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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: B 10/14 EG 1/01 R
Rechtsgebiete: BErzGG, SGB I


Vorschriften:

BErzGG § 1 Abs 1
BErzGG aF § 1 Abs 4
SGB I § 30 Abs 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 27. Mai 2004

Az: B 10/14 EG 1/01 R

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, den Richter Masuch und die Richterin Knickrehm sowie die ehrenamtlichen Richter Kolb und Leite

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Gewährung von Bundeserziehungsgeld (BErzg).

Die Klägerin und ihr Ehemann sind deutsche Staatsangehörige. Sie wohnen seit Jahren in den Niederlanden. Bis zum 8. November 1996 bezog die Klägerin Leistungen wegen Arbeitslosigkeit vom niederländischen Träger; ihr Ehemann war als Beamter in Deutschland tätig.

Am 20. Dezember 1996 beantragte die Klägerin für ihren am 31. Januar 1996 geborenen Sohn Tom BErzg. Der Beklagte lehnte eine Leistungsgewährung ab, weil die Klägerin weder einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt noch ein Arbeitsverhältnis in Deutschland habe. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre Anspruchsberechtigung werde gemäß Art 73 Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71), durch die Tätigkeit ihres Ehemannes in Deutschland eröffnet. Der Beklagte wies diesen Rechtsbehelf ua mit der Begründung zurück, der Ehemann der Klägerin falle als Beamter nicht unter den Arbeitnehmerbegriff der EWGV 1408/71 (Widerspruchsbescheid vom 18. November 1998).

Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Münster <SG> vom 23. Februar 2000 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen <LSG> vom 26. Januar 2001). Das LSG hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Ein Anspruch der Klägerin auf BErzg sei auch unter ergänzender Heranziehung des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht begründet. Denn im möglichen Anspruchszeitraum vom 31. Januar 1996 bis 30. Januar 1998 seien weder die Klägerin noch ihr Ehemann in Deutschland Arbeitnehmer iS der EWGV 1408/71 gewesen. Eine umfassende Gleichstellung von Beamten und Arbeitnehmern sei erst zum 1. September 1999 durch die EWGV 1399/99 erfolgt. Die für die Zeit davor bestehende Benachteiligung von Beamten und ihren Angehörigen sei weder europa- noch verfassungsrechtlich zu beanstanden.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin zunächst als Verfahrensmangel, das LSG sei in seinem Urteil entgegen den Feststellungen im Verwaltungsverfahren - für sie überraschend - davon ausgegangen, sie sei vor ihrer Arbeitslosigkeit in den Niederlanden (und nicht in Deutschland) beschäftigt gewesen. Weiter macht sie geltend: Im Hinblick darauf, dass sie zeitnah vor der Geburt ihres Sohnes als Grenzgängerin in Deutschland sozialversicherungspflichtig gearbeitet habe, hätte das LSG ihren Wohnsitz in den Niederlanden auf Grund Europarechts einem Wohnsitz in Deutschland gleich erachten müssen. Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass sie im Jahre 1997 in Deutschland geringfügig beschäftigt gewesen sei. Darüber hinaus könne sie einen Anspruch auf BErzg aus der Beamtentätigkeit ihres Ehemannes in Deutschland herleiten. Soweit Beamte seinerzeit noch nicht hinreichend in die EWGV 1408/71 einbezogen gewesen seien, müsse die Lücke unter Heranziehung der Regelungen des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) geschlossen werden.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG vom 26. Januar 2001 und des SG vom 23. Februar 2000 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1998 zu verurteilen, ihr für ihren am 31. Januar 1996 geborenen Sohn Tom BErzg zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das Berufungsurteil mit näheren Darlegungen.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG. Der erkennende Senat sieht sich wegen fehlender Tatsachenfeststellungen weder in der Lage, den Rechtsstreit abschließend zu entscheiden, noch dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sachgerechte Fragen zur Vorabentscheidung nach Art 234 EGVtr vorzulegen (vgl BSGE 37, 104 = SozR 1500 § 170 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 30 Nr 8 S 34 f).

Nach § 1 Abs 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in der hier einschlägigen Fassung vom 31. Januar 1994 (BGBl I 180; im Folgenden: aF) hat Anspruch auf BErzg, wer

1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat,

2. mit einem Kind, für das ihm Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt,

3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und

4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.

