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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 05.02.2004
Aktenzeichen: B 11 AL 47/03 R
Rechtsgebiete: SGB III, SGB X


Vorschriften:

SGB III § 325 Abs 4
SGB X § 27
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 5. Februar 2004

Az: B 11 AL 47/03 R

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2004 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, die Richter Voelzke und Dr. Leitherer sowie den ehrenamtlichen Richter Gehrken und die ehrenamtliche Richterin Haase

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Auszahlung von Wintergeld (WG) für den Monat Februar 2001.

Die klagende GmbH ist ein Betrieb des Baugewerbes, der Arbeitnehmer auf witterungsabhängigen Arbeitsplätzen beschäftigt und dem Bundesrahmentarifvertrag-Bau unterfällt. Bei ihr besteht kein Betriebsrat. Die Beklagte hatte der Klägerin auf einen Antrag vom 9. Februar 2001, der am 19. Februar 2001 eingegangen war, mit Bescheid vom 1. März 2001 für den Monat Januar 2001 WG bewilligt. Die bei der Beklagten über die Klägerin geführten Betriebsakten enthalten für den Monat Februar 2001 nur einen Auszahlungsantrag mit dem Eingangsdatum 18. Juni 2001, der an diesem Tag per Fax als Kopie eines auf den 8. März 2001 datierten Antrags auf Mehraufwands-WG für den Monat Februar 2001 einging. Die Klägerin beantragte im Fax zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Antragsfrist. Die bei der Klägerin beschäftigte Angestellte H. versicherte, den Antrag mit Schreiben vom 13. März 2001 per Post der Beklagten zugeleitet und erst anlässlich eines Telefonats am 18. Juni 2001 erfahren zu haben, dass der Antrag dort nicht eingegangen sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 25. Juni 2001, Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2001). Der Antrag sei erst nach der am 31. Mai 2001 abgelaufenen Ausschlussfrist für den Abrechnungsmonat Februar 2001 eingegangen. Die Klägerin trage das Übermittlungsrisiko des von ihr gestellten Antrags. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei wegen der versäumten Ausschlussfrist nicht zulässig.

Das Sozialgericht Heilbronn hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2001), das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25. Juni 2003). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf WG für Februar 2001, denn der Antrag sei nicht rechtzeitig gestellt worden. Die dreimonatige Antragsfrist sei am 31. Mai 2001 abgelaufen. Bis zu diesem Tag sei ein Antragseingang bei der Beklagten nicht festzustellen. Es komme nicht darauf an, ob die Klägerin den Antrag rechtzeitig zur Post gegeben habe, da sie das Übermittlungsrisiko für den Zugang des Antrags als öffentlich-rechtlicher Willenserklärung trage. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) sei ausgeschlossen. Die Antragsfrist in § 325 Abs 4 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) sei eine Ausschlussfrist, wie die schon vor Inkrafttreten des SGB III geltenden Fristen des § 81 Abs 3 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und § 80 Abs 1 Satz 4 AFG. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den früheren Fristbestimmungen sei weiterhin maßgebend. Der Gesetzgeber habe mit dem Begriff "Ausschlussfrist" für eine Kontinuität des Ausschlusses der Wiedereinsetzungsmöglichkeit bei Versäumung der hier in Rede stehenden Frist gesorgt. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen zu prüfen, ob eine verspätete Antragstellung nach § 324 Abs 1 Satz 2 SGB III zur Vermeidung unbilliger Härten zuzulassen sei. Diese Regelung sei auf § 324 Abs 1 Satz 1 SGB III beschränkt, dh auf die Fälle, in denen die Leistungserbringung davon abhängig sei, dass der Antrag vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses gestellt werde. Abweichend davon sei für das Wintergeld in § 324 Abs 2 Satz 2 SGB III geregelt, dass die Leistung nachträglich zu beantragen sei.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 325 Abs 4 SGB III und § 27 SGB X. Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass wegen der Versäumung der Antragsfrist des § 325 Abs 4 SGB III eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich sei. § 27 SGB X lasse allgemein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu. Der Ausschluss der Wiedereinsetzung müsse nach § 27 Abs 5 SGB X durch eine Rechtsvorschrift geregelt sein. Eine derartige Regelung enthalte § 325 Abs 4 SGB III nicht. Die Klägerin beruft sich für diese Ansicht auf Gagel SGB III § 325 RdNr 18.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2003 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. Dezember 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Mehraufwands-Wintergeld für den Monat Februar 2001 auszubezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2003 zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das angefochtene Urteil sei zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Urteil des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Mehraufwands-WG, denn sie hat es nicht rechtzeitig beantragt.

