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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 13.05.1998
Aktenzeichen: B 10 LW 11/97 R
Rechtsgebiete: VwZR, SGG


Vorschriften:

VwZG § 5 Abs 2
SGG § 151
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Az: B 10 LW 11/97 R

Klägerin und Revisionsklägerin,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Schleswig-Holsteinische Landwirtschaftliche Alterskasse, Schulstraße 29, 24143 Kiel,

vertreten durch den Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen, Weißensteinstraße 70/72, 34131 Kassel,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

beigeladen:

Schleswig-Holsteinische Landwirtschaftliche Krankenkasse, Schulstraße 29, 24143 Kiel.

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat am 13. Mai 1998 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter Wiester, die Richter Schenk und Dr. Steinwedel sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Schneider und Lohre

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Oktober 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

In der Revisionsinstanz ist die Zulässigkeit der Berufung umstritten. Die Beklagte gewährte der Klägerin ab 1. Oktober 1992 vorzeitiges Altersgeld wegen Erwerbsunfähigkeit und verrechnete einen Teil der rückständigen und laufenden Rente zur Tilgung von Beitragsrückständen der Klägerin bei der Beigeladenen. Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat mit Teilurteil vom 11. April 1996 die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin die Rente bereits ab 1. Januar 1989 (gemeint war offensichtlich das Jahr 1990) begehrt.

Laut Zustellungsverfügung und Abgangsvermerk in den Gerichtsakten sind Ausfertigungen des Urteils am 11. Juni 1996 an die Verfahrensbeteiligten abgesandt worden. In ihren Empfangsbekenntnissen (EB) haben die Beklagte ebenso wie die Beigeladene erklärt, das Urteil sei ihnen am 13. Juni 1996 zugestellt worden. Ein EB des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ist auch nach Erinnerungen des SG im August und September 1996 nicht zu den Akten gelangt.

Am 8. Oktober 1996 hat die Klägerin gegen das Teilurteil Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt mit dem Hinweis, das Urteil sei ihrem Prozeßbevollmächtigten nicht formell zugestellt worden. Nachdem wiederholte Anfragen des LSG, wann und auf welche Weise dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin das Teilurteil des SG zur Kenntnis gelangt sei, unbeantwortet geblieben waren, hat das LSG mit dem angefochtenen Beschluß vom 10. Oktober 1997 die Berufung als unzulässig verworfen: Zwar sei ein mit Datum und Unterschrift versehenes EB unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung und für den Lauf der Berufungsfrist. Dies gelte aber nicht, wenn das Verhalten des Prozeßbevollmächtigten rechtsmißbräuchlich sei. Der Rechtsmißbrauch ergebe sich hier daraus, daß pflichtwidrig das EB nicht zurückgesandt worden sei und sämtliche gerichtliche Anfragen zum Zugang des Urteils unbeantwortet geblieben seien. Da keine Hinweise für Unregelmäßigkeiten auf dem Postweg beständen, sei vom Zugang des Urteils etwa Mitte Juni 1996 auszugehen. Damit sei am 8. Oktober 1996 die Berufungsfrist in jedem Fall abgelaufen gewesen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 5 Abs 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) sowie des § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG): Entgegen der Auffassung des LSG sei eine durch EB nachgewiesene Zustellung unverzichtbare Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung und damit für den Lauf der Rechtsmittelfrist. Dies folge aus § 9 VwZG, der trotz der Tatsache, daß der Empfangsberechtigte das Schriftstück nachweislich erhalten habe, die Fiktion der Zustellung dann ausschließe, wenn mit der Zustellung ua eine Berufungsfrist beginne. Tatsächlich habe ihr Prozeßbevollmächtigter das Urteil erst in der zweiten Hälfte des Monats September 1996 zur Kenntnis genommen, als er es in einer falschen Akte gefunden habe. Ein EB-Formular sei dem Urteil nicht beigefügt gewesen. Da auch Unregelmäßigkeiten bei der Zustellung der Sitzungsniederschrift (sie sei vierfach mit den Exemplaren für die übrigen Beteiligten übermittelt worden) vorgekommen seien, werde bestritten, daß das Urteil jemals erkennbar zum Zwecke der Zustellung übersandt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Oktober 1997 und des Teilurteils des Sozialgerichts Lübeck vom 11. April 1996 sowie des Bescheides der Beklagten vom 11. Januar 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 30. August 1994 die Beklagte zu verurteilen, ihr vorzeitiges Altersgeld für Landwirte beginnend mit dem 1. Januar 1990 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält den Beschluß des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist in dem Sinne begründet, daß der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Das LSG hat eine Sachentscheidung zu treffen.