Für den fraglichen Anspruchszeitraum (§ 4 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF) vom 31. Januar 1996 bis 30. Januar 1998 fehlt es bei der Klägerin bereits an einem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG aF. Nach dem hier gemäß § 37 iVm § 68 Nr 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) anwendbaren § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I hat einen Wohnsitz jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen inne hat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs 3 Satz 2 SGB I). Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) wohnen die Klägerin und ihr Ehemann seit Jahren in den Niederlanden; dies war auch im streitigen Zeitraum der Fall. Für das gleichzeitige Bestehen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland gibt es keine Anhaltspunkte.

Gemäß § 1 Abs 4 BErzGG aF hat Anspruch auf BErzg auch, wer als

1. Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften (EG) oder

2. Grenzgänger aus an die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar angrenzenden Staaten, die nicht Mitglied der EG sind,

ein Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, bei dem die wöchentliche Arbeitszeit die Grenze für geringfügige Beschäftigungen gemäß § 8 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) übersteigt, und die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 2 bis 4 BErzGG erfüllt.

Zwar ist die Klägerin Angehörige eines Mitgliedstaates der EG, jedoch hatte sie im fraglichen Zeitraum kein mehr als geringfügiges Arbeitsverhältnis in Deutschland. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die Klägerin vor ihrer Arbeitslosigkeit zuletzt in Deutschland gearbeitet hat. Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass ein solches Arbeitsverhältnis (etwa gemäß § 18 BErzGG wegen Erziehungsurlaubs) in der Zeit ab 31. Januar 1996 fortbestanden haben könnte. Selbst wenn man hier die Gleichstellungsvorschrift des § 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG aF entsprechend heranziehen könnte, würde dies der Klägerin nicht weiterhelfen, weil sie keine der dort genannten Lohnersatzleistungen, sondern Arbeitslosenunterstützung vom niederländischen Träger bezogen hat. Ebenso wie § 1 Abs 4 BErzGG aF ein Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich dieses Gesetzes voraussetzt, würde er iVm § 2 Abs 2 BErzGG aF einen Leistungsbezug in Deutschland verlangen. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die in den Niederlanden erbrachten Leistungen auf in Deutschland erworbenen Anwartschaften beruht haben. Die insoweit einschlägige Regelung des Art 71 EWGV 1408/71 ordnet die betreffenden arbeitslosen Wanderarbeitnehmer sozialrechtlich gerade dem Wohnsitzstaat zu.

Zwar würde die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 Abs 7 BErzGG idF vom 12. Oktober 2000 (BGBl I 1426) erfüllen, da sie die Ehefrau eines in Deutschland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis stehenden Beschäftigten mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EG ist. Diese Vorschrift ist jedoch gemäß § 24 Abs 1 BErzGG (Fassung vom 12. Oktober 2000) bei vor dem 1. Januar 2001 geborenen Kindern nicht anwendbar. Anders als bei der gleichzeitig erfolgten klarstellenden Einbeziehung selbstständig Tätiger (vgl dazu Senatsurteil vom 11. Dezember 2003 - B 10 EG 4/02 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), handelt es sich bei der Erstreckung der Anspruchsberechtigung auf im EG-Ausland wohnende Beamtenehegatten um eine echte Erweiterung des begünstigten Personenkreises, die insbesondere europarechtlichen Entwicklungen Rechnung tragen sollte (BT-Drucks 14/3118, S 14).

Ob sich ein Anspruch der Klägerin aus einer ergänzenden Heranziehung von europäischem Gemeinschaftsrecht ergibt, lässt sich anhand der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen - auch im Hinblick auf möglicherweise klärungsbedürftige europarechtliche Fragen - noch nicht abschließend beurteilen.

Wie das LSG zutreffend erkannt hat, scheidet die EWGV 1408/71 in der hier anzuwendenden konsolidierten Fassung (ABl EG C 325/1 vom 10. Dezember 1992, geändert durch Verordnungen Nr 3095/95 und Nr 3096/95 vom 22. Dezember 1995, ABl EG L 335/1 und 10 vom 30. Dezember 1995) als Rechtsgrundlage aus. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl Slg 1996, I-4895 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8; Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22) und des erkennenden Senats (vgl zuletzt Senatsurteil vom 27. Mai 2004 - B 10 EG 1/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) wird das BErzGG allerdings als Familienleistung vom sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung erfasst (vgl Art 1 Buchst u Ziff i, Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71).