Nach § 325 Abs 4 SGB III (idF des Art 1 Nr 6 Gesetz zur Neuregelung der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft vom 23. November 1999 <BGBl I 2230>) ist ua WG (Mehraufwands-WG nach § 212 SGB III und Zuschuss-WG nach § 213 SGB III) innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen, für die Leistungen beantragt werden. Die Klägerin, die nach § 323 Abs 2 Satz 1 SGB III als Arbeitgeberin den Antrag zu stellen hatte, hätte das WG für Februar 2001 bis zum 31. Mai 2001 beantragen müssen. Vor dem 18. Juni 2001 ist ein Antrag bei der Beklagten nach den Feststellungen des LSG jedoch nicht eingegangen. Es kann offen bleiben, ob die Klägerin den Antrag, wie von ihr angegeben, im Februar 2001 zur Post gegeben hat. Wirksam wird der Antrag als öffentlich-rechtliche Willenserklärung erst mit Zugang bei der Beklagten. Das Übermittlungsrisiko und damit auch das Risiko des Verlustes auf dem Postweg trägt die Klägerin (BSG SozR 3-4100 § 81 Nr 1 mwN).

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin nach § 27 SGB X wegen der versäumten Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 27 Abs 1 SGB X ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Vorschrift gilt sowohl für die Versäumung von Verfahrensfristen als auch für die Versäumung von materiellen Fristen (BSG SozR 3-4100 § 81 Nr 1 mwN). Die Wiedereinsetzung ist nach § 27 Abs 5 SGB X jedoch unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Der Ausschluss der Wiedereinsetzung bei Versäumung der in § 325 Abs 4 Satz 1 SGB III genannten Antragsfristen folgt aus der Verwendung des Wortes "Ausschlussfrist" zur Bezeichnung dieser Fristen. Die Wiedereinsetzung kann iS des § 27 Abs 5 SGB X nicht nur dadurch ausgeschlossen werden, dass in der jeweiligen Fristvorschrift ausdrücklich angeordnet wird, "die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen", oder eine ähnliche Wortwahl gebraucht wird. Der entgegenstehenden Ansicht (Gagel SGB III § 325 RdNr 18), auf die sich die Klägerin beruft, folgt der Senat nicht. In § 27 Abs 5 SGB X wird auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Ausschluss der Wiedereinsetzung jederzeit durch Gesetz angeordnet werden kann. Es wird jedoch nicht vorgeschrieben, wie im jeweiligen Gesetz dieser Ausschluss anzuordnen ist. Die Verwendung des Wortes "Ausschlussfrist" bei einer Fristbestimmung in einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift, die nach Inkrafttreten des SGB X am 1. Januar 1981 erlassen worden ist, weist regelmäßig darauf hin, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung dieser Frist ausgeschlossen sein soll. Dies gilt jedenfalls für Vorschriften wie § 325 Abs 4 SGB III, bei denen sich der Antrag nur auf Leistungen für die Vergangenheit beziehen kann, die Fristversäumnis also stets zum vollständigen Anspruchsverlust führt und es gleichgültig ist, ob die Frist als Verfahrens- oder als materielle Frist angesehen wird.

