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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 11.12.2002
Aktenzeichen: B 10 LW 14/01 R
Rechtsgebiete: ALG, BGB


Vorschriften:

ALG § 85 Abs 3a
BGB § 121 Abs 1 Satz 1
BGB § 626 Abs 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 10 LW 14/01 R

Verkündet am 11. Dezember 2002

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, die Richter Prof. Dr. Bürck und Masuch sowie die ehrenamtlichen Richter Kolb und Neuhaus

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. April 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt eine rückwirkende und dauernde Befreiung von der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte (AdL).

Die 1956 geborene Klägerin ist seit April 1985 mit einem von der Mitgliedschaft in der AdL befreiten Nebenerwerbslandwirt verheiratet. Nachdem der Ehemann gegenüber der Beklagten eine Auskunft über seinen Personenstand verweigert hatte, erhielt die Beklagte auf Nachfrage hin von der zuständigen Gemeindeverwaltung die entsprechende Auskunft und stellte mit Bescheid vom 2. November 1998 die Versicherungspflicht der Klägerin gemäß § 1 Abs 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) mit Wirkung vom 1. Januar 1995 fest. Auf den Antrag der Klägerin vom 30. November 1998 befreite die Beklagte diese mit Wirkung vom 1. Oktober 1998 wegen Bezugs von Arbeitsentgelt gemäß § 3 Abs 1 Nr 1 ALG von der Versicherungspflicht (Bescheid von 2. September 1999). Den von der Klägerin gegen die Heranziehung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2000 zurück; in der Begründung zu dieser Entscheidung führte sie ua aus, es bestehe keine Befreiungsmöglichkeit nach § 85 ALG, da die Klägerin die einschlägigen Antragsfristen (gemäß § 85 Abs 3 ALG bis 31. März 1996 und gemäß § 85 Abs 3a ALG bis 30. Juni 1996) nicht eingehalten habe.

Die - auf eine Befreiung nach § 85 Abs 3a ALG gerichtete - Klage hat das Sozialgericht Landshut (SG) durch Urteil vom 5. April 2001 mit der Begründung abgewiesen: Die Klägerin erfülle bis auf die Antragsfrist zwar die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Befreiung. Auch komme es hier auf die am 30. Juni 1996 abgelaufene Antragsfrist nicht an, nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteilen vom 28. März 2000 - Az: B 10 LW 2/99 R und B 10 LW 4/99 R - unter Anwendung des in § 34 Abs 2 Satz 3 und 4 ALG enthaltenen Rechtsgedankens bei derartigen Befreiungsanträgen eine Nachfrist eingeräumt habe. Entsprechend den Grundsätzen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und unter Beachtung von Treu und Glauben sei insoweit jedoch für den Befreiungsantrag eine zeitliche Obergrenze von zwei Wochen nach Zugang des Heranziehungsbescheides zu beachten, welche die Klägerin nicht eingehalten habe. Der Bescheid über die Versicherungspflicht vom 2. November 1998 sei ihr am 7. November 1998 bekannt gegeben worden, der Befreiungsantrag jedoch erst am 30. November 1998 bei der Beklagten eingegangen.

Mit ihrer - vom SG zugelassenen - Sprungrevision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Es sei zu klären, ob die zeitliche Obergrenze für die vom BSG im Rahmen des § 85 Abs 3a ALG zugebilligte Überlegungsfrist nur zwei Wochen betrage. Die Urteile des BSG vom 28. März 2000 berücksichtigten, dass die Versicherungspflichtigen einer Fülle von nur schwer überschaubaren gesetzlichen Neuregelungen ausgesetzt gewesen seien. Dies treffe auch für sie als Ehefrau eines befreiten Nebenerwerbslandwirts zu. Der vom BSG verwendete Begriff "ohne schuldhaftes Zögern" sei nicht zwingend als Einschränkung des gesetzlichen Dreimonatszeitraums, sondern als Hinweis darauf zu verstehen, eine missbräuchliche Ausschöpfung auszuschließen. Die vom SG herangezogenen § 121 Abs 1 Satz 1, § 626 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seien hier nicht anwendbar.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. April 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2000 zu verurteilen, sie ab 1. Januar 1995 gemäß § 85 Abs 3a ALG von der Versicherungspflicht zu befreien.