Der persönliche Geltungsbereich der EWGV 1408/71 erstreckt sich nach ihrem Art 2 Abs 1 insbesondere auf Arbeitnehmer (vgl dazu die Begriffsbestimmung in Art 1 Buchst a EWGV 1408/71). Ist - wie hier - ein deutscher Träger für die Gewährung einer Familienleistung zuständig, so gilt nach Anhang I Teil I Abschnitt C Buchst a EWGV 1408/71 iS des Art 1 Buchst a Ziff ii EWGV 1408/71 als Arbeitnehmer, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist oder im Anschluss an diese Versicherung Krankengeld oder entsprechende Leistungen erhält. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Klägerin diese Voraussetzungen für die Zeit bis zum 8. November 1996 im Hinblick darauf erfüllen könnte, dass sie nach ihrem Vorbringen in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist und anschließend vom niederländischen Träger Leistungen wegen Arbeitslosigkeit - sowie im Zusammenhang mit der Geburt ihres Sohnes 16 Wochen so genanntes Wochengeld - bezogen hat. Denn jedenfalls würde die Klägerin dann als ehemalige Arbeitnehmerin gemäß Art 13 Abs 2 Buchst f EWGV 1408/71 den Rechtsvorschriften des Staates ihres Wohnsitzes, also der Niederlande, unterliegen (vgl dazu EuGH, Urteil vom 11. Juni 1998 - C-275/96 -, Slg 1998, I-3419). Zu demselben Ergebnis würde eine Anwendung des Art 72a EWGV 1408/71 führen. Die sozialrechtliche Zuordnung der Klägerin zum Wohnsitzstaat wird gerade auch durch ihren Bezug der Arbeitslosenunterstützung vom niederländischen Träger bestätigt.

Die Anwendbarkeit des BErzGG wird für die Klägerin auch nicht durch Art 73 EWGV 1408/71 eröffnet. Dieser bestimmt:

Ein Arbeitnehmer oder Selbstständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Diese Regelung ist vom EuGH (Urteil vom 10. Oktober 1996 - C-245/94 -, Slg 1996 I-4895 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8) über ihren Wortlaut hinaus dahin ausgelegt worden, dass auch der Ehegatte eines Arbeitnehmers, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt mit seiner Familie in einem anderen Mitgliedstaat lebt, im Mitgliedstaat der Beschäftigung Anspruch auf eine Leistung wie das BErzg hat. Diese Rechtsprechung kommt der Klägerin nicht zu Gute. Denn ihr Ehemann ist, soweit es um BErzg geht, nicht als Arbeitnehmer iS der EWGV 1408/71 anzusehen, weil er als Beamter nicht die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 damaliger Fassung erfüllte (vgl dazu EuGH, Urteil vom 5. März 1998 - C-194/96 - Slg 1998, I-921 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 12; BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 40). Diese Vorschrift ist erst mit Wirkung vom 1. September 1999 zu Gunsten von Beamten (mit einer Besoldung in bestimmter Mindesthöhe) erweitert worden (vgl Änderungsverordnung Nr 1399/99 vom 29. April 1999, ABl EG L 164/1 vom 30. Juni 1999).

Ein Anspruch der Klägerin auf BErzg könnte sich hingegen aus der EWGV 1612/68 iVm Art 48 EGVtr (jetzt Art 39 EGVtr) herleiten lassen. Eine Anwendung dieser Regelungen kommt in Betracht; denn es ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin und/oder ihr Ehemann in Bezug auf Deutschland und den streitigen Leistungszeitraum von ihrem Recht auf Freizügigkeit in der Gemeinschaft Gebrauch gemacht haben.

Nach Art 7 Abs 1 EWGV 1612/68 darf ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Erholung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer. Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer (§ 7 Abs 2 EWGV 1612/68).

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das BErzg eine soziale Vergünstigung iS des § 7 Abs 2 EWGV 1612/68 (vgl Urteil vom 12. Mai 1998 - C-85/96 -, Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 106). Die in dieser Bestimmung vorausgesetzte Arbeitnehmereigenschaft ist nicht identisch mit dem Arbeitnehmerbegriff, der im Bereich der EWGV 1408/71 gilt (EuGH SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 107). Im Rahmen des Art 48 EGVtr und der EWGV 1612/68 ist als Arbeitnehmer anzusehen, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert der Betreffende grundsätzlich die Arbeitnehmereigenschaft, wobei jedoch zum einen diese Eigenschaft nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehende Folgewirkungen haben kann und zum anderen derjenige, der tatsächlich eine Arbeit sucht, ebenfalls als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist (EuGH aaO).