Bis zum Inkrafttreten des SGB X wurden verwaltungsrechtliche Fristen danach unterschieden, ob es sich um verfahrensrechtliche Fristen handelte, bei denen grundsätzlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in entsprechender Anwendung des § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig war, oder um so genannte materielle Antragsfristen, bei denen der Antrag materielle Voraussetzung des Anspruchs und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen war (vgl BSGE 43, 19, 23 = SozR 4495 § 11 Nr 1). Seit Inkrafttreten des SGB X hat die Unterscheidung zwischen verfahrensrechtlichen Fristen und materiell-rechtlichen Fristen für die Frage, ob überhaupt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist, keine Bedeutung mehr. Deshalb kann in den nach Inkrafttreten des SGB X erlassenen Gesetzen in der Verwendung des Begriffs "Ausschlussfrist" nur der Sinn gesehen werden, deutlich zu machen, dass die an sich grundsätzlich bei allen verwaltungsrechtlichen Fristen mögliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen sein soll.

Dieser Bedeutung des Wortes "Ausschlussfrist" steht nicht entgegen, dass die Rechtsprechung früher darauf hingewiesen hat, aus der Verwendung des Wortes "Ausschlussfrist" könne nichts über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geschlossen werden. Diese Aussagen betrafen den Rechtszustand vor Inkrafttreten des SGB X (BSGE 43, 19, 23 = SozR 4495 § 11 Nr 1), bezogen sich auf Regelungen, die bereits vor Inkrafttreten des SGB X bestanden hatten und weiter aufrecht erhalten geblieben waren (BSG SozR 3-4100 § 81 Nr 1), oder ergingen in Zusammenhang mit der Beurteilung einer nach 1981 eingeführten Vorschrift, die nicht als Ausschlussfrist bezeichnet war (BSGE 64, 153, 156 f = SozR 1300 § 27 Nr 4).

Soll bei einer als Ausschlussfrist bezeichneten Antragsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nunmehr gleichwohl zulässig sein, so müssen Gründe dafür vorliegen, abweichend vom allgemeinen Wortverständnis die Wiedereinsetzung zuzulassen. Solche sind für die Ausschlussfrist beim Antrag auf WG nicht ersichtlich. Die Rechtsprechung hat zu der entsprechenden Frist für die Antragstellung auf WG in § 81 Abs 3 AFG, die bereits vor Inkrafttreten des SGB X gegolten hatte, ausgeführt, der Sinn der Ausschlussfrist liege einmal darin, die Beklagte davor zu schützen, dass gegen sie Ansprüche erhoben würden, deren Berechtigung sie nur noch schwer nachprüfen könne. Die Frist solle aber auch sicherstellen, dass die Beklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Überblick über den Umfang der zu gewährenden Leistungen erhalte, was die Einhaltung der Frist erfordere (BSG SozR 3-4100 § 81 Nr 1). Anhaltspunkte dafür, dass diese Gründe entfallen sind oder andere Gründe vorliegen, die nunmehr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, sind mit der Revision nicht dargetan oder sonst ersichtlich.

Die Beklagte hat zu Recht nicht geprüft, ob sie nach § 324 Abs 1 Satz 2 SGB III zur Vermeidung einer unbilligen Härte eine verspätete Antragstellung zulassen kann. Diese Vorschrift bezieht sich auf § 324 Abs 1 Satz 1 SGB III, der vorschreibt, dass Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht werden, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Von diesem Grundsatz, der sicherstellen soll, dass vor Leistungserbringung oder -bewilligung die Voraussetzungen der Leistung überprüft werden können, lässt Satz 2 eine Ausnahme zu. Die Vorschrift ist auf das WG, das nach § 324 Abs 2 SGB III erst nachträglich zu beantragen ist, nicht anzuwenden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Diese Vorschrift ist hier schon deshalb anzuwenden, weil die Klage vor dem 2. Januar 2002 erhoben worden ist. Ob in Zukunft bei Streitigkeiten zwischen einem Arbeitgeber und der Bundesagentur für Arbeit über die Zahlung von WG die Kostenentscheidung nach § 197a SGG (eingefügt mit Wirkung ab 2. Januar 2002 durch Art 2 Nr 68 6. SGG ÄndG vom 17. August 2001 <BGBl I 2144>) zu erfolgen hat, war nicht zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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