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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: B 11 AL 57/03 R
Rechtsgebiete: SGB III, BGB, BetrVG
Vorschriften:
SGB III § 183 Abs 1 Satz 1 | |
BGB § 138 | |
BetrVG § 77 |
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Verkündet am 18. März 2004
Az: B 11 AL 57/03 R
Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, die Richter Dr. Voelzke und Dr. Leitherer sowie die ehrenamtlichen Richter Meid und Winnefeld
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2003 und des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. April 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig ist die Höhe von Insolvenzgeld (Insg).
Der 1938 geborene Kläger war bis zum 30. November 1999 bei der Z GmbH, Sanitär-Heizungstechnik, beschäftigt. Nachdem am 6. Oktober 1999 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden war, ordnete das Amtsgericht Osnabrück am 7. Oktober 1999 die vorläufige Verwaltung des Vermögens des Arbeitgebers an und bestimmte einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 1. Dezember 1999 eröffnete das Amtsgericht Osnabrück das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers.
Die Arbeitnehmer des insolventen Unternehmens hatten nach dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen vom 23. September 1997 des Fachverbandes der Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik Niedersachsen und der Industriegewerkschaft Metall Bezirksleitungen Hannover, Küste und Nordhrein-Westfalen (Tarifvertrag) Anspruch auf eine betriebliche Sonderzahlung (im Folgenden: Jahressonderzahlung). Diese stand nach § 2 Nr 1 des Tarifvertrages Arbeitnehmern zu, die am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis standen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört hatten. Ausgenommen waren aber Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt hatten. Die Jahressonderzahlungen betrugen nach näherer Maßgabe des § 2 Nr 2 des Tarifvertrages abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit zwischen 20 und 50 % eines Monatsverdienstes. Für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis im ganzen Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruhte, schloss § 2 Nr 5 des Tarifvertrages einen Anspruch aus. Eine anteilige Leistung stand Arbeitnehmern zu, wenn das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise ruhte. Der Zeitpunkt der Auszahlung sollte nach § 3 Nr 1 des Tarifvertrages durch Betriebsvereinbarung geregelt werden. Soweit eine Bestimmung durch Betriebsvereinbarung nicht erfolgt war, galt der 1. Dezember als Auszahlungstag (§ 3 Nr 2 des Tarifvertrages).
Am 2. November 1999 schlossen Geschäftsleitung und Betriebsrat mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erstmals eine Betriebsvereinbarung über die Auszahlung der Jahressonderzahlung. Als Auszahlungszeitpunkt für das Jahr 1999 wurde der 10. November 1999 festgelegt. Auf den Antrag des Klägers bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 1999 Insg für die Monate September bis November 1999 in Höhe von 9.238,35 DM. Die Jahressonderzahlung wurde hierbei nicht berücksichtigt. Das Widerspruchsverfahren verlief erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2000).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 26. April 2002 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger weiteres Insg unter Berücksichtigung der für das Jahr 1999 zustehenden Sonderzahlung in Höhe von 2.072,00 DM brutto zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28. August 2003). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die tarifvertraglichen Regelungen ergäben, dass sich die hier fragliche Jahressonderzahlung nicht anteilig den einzelnen Monaten des Jahres zuordnen lasse. Den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern habe der Anspruch bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 2 Nr 1 Tarifvertrag uneingeschränkt zugestanden. Als Ausnahmeregelung sei demgegenüber die Bestimmung des Tarifvertrages zu verstehen, wonach Arbeitnehmer in den Fällen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses für begrenzte Zeit eine anteilige Sonderzahlung erhielten. Dies habe zur Konsequenz, dass die Jahressonderzahlung sich nicht einzelnen Monaten zuordnen lasse. Mithin sei maßgeblich, ob der Fälligkeitszeitpunkt im Insg-Zeitraum liege. Dies