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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 09.08.2001
Aktenzeichen: B 10 LW 9/00 R
Rechtsgebiete: FELEG


Vorschriften:

FELEG § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1
FELEG § 13 Abs 1
FELEG § 18c Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 9. August 2001

Az: B 10 LW 9/00 R

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. August 2001 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Dau und Dr. Kocher sowie die ehrenamtlichen Richter Gerner und Freiherr Grote

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 17. März 1999 aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Ausgleichsgeld für landwirtschaftliche Arbeitnehmer hat.

Der 1939 geborene Kläger arbeitete ab 1984 als Tierpfleger bei dem Volkseigenen Gut (VEG) Tierproduktion L (ab 1991 Gut L GmbH, später: Agrargut GmbH i.L.). Dort wurden im Jahre 1993 652 ha Nutzfläche bewirtschaftet und 420 Milchkühe gehalten. Ab 1993 wurden landwirtschaftliche Nutzflächen stillgelegt (1993: 62 ha; 1994 und 1995 <nach Angaben des Klägers> 73 ha bzw 85 ha). Der Viehbestand sank 1993 auf 200 Tiere und wurde 1995 weiter reduziert. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete am 31. August 1995 durch Arbeitgeberkündigung. Im September 1995 verkaufte die Agrargut GmbH i.L. den Stallbetrieb. Der Kläger beantragte bereits im April 1995 Ausgleichsgeld. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 20. Juni 1996; Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1997). Die Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 11. Februar 1998). Das Landessozialgericht für das Land Brandenburg (LSG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. September 1995 Ausgleichsgeld für landwirtschaftliche Arbeitnehmer zu zahlen (Urteil vom 17. März 1999). Der Kläger erfülle alle Voraussetzungen für diese Leistung; insbesondere habe seine Beschäftigung - wie in § 9 Abs 1 des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG) gefordert - auf Grund von Flächenstillegungen geendet.

Die Beklagte rügt mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision, das LSG habe § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm §§ 13 Abs 1 und 18c Abs 1 FELEG verletzt. Der unbestimmte Rechtsbegriff "auf Grund" umschreibe einen kausalen Zusammenhang zwischen der (Teil-)Flächenstillegung und dem Ende der Beschäftigung. Aus den Gesetzgebungsmaterialien zum FELEG, insbesondere aber auch aus der Gesetzesbegründung zu § 18c FELEG, ergebe sich, daß ein - auch zeitlich - enger Zusammenhang zwischen der Maßnahme (zB Stillegung) und dem Verlust des Arbeitsplatzes bestehen müsse. Es reiche danach nicht aus, wenn das Ende der Beschäftigung mit einer Flächenstillegung zwar zeitlich zusammentreffe, jedoch ein innerer Zusammenhang fehle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 17. März 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung begründet.

Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung materiellen Rechts. Das LSG hat den hier allein umstrittenen, in § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und § 13 Abs 1 FELEG verwendeten Begriff "auf Grund" verkannt.

Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 FELEG in der hier maßgebenden Fassung des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (<ASRG 1995> vom 29. Juli 1994, BGBl I 1890) erhalten ua Arbeitnehmer, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, ein Ausgleichsgeld, wenn

1. ihre Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) auf Grund dessen Stillegung (§ 2) oder Abgabe (§ 3) endet und

2. sie in den letzten 120 Kalendermonaten vor der Antragstellung mindestens 90 Kalendermonate in Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des ALG, davon in den letzten 48 Kalendermonaten vor der Stillegung oder Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft mindestens 24 Kalendermonate in diesem Unternehmen hauptberuflich tätig gewesen sind.

Die Leistungen werden nach Satz 2 aaO frühestens ab Vollendung des 55. Lebensjahres, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit ab Vollendung des 53. Lebensjahres, gewährt; das maßgebende Lebensjahr muß vor dem 1. Januar 1997 vollendet sein. Diese Vorschrift gilt gemäß § 13 Abs 1 Nr 6 FELEG entsprechend für Arbeitnehmer, deren Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft auf Grund einer Maßnahme nach Maßgabe von sonstigen (nicht in den Nrn 1-5 aaO genannten) EWG-rechtlichen Vorschriften hinsichtlich einer Stillegung landwirtschaftlicher Nutzflächen endet. Gemäß § 18c Abs 1 FELEG gilt § 9 FELEG für am 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet ansässigen und rentenversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer mit der Maßgabe, daß auf die nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 2 FELEG erforderlichen Zeiten der Tätigkeit auch Zeiten der hauptberuflichen Tätigkeit in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, einem volkseigenen Gut oder einer vergleichbaren Einrichtung angerechnet werden. Nach § 22 Abs 3 FELEG sind die durch das ASRG 1995 erweiterten Tatbestände des § 13 Abs 1 FELEG ab 1. Januar 1995 (Nr 48 Abs 1 ASRG 1995) auch dann anzuwenden, wenn sie bereits vor jenem Zeitpunkt erfüllt sind.

