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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 09.09.1999
Aktenzeichen: B 11 AL 19/99 R
Rechtsgebiete: AFG


Vorschriften:

AFG § 44 Abs 1
AFG § 41 Abs 1
AFG § 41
In die fachbezogene dreijährige Berufstätigkeit als Zugangsvoraussetzung für die Förderung einer beruflichen Fortbildung im Sinn von § 41 Abs. 1 AFG werden auch Zeiten der Arbeitslosigkeit eingerechnet.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Az: B 11 AL 19/99 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit, Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am 9. September 1999 ohne mündliche Verhandlung durch den Richter Lüdtke als Vorsitzenden, die Richter Voelzke und Dr. Leitherer sowie die ehrenamtlichen Richter Meid und Winnefeld

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. November 1997 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Der Kläger beansprucht die Förderung seiner Teilnahme an einer beruflichen Fortbildungsmaßnahme durch Unterhaltsgeld (Uhg) als Zuschuß statt als Darlehen.

Der 1962 geborene Kläger erlernte nach dem Hauptschulabschluß den Beruf "Radio- und Fernsehtechniker". Nach der Gesellenprüfung am 27. Februar 1986 war er zwei Monate als Aushilfe im erlernten Beruf tätig. Der Kläger leistete vom 2. Juni 1986 bis 30. September 1987 Zivildienst. Nach einer anschließenden Zeit der Arbeitslosigkeit arbeitete er vom 1. Mai 1988 bis zum 31. Dezember 1989 als Medizintechniker. Anschließend war er erneut arbeitslos.

Der Kläger beantragte am 12. November 1990 die Förderung der Teilnahme an einer weiterbildenden beruflichen Bildungsmaßnahme (Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker - Fachrichtung: Elektrotechnik - Schwerpunkt: Nachrichtentechnik - an der Staatlichen Technikerschule Berlin). Er gab ua die Erklärung ab, nach Abschluß der Maßnahme ein zumutbares Arbeitsangebot an einem beliebigen Ort im Geltungsbereich des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) anzunehmen (sog "Mobilitätserklärung"). Der "Maßnahmebogen" des Arbeitsamtes enthält unter der Rubrik Zugangsvoraussetzungen die Eintragung, daß der Hauptschulabschluß sowie eine abgeschlossene fachbezogene Berufsausbildung und fachbezogene Berufstätigkeit von drei Jahren oder sechsjährige fachbezogene Berufstätigkeit erforderlich sei.

Der Kläger besuchte die Maßnahme vom 18. Februar 1991 bis zum 14. März 1992 und vom 1. September 1992 bis zum 29. Juni 1993. Die Unterbrechung der Maßnahme beruhte darauf, daß die Staatliche Technikerschule Berlin den Schwerpunkt Nachrichtentechnik im Sommersemester 1992 nicht anbot. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) gewährte während der Teilnahme des Klägers an der Maßnahme Uhg als Darlehen, lehnte jedoch die Zahlung von Uhg als Zuschuß mangels arbeitsmarktpolitischer Notwendigkeit ab (Bescheide vom 3. April 1991 und 4. November 1992; Widerspruchsbescheid vom 10. August 1993).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: Die Beklagte habe die Notwendigkeit der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme zu Recht verneint. Die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme müsse erwarten lassen, daß die Eingliederungschancen nach Abschluß der Maßnahme erheblich verbessert seien; es müsse die begründete Aussicht bestehen, daß dem Antragsteller infolge der Maßnahme ein angemessener Dauerarbeitsplatz verschafft werden könne. Die von der Beklagten aufgestellte Beschäftigungsprognose habe sich sowohl auf der Grundlage der vorgelegten Daten als auch nach der tatsächlich ungünstigen Entwicklung der Arbeitsmarktsituation als richtig erwiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Der Kläger erfülle schon nicht die von der Beklagten im Maßnahmebogen aufgestellte Zugangsvoraussetzung "fachbezogene dreijährige Berufstätigkeit". Nach Beendigung der Berufsausbildung habe der Kläger zunächst zwei Monate in seinem Ausbildungsbetrieb sowie weitere 20 Monate als Medizintechniker gearbeitet. Die Beklagte sei berechtigt, für die von ihr geförderten Bildungsmaßnahmen Zugangsvoraussetzungen aufzustellen. Die Anforderungen an die vorherige berufliche Tätigkeit hielten sich im Rahmen des § 41 Abs 1 AFG. Es sei nicht ersichtlich, daß die Anforderung einer fachbezogenen dreijährigen Berufstätigkeit sachfremd wäre. Vielmehr machten die vom Kläger im Verfahren vor dem SG vorgelegten Auskünfte der Arbeitsämter deutlich, daß eine Berufsausbildung an Wert verliere, wenn der Bewerber nicht nach Abschluß der Berufsausbildung in diesem Berufsbild tätig gewesen sei.

