Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 03.06.2004
Aktenzeichen: B 11 AL 75/03 R
Rechtsgebiete: SGB III, GG


Vorschriften:

SGB III § 141
SGB III § 128
GG Art 3
GG Art 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 3. Juni 2004

Az: B 11 AL 75/03 R

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, die Richter Dr. Voelzke und Dr. Leitherer sowie den ehrenamtlichen Richter Bungart und die ehrenamtliche Richterin Ende

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Klägerin wendet sich gegen den Umfang der Anrechnung von Nebeneinkommen und begehrt die Weiterzahlung von Arbeitslosengeld (Alg) bis zum 10. Juli 1999.

Der 1947 geborenen Klägerin war ab dem 1. April 1997 Alg für 676 Leistungstage bewilligt worden. Die Beklagte stellte die Leistungsdauer ab dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Drittes Buch - (SGB III) zum 1. Januar 1998 auf 709 Leistungstage um. Der Klägerin wurde zuletzt Alg in Höhe von 205,66 DM wöchentlich gezahlt.

Ab März 1999 übte die Klägerin eine Nebenbeschäftigung mit einer Arbeitszeit von unter 15 Stunden wöchentlich aus. Im Hinblick auf das aus der Beschäftigung erzielte Nebeneinkommen in Höhe von jeweils 620 DM monatlich erteilte die Beklagte für die Monate März bis April 1999 Aufhebungs- und Erstattungsbescheide (Bescheide vom 20. April und 23. August 1999). Die Beklagte errechnete für März einen zu erstattenden Anrechnungsbetrag in Höhe von 293,90 DM und für die Monate April und Mai 1999 in Höhe von jeweils 305 DM. Der Leistungsbezug endete infolge Erschöpfung des Anspruchs am 29. Mai 1999.

Der Widerspruch, mit dem die Klägerin die Absetzung von Fahrkosten sowie die Gutschreibung des durch den erzielten Nebenverdienst nicht verbrauchten Anspruchs auf Alg geltend machte, wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12. April 2001). Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte für die Monate April und Mai 1999 zusätzlich Gewerkschaftsbeiträge als Werbungskosten berücksichtigt und den Erstattungsbetrag jeweils auf 293,90 DM reduziert (Änderungsbescheid vom 11. Dezember 2002).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Juli 2002). Das Urteil enthält die Rechtsmittelbelehrung, das Urteil könne nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn sie nachträglich zugelassen werde. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung durch Beschluss vom 4. November 2002 als unzulässig verworfen und festgestellt, dass das zutreffende Rechtsmittel gegen das Urteil des SG die Berufung sei. Daraufhin hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Klage gegen den Änderungsbescheid vom 11. Dezember 2002 abgewiesen (Urteil vom 8. Oktober 2003): Die Beklagte habe den Freibetrag von 315 DM nach § 141 Abs 1 SGB III sowie den Gewerkschaftsbeitrag von 11,10 DM in Abzug gebracht, was einen monatlichen Anrechnungsbetrag von jeweils 293,90 DM ergebe. Ein weiterer Betrag für Werbungskosten sei nicht in Abzug zu bringen. Zwar könne nach der Auskunft der Firma M. halbwegs gesichert davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in den streitigen drei Monaten jedenfalls an 26 Tagen in der 1,9 km von ihrer Wohnung entfernt gelegenen Filiale gearbeitet habe. Die Klägerin sei jedoch nicht einmal in der Lage gewesen, ein Gedächtnisprotokoll über die Zurücklegung des Weges anzufertigen. Damit fehle es für eine Schätzung an einer gesicherten Grundlage dafür, wann der Weg zur Arbeit mit dem PKW, dem Bus oder eben doch zu Fuß zurückgelegt worden sei. Dies gehe zu Lasten der Klägerin. Auch der Antrag, ihr auf Grund des erzielten Nebeneinkommens weitere Alg-Tage gutzuschreiben, sei unbegründet. Etwas anderes könne nur gelten, wenn eine Regelung wie § 110 Satz 1 Nr 2 Halbsatz 2 Arbeitsförderungsgesetz auch im SGB III enthalten wäre. Dies sei nicht der Fall.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 141, 128 SGB III sowie der Artikel 3 und 14 Grundgesetz. Die Beklagte habe zu Unrecht einen weiteren Betrag für Werbungskosten und Fahrtkosten nicht in Abzug gebracht. Das LSG habe pauschal die PKW-Kosten für die Benutzung des PKW des Ehemanns als Schätzungsgrundlage zu Grunde legen können und müssen. Insoweit habe das LSG auch gegen die Amtsermittlungspflicht verstoßen. Die Beklagte habe entgegen der von ihr sonst geübten Praxis die Nachweispflicht auch auf die Fahrten mit dem eigenen PKW ausgedehnt. Das LSG habe die Vorschrift des § 128 SGB III unzutreffend angewandt. Sie habe nicht nur der Höhe nach unzutreffend in das der Klägerin gewährte Alg eingegriffen. Es sei gerade die erklärte Absicht des Gesetzgebers gewesen, mit der Änderung der Anrechnungsmodalitäten die Attraktivität zur Aufnahme von Nebenbeschäftigungen zu erhöhen. Dieses Ziel werde nicht erreicht, wenn der durch die Anrechnung erfüllte Anspruch ebenso zur Minderung der Anspruchsdauer führe, wie der tatsächlich erfüllte Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts NRW vom 08.10.2003, AZ: L 12 AL 220/02, und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.07.2002, AZ: S 35 AL 115/01, sowie die Bescheide der Beklagten vom 20.04.1999 und 23.08.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2001 aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass für die Monate März, April, Mai 1999 jeweils DM 105,65 als Werbungskosten bei der Berechnung des anzurechnenden Nebenverdienstes berücksichtigt werden sowie die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes bis zum 10.07.1999 verlängert wird.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

