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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 20.12.2005
Aktenzeichen: B 1 KR 5/05 B
Rechtsgebiete: RVG, SGG, LFZG, SGB I


Vorschriften:

RVG § 3 Abs 1 S 1
RVG § 14 Abs 1
RVG § 33 Abs 1
SGG § 183 S 1
SGG § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1
LFZG § 10 Abs 1
SGB I § 11

Entscheidung wurde am 09.02.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Arbeitgeber sind in Streitigkeiten über die Erstattung von Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung nach § 10 Abs 1 LFZG Leistungsempfänger iS von § 183 SGG.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 5/05 B

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 20. Dezember 2005 durch den Präsidenten von Wulffen sowie die Richter Dr. Kretschmer und Dr. Hauck

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers, den Gegenstandswert festzusetzen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I

Der Kläger verlangte in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) die Erstattung seiner Aufwendungen für Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 2.431,02 €. Er blieb mit diesem Begehren in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Der erkennende Senat hat seine am 24. Januar 2005 eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) mit Beschluss vom 13. Juli 2005 als unzulässig verworfen. Der anwaltliche Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt nunmehr, den Gegenstandswert festzusetzen.

II

Der Antrag ist zurückzuweisen. Es geht im Fall des Klägers und Beschwerdeführers nämlich nicht um eine Konstellation, bei der die Gebühren nach einem Gegenstandswert berechnet werden, sondern in dem Betragsrahmengebühren entstehen, die der Rechtsanwalt grundsätzlich selbst bestimmt (vgl § 14 Abs 1 iVm § 3 Rechtsanwalts-Vergütungsgesetz <RVG> vom 5. Mai 2004, BGBl I 718, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. September 2005, BGBl I 2802).

Rechtsgrundlage für die vom Bevollmächtigten des Klägers beantragte Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit könnte nur § 33 Abs 1 RVG sein. Danach setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest, wenn es ua an einem für die Gerichtsgebühr maßgeblichen Wert fehlt. Diese zum 1. Juli 2004 in Kraft getretene Regelung (vgl Art 8 Satz 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I 718) wäre hier anzuwenden. Zwar war der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers in der den Streitgegenstand bildenden Erstattungssache bereits vor diesem Zeitpunkt gerichtlich tätig. Das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) ist jedoch erst nach dem Inkrafttreten des RVG eingelegt worden. Dieser Zeitpunkt ist maßgeblich dafür, dass das neue Vergütungsrecht der Rechtsanwälte im Rechtszug anzuwenden ist (vgl § 60 Abs 1 Satz 2 RVG).

Vorliegend fehlt es für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren im Sinne des § 33 Abs 1 RVG auch an einem "für die Gerichtsgebühr maßgeblichen Wert". Im sozialgerichtlichen Verfahren sind für nicht kostenprivilegierte Personen Gerichtskosten mit der Folge einer entsprechenden Wertfestsetzung (§ 63 Abs 1 und 2 Gerichtskostengesetz <GKG>) erst durch § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch das 6. SGG-Änderungsgesetz (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl I S 2144) eingeführt worden (vgl § 197a SGG). In Streitverfahren, die bereits vor Inkrafttreten des 6. SGG-ÄndG am 2. Januar 2002 (vgl Art 19 Satz 3 6. SGG-ÄndG) anhängig gewesen sind, gilt demgegenüber das bis dahin geltende Kostenrecht des sozialgerichtlichen Verfahrens fort (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 21; BSG SozR 4-1500 § 183 SGG Nr 1 und 2; Senat, Urteile vom 27. September 2005, - B 1 KR 30/03 R -; - B 1 KR 1/04 R - und - B 1 KR 31/03 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Deshalb verbleibt es insoweit bei der Gerichtskostenfreiheit auch für nach neuem Recht nicht mehr kostenprivilegierte Beteiligte. Infolgedessen kann in einem Verfahren, in dem das bis zum 1. Januar 2002 geltende Kostenrecht maßgeblich ist, aber das seit dem 1. Juli 2004 geltende RVG anzuwenden ist, die Wertfestsetzung für die anwaltlichen Gebühren nur auf der Grundlage des § 33 Abs 1 RVG erfolgen (vgl schon BSG <6. Senat> SozR 4-1935 § 33 Nr 1 RdNr 3).

Der Bevollmächtigte des Klägers hat indessen kein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Wertfestsetzung. Denn die Gebühren für die (anwaltliche) Vertretung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sind nicht nach dem Gegenstandswert zu berechnen; vielmehr sind gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 RVG in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG keine Anwendung findet, Betragsrahmengebühren maßgeblich. Innerhalb des Betragsrahmens bestimmt der Rechtsanwalt die konkrete Gebühr zunächst selbst; nur dann, wenn über die Angemessenheit der Gebühr Streit entsteht, ist sie durch das Gericht festzusetzen (vgl § 14 Abs 1 Satz 4 RVG). Rechtsstreitigkeiten über die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlungsversicherung nach § 10 Abs 1 Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) gehören zu den Verfahren, in denen das GKG nicht anzuwenden ist.

Für die Bejahung eines berechtigten Interesses an der gerichtlichen Wertfestsetzung reicht es nicht schon aus, dass auf Grund des Übergangsrechts aus Vertrauensschutzgesichtspunkten keine Gerichtskosten erhoben werden können (vgl dazu oben). Vielmehr ist dafür maßgebend, ob ohne das Eingreifen von Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes das GKG anzuwenden wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn nach § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG werden Kosten nach den Vorschriften des GKG (nur dann) erhoben, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Nach § 183 Satz 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ua für "Leistungsempfänger" kostenfrei, soweit sie in dieser (jeweiligen) Eigenschaft ua als Kläger beteiligt sind. Letzteres ist beim Kläger der Fall, denn er gehört zu den in § 183 SGG genannten Personen, mit der Folge, dass § 197a SGG keine Anwendung findet.

