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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 23.07.1998
Aktenzeichen: B 1 KR 19/96 R
Rechtsgebiete: SGB V


Vorschriften:

SGB V § 13 Abs 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 23. Juli 1998

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 19/96 R

Klägerin und Revisionsklägerin,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Innungskrankenkasse Franken, Innere Laufer Gasse 24, 90403 Nürnberg, vertreten durch den IKK-Bundesverband, Kölner Straße 1-5, 51429 Bergisch Gladbach,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juli 1998 durch den Präsidenten von Wulffen, die Richter Steege und Dr. Dreher sowie die ehrenamtlichen Richter Dekarski und Bungart

für Recht erkannt:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. November 1995 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin wurde wegen einer Krebserkrankung mehrfach operiert und anschließend mit Chemotherapien sowie seit September 1990 ergänzend mit dem Arzneimittel Jomol behandelt. Dieses von dem Arzt Dr. E. entwickelte und hergestellte Medikament, dem eine immunstimulierende und zytostatische Wirkung zugeschrieben wird, ist auf dem deutschen Arzneimittelmarkt nicht zum Verkehr zugelassen. Der Klägerin wurde es nach eigenen Angaben von Dr. E. verordnet und sodann in Ampullen zur intravenösen Injektion durch ihren Hausarzt bzw zur oralen Einnahme in Tropfenform nach Hause mitgegeben. Ihren Antrag auf Erstattung der Kosten der Jomol-Behandlung lehnte die Beklagte ab, weil die Wirksamkeit des Präparats nicht belegt sei und die Therapie nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche (Bescheid vom 13. Februar 1992; Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 1992).

Das Sozialgericht hat nach Einholung von Sachverständigengutachten die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Dezember 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ausgeführt: Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 (früher: Abs 2) Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt. Es habe weder ein Notfall vorgelegen noch sei die Behandlung zu Unrecht abgelehnt worden. Für letzteres könne offenbleiben, ob Jomol ein Fertigarzneimittel sei und deshalb schon wegen der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht angewandt werden dürfe. Die Leistungspflicht der Beklagten scheitere jedenfalls daran, daß ein Wirksamkeitsnachweis für das Medikament anhand prospektiver klinischer Studien nicht erbracht worden sei (Urteil vom 16. November 1995).

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 13 Abs 3 SGB V. Das LSG habe die Anforderungen an den Nachweis der Wirksamkeit der Jomol-Therapie überspannt. Bei einer unheilbaren Krankheit, für die auch die Schulmedizin keine kausal wirkende Behandlung anbiete, müsse es ausreichen, wenn sich aufgrund einer Anwendungsbeobachtung in einer größeren Zahl von Fällen eine wissenschaftlich ernsthaft begründete Möglichkeit eines Therapieerfolges ergebe. Da die Behandlung mit Jomol als Kassenleistung nicht zu erhalten sei, bestehe insoweit eine Versorgungslücke, welche die Inanspruchnahme des nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Dr. E. rechtfertige. Aus demselben Grund habe die Gewährung der Leistung auch nicht vor Beginn der Behandlung beantragt werden müssen. Werde eine Leistung im System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht angeboten, sei die Beschaffung auf eigene Kosten für den Versicherten stets unaufschiebbar, so daß ein Fall der ersten Alternative des § 13 Abs 3 SGB V gegeben sei. Dem Kostenerstattungsanspruch könne auch nicht die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung des eingesetzten Medikaments entgegengehalten werden. Bei Jomol handele es sich um ein nicht zulassungspflichtiges Rezepturarzneimittel, weil es für den jeweiligen Patienten individuell zusammengestellt werde; aber auch bei einer Qualifizierung als Fertigarzneimittel könne die fehlende Zulassung die Verordnungsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausschließen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. November 1995 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 7. Dezember 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Therapie mit Jomol zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Zutreffend haben die Vorinstanzen eine Einstandspflicht der Beklagten für die Kosten der Jomol-Therapie verneint. Der geltend gemachte Anspruch scheitert bereits daran, daß Jomol nicht über die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt und deshalb in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden darf.