Die Beklagte verteidigt eingehend das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung an das SG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Der Zurückverweisung bedurfte es schon deshalb, weil dem Erfordernis eines Vorverfahrens als Klagevoraussetzung (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG) nicht genügt worden ist, nachdem die Beklagte erstmals im Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2000 den am 30. November 1998 konkludent gestellten Antrag der Klägerin auf dauernde Befreiung von der Versicherungspflicht auf der Grundlage von § 85 Abs 3a ALG abgelehnt und die Klägerin dagegen unmittelbar Klage erhoben hatte. Das SG hat der Beklagten wiederum keine Gelegenheit gegeben, das Vorverfahren nachzuholen (vgl nur BSG Urteil vom 2. August 1977 - 9 RV 102/76 -, SozR 1500 § 78 Nr 8 mwN). Es hat sich auch nicht dazu geäußert, ob diese Prüfung während des Klageverfahrens stattgefunden hat und ob eine förmliche Verbescheidung als durch die vorliegende Klagerwiderung ersetzt angesehen werden kann (vgl dazu näher Meyer-Ladewig, SGG 7. Aufl § 78 RdNr 3c). Da dies jedenfalls nicht ohne Beteiligung der dafür zuständigen Widerspruchsstelle der Beklagten hätte erfolgen können (vgl dazu BSG SozR 1500 § 78 Nr 15), fehlt es insbesondere an der Feststellung des SG, dass die Beklagte dieser Anforderung genügt hat. Im vorliegenden Fall besteht auch keine Veranlassung, - etwa aus prozessökonomischen Gründen - auf die Nachholung des Vorverfahrens zu verzichten (vgl dazu BSG SozR 1500 § 78 Nr 8), da die Tatsachenfeststellungen des SG ohnehin für eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht ausreichen.

Für den von der Klägerin geltend gemachten Befreiungsanspruch ist § 85 Abs 3a ALG einschlägig. Danach sind Versicherte nach § 1 Abs 3 ALG, die die Voraussetzungen nach § 85 Abs 3 Satz 2 Nr 1 ALG erfüllen, ab 1. Januar 1995 befreit, wenn

1. sie am 31. Dezember 1994 mit einem zu diesem Zeitpunkt von der Beitragspflicht in der Altershilfe für Landwirte befreiten Landwirt verheiratet sind,

2. der Wirtschaftswert des Unternehmens der Landwirtschaft nach den betrieblichen Verhältnissen am 1. Januar 1995 20.000 DM nicht überschritten hat,

3. der befreite Unternehmer im Jahre 1994 Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 40.000 DM erzielt hat und

4. die Befreiung bis zum 30. Juni 1996 bei der landwirtschaftlichen Alterskasse (LAK) beantragt wird.

Bis auf die Einhaltung der gesetzlichen Antragsfrist erfüllt die Klägerin diese Voraussetzungen (dazu unter 1.). Da die Versicherungspflicht der Klägerin erst nach dem 30. Juni 1996 rückwirkend ab 1. Januar 1995 festgestellt worden ist, durfte die Beklagte den Befreiungsantrag nicht ohne Weiteres wegen Versäumung der Antragsfrist des § 85 Abs 3a Nr 4 ALG ablehnen (dazu unter 2.). Sofern der Klägerin eine angemessene Überlegungszeit einzuräumen war, ist diese mit ihrem 23 Tage nach Zugang des Heranziehungsbescheides gestellten Befreiungsantrag eingehalten worden (dazu unter 3.). Eine derartige Nachfrist steht ihr allerdings dann nicht zu, wenn sie die verspätete Feststellung ihrer Versicherungspflicht selbst (mit-)verschuldet hat. Insoweit fehlt es an hinreichenden Tatsachenfeststellungen des SG (dazu unter 4.).