sei zu bejahen. Hier sei eine Betriebsvereinbarung geschlossen worden, die den Auszahlungstag in den Insg-Zeitraum gelegt habe. Der Einwand der Beklagten, es handele sich um eine sittenwidrige und damit nichtige Vereinbarung iS des § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), greife nicht durch. Betriebsverfassungsrechtlich sei es zulässig, dass in einem Tarifvertrag der Auszahlungstag für eine Sonderzahlung durch Betriebsvereinbarung geregelt werde. Etwaige Mängel in der Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers seien nach § 22 Insolvenzordnung durch die zustimmende Kenntnisnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters geheilt. Auf Grund der normativen Wirkung der Betriebsvereinbarung gelte sie auch gegenüber der Beklagten, die sie bei der Gewährung des Insg berücksichtigen müsse. Die Sittenwidrigkeit ergebe sich nicht aus dem Beweggrund des Handelnden oder aus der Zwecksetzung des Rechtsgeschäfts. Zwar könne die Rechtswidrigkeit eines Rechtsgeschäfts - der Betriebsvereinbarung - darin liegen, dass es in missbilligenswerter Weise private Lasten auf die Allgemeinheit abwälze. Dies nehme die Beklagte an, weil sie glaube, dass durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung die Insg-Kasse unangemessen und sittenwidrig belastet werde. Dieser Überlegung sei nicht zu folgen. Die Zielrichtung der Betriebsvereinbarung sei offensichtlich die Sicherung der Sonderzahlung 1999 durch das Insg gewesen. Dieses Ziel der Betriebsvereinbarung mache sie nicht sittenwidrig. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung sei keinesfalls absehbar gewesen, dass der Betrieb der Insolvenzfirma dauerhaft nicht weitergeführt werden würde.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 183 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III) iVm § 138 BGB, § 77 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Aus dem vom LSG festgestellten Sachverhalt ergebe sich eine Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG sei es für das Vorliegen von Sittenwidrigkeit nicht erforderlich, dass der Insolvenztag feststehe. Das LSG habe auch nicht geprüft, ob die Betriebsvereinbarung bei kollektiver Betrachtungsweise als für die Arbeitnehmer ungünstig anzusehen sei. Mit der Stichtagsregelung des Tarifvertrages habe die vergangene und künftige Betriebstreue belohnt werden sollen. Eine kurzfristige Vorziehung des Auszahlungstages durch Betriebsvereinbarung vom 1. Dezember 1999 auf den 10. November 1999 habe eine Änderung der Anspruchsberechtigung zur Konsequenz.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2003 sowie das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. April 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen den Auffassungen von LSG und SG hat der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von zusätzlichem Insg in Höhe der Jahressonderzahlung.
Anspruch auf Insg haben nach § 183 Satz 1 Abs 1 Nr 1 SGB III Arbeitnehmer, wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach § 183 Abs 1 Satz 2 SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Nicht zweifelhaft ist, dass es sich bei der Jahressonderzahlung um Arbeitsentgelt iS von § 183 Abs 1 SGB III handelt. Hierbei kann unentschieden bleiben, ob der Anspruch auf diese aus der Tarifgebundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf Grund ausdrücklicher arbeitsvertraglicher Einbeziehung oder auf Grund betrieblicher Übung besteht. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Jahressonderzahlung in die Insg-Berechnung einzubeziehen, denn die Zahlung ist weder dem Insg-Zeitraum zeitanteilig zuzurechnen (1.) noch ist sie als nicht einzelnen Monaten zuzurechnende Zahlung den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Insolvenzereignisses zuzuordnen (2.).
1. Die Jahressonderzahlung als Leistung, die nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt wird (vgl § 23b Viertes Buch Sozialgesetzbuch <SGB IV>), begründet einen Insg-Anspruch in Höhe des auf den Insg-Zeitraum entfallenden Anteils, wenn arbeitsrechtliche Vereinbarungen oder (tarifvertragliche) Regelungen für den Arbeitnehmer auch bei vorherigem Ausscheiden einen zeitanteiligen Anspruch vorsehen. Dies gilt auch dann, wenn die Insolvenz schon vor der Fälligkeit des Gesamtanspruchs eingetreten ist (BSG SozR 4100 § 141b Nr 8; BSGE 62, 131, 135 ff = SozR 4100 § 141b Nr 40).