1. Der Senat hatte nicht darüber zu befinden, ob die Berufung nach § 144 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Zulassung bedurfte oder ob sie auch ohne Zulassung statthaft war. Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 DM (ab 1. Januar 2002: 500 €) nicht übersteigt, es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin durch das erstinstanzliche Urteil in dem von § 144 Abs 1 SGG vorausgesetzten Maße beschwert wird, denn die Entscheidung des LSG im Beschwerdeverfahren, die von der Klägerin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde sei unzulässig und die Berufung statthaft, ist als Entscheidung über die Eröffnung des Berufungsrechtszuges bindend und durch das Revisionsgericht nicht zu überprüfen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach das Revisionsgericht an die Zulassung der Berufung durch Beschluss des LSG gebunden ist (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 42; BSGE 86, 86, 87 = SozR 3-6855 Art 10d Nr 1), ist auf die vorliegende Gestaltung zu erstrecken, in der das Berufungsgericht über die Frage entschieden hat, ob die Berufung zulassungsbedürftig oder ohne Zulassung statthaft ist. Wegen der notwendigen Rechtsmittelklarheit und des gebotenen Vertrauensschutzes für die Klägerin, der durch die Entscheidung die Beschwerde und damit die Prüfung vom Vorliegen der Zulassungsgründe des § 144 Abs 2 SGG genommen worden ist, kommt auch der gesonderten Entscheidung über die Statthaftigkeit der Berufung ohne Zulassung Bindungswirkung zu.

2. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - für eine Aufhebung der Alg-Bewilligung in Höhe von jeweils 293,90 DM für die Monate März, April und Mai 1999 (insgesamt 881,70 DM) vorgelegen haben. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne dieser Vorschrift ist durch die Aufnahme der Nebentätigkeit und des hieraus erzielten Nebeneinkommens eingetreten.

Auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen, die von der Revision nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind, ergibt sich, dass die Beklagte den sich aus § 141 SGB III ergebenen Anrechnungsbetrag zutreffend errechnet hat. Nach § 141 Abs 1 Satz 1 SGB III (in der hier maßgebenden Fassung durch das 1. SGB III-Änderungsgesetz vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2970) ist, wenn der Arbeitslose während einer Zeit, für die ihm Alg zusteht, eine weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassende Tätigkeit ausübt, das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten sowie eines Freibetrages in Höhe von 20 % des monatlichen Arbeitslosengeldes, mindestens aber von 1/14 der monatlichen Bezugsgröße auf das Arbeitslosengeld für den Kalendermonat, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird, anzurechnen. Hinsichtlich der Berechnung des "Anrechnungsbetrages" streiten die Beteiligten zu Recht nur noch darüber, ob zusätzlich ein weiterer Betrag für als Werbungskosten zu berücksichtigende Fahrtkosten in Ansatz zu bringen ist.

Allerdings sind nach § 9 Abs 1 Satz 3 Nr 4 Einkommensteuergesetz (EStG) Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Eine Entfernungspauschale bei Benutzung eines eigenen PKW oder die Kosten öffentlicher Verkehrsmittel kann jedoch nur in Abzug gebracht werden, wenn festgestellt werden könnte, dass der Klägerin für die Zurücklegung des Weges zwischen Wohnung und Arbeitsstätte tatsächlich Aufwendungen entstanden sind. Diese Feststellung hat das LSG nicht treffen können und hierfür zur Begründung angegeben, dass die Klägerin keinerlei Nachweise über die behaupteten Kosten zur Arbeit vorgelegt habe. Sie sei nicht einmal in der Lage gewesen, ein Gedächtnisprotokoll über die Zurücklegung der Wege anzufertigen. Damit fehlt es an den tatsächlichen Grundlagen für den Abzug etwaiger Aufwendungen. Eine vom tatsächlichen Aufwand unabhängige Entfernungspauschale ist erst ab 1. Januar 2001 eingeführt worden (vgl § 9 Abs 1 Satz 3 Nr 4 EStG idF des Art 1 Nr 2 Buchst a DBuchst aa des Gesetzes zur Einführung einer Entfernungspauschale vom 21. Dezember 2000, BGBl I 1918).

Mit seinen Feststellungen hat das LSG seine Verpflichtung zur Amtsermittlung nicht verletzt. Unabhängig von den Anforderungen an eine zulässige Verfahrensrüge nach § 103 SGG (vgl zu den Anforderungen etwa BSG Urteil vom 24. November 1987 - 3 RK 7/87 = USK 87136) ist eine derartige Rüge jedenfalls nicht begründet. Denn nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Erforschung des Sachverhalts verpflichtet. Die Mitwirkungspflicht besteht immer dann, wenn das Gericht den Sachverhalt ohne Mitwirkung der Beteiligten nicht oder nicht selbstständig erforschen kann. Hier hat das LSG sogar im Hinblick auf die unzureichenden Angaben der Klägerin die Zahl der Arbeitstage und die Entfernung zur häuslichen Wohnung beim ehemaligen Arbeitgeber ermittelt. Angaben zur Art der Zurücklegung der 1,9 km weiten Wegstrecke sowie entsprechende Nachweise zu Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln konnten nur durch die Klägerin erfolgen. Da entsprechende Angaben unterblieben sind, hat das LSG zu Recht angenommen, die Klägerin trage die Folge der Nichtfeststellbarkeit dieser Tatsache. Dies entspricht übrigens auch der Verteilung der Beweislast beim Abzug von Werbungskosten im Einkommensteuerrecht (Drenseck in Schmidt, EStG, 23. Aufl, § 9 Rz 190).

3. Die Beklagte hat es auch zu Recht abgelehnt, mit Rücksicht auf die Minderung der Leistungshöhe durch Anrechnung von Nebeneinkommen gemäß § 141 SGB III von einer eingeschränkten Minderung der Anspruchsdauer durch Erfüllung des Alg-Anspruches nach § 128 Abs 1 Nr 1 SGB III auszugehen. Die Klägerin hat dementsprechend keinen Anspruch auf Alg über den 29. Mai 1999 hinaus. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Senats vom 5. Februar 2004 - B 11 AL 39/03 R - (zur Veröffentlichung vorgesehen) verwiesen. In dieser Entscheidung hat der Senat auch bereits zu den von der Klägerin aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen Stellung genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

Zurück