Da sich die Klägerin das Medikament bei einem nicht zur Behandlung von Kassenpatienten zugelassenen Arzt auf eigene Rechnung beschafft hat, kann sie ihren Anspruch nur auf § 13 Abs 3 (früher Abs 2) SGB V stützen. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, dem Versicherten die für die Beschaffung der Leistung aufgewendeten Kosten zu erstatten. Der Kostenerstattungsanspruch tritt an die Stelle eines an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs, den die Kasse infolge eines Versagens des Beschaffungssystems nicht erfüllt hat. Er kann deshalb nur bestehen, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl zuletzt: Senatsurteile vom 16. September 1997 - 1 RK 32/95 und vom 9. Dezember 1997 - 1 RK 23/95, beide zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Letzteres ist hier nicht der Fall, so daß offenbleiben kann, nach welcher der beiden Alternativen des § 13 Abs 3 SGB V der Anspruch gegebenenfalls zu beurteilen wäre und ob deren weitere Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Beklagte ist zwar nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 31 Abs 1 SGB V zur Versorgung ihrer Versicherten mit den für die Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Diese Verpflichtung unterliegt aber den Einschränkungen aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V; sie umfaßt nur solche Leistungen, die für die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. An der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneitherapie fehlt es, wenn das verwendete Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf und die Zulassung nicht erteilt worden ist.

Für das bei der Klägerin eingesetzte Präparat Jomol war und ist gemäß § 21 Abs 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) vom 24. August 1976 (BGBl I 2445, 2448) bzw dessen Neufassung vom 19. Oktober 1994 (BGBl I 3018) eine arzneimittelrechtliche Zulassung erforderlich, denn es handelt sich um ein Fertigarzneimittel, welches im voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird (§ 4 Abs 1 AMG). An dieser Bewertung ist der Senat nicht nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehindert, weil das LSG als Tatsacheninstanz die arzneimittelrechtliche Zuordnung offengelassen hat. Denn die Frage, ob ein Medikament aufgrund der näheren Umstände seiner Herstellung und Verwendung als - zulassungspflichtiges - Fertigarzneimittel oder als speziell für den einzelnen Patienten hergestelltes - zulassungsfreies - Rezepturarzneimittel zu qualifizieren ist, ist rechtlicher und nicht tatsächlicher Natur. Die Notwendigkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung von Jomol war in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand der Prüfung durch die zuständige Landesbehörde im Verfahren nach § 69 Abs 1 AMG. Dem Hersteller Dr. E. wurde durch Bescheide der Regierung der Oberpfalz vom 7. März 1994 und 6. Juni 1995 das weitere Inverkehrbringen von Jomol als Fertigarzneimittel durch Abgabe an Patienten zur Selbstmedikation und an andere Ärzte untersagt. Eine vergleichbare Untersagungsverfügung war zuvor mit Bescheid vom 9. Juni 1989 gegenüber der früher als Herstellerin fungierenden Firma J. P. GmbH ergangen. Die Rechtsbehelfe gegen den Bescheid vom 7. März 1994 sind erfolglos geblieben (Urteil des BayVGH vom 27. März 1997 - 25 B 96.2040 in Pharma Recht 1997, 479; Beschluß des BVerwG vom 26. März 1998 - 3 B 171.97). Im Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) war von Herstellerseite eingeräumt worden, Jomol werde im Regelfall nicht individuell für den einzelnen Patienten hergestellt, sondern stehe in Ampullen abgefüllt und etikettiert zur Verfügung, um im Bedarfsfall je nach benötigter Konzentration und Wirkstoffkombination aus dem vorhandenen Vorrat rezeptiert zu werden. Damit decken sich die Angaben der Klägerin im jetzigen Verfahren, wonach ihr das Medikament von Dr. E. in fertig abgefüllten Ampullen, teilweise zur intravenösen Injektion durch ihren Hausarzt und teilweise zur oralen Eigenanwendung in Tropfenform nach Hause an ihren Wohnort mitgegeben worden ist. Bei dieser Vertriebsform sind die Tatbestandsmerkmale des "Im voraus Herstellens" und des "Inverkehrbringens" durch Abgabe an den Verbraucher (hier Hausärzte und Patienten) iS des § 4 Abs 1 iVm Abs 17 AMG erfüllt. Der Senat teilt insbesondere die Rechtsauffassung der Verwaltungsgerichte, daß ein Arzt, der seinen Patienten ein von ihm gewerbsmäßig hergestelltes Arzneimittel veräußert und zur Verwendung außerhalb seiner eigenen unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeit überläßt, nicht mehr selbst Anwender des Arzneimittels ist, sondern dieses entsprechend der Legaldefinition in § 13 Abs 1 Satz 3 AMG "an andere abgegeben" hat. Jomol bedarf nach alledem der arzneimittelrechtlichen Zulassung, die nicht beantragt wurde und infolgedessen nicht vorliegt.