1. Der Befreiungsanspruch der Klägerin scheitert nicht schon an den - neben der Antragsfrist - vom Gesetz gestellten Anforderungen. Das SG hat zwar gemeint, es müsse den Antrag der Klägerin unter Hinweis auf eine nicht eingehaltene Antragsfrist von zwei Wochen zurückweisen; unbeschadet dessen hat es aber geprüft, ob die Klägerin die weiteren gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen nach § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 1 bis 3, Abs 3 Satz 2 Nr 1 ALG erfüllt. Mangels dagegen erhobener durchgreifender Rügen ist der erkennende Senat als Revisionsgericht an die betreffenden Feststellungen des SG gebunden (§ 163 SGG). Danach gilt: Die Klägerin war am 31. Dezember 1994 nicht beitragspflichtig (§ 85 Abs 3a Satz 1 iVm Abs 3 Satz 2 Nr 1 ALG) und an diesem Tage mit einem zu jenem Zeitpunkt von der Beitragspflicht in der Altershilfe für Landwirte befreiten Landwirt verheiratet (§ 85 Abs 3a Satz 1 Nr 1 ALG). Der Wirtschaftswert des betreffenden Unternehmens der Landwirtschaft überschritt am 1. Januar 1995 nach den betrieblichen Verhältnissen nicht 20.000 DM (aaO Nr 2), und der befreite Unternehmer (Ehemann der Klägerin) erzielte im Jahre 1994 ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen von mehr als 40.000 DM (Nr 3 aaO).

2. Zutreffend hat das SG ferner unter Beachtung der Urteile des erkennenden Senats vom 28. März 2000 (B 10 LW 4/99 R, B 10 LW 2/99 R) angenommen, dass dem Befreiungsanspruch der Klägerin die Versäumung der Ausschlussfrist nach § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 4 ALG (30. Juni 1996) nicht ausnahmslos entgegensteht. Denn der Ablauf dieser Frist kann grundsätzlich jenen Betroffenen (wie der Klägerin) nicht entgegengehalten werden, deren Versicherungspflicht erst nach diesem Termin bescheidmäßig festgestellt worden ist. Wie der Senat mit seinen Urteilen vom 28. März 2000 erkannt hat, ist insoweit der Rechtsgedanke der Regelung des § 34 Abs 2 Satz 3 iVm Satz 1 ALG auch auf übergangsrechtliche Befreiungsanträge nach § 85 Abs 3 und 3a ALG anzuwenden.

Gemäß § 34 Abs 2 Satz 1 und 2 ALG wird der Beitragszuschuss von Anfang an geleistet, wenn der Antrag binnen dreier Monate nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt wird; bei späterer Antragstellung jedoch erst ab dem Antragsmonat. In Satz 3 heißt es dann: "Bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass die Frist mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt". Satz 4 schränkt Satz 3 wiederum für den Fall ein, dass die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung nach § 3 Abs 1 (zB wegen außerlandwirtschaftlichen Arbeitsentgelts, Pflege) oder § 85 Abs 3b ALG (übergangsrechtliche Befreiungsmöglichkeit für "Neubäuerinnen", solange eine Wirtschaftswertgrenze unter- und eine Erwerbseinkommensgrenze überschritten wird) rückwirkend festgestellt wird: Dann setzt die Anwendung des Satzes 3 voraus, dass die Frist nach Satz 1 aus Gründen versäumt wurde, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat. Damit wird ein Vertrauensschutz des Landwirts dergestalt begründet, dass ihm auch bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht eine dreimonatige Antragsfrist zur Verfügung steht, um in den Genuss des Beitragszuschusses zu gelangen.

Angesichts des übergangsrechtlichen Charakters der Befreiung nach § 85 Abs 3 und 3a ALG hat der Senat den in § 34 Abs 2 Satz 3 und 4 ALG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken auch im vorliegenden Zusammenhang herangezogen. Damit hat er es auch als gerechtfertigt angesehen, dem betroffenen Personenkreis "zumindest eine gewisse Überlegungsfrist zwischen Feststellung der Versicherungspflicht und Befreiungsantrag einzuräumen". Wie die weitere Untersuchung gezeigt hatte, beläuft sich diese Frist nach der gesetzgeberischen Konzeption auch in Übergangsfällen praktisch auf etwa ein Vierteljahr, womit sie den Standardfristen in § 34 Abs 2 Satz 1 und in § 3 Abs 2 ALG entspricht.

3. Entgegen der Auffassung des SG hindert die Dauer der von der Klägerin für ihren Befreiungsantrag in Anspruch genommenen Überlegungszeit (von 23 Tagen) ihre Befreiung nach § 85 Abs 3a ALG nicht.