Zutreffend hat das LSG angenommen, dass sich die Jahressonderzahlung nach den Regelungen des hier einschlägigen Tarifvertrages über Sonderzahlungen vom 30. September 1997 des Fachverbandes der Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik Niedersachsen und der Industriegewerkschaft Metall Bezirksleitung Hannover, Küste und Nordrhein-Westfalen nicht anteilig den einzelnen Monaten des Jahres zuordnen lässt. Der Senat hat zu einem Tarifvertrag mit übereinstimmenden Regelungen entschieden, dass die Jahressonderzahlung nicht zeitanteilig erarbeitet wird, weil sie grundsätzlich im jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt ungekürzt und unabhängig von der Betriebsdauer im Laufe des Jahres auszuzahlen ist, wenn ihre sonstigen Voraussetzungen vorliegen (vgl BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 21 mwN). Hieran wird festgehalten.
2. Lässt sich eine Sondervergütung dagegen nicht einzelnen Monaten zurechnen, so ist sie in voller Höhe beim Insg zu berücksichtigen, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzereignis hätte ausgezahlt werden müssen, anderenfalls überhaupt nicht (BSG SozR 4100 § 141b Nr 42; SozR 3-4100 § 141b Nr 1; BSG 30. Mai 1990 - 10 RAr 15/89 = USK 9017; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 21; vgl auch Peters/Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rz 108; Estelmann in Hennig, SGB III, § 183 Rz 138; Schmidt in Wissing, SGB III, § 183 Rz 74; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, § 183 Rz 99). So liegt der Fall hier. Die Jahressonderzahlung kann nicht dem Insg-Zeitraum, der hier auf Grund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Dezember 1999 den Zeitraum vom 1. September bis 30. November 1999 umfasste, zugeordnet werden. Der Kläger hatte entsprechend § 3 Nr 2 Satz 1 des Tarifvertrages einen Anspruch auf Zahlung der betrieblichen Sonderzahlung zum 1. Dezember 1999. Dieser Tag liegt außerhalb des Insg-Zeitraumes.
Entgegen der Auffassung des LSG ist der Auszahlungs- und Fälligkeitszeitpunkt der Jahressonderzahlung nicht durch die Betriebsvereinbarung vom 2. November 1999 auf den 10. November 1999 vorverlegt worden. Zwar steht der Vorrang des Tarifvertrages nach § 77 Abs 3 Satz 1 BetrVG einer derartigen Betriebsvereinbarung nicht entgegen, denn der Tarifvertrag lässt eine Betriebsvereinbarung durch die in § 3 Nr 3 enthaltene Öffnungsklausel iS des § 77 Abs 3 Satz 2 BetrVG ausdrücklich zu. Jedoch ist die Betriebsvereinbarung, mit der der Fälligkeitszeitpunkt der Sonderzahlung vorverlegt werden sollte, wegen eines Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig. Der Prüfung der Vereinbarung vom 2. November 1999 am Maßstab der guten Sitten steht es nicht entgegen, dass es sich um eine Betriebsvereinbarung handelte. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Betriebsvereinbarungen der Kontrolle zur Übereinstimmung mit Verfassung, Gesetzesrecht und guten Sitten sowie der Billigkeitskontrolle nach § 75 BetrVG unterliegen (BAGE 68, 41 = AP § 611 BGB Nr 138 mwN).