Der Senat hat bisher die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings nur für Fälle verneint, in denen dem in Rede stehenden Präparat die nach dem AMG erforderliche Zulassung zum Verkehr von der zuständigen Bundesoberbehörde (früher: Bundesgesundheitsamt; jetzt: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) ausdrücklich versagt worden war (Urteile vom 8. Juni 1993 - BSGE 72, 252 = SozR 3-2200 § 182 Nr 17 und vom 8. März 1995 - SozR 3-2500 § 31 Nr 3). Diese Sperrwirkung der negativen Zulassungsentscheidung ist damit begründet worden, daß die Voraussetzungen für die arzneimittelrechtliche Zulassung den Mindestanforderungen entsprechen, die im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung an eine wirtschaftliche und zweckmäßige Verordnungsweise zu stellen sind. Der Senat hat darauf verwiesen, daß das Zulassungsverfahren nach dem AMG, wie sich aus dem Zweck des Gesetzes (§ 1 AMG) und der Aufzählung der Versagungsgründe in § 25 Abs 2 Satz 1 AMG ergibt, nicht nur der Abwehr von gesundheitsgefährdenden Arzneimitteln dient, sondern zugleich eine ausreichende Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel gewährleisten soll. Wird deshalb einem Arzneimittel aus einem der zwingenden Gründe des § 25 Abs 2 AMG die amtliche Zulassung versagt, darf das Mittel grundsätzlich auch nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden.

Ob dem Fehlen der arzneimittelrechtlichen Zulassung diese Wirkung auch dann zukommt, wenn eine Entscheidung der zuständigen Behörde aussteht, sei es weil - wie im vorliegenden Fall - der Hersteller des Medikaments die Zulassung nicht beantragt hat oder weil das Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen wurde, ist in den bisherigen Urteilen offengeblieben. Entgegen der Ansicht der Revision kann jedoch für diese Konstellation nichts anderes gelten. Das Arzneimittelrecht geht davon aus, daß Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Medikaments regelmäßig vor der Freigabe zur Anwendung am Patienten in einem Zulassungsverfahren nachzuweisen sind. Dazu hat der Hersteller die für eine Überprüfung notwendige vollständige Dokumentation (§§ 22 ff AMG) vorzulegen; ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast für die Erfüllung der vom Gesetz geforderten Kriterien (Kloesel/Cyran, Komm zum Arzneimittelrecht, Stand: 1. März 1997, § 25 AMG Anm 37 f). Schon allein die nicht behebbare Unvollständigkeit der Unterlagen führt dazu, daß die Zulassung versagt werden muß, weil dann die ua in § 25 Abs 2 Satz 1 Nrn 3, 4 und 5 AMG normierten Anforderungen an die Qualität, die therapeutische Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit des Präparats nicht geprüft werden und damit nicht als gesichert gelten können (BSGE 72, 252, 259 = SozR 3-2200 § 182 Nr 17 S 86). Daraus folgt umgekehrt, daß die Ablehnung der Zulassung nicht zwangsläufig die Unwirksamkeit oder Schädlichkeit des Medikaments belegt, sondern nur besagt, daß seine Wirksamkeit bzw seine Unbedenklichkeit nicht nachgewiesen wurden. Diese Situation besteht in gleicher Weise, wenn ein Zulassungsverfahren (noch) nicht durchgeführt wurde. Auch dann ist es sachgerecht, die Verordnungsfähigkeit des Medikaments zu Lasten der Krankenkassen zu verneinen, weil ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis in einem dafür vorgesehenen und geeigneten Verfahren nicht erbracht worden ist.

Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt, auf den der Senat ebenfalls bereits in dem Urteil vom 8. Juni 1993 (BSGE 72, 252, 257 = SozR 3-2200 § 182 Nr 17 S 84) hingewiesen hat: § 21 Abs 1 AMG untersagt in der Form eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt das Inverkehrbringen eines zulassungspflichtigen Arzneimittels so lange, wie keine positive Zulassungsentscheidung vorliegt. Das bedeutet, daß ein solches Präparat durch den pharmazeutischen Unternehmer, den Großhandel, die Apotheken oder den sonstigen Einzelhandel oder durch Ärzte weder entgeltlich noch unentgeltlich an andere abgegeben werden darf (§ 4 Abs 17 AMG). Werden Fertigarzneimittel ohne Zulassung in den Verkehr gebracht, erfüllt dies den Straftatbestand des § 96 Nr 5 AMG. Die zuständigen Landesbehörden können - wie im vorliegenden Fall geschehen - nach § 69 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AMG die Herstellung und das Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels verbieten mit der Folge, daß das Mittel auf dem Arzneimittelmarkt nicht mehr erhältlich ist. Der Arzt, der es trotzdem verordnen und abgeben würde, handelte rechtswidrig. Ein von der Rechtsordnung verbotenes Verhalten kann aber keine Leistungspflicht der Krankenkasse begründen. Das LSG geht deshalb zu Recht auch aus diesem Grunde von einer negativen Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung in dem Sinne aus, daß die fehlende Zulassung die Verordnungsfähigkeit stets ausschließt (ebenso BVerwGE 58, 167, 173; vgl ferner die Nachweise im Senatsurteil vom 8. März 1995 - SozR 3-2500 § 31 Nr 3 S 9). Der Einwand der Revision, mit der Anknüpfung an das Zulassungserfordernis des Arzneimittelrechts werde der Anwendung alternativer Arzneitherapien in der Krankenversicherung der Boden entzogen, ist nicht nachvollziehbar; daß derartige Therapien von den ansonsten für die Anwendung von Arzneimitteln geltenden Vorschriften freizustellen seien, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Der Ausschluß nicht zugelassener Arzneimittel ist, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden hat, auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung verfügen die Krankenkassen über ein eindeutiges und zugängliches Kriterium bei der Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit von pharmazeutischen Produkten. Dieses Kriterium ist auch zuverlässig, denn die Zulassungsentscheidung nach §§ 21 ff AMG ergeht auf der Grundlage aufwendiger Zulassungsunterlagen des Antragstellers mit sachangemessener behördlicher Kompetenz (BVerfG, Beschluß vom 5. März 1997 - 1 BvR 1071/95 - in NJW 1997, 3085).

Die geltend gemachten Behandlungskosten wären aber auch dann nicht von der Beklagten zu tragen, wenn Jomol entsprechend dem Vorbringen der Revision nicht als Fertigarzneimittel, sondern als ein für den jeweiligen Behandlungsfall nach ärztlicher Verordnung zusammengestelltes und damit nach dem AMG zulassungsfreies Rezepturarzneimittel einzustufen wäre. Dem Erstattungsbegehren der Klägerin stünde dann § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entgegen; denn danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V Empfehlungen ua über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat.