Zu einer genauen Festlegung der im Rahmen des § 85 Abs 3a ALG zulässigen Überlegensdauer bestand für den erkennenden Senat bislang kein Anlass, nachdem die Klägerin im Verfahren B 10 LW 2/99 R ihren Befreiungsantrag bereits fünfzehn Tage nach dem Bescheiddatum gestellt und damit insoweit jedenfalls ohne schuldhaftes Zögern gehandelt hatte (entsprechend im Verfahren B 10 LW 4/99 R: 10 Tage). Auch wenn der Senat es in seinen Urteilen vom 28. März 2000 noch offen gelassen hat, ob insoweit (wie nach § 34 Abs 2 Satz 3 ALG) ein voller Dreimonatszeitraum anzusetzen ist, hätte das SG schon im Blick auf diese Entscheidungen den Anspruch der Klägerin nicht an einer nur zweiwöchigen Frist scheitern lassen dürfen.

Aber auch aus weiteren grundsätzlichen Erwägungen ist die vom SG angenommene zweiwöchige Überlegungsfrist abzulehnen. In seinem - vom SG offenbar nicht berücksichtigten - Grundsatzurteil vom 17. August 2000 - B 10 LW 22/99 R - (in SozR 3-5868 § 3 Nr 3) hat der erkennende Senat in Fortentwicklung der Urteile vom 28. März 2000 weitere, auch hier bedeutsame Rechtssätze aufgestellt. Danach ist zwischen der entsprechenden Rechtsanwendung des Rechtsgedankens in § 34 Abs 2 Satz 3 ALG und der Anwendung der Grundsätze der Wiedereinsetzung zu unterscheiden. Dies ist - wie das angefochtene Urteil deutlich macht - bereits mit Blick auf die unterschiedliche Länge der eröffneten Fristen von entscheidender Bedeutung. Eine Beschränkung auf eine lediglich zweiwöchige Frist, hergeleitet aus den Grundsätzen der Wiedereinsetzung, trägt den Besonderheiten des (verlängerten) übergangsrechtlichen Befreiungsanspruchs nicht hinreichend Rechnung und entspricht auch nicht den insoweit vom Senat bereits angestellten Überlegungen. Dafür, dass bei der Einräumung einer angemessenen Überlegungsfrist in Fällen des § 85 Abs 3 und 3a ALG nur eine entsprechende Anwendung des § 34 Abs 2 Satz 3 ALG zum Tragen kommen kann, hat der Senat im Übrigen gerade auf den gesetzlichen Ausschluss einer Wiedereinsetzung in § 85 Abs 3 Satz 3, Abs 3a Satz 2 ALG abgestellt. Wie er im Urteil vom 17. August 2000 dargelegt hat, unterscheiden sich die übergangsrechtlichen Befreiungsregelungen von denen in § 3 Abs 2 ALG insbesondere dadurch, dass letztere Regelung eine Wiedereinsetzung (§ 27 SGB X) nicht schon von vornherein ausschließt.

Angesichts der Umstände des vorliegenden Falles muss der erkennende Senat zur weiteren Konkretisierung der "gewissen Überlegungsfrist" zwischen der Bekanntgabe der Feststellung der Versicherungspflicht und dem Stellen des Befreiungsantrags auch jetzt keine Festlegung in der Weise treffen, dass eine Vierteljahresfrist bei "verlängerten" Befreiungsanträgen ebenso zu gelten hat wie bei der unmittelbaren Anwendung von § 34 Abs 2 Satz 1, 3 ALG und § 3 Abs 2 ALG, und wie sie den Betroffenen in den übergangsrechtlichen Fällen des § 85 ALG bei zeitgerechter Feststellung der Versicherungspflicht regelmäßig zur Verfügung gestanden hat. Unabhängig davon sprechen gegen eine Verkürzung der Vierteljahresfrist, zumal auf zwei Wochen, gewichtige Gründe. Insbesondere sind in den übergangsrechtlichen Fällen der Vertrauensschutz und das Informationsbedürfnis angesichts einer Vielzahl von Neuregelungen zu beachten. Immerhin konnten Landwirte - wie der Ehemann der Klägerin - unter der Geltung des § 14 Abs 2 Satz 1 Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte bis zum Inkrafttreten des ALG auf die Möglichkeit einer zeitlich unbegrenzten Befreiung vertrauen. Die Regelung des § 34 Abs 2 Satz 3 ALG schützt den landwirtschaftsrechtlich Unerfahrenen; dieser muss sich nicht schon vor einer Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht über deren Voraussetzungen unterrichten, sondern kann hinsichtlich eines Beitragszuschussantrags auf eine angemessene Überlegungsfrist vertrauen, die erst mit der Bekanntgabe des entsprechenden Bescheides beginnt. Für eine angemessene Überlegungsfrist kann bei Personen wie der Klägerin nicht eine mindere Dauer angesetzt werden als bei jenen Betroffenen, die - wie in Fällen von § 85 Abs 5 und 6 ALG - bereits intensive Kontakte (Versicherungspflichtbescheid/Befreiungsantrag/Befreiungsbescheid; vgl Senatsurteile vom 28. März 2000 aaO) zu einer LAK hatten.