Mit der - vom Bundesssozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 44 Abs 1, 41 Abs 1 AFG: Er habe an einer ihm von der Beklagten bewilligten Maßnahme zur beruflichen Fortbildung mit ganztägigem Unterricht teilgenommen. Er habe daher Anspruch auf Zahlung von Uhg. Abhängig davon, ob die Teilnahme an der Maßnahme notwendig oder nur zweckmäßig sei, sei das Uhg entweder als Zuschuß oder als Darlehen zu zahlen. Daraus, daß nach Auffassung des LSG die Beklagte nach ihren eigenen internen Richtlinien dem Kläger zu Unrecht die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme überhaupt gewährt habe, könne nicht gefolgert werden, daß die Teilnahme nicht notwendig sein könne. Der Beklagten stehe im übrigen nicht das Recht zu, als Zugangsvoraussetzung für die Teilnahme an einer Maßnahme zur beruflichen Fortbildung mehr zu verlangen, als eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung. Die Aufstellung der weiteren Zugangsvoraussetzung im Maßnahmebogen verstoße gegen § 41 Abs 1 AFG, weil es nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nur darauf ankomme, ob alternativ entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung vorliege. Im übrigen sei die Prognose hinsichtlich der Beschäftigungsaussichten so gewesen, wie der Kläger dies behauptet habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 3. April 1991 und 4. November 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. August 1993 sowie unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 1996 und des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 7. November 1997 zu verurteilen, ihm Unterhaltsgeld ab Leistungsbeginn als Zuschuß zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, es sei nicht der Begründung des LSG, sondern den Gründen des klagabweisenden erstinstanzlichen Urteils zu folgen. Das SG habe zutreffend und ausführlich begründet, daß die Beklagte zu Recht die Voraussetzung der Notwendigkeit der Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme verneint habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz).

II

Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Das Urteil des LSG verletzt § 41 Abs 1 AFG. Für eine abschließende Entscheidung des BSG reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus.

Allerdings ist dem Einwand der Revision nicht zu folgen, das LSG habe seine Entscheidung nicht darauf stützen dürfen, daß die Anspruchsvoraussetzungen für das Unterhaltsgeld nicht vorgelegen hätten, weil der Kläger tatsächlich an der Maßnahme teilgenommen und die Beklagte ihm hierfür Uhg als Darlehen zuerkannt habe. Insoweit verkennt sie den Umfang der Bindungswirkung des bewilligenden Bescheides. Denn in der Rechtsprechung zum Arbeitsförderungsrecht ist seit jeher an dem Grundsatz festgehalten worden, daß sich die Bindungswirkung des Bescheides auf die bewilligte Leistung beschränkt und die Verpflichtung des Gerichts, den streitigen Anspruch unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, nicht etwa durch eine Bindungswirkung der Begründung oder durch ein Verbot des Auswechselns der Gründe eingeschränkt wird (vgl nur BSGE 66, 168, 175 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1 mwN). Fehlt es also bereits an den Anspruchsvoraussetzungen für die Zubilligung einer Leistung, so kann weder ein Anspruch auf höhere Leistung noch eine qualitativ andere Leistung (Uhg als Zuschuß statt als Darlehen) bestehen.

Die Revision rügt jedoch mit Recht, das LSG habe die Voraussetzungen für die Förderungsfähigkeit der vom Kläger besuchten Bildungsmaßnahme deshalb verneint, weil der Kläger die Zugangsvoraussetzung "fachbezogene dreijährige Berufstätigkeit" nicht erfülle. Das LSG hat aus den Eintragungen im Maßnahmebogen gefolgert, die Beklagte habe hierdurch eine maßnahmebezogene Anforderung an die vorherige berufliche Tätigkeit des Teilnehmers aufgestellt, die sich im Rahmen des § 41 AFG halte. Das LSG hat nicht ausgeführt, auf welcher rechtlichen Grundlage und in welcher Form die Beklagte eine angebliche Entscheidung über die fragliche Zugangsvorausetzung getroffen haben soll. Dies kann allerdings auf sich beruhen, denn an der Aufstellung derartiger Zugangsvoraussetzungen ist die Beklagte durch die Regelung des § 41 Abs 1 AFG gehindert.

Nach § 41 Abs 1 AFG (in der unveränderten Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 1969, BGBl I S 582) fördert die Bundesanstalt die Teilnahme an Maßnahmen, die das Ziel haben, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzen (berufliche Fortbildung). In dieser Regelung sind inhaltliche und förmliche Anforderungen an Fortbildungsmaßnahmen enthalten. Das BSG hat in der Zugangsvoraussetzung der abgeschlossenen Berufsausbildung bzw der angemessenen Berufserfahrung eine objektive Voraussetzung für die Teilnahme an einer Maßnahme gesehen, damit diese als berufliche Fortbildung förderungsfähig ist (BSGE 36, 48, 50; BSGE 37, 163, 168 = SozR 4100 § 41 Nr 1). Die vorgenannte Anforderung soll sicherstelllen, daß das Maßnahmeangebot auf dem vorhandenen Wissen der Teilnehmer aufbaut und entsprechend gestrafft ist (Richter in: Gagel, AFG, § 41 RdNr 2 mwN).

