisanträgen auf Vernehmung der Ärzte Dr. G. und Dr. K. (Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin) zum Beweis für das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit habe der Senat nicht folgen müssen. Es könne unterstellt werden, daß diese Ärzte bei einer etwaigen Vernehmung ihre frühere Einschätzung bestätigt hätten. Dadurch erlange diese aber keine andere Qualität, sondern bleibe eine bloße subjektive Beurteilung, deren Richtigkeit das Gericht zu überprüfen habe und die im vorliegenden Fall angesichts der sonstigen Umstände nicht geteilt werden könne.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Das Gericht könne eine Beweiserhebung über entscheidungserhebliche Tatsachen nicht mit der Begründung ablehnen, daß das Beweisergebnis an seiner bereits feststehenden Überzeugung ohnehin nichts ändern werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

Die Verfahrensweise des LSG verletzt § 103 und § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz. Danach hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es ist dabei zwar an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden und entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es muß aber die vorhandenen und zur Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geeigneten Beweismittel ausschöpfen und darf einen Beweisantrag nur ablehnen, wenn es entweder auf die unter Beweis gestellte Tatsache nicht ankommt oder wenn diese bereits erwiesen ist. Dagegen ist eine vorweggenommene Beweiswürdigung in der Weise, daß von bestimmten Ermittlungen abgesehen wird, weil davon keine weitere Klärung zu erwarten sei, regelmäßig unzulässig und vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht gedeckt.

Gegen diese Verfahrensregeln hat das Berufungsgericht mit seiner Vorgehensweise verstoßen. Es trifft zwar zu, daß die in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgegebene Beurteilung auch dann keine Bindung erzeugt, wenn der Arzt sie als sachverständiger Zeuge vor Gericht wiederholt. Die Beweisaufnahme wird dadurch aber nicht entbehrlich, denn der Arzt kann zur Schwere des Krankheitsbildes und zu seinen Auswirkungen auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit befragt werden. Da die tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers - wie das LSG selbst zutreffend ausführt - lediglich ein Indiz für die Arbeitsfähigkeit darstellt, kann sich durch die beantragte Beweiserhebung die Gewichtung der vom Gericht zu berücksichtigenden Umstände - die ärztliche Bewertung auf der einen und die tatsächliche Arbeitsleistung auf der anderen Seite - verändern und infolgedessen die Untauglichkeit des angebotenen Beweismittels nicht unterstellt werden. Ob das LSG darüber hinaus gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen hat, weil die Beteiligten von der beabsichtigten rechtlichen Würdigung nicht in Kenntnis gesetzt worden sind, kann auf sich beruhen.

Wegen des vom Kläger zu Recht gerügten Verfahrensmangels muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Das Berufungsgericht, an das die Sache zurückzuverweisen ist, wird die notwendige Beweiserhebung nachzuholen und sodann mit der abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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