Als die Berufung am 8. Oktober 1996 eingelegt wurde, war entgegen der Auffassung des LSG die Berufungsfrist noch nicht abgelaufen. Denn dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ist das Teilurteil des SG nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Für den Nachweis der ordnungsgemäßen Zustellung im vereinfachten Verfahren nach § 5 Abs 2 VwZG fehlt es am EB. Jedenfalls bei einem Streit über die Grundvoraussetzung, ob ein solches Zustellungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, kann der Zustellungsnachweis nicht auf andere Weise erbracht werden. Auf das EB kann entgegen der Auffassung des LSG auch nicht wegen eines rechtsmißbräuchlichen Verhaltens des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin verzichtet werden, mit der Folge, daß sich die Klägerin so behandeln lassen muß, als sei das Urteil zu einem sich nach Aktenlage ergebenden Zeitpunkt wirksam zugestellt worden.

Gemäß § 151 Abs 1 SGG ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Voraussetzung für den Lauf der Berufungsfrist ist die wirksame Zustellung. Die Zustellung erfolgt im sozialgerichtlichen Verfahren nach den §§ 2 bis 15 VwZG, (§ 63 Abs 2 SGG). § 5 Abs 2 VwZG erlaubt, ua Rechtsanwälten das zuzustellende Schriftstück auf andere, dh in irgendeiner Weise (so die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum VwZG <AVV>) zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln. Als Nachweis der Zustellung genügt dann das mit Datum und Unterschrift versehene EB, das an die zustellende Stelle zurückzusenden ist. Laut Zustellungsverfügung und Abgangsvermerk in den Akten des SG hat sich das SG dieser vereinfachten Form für die Zustellung des Teilurteils an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bedient. Die Klägerin bestreitet dagegen eine derartige Zustellung. Ein EB des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ist weder an das SG zurückgesandt noch jemals ausgestellt worden.

Zwar kann das EB nach einhelliger Auffassung auch ohne Verwendung des dafür vorgesehenen Formulars nachträglich abgegeben werden, selbst wenn dadurch ein bereits eingelegtes Rechtsmittel unzulässig wird (BSGE 37, 279, 281; BGHZ 35, 236, 239; 57, 160, 165; BGH VersR 1995, 113, 114; BAG AP Nr 4 zu § 212a ZPO; BFHE 102, 457). Die Ausführungen des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in der Revisionsbegründung enthalten jedoch kein EB iS des § 5 Abs 2 Satz 1 Teilsatz 2 VwZG. Mit ihnen wird lediglich vorgetragen, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin habe nach nochmaliger Anmahnung des EB durch das SG am 18. September 1996 das Urteil in einer falschen Akte gefunden. Die Zustellung gegen EB setzt demgegenüber den Willen des Adressaten voraus, das Schriftstück als zugestellt anzunehmen (BSG, Urteil vom 10. November 1993 - 11 RAr 47/93 -, Umdruck S 7; BSG, Urteil vom 17. März 1981 - 7 RAr 107/79 -, Umdruck S 5; BSG, Urteil vom 26. November 1981 - 4 RJ 159/80 -, Umdruck S 4; BFHE 97, 57, 58; BFH vom 31. Oktober 1996 - VIII B 11/96 -; BGH VersR 1995, 113, 114; BGH MDR 1994, 718, 719; BAG AP Nr 4 zu § 212a ZPO). Ein solcher Wille läßt sich hier nicht feststellen. Das wird auch nicht zum Ausdruck gebracht. Ganz im Gegenteil soll mit der Schilderung des Auffindens des Urteils erklärt werden, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin das Urteil zu keiner Zeit zum Zwecke der Zustellung entgegengenommen hat. Dazu wird vorgetragen, wie das Urteil in die falsche Akte gekommen sei, sei nicht mehr nachvollziehbar. Jedenfalls habe sich bei dem Urteil keinerlei Hinweis gefunden, daß es von dem SG zum Zwecke der Zustellung übersandt worden sei. Ein solches Auffinden des Urteils kann nicht als dessen Entgegennahme zum Zwecke der Zustellung gewertet werden. Vielmehr erklärt die Revisionsbegründungsschrift nur, weshalb die Berufung so spät eingelegt wurde. Da ein EB nicht vorliegt, kann offenbleiben, ob es noch in der dritten Instanz abgegeben werden kann, wenn es um den Nachweis der Zustellung eines erstinstanzlichen Urteils geht.