Die in § 41 Abs 1 AFG als objektives Merkmal einer Fortbildungsmaßnahme enthaltene Zugangsvoraussetzung ist erfüllt, wenn der Maßnahmeträger entweder das Vorliegen einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung verlangt. Das BSG hat zu dieser Anforderung an den Begriff der Fortbildungsmaßnahme unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes entschieden, daß die BA nicht befugt ist, entgegen den gesetzlichen Anforderungen die Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung zwingend kumulativ vorzuschreiben. Auch eine Erhöhung der gesetzlich festgelegten Zugangsvoraussetzungen und damit eine Änderung des Begriffs der Fortbildungsmaßnahme durch das Anordnungsrecht ist der BA durch die in § 39 AFG enthaltene Ermächtigung verwehrt (BSGE 37, 163, 168 = SozR 4100 § 41 Nr 1; Urteil vom 6. März 1975 - 7 RAr 104/73 -; Urteil vom 11. Mai 1976 - 7 RAr 5/75 -). Einwände gegen diese Rechtsprechung sind im Schrifttum weder erhoben worden (vgl Richter in: Gagel, AFG, § 41 RdNr 5; Hennig, AFG, § 41 RdNr 39; Menard in: Niesel, AFG, 2. Aufl 1997, § 41 RdNr 5) noch sonst ersichtlich.

Die vorgenannte Rechtsprechung findet ihre Bestätigung im übrigen in der weiteren Gesetzesentwicklung, denn das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S 3113) faßte vor dem Hintergrund der vorgenannten Rechtsprechung unter Beibehaltung des § 41 Abs 1 AFG die Regelung in § 42 Abs 1 AFG mit Wirkung vom 1. Januar 1976 neu. Diese Vorschrift enthält seither als persönliche, dh sich an den Antragsteller wendende Voraussetzung der Förderung das Erfordernis einer mindestens dreijährigen beruflichen Tätigkeit bzw einer sechsjährigen Berufstätigkeit für Antragsteller ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Das Erfordernis einer beruflichen Vortätigkeit soll gewährleisten, nur Arbeitnehmer mit einer angemessenen Berufspraxis in den Genuß von Förderungsleistungen kommen zu lassen und sog Durchstarter, die unmittelbar im Anschluß an die schulische oder betriebliche Berufsausbildung weiterführende Schulen besuchen oder ihre Ausbildung durch die Teilnahme an Lehrgängen vertiefen oder erweitern wollen, von der Förderung der Fortbildung auszuschließen (BT-Drucks 7/4127 S 49). Da die Anforderung einer vorherigen beruflichen Tätigkeit bereits als persönliche Förderungsvoraussetzung eine ausdrückliche Regelung erfahren hat, ist auch aus diesem Grunde ein Bedürfnis, zusätzliche Anforderungen an den Zugang zur Fortbildungsmaßnahme zu stellen, entgegen der Auffassung des LSG nicht anzuerkennen.

Den Feststellungen des LSG kann entnommen werden, daß die Voraussetzungen des § 42 AFG (hier idF, die die Vorschrift durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 - BGBl I S 2484 - erhalten hat) vorliegend erfüllt sind. Denn der Kläger, der eine abgeschlossene Berufsausbildung iS des § 42 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG absolviert hat (vgl zu den Anforderungen an eine abgeschlossene Berufsausbildung BSG SozR 3-4460 § 10 Nr 1; Urteil vom 4. Februar 1999 - B 7 AL 12/98 R - mwN), weist auch die erforderliche berufliche Vortätigkeit von drei Jahren auf. Zwar war der Kläger nach Abschluß der Berufsausbildung lediglich 22 Monate beruflich tätig, jedoch bestimmt § 42 Abs 3 Satz 1 AFG, daß auf die erforderliche Dauer der beruflichen Tätigkeit Zeiten, in denen der Antragsteller beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet war, angerechnet werden. Hierbei wird auch die Höchstanrechnungsdauer der Hälfte der erforderlichen Vorbeschäftigungszeit (§ 42 Abs 3 Satz 2 AFG) nicht überschritten.

Der Senat vermag nicht abschließend zu entscheiden, weil das LSG nicht die erforderlichen Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen der Förderung getroffen hat. Das Urteil des LSG enthält - nach der von ihm vertretenen Rechtsansicht folgerichtig - insbesondere keine Tatsachenfeststellungen zur Beurteilung der hier streitigen Frage der Notwendigkeit der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme iS des § 44 Abs 2 Satz 2 AFG (vgl zu der Überprüfung vergleichbarer Prognoseentscheidungen BSGE 67, 228, 230 ff = SozR 3-4100 § 36 Nr 1; BSG SozR 3-4460 § 12 Nr 2). Deshalb ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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