Die Jomol-Therapie ist eine neue Behandlungsmethode iS der genannten Bestimmung. Für diese Beurteilung kann dahingestellt bleiben, wie der Begriff der Behandlungsmethode im einzelnen abzugrenzen ist und wie er sich zu dem in § 135 Abs 1 Satz 2 SGB V idF des 2. GKV-NOG vom 23. Juni 1997 (BGBl I 1520) im selben Zusammenhang gebrauchten Begriff der vertragsärztlichen Leistung verhält. Eine medizinische Vorgehensweise erlangt jedenfalls dann die Qualität einer Behandlungsmethode, wenn ihr ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Ein solches Konzept wird für die in Rede stehende Krebstherapie ausdrücklich geltend gemacht. Unabhängig von dem Streit darüber, ob Jomol als Fertigarzneimittel im voraus hergestellt, oder, wie die Klägerin behauptet, als Rezeptur in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung und Dosierung für die einzelnen Patienten zubereitet wird, handelt es sich nach der Darstellung des Herstellers Dr. E. um ein neuartiges theoretisch fundiertes Verfahren zur Krebsbehandlung, das auf einem eigenen Wirkprinzip beruht und bei einer großen Zahl von Patienten angewandt wird.

Der Vorbehalt des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V gilt für alle Arten von Untersuchungs- und Behandlungsverfahren und damit grundsätzlich auch für neuartige Arzneitherapien. Insofern zieht der Bundesausschuß den Anwendungsbereich der Vorschrift zu eng, wenn er in den Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) davon ausgeht, daß nur die als abrechnungsfähige Leistungen in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufzunehmenden ärztlichen Verrichtungen einer Qualitätsprüfung zu unterziehen seien (vgl Nr 5 der hier einschlägigen NUB-Richtlinien vom 4. Dezember 1990 <BArbBl 2/1991 S 33>; gleichlautend: Nr 2.1 der seit 1. Januar 1998 geltenden NUB-Richtlinien vom 1. Oktober 1997 <BAnz Nr 243>). Der in § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 und § 135 Abs 1 SGB V verwendete Begriff der Behandlungsmethode hat schon vom Wortsinn her eine umfassendere Bedeutung als der Begriff der ärztlichen Leistung in § 87 SGB V. Eine Ausklammerung der Pharmakotherapien aus dem Konzept der Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung würde aber auch dem Zweck der Regelung widersprechen. Denn durch das Erfordernis der vorherigen Prüfung und Anerkennung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden soll die Qualität nicht nur der ärztlichen Leistungen im engeren Sinne, sondern aller für die vertragsärztliche Versorgung relevanten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen gewährleistet werden.

Auf die Einbeziehung neuer Arzneitherapien in den Anwendungsbereich des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V kann auch nicht im Hinblick darauf verzichtet werden, daß die Voraussetzungen und Modalitäten der Anwendung von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Arzneimittel-Richtlinien (AMRL) des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen eine eigenständige Regelung erfahren haben. Die AMRL sehen allerdings vor, daß Versicherte grundsätzlich einen Anspruch auf die Versorgung mit allen nach dem AMG verkehrsfähigen Arzneimitteln haben, sofern diese nicht kraft Gesetzes aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind oder im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot nur eingeschränkt verordnet werden dürfen (vgl Nr 3 der AMRL vom 31. August 1993 <BAnz Nr 246>). Wie daraus zu ersehen ist, steht der Bundesausschuß auf dem Standpunkt, daß bereits die arzneimittelrechtliche Zulassung eines neuen Medikaments eine ausreichende Gewähr für dessen Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit bietet und es einer nochmaligen Qualitätsprüfung anhand der Maßstäbe des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht bedarf. Ob dem uneingeschränkt zugestimmt werden könnte, braucht im jetzigen Rechtsstreit nicht entschieden zu werden. Denn für nicht zulassungspflichtige Rezepturarzneimittel gilt die angeführte Erwägung jedenfalls nicht. Wären auch sie von dem Vorbehalt des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V ausgenommen, bliebe die Qualitätskontrolle bei neuen Behandlungsmethoden lückenhaft und die gesetzliche Regelung liefe teilweise leer. Das Präparat Jomol dürfte deshalb, wenn es kein Fertigarzneimittel wäre, in der gesetzlichen Krankenversicherung nur nach Prüfung und Empfehlung durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen angewendet werden. Eine derartige Empfehlung liegt jedoch nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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