Soweit das SG die kurze Frist des Wiedereinsetzungsrechts unter dem Treu-und-Glauben-Gesichtspunkt ins Feld geführt hat, spricht dies eher gegen eine Verkürzung der Vierteljahresfrist: Einem möglichen Rechtsmissbrauch ist nicht mit einer Rechtsverkürzung iS einer Verknappung der erforderlichen Überlegungszeit, sondern angemessen nur damit zu begegnen, dass die Betroffenen unter Umständen gänzlich von der verlängerten Antragsfrist ausgeschlossen werden (dazu noch unter 4.).

Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang auch Folgendes zu berücksichtigen: Wer weder im Rahmen des Verfahrens über die Feststellung seiner Versicherungspflicht (etwa durch einen Hinweis bei seiner Anhörung) noch durch eine entsprechende Aufklärung in einem nach dem 30. Juni 1996 erteilten Feststellungsbescheid darüber unterrichtet worden ist, dass ihm - neben den gesetzlichen Möglichkeiten der Befreiung nach § 3 ALG und des Beitragszuschusses - trotz Ablaufs der gesetzlichen Antragsfrist noch eine übergangsrechtliche Befreiung (nach § 85 ALG) zu Gebote steht, dem kann jedenfalls eine Verkürzung der ansonsten eingeräumten angemessenen Überlegungsfrist von drei Monaten nicht entgegen gehalten werden. Anderenfalls wäre zu erwägen, ob der LAK nicht unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Berufung auf ein Fristversäumnis des Betroffenen versagt wäre, wenn feststeht, dass sie eine offensichtlich gebotene Beratung über noch bestehende Antragsmöglichkeiten unterlassen hat (vgl zu einer entsprechenden Fallgestaltung LSG Baden-Württemberg vom 21. Oktober 1999 - L 10 LW 653/99 -, E-LSG LW-010). Weil das Eintretenmüssen der Verwaltung für Beratungsmängel verschuldensunabhängig ist, kann es hier nicht darauf ankommen, dass die Beklagte vorliegend bei Erlass des angefochtenen Bescheides die Rechtsprechung des Senats vom 28. März 2000 zur verlängerten Frist nach § 85 Abs 3a iVm § 34 Abs 2 Satz 3 ALG noch nicht kennen konnte.

Nach allem kann der Klägerin jedenfalls nicht entgegengehalten werden, wenn sie nach dem Zugang des Bescheides über ihre Versicherungspflicht - im Rahmen der nach der Rechtsbehelfsbelehrung gegebenen Monatsfrist - 23 Tage für die Information über die Rechtslage und ihre Gestaltungsmöglichkeiten sowie für die Entscheidung benötigt hat, gegen die festgestellte Versicherungspflicht - auch - mit einem Befreiungsantrag vorzugehen.

4. Der Befreiungsanspruch der Klägerin kann jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vertretenmüssens scheitern.

Wie im Leitsatz zum Senatsurteil vom 17. August 2000 aaO für Fälle der rückwirkenden Feststellung der Versicherungspflicht durch die LAK dargelegt, ist eine rückwirkende Befreiung jedenfalls dann nicht möglich, wenn der Betroffene gegen eine Meldepflicht verstoßen und deshalb die Versäumung der Vierteljahresfrist des § 3 Abs 2 ALG zu vertreten hat. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 34 Abs 2 Satz 4 ALG. Danach setzt in Fällen, in denen die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung zB nach § 3 Abs 1 ALG (etwa wegen außerlandwirtschaftlichen Arbeitsentgelts iS der Nr 1 aaO) rückwirkend festgestellt wird, die Anwendung des § 34 Abs 2 Satz 3 ALG voraus, dass die Frist nach Satz 1 dieser Bestimmung aus Gründen versäumt wurde, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat; mit anderen Worten: Die Einräumung der Nachfrist bei Wegfall einer Befreiung ist verschuldensabhängig.

