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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 14.07.2004
Aktenzeichen: B 11 AL 79/03 R
Rechtsgebiete: SGB III, GG


Vorschriften:

SGB III § 190
SGB III § 193
GG Art 3 Abs 1
GG Art 20 Abs 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 14. Juli 2004

Az: B 11 AL 79/03 R

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, die Richter Dr. Voelzke und Dr. Leitherer sowie den ehrenamtlichen Richter Kleemann und die ehrenamtliche Richterin Link

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 2. September 2003 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 1. Februar bis 14. August 2002.

Der am 3. Juni 1955 geborene Kläger war von 1981 bis 1997 selbstständig und von 1998 bis Ende März 1999 als Arbeitnehmer tätig. Nach Auskunft des Rentenversicherungsträgers hat der Kläger bei Vollendung des 65. Lebensjahres unter Zugrundelegung der bis Januar 2002 zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 166,82 € monatlich zu erwarten.

Ab 1. April 1999 bezog der Kläger von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg) bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 27. September 1999, im Anschluss daran - mit Unterbrechungen - Alhi. Zuletzt bewilligte ihm die Beklagte Alhi ab 7. August 2001 für ein Jahr, hob diese Bewilligung jedoch mit Wirkung ab 1. November 2001 auf, nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, er nehme vom 1. November 2001 bis 31. Januar 2002 an einer Rehabilitationsmaßnahme teil und beziehe deswegen vom Rentenversicherungsträger Übergangsgeld. Wegen Beendigung dieser Maßnahme meldete sich der Kläger zum 1. Februar 2002 wieder arbeitslos und beantragte erneut Alhi. Er gab an, er verfüge lediglich über eine im März 1981 abgeschlossene Kapitallebensversicherung, die seiner Alterssicherung diene (Auszahlung mit Erreichen des 60. Lebensjahres 2015). Der Rückkaufswert dieser Lebensversicherung betrug zum 28. Februar 2001 104.300,02 DM (= 53.327,75 €); die Summe der bis Ende 2002 gezahlten Versicherungsbeiträge belief sich auf 45.801,53 €.

Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Alhi mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht bedürftig, da nach Abzug eines Freibetrages von 23.920 € ein zu berücksichtigendes Vermögen von 29.407,75 € verbleibe (Bescheid vom 8. April 2002, Widerspruchsbescheid vom 25. April 2002).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1. Februar 2002 Alhi ohne Anrechnung der Lebensversicherung zu gewähren (Urteil vom 24. Januar 2003).

Im Berufungsverfahren hat der Kläger, der seit 15. August 2002 an einer Fachschulausbildung teilnimmt, die Klage teilweise zurückgenommen und sein Begehren auf die Zeit vom 1. Februar bis einschließlich 14. August 2002 beschränkt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. September 2003). Das LSG hat angenommen, der Wert der Lebensversicherung abzüglich Freibetrag sei verwertbares Vermögen, weshalb mangels Bedürftigkeit kein Anspruch auf Alhi bestehe. Dies folge insbesondere aus der Anwendung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung in der ab 1. Januar 2002 geltenden Fassung vom 13. Dezember 2001 (AlhiV 2002). Diese sei unter Beachtung der Übergangsvorschriften hier anzuwenden. Durchgreifende Bedenken gegen die AlhiV 2002 bestünden nicht. Sie beruhe auf einer gültigen Ermächtigung und sei mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzungen der §§ 190 und 193 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) sowie der Art 20 Abs 3 und 3 Abs 1 GG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 2. September 2003 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2003 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Das LSG habe unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend entschieden.

In der mündlichen Verhandlung ist die Frage, ob die AlhiV 2002 oder die AlhiV in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anzuwenden ist, erörtert worden.

II

Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum - 1. Februar bis 14. August 2002 - Anspruch auf Alhi.

Anspruch auf Alhi haben nach § 190 Abs 1 SGB III Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben (Nr 2), einen Anspruch auf Alg nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben (Nr 3), in der Vorfrist Alg bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist (Nr 4) und bedürftig sind (Nr 5). Nach den nicht durch Revisionsrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG sind die Anspruchsvoraussetzungen der Nummern 1 bis 4 des § 190 Abs 1 SGB III erfüllt. Entgegen der Auffassung des LSG ist der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum aber auch bedürftig gewesen.