Der Rechtsbegriff "auf Grund" beschreibt nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch einen kausalen Zusammenhang. Nichts anderes gilt im Regelungszusammenhang des FELEG (vgl zu §§ 9, 13 FELEG bereits den Senatsbeschluß vom 18. März 1999 - B 10 LW 11/98 B -, auszugsweise abgedruckt in Neue Landwirtschaft - Briefe zum Agrarrecht 1999, 390 f). Das Gesetz verwendet diesen Begriff nicht nur in § 9 Abs 1 Nr 1 und § 13 Abs 1, sondern an zahlreichen weiteren Stellen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 3 Abs 3, § 6 Abs 3 Satz 3 Nr 1, § 16 Abs 1). Die Bedeutung ist überall dieselbe. Zu Unrecht hat das LSG sie in der Forderung nach einem Kausalzusammenhang lediglich im philosophisch-naturwissenschaftlichen Sinne (conditio sine qua non) erkannt. Dieses Auslegungsergebnis teilt das LSG zwar nicht ausdrücklich mit. Es folgt aber - schlüssig - aus der im Berufungsurteil getroffenen Feststellung, "u.a. auch die Flächenstillegung" habe zum Wegfall des vom Kläger innegehabten Arbeitsplatzes geführt. Denn damit sind zugleich weitere, im einzelnen im Berufungsurteil nicht benannte Ursachen festgestellt, auf deren Bedeutung im Ursachengefüge es nach dem Verständnis des LSG für den Anspruch auf Ausgleichsgeld offenbar nicht ankommt, weil es genügt, daß die (Teil-)Ursache Flächenstillegung nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß das Ergebnis (Ende der Beschäftigung des Klägers) entfiele. Diese Kausalitätsbetrachtung widerspricht dem Gesetz. Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn ist hier zwar notwendig, sie reicht für den Anspruch auf Ausgleichsgeld aber nicht aus.

Auf dem Gebiet der Sozialversicherung, insbesondere der Unfall- (BSGE 45, 176, 178 = SozR 2200 § 548 Nr 37), aber auch in der Kranken- (BSGE 33, 202, 204 = SozR Nr 48 zu § 182 Reichsversicherungsordnung <RVO>) und Rentenversicherung (BSGE 30, 167, 178 = SozR Nr 79 zu § 1246 RVO), im Recht der sozialen Entschädigung (BSGE 79, 87, 88 = SozR 3-3800 § 2 Nr 5) und im Arbeitsförderungsrecht (BSGE 69, 108, 110 ff = SozR 3-4100 § 119 Nr 6) sowie beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (BSG vom 5. Mai 1988 - 12 RK 44/86 - SozSich 1988, 362) wird in ständiger, vom Schrifttum nahezu einhellig gebilligter Rechtsprechung die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung angewandt, die in der Rechtsprechung auch als Theorie der "wesentlich mitwirkenden Ursache" bezeichnet wird (hierzu im einzelnen mit umfangreichen Nachweisen auch: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II S 480 ff, Stand: 1989 sowie Erlenkämper in: Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Aufl 1999, S 74 ff). Es gibt im Gesetz keinen Anhaltspunkt noch sonst einen sachlichen Grund, warum dies im Regelungsbereich des FELEG anders sein sollte. Die hierin geregelten Leistungen - die Produktionsaufgaberente für ältere landwirtschaftliche Unternehmer sowie das Ausgleichsgeld für ältere landwirtschaftliche Arbeitnehmer und mitarbeitende Familienangehörige - mögen zwar vorwiegend agrarstrukturelle Ziele verfolgen (vgl die Antwort der Bundesregierung vom 7. Februar 1995 auf eine parlamentarische Kleine Anfrage, BT-Drucks 13/391 S 8) - sie sind aber Sozialleistungen: § 18 Abs 1 FELEG bestimmt die entsprechende Geltung der für die Alterssicherung der Landwirte maßgebenden Vorschriften des Ersten, Vierten und Zehnten Buches Sozialgesetzbuch; § 18 Abs 4 FELEG ordnet an, daß Streitigkeiten in Angelegenheit dieses Gesetzes Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung sind und demgemäß nach § 51 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fallen.

