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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 29.09.1998
Aktenzeichen: B 1 KR 7/98 R
Rechtsgebiete: SGB V


Vorschriften:

SGB V § 48
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 7/98 R

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Barmer Ersatzkasse, Untere Lichtenplatzer Straße 100-102, 42289 Wuppertal,

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 29. September 1998 ohne mündliche Verhandlung durch die Richter Steege - Vorsitzender -, Dr. Dreher und Dr. Clemens sowie die ehrenamtlichen Richter Höchst und Behrens

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Oktober 1989 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist ein Anspruch auf Krankengeld.

Der Kläger ist Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Er war bis zum 31. März 1976 versicherungspflichtig beschäftigt; seitdem wird er wegen einer bereits früher festgestellten Zyklothymie (manisch-depressive Erkrankung) als arbeitsunfähig beurteilt. Zuletzt hat er in der am 15. Oktober 1986 beginnenden Rahmenfrist für 78 Wochen Krankengeld bezogen. Mit Bescheiden vom 7. Februar und 1. März 1989 (Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1989) lehnte die Beklagte einen weiteren Anspruch auf Krankengeld in der am 15. Oktober 1989 beginnenden Rahmenfrist ab und berief sich auf die am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Regelungen des § 48 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 15. Oktober 1989 Krankengeld zu gewähren. Es hat ausgeführt, die Neuregelung gelte nur für Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit nach dem Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 eingetreten sei; für eine fortgesetzte Arbeitsunfähigkeit bleibe es bei der früheren Regelung, die nach der Rechtsprechung zu einem Wiederaufleben des zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit begründeten "alten" Krankengeldanspruchs in der jeweiligen Rahmenfrist geführt habe. § 48 Abs 2 SGB V verlange lediglich für den Fall einer "erneuten Arbeitsunfähigkeit" das Bestehen einer Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld, um einen "neuen" Anspruch zu begründen. Bei einer anderen Auslegung bestünden gegen die Versagung des Anspruchs verfassungsrechtliche Bedenken.

Auf die Sprungrevision der Beklagten hat der Senat mit Beschluß vom 10. Dezember 1991 die Sache dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Die Neuregelung erfasse zwar den Fall des Klägers, denn die Wendung "bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit" erlaube keine Ausnahme für Fälle der ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit; vielmehr werde dieser Wortlaut nur der inneren Logik der Vorschrift gerecht, die das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs von einer mindestens sechsmonatigen Arbeitsfähigkeit abhängig mache. Insoweit sei auch eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich. Der Ausschluß des Anspruchs verletze im Fall des Klägers jedoch Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG), weil er eine in der Vergangenheit entstandene Rechtsposition entwerte, ohne dem Vertrauensschutz derjenigen Versicherten Rechnung zu tragen, die - wie der Kläger - keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hätten erwerben können.

Mit Beschluß vom 24. März 1998 (BVerfGE 97, 378 = NJW 1998, 2731 = NZS 1998, 424) hat das BVerfG die Anwendung von § 48 Abs 2 SGB V auf Versicherte, die auf Dauer arbeitsunfähig sind und bei denen der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1989 eingetreten ist, für mit dem GG vereinbar erklärt. Ob der Krankengeldanspruch dem Eigentumsschutz unterfalle, könne offenbleiben. Jedenfalls genüge die durch die Vorschrift bewirkte unechte Rückwirkung den grundgesetzlichen Anforderungen des Vertrauensschutzprinzips, weil keine Dispositionen der Versicherten ersichtlich seien, auf die der Gesetzgeber habe Rücksicht nehmen müssen, und weil die mit der Neuregelung verfolgten öffentlichen Belange den Verlust eines rentenähnlichen Anspruchs, der ohne Vorleistungen erworben werden konnte, auch für diejenigen nicht unzumutbar erscheinen ließen, die auf Dauer arbeitsunfähig geworden waren, bevor sie die fünfjährige Wartezeit in der Rentenversicherung hatten erfüllen können.

Im fortgesetzten Revisionsverfahren rügt die Beklagte weiterhin die Verletzung von § 48 SGB V.

Sie beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält weiterhin das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, denn der Kläger hatte ab 15. Oktober 1989 keinen Anspruch auf Krankengeld.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den Vorschriften des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen SGB V; hierzu hat der Senat im Vorlagebeschluß vom 10. Dezember 1991 Stellung genommen (SGb 1992, 508 = USK 91167). An dieser Rechtsauffassung hält er fest.