Das LSG hat nicht geprüft, ob die Klägerin nach diesen Kriterien im fraglichen Zeitraum für Deutschland als Arbeitnehmerin anzusehen ist. Es hat jedoch im Zusammenhang mit der Anwendung des Anhangs I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 festgestellt, dass die Klägerin nach abhängiger Beschäftigung in den Niederlanden vom dortigen Träger Unterstützung für Arbeitslosigkeit bis zur Erschöpfung des Anspruchs erhalten habe. Soweit es eine frühere Beschäftigung der Klägerin in den Niederlanden anbelangt, ist der erkennende Senat an diese Feststellung nicht gebunden (vgl § 163 SGG); denn sie ist - wie die Klägerin zutreffend gerügt hat - auf verfahrensfehlerhafte Weise zustande gekommen.

Es liegt eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor (vgl §§ 62, 128 Abs 2 SGG; Art 103 Abs 1 Grundgesetz <GG>). Ein derartiger Verfahrensmangel ist ua auch dann gegeben, wenn das Gericht sein Urteil auf Tatsachen stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 1 und Nr 12). Nachdem die Klägerin im Vorverfahren unwidersprochen vorgetragen hatte, sie habe nach Art 71 EWGV 1408/71 auf Grund ihrer letzten Beschäftigung als Arbeitnehmerin in der Bundesrepublik Deutschland vom niederländischen Träger bis zum 8. November 1996 Arbeitslosenunterstützung bezogen, hätte ihr das LSG einen Hinweis geben müssen, wenn es ohne weitere erkennbare Ermittlungen von einer früheren Tätigkeit der Klägerin in den Niederlanden ausgehen wollte. Dies gilt auch und gerade im Hinblick darauf, dass während des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens schriftsätzlich nur darüber gestritten worden ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf BErzg aus der Tätigkeit ihres Ehemannes als Beamter in Deutschland herleiten könne.

War die Klägerin vor ihrer Arbeitslosigkeit in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt, so könnte dieses Arbeitsverhältnis grundsätzlich durch den Bezug von Arbeitslosenunterstützung fortgewirkt haben. Ob insoweit allerdings ein Leistungsbezug vom niederländischen Träger (Art 71 EWGV 1408/71) ausreicht, um einen Arbeitnehmerstatus in Deutschland aufrecht zu erhalten, erscheint fraglich und müsste ggf durch eine Anfrage beim EuGH (Art 234 EGVtr) geklärt werden. Des Weiteren könnte die Klägerin ihre Arbeitnehmereigenschaft in Deutschland bewahrt oder erneuert haben, wenn sie dort im streitigen Zeitraum eine Arbeit gesucht hat. Dazu fehlen Tatsachenfeststellungen des LSG ebenso wie zu der Frage der Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung im Jahre 1997, wie sie im Revisionsverfahren von der Klägerin behauptet worden ist.

In ihrer Eigenschaft als Ehefrau wäre die Klägerin von der EWGV 1612/68 erfasst, wenn ihr Ehemann von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Familienangehörige eines Arbeitnehmers (vgl Art 10 EWGV 1612/68) sind insoweit mittelbare Nutznießer der Gleichbehandlung, die diesem durch Art 7 EWGV 1612/68 zuerkannt wird (vgl EuGH, Urteil vom 18. Juni 1987 - C-316/85 -, Slg 1987, 2832). Dies schließt das Recht ein, sich ggf auch selbst auf Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 berufen zu können (vgl EuGH, Urteil vom 26. Februar 1992 - C-3/90 -, Slg 1992, I-1071).

Bei dem Ehemann der Klägerin könnte unter zwei Gesichtspunkten ein Gebrauchmachen von dem Freizügigkeitsrecht fraglich sein. Zum einen ist es möglich, dass er seinerzeit als Beamter eine Tätigkeit ausgeübt hat, für die gemäß Art 48 Abs 4 EGVtr (jetzt Art 39 Abs 4 EGVtr) das Freizügigkeitsrecht nicht gilt. Zu der Art seiner Tätigkeit hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Zum anderen fragt es sich, inwiefern die gemeinschaftsrechtlich garantierte Freizügigkeit berührt ist, wenn ein Arbeitnehmer unter Beibehaltung seiner Beschäftigung lediglich in einen grenznahen Ort eines benachbarten Mitgliedstaates der EG umzieht.

Nach Art 48 Abs 2 EGVtr (jetzt Art 39 Abs 2 EGVtr) umfasst die Freizügigkeit die Abschaffung jeder auf die Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Dieses Recht ist bei einer bloßen Wohnsitzverlegung wohl nicht unmittelbar betroffen, es sei denn, diese führte zu Nachteilen im Bereich der Arbeitsbedingungen (vgl zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Urteil vom 10. Januar 2001 - C-162/99 -, Slg 2001, I-541). Die damit angesprochene gemeinschaftsrechtliche Frage erscheint als klärungsbedürftig (vgl Art 234 EGVtr). Sie würde sich hingegen nicht stellen, vielmehr läge ein Gebrauchmachen vom Freizügigkeitsrecht ohne Weiteres vor, wenn der Ehemann der Klägerin seine 1996/98 ausgeübte Tätigkeit erst nach dem Umzug der Familie von Deutschland in die Niederlande aufgenommen hätte. Dazu fehlen berufungsgerichtliche Feststellungen.

