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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: B 10 LW 33/00 R
Rechtsgebiete: FELEG, SGG


Vorschriften:

FELEG § 9 Abs 1
SGG § 163
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az: B 10 LW 33/00 R

in dem Rechtsstreit

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 8. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Prof. Dr. Bürck und Masuch sowie die ehrenamtlichen Richter Neuhaus und Dr. Klasen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. September 2000 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Ausgleichsgeld für landwirtschaftliche Arbeitnehmer hat.

Der am 30. September 1941 geborene Kläger war von Januar 1985 bis Februar 1991 Mitglied der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) "N. " in L. und vom 1. März 1991 bis 27. Dezember 1996 als Viehpfleger und Klauenschneider in dem Agrarunternehmen "L. " in B. (im folgenden: AG) in einer Milchviehanlage beschäftigt.

Die AG nahm in der Zeit von 1993 bis 1997 an der konjunkturellen Flächenstillegung nach der Verordnung (EWG) Nr 1765/92 teil. Die Größen der Gesamtfläche und der jeweiligen Stillegungsfläche (Angaben jeweils in ha) sowie die Gesamtzahl der Beschäftigten veränderten sich seit 1993 wie folgt:

Jahr Gesamtfl. Still.fl. Beschäftigte

1993 2.277,00 235,08 70 1994 2.168,00 212,71 64 1995 2.148,00 219,69 55 1996 2.041,00 158,65 49 1997 1.996,00 70,79

Die Entlassung des Klägers mit Schreiben vom 22. November 1996 begründete die AG damit, die Stillegung von Agrarflächen erfordere eine weitere Reduzierung der Arbeitskräfte im Betrieb und eine Reduzierung der Viehwirtschaft.

Die vom Kläger am 3. Dezember 1996 beantragte Zahlung von Ausgleichsgeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 1997 ab. Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 17. November 1997), Klage (Urteil des Sozialgerichts <SG> Dresden vom 13. Januar 1999) und Berufung des Klägers (Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts <LSG> vom 7. September 2000) blieben erfolglos. Nach der Urteilsbegründung des LSG ist die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht aufgrund einer Stillegung landwirtschaftlicher Nutzflächen erfolgt. Sowohl der sachliche als auch der zeitliche Zusammenhang sei nicht gegeben, auch der Proportionalitätsgesichtspunkt spreche nicht für eine stillegungsbedingte Entlassung des Klägers; zwar hätten bei einer Stillegung von 234,08 ha in 1992 acht Arbeitnehmer stillegungsbedingt entlassen werden können. Eine Nichtausschöpfung dieser Quote im Jahre 1993 könne nicht auf Kündigungen im Jahre 1996 pauschal übertragen werden. Der tatsächliche Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers habe ebenfalls nicht auf der Flächenstillegung beruht; allein ein noch so vager Zusammenhang zwischen Beschäftigungsbeendigung und Flächenstillegung entsprechend der Äquivalenztheorie genüge nicht der für das Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG) einschlägigen Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung.

Der Kläger rügt mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision, das LSG habe § 9 Abs 1 FELEG verletzt. Es dürften keine strengen Anforderungen an die Kausalität gestellt werden, vielmehr genüge Mitursächlichkeit. Der Nachweis sei danach bereits erbracht, wenn der Unternehmer bestätige, daß der Verlust des Arbeitsplatzes auf die Stillegung/Abgabe zurückzuführen sei, soweit nicht konkrete Erkenntnisse dagegen sprächen. Hier habe der Unternehmer aber den Verlust des Arbeitsplatzes auf die Stillegung zurückgeführt, ohne daß entgegenstehende Erkenntnisse vorlägen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sächsischen LSG vom 7. September 2000 und das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 13. Januar 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. September 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 1997 Ausgleichsgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausgleichsgeld, weil seine Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer nicht aufgrund von Flächenstillegung geendet hat.

Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 FELEG in der hier maßgebenden Fassung des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (<ASRG 1995> vom 29. Juli 1994, BGBl I 1890) erhalten ua Arbeitnehmer, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, ein Ausgleichsgeld, wenn

1. ihre Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) auf Grund dessen Stillegung (§ 2) oder Abgabe (§ 3) endet und

2. sie in den letzten 120 Kalendermonaten vor der Antragstellung mindestens 90 Kalendermonate in Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des ALG, davon in den letzten 48 Kalendermonaten vor der Stillegung oder Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft mindestens 24 Kalendermonate in diesem Unternehmen hauptberuflich tätig gewesen sind.