Ob ein Vertrag den guten Sitten zuwiderläuft, dh gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender verstößt, beurteilt sich auf der Grundlage des aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakters der Vereinbarung (vgl BGH LM § 138 BGB Nr 1; BGHZ 86, 82, 88). Zum Anwendungsbereich des § 138 BGB rechnen auch Rechtsgeschäfte, die gegen wichtige, rechtlich geschützte Belange der Allgemeinheit verstoßen (vgl Mayer-Maly/Armbrüster in Münchener Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 4. Aufl 2001, § 138 Rz 33 ff; Sack in Staudinger <1996>, § 138 Rz 359 ff; Heinrichs in Palandt, 63. Aufl 2004, Rz 4). Hier ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts bereits aus dessen Inhalt. Denn es steht nach den Feststellungen des LSG fest, dass es der einzige Beweggrund für den Abschluss der Betriebsvereinbarung war, die Sonderzahlung zu Lasten der Beklagten und damit letztlich zu Lasten der Umlageverpflichteten zu sichern. Da zum Zeitpunkt des Abschlusses feststand, dass die Sonderzahlung zum neuen Fälligkeitszeitpunkt nicht durch die Mittel des Arbeitgebers befriedigt werden konnte, ist eine andere Zielsetzung nicht denkbar. Diese willkürliche Einbeziehung der Sonderzahlung widerspricht Sinn und Zweck der Insg-Versicherung. Diese Versicherung soll rückständige Arbeitsentgeltansprüche nur insoweit sichern, als sie dem Insg-Zeitraum zugeordnet werden können. Diesen Zweck verwirklicht die Insg-Versicherung dadurch, dass es für die Berücksichtigungsfähigkeit von Arbeitsentgelt regelmäßig auf den Zeitraum ankommt, in dem die Ansprüche erarbeitet worden sind (vgl BSGE 51, 107, 108 = SozR 4100 § 141b Nr 17). Auch bei Ansprüchen, die über einen längeren Zeitraum erworben worden sind, ist vorrangig zu fragen, ob die Arbeitsleistung dem Insg-Zeitraum anteilig zugeordnet werden kann. Lediglich soweit eine sachliche Zuordnung zum Insg-Zeitraum unmöglich ist, wird auf den Fälligkeitszeitpunkt abgestellt. Folglich verbietet es sich, die willkürliche Verschiebung dieses Zeitpunktes zu einem Zeitpunkt zuzulassen, zu dem feststeht, dass allein die Insg-Kasse belastet werden soll. Letzteres war vorliegend der Fall, denn es war bereits seit September 1999 kein Arbeitsentgelt gezahlt worden und es stand auch fest, dass der Arbeitgeber zum Fälligkeitszeitpunkt keine Zahlungen würde leisten können. Es handelte sich folglich um ein Rechtsgeschäft, das nach Inhalt, Zweck und Beweggrund allein darauf angelegt war, die Zahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers zu Lasten der Umlageverpflichteten zu regeln. Gründe, die abweichend vom Regelfall die Vereinbarung ausnahmsweise nicht als sittenwidrig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Eine Rechtfertigung liegt insbesondere nicht in dem Zweck, den Arbeitnehmern möglichst umfangreiche Zahlungen aus der Insg-Kasse zu sichern.
Das LSG verkennt die subjektiven Voraussetzungen des § 138 BGB, wenn es dessen Anwendung letztlich mit der Erwägung verneint, im Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung sei nicht mit Sicherheit davon auszugehen gewesen, dass der im Tarifvertrag geregelte Fälligkeitstag des 1. Dezember 1997 außerhalb des Insg-Zeitraumes liegen würde, denn der Insolvenzeröffnungstag habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestanden. Entgegen dieser Auffassung ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, sondern es genügt vielmehr, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt. Der Kenntnis steht es gleich, wenn sich jemand bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (BGH WM 1998, 513, 514; BGHZ 146, 298). Hinsichtlich der Realisierung des die Sittenwidrigkeit begründenden Tatbestandes ist ebenfalls keine sichere Kenntnis erforderlich (vgl BGH LM § 138 BGB Nr 32). Es genügt, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür vorliegt, dass der Insg-Schutz durch die Vereinbarung verbessert werden wird.