Daraus folgt: Bei der in § 9 Abs 1 FELEG geforderten Feststellung eines kausalen Zusammenhanges dürfen als Ursachen für das Ende der Beschäftigung eines landwirtschaftlichen Arbeitnehmers - unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes - nur die (naturwissenschaftlich wirksam gewordenen) Bedingungen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSGE 1, 72, 76; Urteil des Senats vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Beurteilung, ob eine Bedingung wesentlich und deshalb (auch) rechtlich Ursache oder Mitursache ist, stellt eine Wertentscheidung dar (BSGE 69, 108, 113 = SozR 3-4100 § 119 Nr 6). Sie richtet sich nach der Qualität der Bedingung, die nicht davon abhängt, an welcher Stelle der Kausalkette sie steht. Insbesondere ist eine Bedingung nicht erst (oder schon) deshalb wesentlich, weil sie als letzte eingetreten ist und den Erfolg sichtbar gemacht hat (vgl BSGE 13, 40, 42 = SozR Nr 9 zu § 35 Bundesversorgungsgesetz <BVG>). Entscheidend kommt es stets auf die Umstände des einzelnen Falles an (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 81). Sind zwei oder mehr Ereignisse im gleichen Maße wesentlich für den Erfolg, dann sind sie sämtlich wesentliche Bedingungen und damit Ursachen im Rechtssinn (BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO); ist eine der Bedingungen oder sind mehrere Bedingungen gemeinsam gegenüber anderen Bedingungen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur jene die wesentliche Bedingung und damit die Ursache im Rechtssinne der geltenden Kausalitätslehre (BSGE 12, 242, 245 f = SozR Nr 27 zu § 542 aF RVO).

Auf dieser Grundlage ist nunmehr zu entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers "auf Grund" der Flächenstillegung geendet hat. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Kausalitätsfeststellung (im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn) als Tatsache und deren Subsumtion unter den Rechtsbegriff der "wesentlichen Ursache" (BSGE 1, 268, 269 f; 7, 288, 290 f; Urteil des Senats vom 29. Juli 1998 - B 9 V 10/97 R - , SGb 1998, 582 f; May, Die Revision, 2. Aufl 1997, 374 f; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, 402). Das LSG hat in dem angegriffenen Urteil allein die Mitursächlichkeit der Flächenstillegung und damit nicht sämtliche für eine Entscheidung notwendigen Tatsachen festgestellt. Der Senat als Revisionsgericht kann diese Lücke nicht schließen (§ 163 SGG). Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Im wiedereröffneten Berufungsverfahren werden im angegriffenen Urteil im einzelnen noch nicht benannte weitere (Teil-)Ursachen (etwa die Umstrukturierung des Betriebes, die Vorbereitung auf den Verkauf des Betriebes insgesamt oder von Betriebsteilen bzw die Veräußerung der entsprechenden Betriebsteile mit nahezu der gesamten landwirtschaftlichen Fläche, die - weitere - Reduzierung des Viehbestandes im Jahre 1995) für das Beschäftigungsende festzustellen, zu gewichten und gegen die (Teil-)Ursache Flächenstillegung abzuwägen sein. Um deren Bedeutung im Ursachengefüge zu bestimmen, läßt sich grundsätzlich auf die von der Rechtsprechung (vgl zB Sächsisches LSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - L 6 LW 15/00 - NJ 2001, 392) und vom Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen nach Abstimmung mit den Bundesministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Arbeit und Sozialordnung (vgl GLA-RdSchr Nr 11/95 vom 9. Januar 1995 und Nr 99/96 vom 20. Juni 1996) entwickelten Kriterienkataloge zurückgreifen (zB: innerer Zusammenhang, zeitlicher Zusammenhang, Proportionalität, Wegfall des innegehabten Arbeitsplatzes, Flächenbezug der Tätigkeit).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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