Der Kläger ist in seiner Eigenschaft als am Umlageverfahren beteiligter Arbeitgeber Leistungsempfänger im Sinne des § 183 SGG, soweit es um Erstattungen aus der Lohnfortzahlungsversicherung geht. Für die Kostenprivilegierung nach § 183 SGG genügt es allerdings nicht, dass der Kläger überhaupt vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit den "Empfang einer Leistung" (hier: Erstattung seiner Aufwendungen für Entgeltfortzahlung) einklagt. Wie das BSG bereits entschieden hat, macht zB die Klage auf vertragsärztliches Honorar (vgl zB BSG, Urteil vom 23. Februar 2005, B 6 KA 72/03 R, für SozR vorgesehen) oder auf Vergütung von Krankenhausleistungen (vgl zB BSG, Beschluss vom 21. Juni 2005 - B 3 KR 8/05 B) einen Kläger nicht schon dadurch zum "Leistungsempfänger", dass er solche Leistungen einklagt. Insoweit bedarf der Wortlaut des § 183 Satz 1 SGG, der allgemein auf die Eigenschaft von Klägern oder Beklagten als "Leistungsempfänger" abstellt, einschränkender Auslegung.

Zwar hat der Gesetzgeber das Kostenprivileg des § 183 SGG nicht ausdrücklich daran geknüpft, dass es im betreffenden Rechtsstreit um Sozialleistungen im engen Sinne des § 11 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) geht. Jedoch sprechen Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des § 183 SGG dafür, dessen Kostenprivileg in erster Linie jenen Personen einzuräumen, die als Kläger oder Beklagte um derartige Leistungen streiten. So heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 6. SGG-ÄndG zu der korrespondierenden Regelung in § 197a SGG , die Anwendung des GKG und bestimmter Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) würden für Verfahren eingeführt, an denen Personen beteiligt seien, die nicht eines "besonderen sozialen Schutzes" in Form eines kostenfreien Rechtsschutzes bedürften (BT-Drucks 14/5943 S 29). Beispielhaft nennt die Gesetzesbegründung für das fehlende soziale Schutzbedürfnis sodann Streitigkeiten von Sozialleistungsträgern untereinander, Vertragsarztverfahren sowie Streitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern und Arbeitgebern, ohne bei den zuletzt genannten Streitigkeiten nähere Differenzierungen vorzunehmen ( zum Bedarf nach einschränkender Auslegung insoweit bereits BSG <11. Senat> SozR 4-1500 § 183 Nr 2 S 5 ff für Eingliederungszuschüsse des Arbeitgebers nach dem Arbeitsförderungsrecht). Insoweit dürfte der Gesetzgeber vor allem an Streitigkeiten gedacht haben, bei denen Arbeitgeber über arbeitgebertypische Rechte und Pflichten (zB zur Entrichtung oder über die Erstattung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen) streiten.

Hingegen ist es vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck des Kostenprivilegs des § 183 SGG nicht gerechtfertigt, dieses Arbeitgebern auch für Verfahren zu versagen, in denen es unzweifelhaft um Sozialleistungen oder zumindest um Leistungen mit ähnlicher oder vergleichbarer Funktion wie bei "echten" Sozialleistungen iS von § 11 SGB I geht. Der Zweck des § 183 SGG, typisierend schutzbedürftige Leistungsempfänger wie die dabei ausdrücklich genannten "Versicherten" hinsichtlich der Kosten zu privilegieren, spricht vielmehr dafür, auch Arbeitgeber als Leistungsempfänger iS des § 183 Satz 1 SGG anzusehen, die gerichtlich die gesetzlich vorgesehene Erstattung ihrer für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Schwangerschaft/Mutterschaft getätigten Aufwendungen begehren. Denn die Erstattungsleistungen an Arbeitgeber im Falle dieser Entgeltfortzahlung werden von diesen in einem speziellen Umlageverfahren nach ähnlichen Grundsätzen finanziert wie Sozialversicherungsleistungen iS von § 11 SGB I. Der im Zweiten Abschnitt des LFZG geregelte Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für die Entgeltfortzahlung gehört nämlich zu den Sozialleistungsbereichen (vgl § 17 LFZG sowie BSG SozR 3-7860 § 11 Nr 1 S 10). Die Anspruchsgrundlage des § 10 LFZG bezweckt einen Ausgleich von fremdnützigen Aufwendungen eines Arbeitgebers, welche zu Gunsten seiner Arbeitnehmer angefallen sind. Sie erfasst zudem nur vom Gesetzgeber typischerweise als schutzbedürftig angesehene Kleinbetreibe (vgl dazu Senat, Urteil vom 27. September 2005, B 1 KR 31/03 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; Senat, Urteil vom 27. September 2005, B 1 KR 30/03 R). Die soziale Funktion des gesetzlich vorgeschriebenen Umlage- und Ausgleichssystems wird zudem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unvereinbarkeit von § 14 Abs 1 Satz 1 Mutterschutzgesetz mit Art 12 Abs 1 Grundgesetz hervorgehoben (vgl BVerfGE 109, 64, 89 ff).

Nach allem müssen Arbeitgeber bei Streitigkeiten über die Erstattung ihrer Aufwendungen wegen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bzw Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft auch unter Würdigung des mittelbaren Schutzzwecks der Erstattungsregelung in § 10 Abs 1 LFZG als kostenprivilegierte "Leistungsempfänger" iS von § 183 SGG angesehen werden.

Ende der Entscheidung

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