Nicht bedürftig ist nach § 193 Abs 2 SGB III in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 16. Februar 2001, BGBl I 266, ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen bzw das Vermögen seines Ehegatten oder Lebenspartners oder einer mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Person die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist, ist der Regelung durch Rechtsverordnung überlassen (§ 206 Nr 1 SGB III). Entgegen den Annahmen der Vorinstanzen wie der Beteiligten ist im vorliegenden Fall die Frage der Bedürftigkeit nicht anhand der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen AlhiV 2002 vom 13. Dezember 2001 (BGBl I 3734) zu beurteilen, sondern unter Heranziehung der Bestimmungen der AlhiV in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung. Dies ergibt sich aus der Übergangsvorschrift des § 4 der AlhiV 2002.

Nach § 4 AlhiV 2002 gelten mit Ausnahme des § 9 und abgesehen von der Umstellung der DM-Beträge auf Euro-Beträge die Vorschriften der AlhiV vom 7. August 1974 in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung für die Dauer der laufenden Bewilligung weiter, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Alhi nach § 190 Abs 1 SGB III im Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2001 vorgelegen haben. Bei der Anwendung dieser Regelung genügt es, dass der Kläger in der Zeit zwischen Oktober und Dezember 2001 die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi jedenfalls zeitweise erfüllt hat (vgl zur insoweit vergleichbaren Übergangsvorschrift des § 434g Abs 4 SGB III: Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, § 434g RdNr 11). Der Kläger hat Alhi ab 1. Februar 2002 auch auf Grund einer "laufenden Bewilligung" iS des § 4 AlhiV 2002 erhalten. Die Beklagte hatte die zunächst ab August 2001 für ein Jahr ausgesprochene Bewilligung allerdings mit Wirkung ab November 2001 ohne zeitliche Befristung wieder aufgehoben, sodass ab 1. Februar 2002 eine Neubewilligung notwendig war. Dies kann dem Kläger jedoch nicht entgegengehalten werden. Die Beklagte hat die Bewilligung wegen der Teilnahme an der befristeten Rehabilitationsmaßnahme und des vorrangigen Bezugs von Übergangsgeld, der nach § 198 Satz 2 Nr 6 und § 142 Abs 1 Nr 2 SGB III zum Ruhen des Anspruchs auf Alg führte, aufgehoben. Da die Befristung der Rehabilitationsmaßnahme auf drei Monate bereits in der Veränderungsmitteilung angegeben worden war, hätte die Beklagte die Alhi-Bewilligung wegen des Ruhens nur für die Zeit der Maßnahme aufheben und im Übrigen für die Zeit nach Beendigung der Maßnahme die ursprüngliche Bewilligung fortbestehen lassen können. Die Alhi wäre dann ab 1. Februar 2002 im Rahmen der bereits seit August 2001 laufenden Alhi-Bewilligung zu zahlen gewesen. Wenn die Beklagte dies nicht getan, sondern die Alhi-Bewilligung vollständig aufgehoben hat, kann das dem Kläger bei Anwendung der Übergangsvorschrift nicht zum Nachteil gereichen.

Sind somit die Bestimmungen der AlhiV vom 7. August 1974 in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anzuwenden, kann die Bedürftigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nicht verneint werden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, dass nur die vom Kläger angegebene Kapitallebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 53.327,75 € als berücksichtigungsfähiges Vermögen in Betracht kommt, wobei diese Lebensversicherung ua im Hinblick auf eine zu erwartende geringe Altersrente zur Alterssicherung bestimmt ist und im Jahre 2015 zur Auszahlung kommen soll. Danach greift zu Gunsten des Klägers § 6 Abs 3 Satz 1 der AlhiV in der vorbezeichneten Fassung, wonach eine Verwertung nur zumutbar ist, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann. Von einer Unzumutbarkeit der Verwertung der Lebensversicherung des Klägers nach den Maßstäben des § 6 Abs 3 Satz 1 der AlhiV in der bis Ende 2001 geltenden Fassung ist bereits die Beklagte bei der letzten Bewilligung von Alhi zu Gunsten des Klägers ausgegangen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Auf die Revision des Klägers ist deshalb das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Ende der Entscheidung

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