Das VwZG ist vom Grundsatz der Formenstrenge beherrscht, wobei nur eine Wahlmöglichkeit innerhalb der einzelnen Zustellungsarten nach dem VwZG besteht. Dies folgt aus § 9 VwZG, der die Heilung einer nicht formgerechten Zustellung nur dann zuläßt, wenn mit der Zustellung nicht gleichzeitig der Lauf einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist in Lauf gesetzt wird. Denn der Zweck des Gesetzes ist es, die früheren Schwierigkeiten bei der Feststellung des Zustellungszeitpunktes zu beseitigen (BT-Drucks I/2963 S 6). Soweit die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes an die Wirksamkeit einer Zustellung gegen EB unterschiedlich strenge Anforderungen stellt und innerhalb des Zustellungsverfahrens nach § 5 Abs 2 VwZG bestimmte Varianten als unschädlich ansieht, kommt es auf diese Unterschiede im vorliegenden Falle nicht an.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sowie des 7. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) ist das Vorhandensein eines schriftlichen EB unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung (BGH VersR 1989, S 1211; BAG AP Nr 4 zu § 212a ZPO; BFH vom 25. November 1986 - VII R 69/86 -; für § 5 VwZG ebenso Engelhardt/App, Verwaltungsvollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz, 4. Aufl, München 1996, § 5 Anm 2), das darüber hinaus mit Datum und Unterschrift versehen sein muß (BAG AP Nrn 3 und 5 zu § 212a ZPO; BAG AP Nr 13 zu § 3 TVG; BGH VersR 1995, 113, 114; BGH MDR 1994, 718, 719; BGH VersR 1989, 1211; BGHZ 57, 160, 162 ff zu § 5 VwZG). Nach dieser Rechtsprechung ist eine wirksame Zustellung des Teilurteils des SG nicht erfolgt, weil es bereits an einem EB mangelt.

Demgegenüber vertreten das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und einige Senate des BFH die Auffassung, das EB diene lediglich dem Nachweis der Zustellung, die Zustellung nach § 5 Abs 2 VwZG könne deshalb wirksam sein, auch wenn ein EB überhaupt fehle (BFH vom 12. März 1993 - VIII B 91/92 -; BFH vom 27. Dezember 1996 - XI B 11/96 -; BFHE 159, 425, 427; BVerwG ZBR 1979, 146 f = BVerwG Buchholz 310 § 58 VwGO Nr 38) und erst recht dann, wenn es nur an Datum oder Unterschrift auf dem EB mangele (BFHE 117, 11, 13; 136, 348, 349; BVerwG Buchholz 340 § 5 VwZG Nr 4 und 406.11 § 30 BBauG Nr 5; BVerwG NJW 1972, S 1435, 1436). Bei allen genannten Entscheidungen des BVerwG und des BFH war indes die eigentliche Zustellung des Schriftstücks in einem nach § 5 Abs 2 VwZG eingeleiteten Verfahren weder unklar noch streitig. In dem vom BVerwG entschiedenen Fall bestanden zB keinerlei Differenzen über den genauen Zustellungstag, da dort lediglich ein unstreitig ausgestelltes EB verloren gegangen war (BVerwG ZBR 1979, 146 f = BVerwG Buchholz 310 § 58 VwGO Nr 38). In keinem der Fälle war eine Beweisaufnahme über die Tatsache und den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstücks zum Zwecke der Zustellung mit anschließender Beweiswürdigung erforderlich. Dann wäre es nach Meinung des BVerwG und der betreffenden Senate des BFH reiner Formalismus, auf einem zurückgelaufenen oder fehlerfreien EB zu bestehen.

Im vorliegenden Fall fehlt es nicht nur an einem EB über die Zustellung des Urteils, sondern darüber hinaus ist auch die Grundvoraussetzung streitig, ob der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin das Urteil überhaupt unter der qualifizierenden Voraussetzung erhalten hat, daß es ihm zum Zwecke der Zustellung übermittelt wurde. Zwar setzt die Wirksamkeit der Zustellung nicht die Mitteilung voraus, die Übersendung des Schriftstücks erfolge zum Zwecke der Zustellung, denn § 5 Abs 2 fordert zB im Gegensatz zu § 6 VwZG keinen derartigen Vermerk; und die AVV, nach deren Nr 7 Abs 3 Satz 4 ein entsprechender Vermerk vorgeschrieben ist, haben keine Gesetzeskraft (BSG SozR Nr 5 zu § 5 VwZG = NJW 1971, 2248; zur entsprechenden Regelung der ZPO: BGH VersR 1978, 563 f). Unabdingbar muß jedoch für den Zustellungsempfänger irgendwie erkennbar sein, daß ihm das Schriftstück im Verfahren nach § 5 Abs 2 VwZG übersandt wird. Wenn wie hier nicht geklärt ist - und allenfalls durch weitere Ermittlungen aufgeklärt werden kann -, wie das Urteil überhaupt in den Machtbereich des Zustellungsempfängers gekommen ist, steht von vornherein fest, daß das Zustellungsverfahren nach § 5 Abs 2 VwZG in einem wesentlichen Abschnitt nicht durchgeführt worden ist. Dem steht nicht entgegen, daß - in einem ordnungsgemäß eingehaltenen Verfahren nach § 5 Abs 2 VwZG - das BVerwG und Senate des BFH andere Zustellungsnachweise als das EB zulassen. Der Senat kann insoweit die dargelegte Divergenz in der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes offen lassen. Jedenfalls wäre der Grundsatz der Formenstrenge und der damit korrespondierende der Fristensicherheit verletzt, ja der Sinn und Zweck des VwZG ins Gegenteil verkehrt, wenn es zulässig wäre, auch diese Voraussetzung einer vereinfachten Zustellung - Erkennbarkeit der Übersendung im Verfahren nach § 5 Abs 2 VwZG - erst aufgrund einer (dann in allen Fällen von Amts wegen durchzuführenden) Beweisaufnahme und anschließender Beweiswürdigung festzustellen und dann auf das EB zu verzichten.