Das SG hat bei seiner Rechtsanwendung nicht berücksichtigt, dass die Nachfristgewährung auch im Anwendungsbereich des § 85 Abs 3a ALG nur möglich ist, wenn es die Klägerin nicht zu vertreten hat, dass ihre Versicherungspflicht erst nach dem 30. Juni 1996 rückwirkend festgestellt wurde. Die Vorinstanz hat indessen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, nämlich der Beachtung von Treu und Glauben (§ 242 BGB), ausgeführt, die Ausübung des Antragsrechtes durch die Klägerin erscheine deshalb treuwidrig, weil diese sich ein Fehlverhalten ihres Ehemannes zurechnen lasse müsse. Dabei hat das SG darauf abgestellt, dass der Ehemann die 1985 erfolgte Eheschließung nicht schon zeitnah der Beklagten angezeigt hatte; wäre er dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte die Beklagte den Versicherungspflichtbescheid zeitgerecht erlassen und die Klägerin demgemäß ihre Befreiung fristgerecht beantragen können.

Diese Ausführungen reichen nicht aus, um die Frage eines Vertretenmüssens der Klägerin abschließend beurteilen zu können. Insbesondere fehlt es an Tatsachenfeststellungen bezüglich eines eigenen Verschuldens der Klägerin. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die ab 1. Januar 1995 gemäß § 1 Abs 3 ALG versicherungspflichtige Klägerin in der Zeit vor dem 30. Juni 1996 zur Unterrichtung der Beklagten über ihren Personenstand (gesetzlich) verpflichtet war und von dieser Pflicht auch Kenntnis hatte (vgl zu Meldepflichten etwa Senatsurteil vom 17. August 2000, SozR 3-5868 § 3 Nr 3 S 13, 17 f; zu den Mitwirkungspflichten im Sozialrechtsverhältnis Senatsurteil vom 6. Februar 2001, SozR 3-5868 § 32 Nr 7 S 43, 49 mwN). Dabei kann es genügen, wenn sie auf Grund der dem Ehemann zugegangenen Unterlagen und Merkblätter über ihre Versicherungspflicht als Ehefrau eines (befreiten) Nebenerwerbslandwirts in Kenntnis gesetzt worden ist und es dann sorgfaltswidrig unterlassen hat, die Beklagte zu unterrichten.

Soweit es das SG für möglich hält, dass der Klägerin ein Meldeversäumnis ihres Ehemannes zuzurechnen ist, lassen die vorinstanzlichen Entscheidungsgründe ebenfalls hinreichende Feststellungen vermissen. Zwar findet der vom SG insoweit herangezogene § 278 BGB auch im Rahmen von Sozialversicherungsverhältnissen entsprechende Anwendung (vgl BSGE 53, 212 = SozR 4100 § 145 Nr 2; BSGE 56, 20 = SozR 4100 § 145 Nr 3; BSGE 71, 213 = SozR 3-4100 § 141e Nr 2), es ist jedoch vorliegend nicht ersichtlich, inwiefern dessen Voraussetzungen gegeben sein sollen. Diese Vorschrift bestimmt: Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters oder der Personen, denen er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient, in gleichem Umfange zu vertreten wie eigenes Verschulden.

Da zwischen der Klägerin und der Beklagten erst seit dem Inkrafttreten des § 1 Abs 3 ALG zum 1. Januar 1995 ein Versicherungsverhältnis besteht, kommt für die Zeit davor eine Anwendung des § 278 BGB grundsätzlich nicht in Betracht. Auch bezogen auf den Zeitraum des Bestehens eines Versicherungsverhältnisses lässt sich eine Haftung der Klägerin für ein Verhalten ihres Ehemannes gegenüber der Beklagten nicht ohne Weiteres begründen. Ein Fall der gesetzlichen Vertretung (vgl §§ 1357, 1422 BGB) liegt fern. Weiter ist fraglich, ob der Ehemann iS eines Erfüllungsgehilfen mit Willen der Klägerin im Verhältnis zur Beklagten als Hilfsperson zur Erfüllung von der Klägerin obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten tätig geworden ist (vgl dazu zB BGHZ 13, 111).

Da der erkennende Senat die zur Beurteilung eines Vertretenmüssens der Klägerin erforderlichen Tatsachen nicht selbst ermitteln kann (vgl § 163 SGG), ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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