Diese Beurteilung der Betriebsvereinbarung wird durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Sittenwidrigkeit eines Verzichts auf nachehelichen Unterhalt bestätigt. Danach verstoßen Rechtsgeschäfte, die nach Inhalt, Zweck und Beweggrund in erster Linie darauf angelegt sind, Vermögensverhältnisse zum Schaden der Sozialhilfeträger und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, gegen die guten Sitten, wenn nicht besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen (BGHZ 86, 82, 86 ff; BGHZ 111, 36, 40 ff). Hierbei geht der BGH in seiner Rechtsprechung von dem Grundsatz aus, dass Verträge "zu Lasten Dritter" grundsätzlich keine Anerkennung verdienen. Vielmehr endet die Vertragsfreiheit dort, wo die Rechte Dritter entgegenstehen. Hieraus hat der BGH gefolgert, dass ein anlässlich einer Ehescheidung vereinbarter Verzicht auf nachehelichen Unterhalt nicht nur dann gegen die guten Sitten verstoßen kann, wenn die Vereinbarung in der Absicht oder aus dem wesentlich mitbestimmenden Beweggrund abgeschlossen worden ist, den Ehegatten zu Lasten des Sozialhilfeträgers zu entlasten, sondern der Verzicht auch nach seinem objektiven Gehalt - und insoweit auch nach den möglichen Auswirkungen auf die Rechtstellung Dritter - mit den guten Sitten in Einklang stehen muss (BGHZ 86, 82, 89).
Mit der Anwendung des § 138 BGB auf die vorliegende Betriebsvereinbarung weicht der Senat nicht von dem Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Februar 1990 - 10 RKg 15/89 - (BSGE 66, 238 = SozR 3-5870 § 2 Nr 4; ähnlich zu § 583 Reichsversicherungsordnung BSGE 61, 54 = SozR 2200 § 583 Nr 5) ab. In dieser Entscheidung ist zum Rechtszustand vor der Änderung des § 2 Abs 2 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ab dem 1. Januar 1994 ausgesprochen worden, dass eine Abrede über den Verzicht auf einen Teil der Ausbildungsvergütung, um dadurch für sich und den Kindergeldberechtigten einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, nicht wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig ist. Hierbei hat der 10. Senat des BSG zwar ausgeführt, dass es mit der geltenden Sozialrechtsordnung nicht in einem unauflösbaren Widerspruch stehe, wenn der Verzicht auf Ausbildungsvergütung im Wesentlichen vom subjektiven Hauptzweck des Verzichtenden geprägt werde, die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch zu schaffen. Allerdings ist entscheidend darauf abgestellt worden, dass das BKGG und ähnliche Vorschriften eine starre Einkommensgrenze bestimmten und damit bereits geringste unterschiedliche Geldbeträge in der Praxis zu einem "Alles- oder Nichtsprinzip" führten, sodass es dem Anspruchsberechtigten gestattet sein müsse, sich diesen Anspruchsvoraussetzungen anzupassen. Hiervon unterscheidet sich die vorliegende Gestaltung ersichtlich dadurch, dass es sich nicht um die geringfügige Überschreitung von starren Einkommensgrenzen handelt, sondern der Gesamtbetrag der Sonderzahlung durch Verschiebung des Fälligkeitszeitpunktes in den Insg-Zeitraum zu Lasten der Umlageverpflichteten gesichert werden sollte. Damit nahmen die Betriebspartner keine vom Gesetzgeber eröffnete Gestaltungsmöglichkeit wahr, sondern wollten dem Gesetzeszweck zuwiderlaufende Sondervorteile für die Arbeitnehmer erlangen.
Im Hinblick auf die Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung nach § 138 BGB bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob auch der von der Revision angeführte Verstoß gegen das "Günstigkeitsprinzip" vorliegt (vgl dazu BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 21).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Ende der Entscheidung
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