Entgegen der Auffassung des LSG muß sich der Zustellungsempfänger auch nicht im Hinblick auf den Absendevermerk des SG durch substantiierte Hinweise auf Unregelmäßigkeiten des Postlaufs entlasten. Die ordnungsgemäße Zustellung ist Voraussetzung für die allein von Amts wegen zu prüfende Frage, ob die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist. Dies ist positiv festzustellen, so daß bloße Zweifel an einer ordnungsgemäßen Zustellung als Voraussetzung für den Lauf der Berufungsfrist nicht zu Lasten des Rechtsmittelführers gehen können.

Darüber hinaus ist nach inzwischen einhelliger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes für die Zustellung der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Empfänger (Adressat) von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen (BSG SozR 1960 § 5 Nr 2 S 4; BSG, Urteil vom 10. November 1993 - 11 RAr 47/93 -, Umdruck S 7; BAG AP Nr 3 zu § 212a ZPO; BGH NJW-RR 1989, 57, 58; BGH VersR 1989, 1211; BFHE 102, 457, 459; 97, 57, 58; und nach Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes durch das Bundessozialgericht <BSG> auch das BVerwG Buchholz 340 § 5 VwZG Nr 7; BSG, Urteil vom 27. Juni 1978 - 4 RJ 83/77 -, Umdruck S 4 f; GmSOGB vom 21. Dezember 1979 - 2/78 - <unveröffentlicht>). Nach dem Vortrag des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin war diese Voraussetzung nicht vor dem 18. September 1996 erfüllt. Die Berufung wäre - unterstellt, das Zustellungsverfahren war im übrigen fehlerfrei - damit fristgerecht eingelegt worden.

Diesem Ergebnis steht nicht - wie das LSG meint - entgegen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin unter Verletzung seiner Standespflichten als Rechtsanwalt auf die Anmahnung des EB sowohl durch das SG als auch durch das LSG nicht reagiert hat. Die vom LSG befürwortete Anwendung der Grundsätze rechtsmißbräuchlichen Verhaltens im Bereich des Zustellungsrechts würde dem mit dem VwZG verfolgten Ziel zuwiderlaufen, die früheren Schwierigkeiten bei der Feststellung des Zustellungszeitpunktes zu beseitigen. Denn welches Verhalten im Einzelfall rechtsmißbräuchlich wäre, unterläge einer individuellen richterlichen Bewertung, eine derartige Rechtsanwendung würde zu keinem Zugewinn, sondern zu einem Verlust an Rechtssicherheit führen, die zu stärken der Gesetzgeber des VwZG im Sinn hatte. Es besteht auch keinerlei Notwendigkeit, den Gedanken des Rechtsmißbrauchs heranzuziehen, denn das Zustellungsrecht bietet mit den anderen Zustellungsarten, zB durch die Zustellung mittels Postzustellungsurkunde nach § 3 VwZG, hinreichende Möglichkeiten, einem Zustellungsempfänger zu begegnen, der die Zustellung durch das Zurückhalten des EB unter Verletzung von Standespflichten vereitelt. Im vorliegenden Fall hätte es sich daher angeboten, nachdem der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auf Nachfragen des SG nach dem EB nicht reagiert hatte, eine erneute Zustellung zB mittels Postzustellungsurkunde vorzunehmen. Die vereinfachte Form der Zustellung nach § 5 Abs 2 VwZG beruht gerade auf dem besonderen Vertrauen, das Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie einzeln angeführte Berufsangehörige mit öffentlichen Funktionen, ua Rechtsanwälte, genießen. Soweit sich wie hier im Einzelfall dieses Vertrauen unter Verletzung von Amts- oder standesrechtlichen Pflichten als unbegründet erweist, gebietet es der Zweck des Zustellungsrechts, Unsicherheiten bei der Fristberechnung auszuschließen und eine andere Zustellungsart zu wählen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.



Ende der Entscheidung

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