Sollte die Klägerin in Bezug auf Deutschland entweder selbst als Arbeitnehmerin oder als Ehefrau eines Arbeitnehmers iS von Art 48 EGVtr und der EWGV 1612/68 anzusehen sein, ist zu erwägen, ob das Wohnsitzerfordernis des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG für sie eine versteckte Diskriminierung darstellt (vgl dazu allgemein EuGH, Urteil vom 10. März 1993 - C-111/91 -, Slg 1993, I-817; Urteil vom 12. September 1996 - C-278/94 -, Slg 1996, I-4307; Urteil vom 27. November 1997 - C-57/96 -, Slg 1997, I-6689; Urteil vom 8. Juni 1999 - C-337/97 -, Slg 1999, I-3289; Urteil vom 23. März 2004 - C-138/02 -). Nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH diskriminiert eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, dann mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem betroffenen Wanderarbeitnehmer um einen Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaates handelt (vgl allgemein dazu EuGH, Urteil vom 26. Januar 1999 - C-18/95 -, Slg 1999, I-345). Die danach erforderliche Rechtfertigung der Benachteiligung der Klägerin fällt schwer, zumal der deutsche Gesetzgeber den grenzüberschreitenden Bezug von BErzg auch schon im streitigen Zeitraum für bestimmte Fallgruppen (insbesondere mehr als geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer mit Wohnsitz im EG-Ausland, Ehegatten von Versorgungsempfängern nach beamtenrechtlichen Vorschriften) vorgesehen und ab 1. Januar 2001 sogar auf Ehegatten von aktiven Beamten (wie die Klägerin) erstreckt hat (vgl dazu allgemein Trinkl, Die gemeinschaftsrechtliche Koordinierung deutscher Familienleistungen, 2001, S 73 f, 139, 152 ff). Insoweit müsste ggf eine Klärung durch ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH erfolgen.

Nach alledem sieht der erkennende Senat eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung durch das LSG als geboten an, bevor einer konkreten Anfrage an den EuGH näher getreten werden kann. Sollte das LSG im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch unter Berücksichtigung der vom Senat aufgezeigten Gesichtspunkte - ggf nach Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH - zu der Beurteilung gelangen, dass der Klägerin nach dem BErzGG iVm dem Europäischen Gemeinschaftsrecht kein Anspruch auf BErzg zusteht, wäre erneut zu prüfen, ob § 1 BErzGG damaliger Fassung mit dem GG vereinbar ist. Auch wenn man im Rahmen des Art 3 Abs 1 GG die gemeinschaftsrechtlich begründete Benachteiligung der Klägerin außer Betracht lässt (vgl dazu BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 40), bliebe ua noch die Frage, inwiefern es sachliche Gründe dafür gibt, dass die Ehegatten aktiver Beamter seinerzeit gegenüber denjenigen von Pensionären benachteiligt worden sind (vgl dazu § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 3 und Satz 2 BErzGG). Sollte das LSG zu der Überzeugung kommen, dass § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG einem Anspruch der Klägerin auf BErzg nicht entgegensteht, wäre weiter zu prüfen, ob der Bezug von Arbeitslosenunterstützung in den Niederlanden gemäß § 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG einer vollen Erwerbstätigkeit (vgl § 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG) gleich zu erachten ist (vgl dazu Art 12 Abs 2 EWGV 1408/71; allgemein dazu Trinkl, aaO S 211 f). Soweit die Klägerin im streitigen Zeitraum niederländisches Wochengeld bezogen hat, könnte eine Anwendung des § 8 Abs 3 BErzGG (Fassung vom 31. Januar 1994) in Betracht kommen, wobei allerdings die Regelungen in Art 76 EWGV 1408/71, Art 10 EWGV 574/72 zu berücksichtigen sein dürften (vgl dazu Becker, SGb 1998, 553, 557; Trinkl, aaO, S 149 f, 157 ff, 234 ff). Je nach der Einordnung dieser niederländischen Leistung ist auch eine Anwendbarkeit des § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG iVm Art 12 Abs 2 EWGV 1408/71 zu erwägen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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