Die Leistungen werden nach Satz 2 aaO frühestens ab Vollendung des 55. Lebensjahres, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit ab Vollendung des 53. Lebensjahres, gewährt; das maßgebende Lebensjahr muß vor dem 1. Januar 1997 vollendet sein. Diese Vorschrift gilt gemäß § 13 Abs 1 Nr 6 FELEG entsprechend für Arbeitnehmer, deren Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft auf Grund einer Maßnahme nach Maßgabe von sonstigen (nicht in den Nrn 1-5 aaO genannten) EWG-rechtlichen Vorschriften hinsichtlich einer Stillegung oder Extensivierung landwirtschaftlicher Nutzflächen endet. Gemäß § 18c Abs 1 FELEG gilt § 9 FELEG für am 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet ansässige und rentenversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer mit der Maßgabe, daß auf die nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 2 FELEG erforderlichen Zeiten der Tätigkeit auch Zeiten der hauptberuflichen Tätigkeit in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, einem volkseigenen Gut oder einer vergleichbaren Einrichtung angerechnet werden. Nach § 22 Abs 3 FELEG sind die durch das ASRG 1995 erweiterten Tatbestände des § 13 Abs 1 FELEG ab 1. Januar 1995 (Art 48 Abs 1 ASRG 1995) auch dann anzuwenden, wenn sie bereits vor jenem Zeitpunkt erfüllt sind.

Der Rechtsbegriff "auf Grund" beschreibt nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch einen kausalen Zusammenhang. Nichts anderes gilt im Regelungszusammenhang des FELEG (vgl zu §§ 9, 13 FELEG bereits den Senatsbeschluß vom 18. März 1999 - B 10 LW 11/98 B -, auszugsweise abgedruckt in Neue Landwirtschaft - Briefe zum Agrarrecht 1999, 390 f). Das Gesetz verwendet diesen Begriff nicht nur in § 9 Abs 1 Nr 1 und § 13 Abs 1, sondern an zahlreichen weiteren Stellen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 3 Abs 3, § 6 Abs 3 Satz 5 Nr 1, § 16 Abs 1). Die Bedeutung ist überall dieselbe. Zu Recht hat das LSG sie in der Forderung nach einem Kausalzusammenhang nicht lediglich im philosophisch-naturwissenschaftlichen Sinne (conditio sine qua non) erkannt. Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn ist hier zwar notwendig, sie reicht für den Anspruch auf Ausgleichsgeld aber nicht aus.

Auf dem Gebiet der Sozialversicherung, insbesondere der Unfall- (BSGE 45, 176, 178 = SozR 2200 § 548 Nr 37), aber auch in der Kranken- (BSGE 33, 202, 204 = SozR Nr 48 zu § 182 Reichsversicherungsordnung <RVO>) und Rentenversicherung (BSGE 30, 167, 178 = SozR Nr 79 zu § 1246 RVO), im Recht der sozialen Entschädigung (BSGE 79, 87, 88 = SozR 3-3800 § 2 Nr 5) und im Arbeitsförderungsrecht (BSGE 69, 108, 110 ff = SozR 3-4100 § 119 Nr 6) sowie beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (Bundessozialgericht <BSG> vom 5. Mai 1988 - 12 RK 44/86 - SozSich 1988, 382) wird in ständiger, vom Schrifttum nahezu einhellig gebilligter Rechtsprechung die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung angewandt, die in der Rechtsprechung auch als Theorie der "wesentlich mitwirkenden Ursache" bezeichnet wird (hierzu im einzelnen mit umfangreichen Nachweisen auch: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II S 480 ff, Stand: 1989 sowie Erlenkämper in: Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Aufl 1999, S 74 ff). Es gibt im Gesetz keinen Anhaltspunkt noch sonst einen sachlichen Grund, warum dies im Regelungsbereich des FELEG anders sein sollte. Die hierin geregelten Leistungen - die Produktionsaufgaberente für ältere landwirtschaftliche Unternehmer sowie das Ausgleichsgeld für ältere landwirtschaftliche Arbeitnehmer und mitarbeitende Familienangehörige - mögen zwar vorwiegend agrarstrukturelle Ziele verfolgen (vgl die Antwort der Bundesregierung vom 7. Februar 1995 auf eine parlamentarische Kleine Anfrage, BT-Drucks 13/391 S 8) - sie sind aber Sozialleistungen: § 18 Abs 1 FELEG bestimmt die entsprechende Geltung der für die Alterssicherung der Landwirte maßgebenden Vorschriften des Ersten, Vierten und Zehnten Buches Sozialgesetzbuch; § 18 Abs 4 FELEG ordnet an, daß Streitigkeiten in Angelegenheit dieses Gesetzes Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung sind und demgemäß nach § 51 Abs 1 SGG in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fallen.