Insbesondere kann er sich der Argumentation des SG nicht anschließen, der Wortlaut der neuen Vorschriften gebiete es, die zum früheren Recht entwickelten Grundsätze über das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs bei durchgehend arbeitsunfähigen Versicherten auf "Altfälle" weiterhin anzuwenden. Die Neuregelung verschafft dem Versicherten zwar in § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V ebenso wie die frühere Regelung grundsätzlich einen Anspruch auf Krankengeld für unbegrenzte Zeit, der für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit lediglich dadurch begrenzt ist, daß er die Dauer von 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren nicht überschreiten darf. Demgegenüber enthält § 48 Abs 2 SGB V aber eine wesentliche Einschränkung: Für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum (= Rahmenfrist) wegen derselben Krankheit die Höchstbezugsdauer ausgeschöpft haben, besteht nach Beginn eines neuen Zeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit (nur), wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind. Außerdem müssen sie in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig gewesen und einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sein oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden haben.

Diese Formulierungen mögen zunächst den Eindruck erwecken, es sei ausschließlich für diejenigen Versicherten eine Regelung getroffen worden, die nicht durchgehend, sondern mit Unterbrechungen wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig sind; bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit lebe der Krankengeldanspruch zu Beginn einer neuen Rahmenfrist automatisch wieder auf. Das war jedoch schon nach altem Recht nicht der Fall. Die Rechtsprechung zu § 183 Abs 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), der im Wortlaut gleichen Vorgängervorschrift zu § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V, hatte das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs von einer (erneuten) Arbeitsunfähigkeitsmeldung abhängig gemacht, wenn der Krankengeldbezug wegen Erschöpfung des Anspruchs unterbrochen, der Versicherte aber zu Beginn einer neuen Rahmenfrist immer noch wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war (ständige Rechtsprechung seit BSGE 31, 125 = SozR Nr 49 zu § 183 RVO). Im Ergebnis wurde damit das durch den Beginn einer neuen Rahmenfrist ermöglichte Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs wie eine erneute Arbeitsunfähigkeit behandelt: Ohne die entsprechende Meldung ruhte der Anspruch, wie es zu Beginn einer jeden Arbeitsunfähigkeit vorgeschrieben war (damals: § 216 Abs 3 RVO; heute: § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V). Ein automatisches Wiederaufleben des Anspruchs ohne entsprechende Meldung könnte infolgedessen auch der gleichlautenden Vorschrift des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht entnommen werden. Das ist auch bei der Auslegung von § 48 Abs 2 SGB V zu beachten, so daß darin nicht nur der "Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit" nach einer Unterbrechung durch Zeiten der Arbeitsfähigkeit oder der Arbeitsunfähigkeit wegen einer anderen Krankheit, sondern sinngemäß auch die nach Beginn einer neuen Rahmenfrist zwar unverändert fortbestehende, aber erneut zu meldende Arbeitsunfähigkeit angesprochen ist.

Von dieser Auslegung ist der Senat auch in seinen bisherigen Entscheidungen zu § 48 Abs 2 SGB V ohne weiteres ausgegangen (stellvertretend: BSG SozR 3-2500 § 48 Nr 5 mwN). Dasselbe Ergebnis hat er im übrigen bereits im Vorlagebeschluß mit dem Fehlen einer Übergangsregelung näher begründet und sich dabei mit der Gesetzesbegründung und mit der Frage des für das Wiederaufleben eines Krankengeldanspruchs anwendbaren Rechts grundsätzlich auseinandergesetzt. Neue rechtliche Gesichtspunkte haben sich seither nicht ergeben, so daß zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Vorlagebeschluß verwiesen werden kann.

Die Voraussetzungen für die Beschränkung des Anspruchs des Klägers sind erfüllt. Nach den Feststellungen des SG, die im Verfahren der Sprungrevision nach § 161 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht angegriffen werden dürfen und daher nach § 163 SGG für den Senat verbindlich sind, leidet der Kläger seit 1952 an derselben Erkrankung, die ihn seit 1976 arbeitsunfähig macht. Er hat in der letzten Rahmenfrist vor der am 15. Oktober 1989 beginnenden für 78 Wochen Krankengeld bezogen. Seine Arbeitsunfähigkeit beruhte immer auf derselben Krankheit; er war in der Zwischenzeit weder erwerbstätig, noch hat er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Somit kann zu Beginn der neuen Rahmenfrist kein Anspruch bestehen. Dieses Ergebnis ist auch mit dem Grundgesetz vereinbar, wie das BVerfG entschieden hat (BVerfGE 97, 378 = NJW 1998, 2731 = NZS 1998, 424).

Mangels Krankengeldanspruchs des Klägers muß das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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