Daraus folgt: Bei der in § 9 Abs 1 FELEG geforderten Feststellung eines kausalen Zusammenhanges dürfen als Ursachen für das Ende der Beschäftigung eines landwirtschaftlichen Arbeitnehmers - unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes - nur die (naturwissenschaftlich wirksam gewordenen) Bedingungen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSGE 1, 72, 76; Urteil des Senats vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Beurteilung, ob eine Bedingung wesentlich und deshalb (auch) rechtlich Ursache oder Mitursache ist, stellt eine Wertentscheidung dar (BSGE 69, 108, 113 = SozR 3-4100 § 119 Nr 6). Sie richtet sich nach der Qualität der Bedingung, die nicht davon abhängt, an welcher Stelle der Kausalkette sie steht. Insbesondere ist eine Bedingung nicht erst (oder schon) deshalb wesentlich, weil sie als letzte eingetreten ist und den Erfolg sichtbar gemacht hat (vgl BSGE 13, 40, 42 = SozR Nr 9 zu § 35 Bundesversorgungsgesetz). Entscheidend kommt es stets auf die Umstände des einzelnen Falles an (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 81). Sind zwei oder mehr Ereignisse im gleichen Maße wesentlich für den Erfolg, dann sind sie sämtlich wesentliche Bedingungen und damit Ursachen im Rechtssinn (BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO); ist eine der Bedingungen oder sind mehrere Bedingungen gemeinsam gegenüber anderen Bedingungen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur jene die wesentliche Bedingung und damit die Ursache im Rechtssinne der geltenden Kausalitätslehre (BSGE 12, 242, 245 f = SozR Nr 27 zu § 542 aF RVO).

Das LSG hat sich bei seiner Beurteilung, daß die geforderten Voraussetzungen beim Kläger nicht erfüllt seien, auf eingehende Ausführungen zu den Kausalitätserfordernissen der §§ 9, 13 FELEG gestützt. Es hat erkennbar unterschieden zwischen der Kausalitätsfeststellung (im naturwissenschaftlichen-philosophischen Sinn) als Tatsache und deren Subsumtion unter den Rechtsbegriff der "wesentlichen Ursache" (vgl dazu das Senatsurteil vom 9. August 2001 - B 10 LW 9/00 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, mwN). Die zur Ausfüllung des Kausalitätsbegriffs vom LSG entwickelten Kriterien hat es überwiegend als nicht erfüllt angesehen und deshalb auch eine überwiegende Verursachung der Entlassung des Klägers durch die Flächenstillegung der AG verneint. Dabei hat es im einzelnen entwickelt, warum die hier maßgebliche Flächenstillegung zum Ende des Jahres 1992 nicht mehr auf die Schließung der Milchviehanlage P. wirken konnte. Eine für den Kläger günstigere Entscheidung leitet sich schließlich auch nicht daraus ab, daß die AG ihm einen Zusammenhang zwischen den vorgenommenen Flächenstillungen und seiner Entlassung bescheinigt hat. Diese Behauptung ist im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu überprüfen, die Feststellung eines derartigen Ursachenzusammenhangs obliegt im sozialgerichtlichen Verfahren jedoch allein den Gerichten. Bei seiner Beweiswürdigung war das LSG keineswegs an die Angaben der AG zur rechtlichen Beurteilung der Kausalitätsfrage gebunden, sondern im Gegenteil verpflichtet, sich mit diesem - kritisch - auseinanderzusetzen. Diese Feststellungen des LSG hat der Kläger nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen, so daß sie für den Senat bindend sind (§ 163 SGG). Ein Anspruch auf Ausgleichsgeld besteht danach nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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