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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 10.08.2000
Aktenzeichen: B 11 AL 93/99 R
Rechtsgebiete: AFG


Vorschriften:

AFG § 128 Abs 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 11 AL 93/99 R

Klägerin und Revisionsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit, Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am 10. August 2000 ohne mündliche Verhandlung durch den Richter Lüdtke als Vorsitzenden, die Richter Voelzke und Dr. Leitherer sowie die ehrenamtlichen Richter Meid und Winnefeld

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. September 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) und Beiträgen zur Sozialversicherung nach § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Der am 29. Oktober 1934 geborene D. F. (F.) war bei der Klägerin - einer von Stadt und Landkreis getragenen Theater-GmbH - seit 1. Juni 1984 als Theatermaler und Kascheur beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 31. Juli 1985 befristet. Es verlängerte sich danach um jeweils eine Spielzeit und endete durch Zeitablauf am 31. Juli 1995. Die Klägerin hatte F. zuvor schriftlich davon unterrichtet, daß sein Arbeitsverhältnis nicht verlängert werde.

Vom 1. August 1995 bis zum 31. Juli 1996 bezog F. Alg. Mit Wirkung ab 1. August 1996 erhält er Altersrente aus der Rentenversicherung der Angestellten. Mit Bescheid vom 20. August 1996 stellte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erstattung der an F. ab 1. August 1995 erbrachten Leistungen für längstens 624 Tage fest. Der Widerspruch der Klägerin und ihre Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. April 1997; Urteil des Sozialgerichts vom 2. Dezember 1997).

Während des Berufungsverfahrens verlangte die BA nach Anhörung der Klägerin die Erstattung von insgesamt 32.747,20 DM (Alg und Sozialversicherungsbeiträge), die sie vom 1. August 1995 bis 31. Juli 1996 für F. gezahlt habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat diesen Bescheid mit Urteil vom 21. September 1999 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Erstattungsvoraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 1 AFG lägen nicht vor. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift trete die Erstattungspflicht bei Berücksichtigung der Berufsfreiheit der Klägerin (Art 12 Abs 1 Grundgesetz <GG>) nur ein, wenn den Arbeitgeber eine besondere Verantwortung für die Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers treffe. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen, deren Beendigung sich aus einer Nichtverlängerung ergebe, sei das regelmäßig nicht der Fall. Für das Arbeitsverhältnis des F. als Bühnenmaler und Kascheur habe der zwischen dem Deutschen Bühnenverein Bundesverband Deutscher Theater und der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger abgeschlossene Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht gegolten. Im übrigen sei nach der Tätigkeits- und Ausbildungsbeschreibung der Klägerin für das Arbeitsverhältnis entweder der Bühnentechniker-Tarifvertrag (BTT) oder der Tarifvertrag für technische Angestellte mit teilweise künstlerischer Tätigkeit an Landesbühnen (BTTL) maßgebend gewesen. Das tarifliche Bühnenarbeitsrecht gehe von der Befristung der Arbeitsverträge als Regelfall aus. Die tariflich vorgesehene Nichtverlängerungsanzeige unterbreche nicht wie die Kündigung den zeitlichen Ablauf des Vertragsverhältnisses, vielmehr komme ihr nur deklaratorische Bedeutung zu.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die BA eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 AFG. Die Vorschrift erfasse entgegen der Ansicht des LSG auch die Beendigung befristeter Arbeitsverhältnisse. Es handle sich dabei um eine der Klägerin zurechenbare Entlassung. Für sie sei es aufgrund der langjährigen arbeitsvertraglichen Beziehung mit F. geboten gewesen, dessen Schutzbedürfnis Rechnung zu tragen und von vertragsbeendenden Schritten vor Erreichen des Rentenalters abzusehen. Die von der Klägerin angeführten "künstlerischen Gründe" begründeten nicht eine teleologische Reduktion des § 128 AFG. Mit der Befristung wirke der Arbeitgeber wie durch einen Aufhebungsvertrag am Eintritt der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers mit. Nur wenn der Arbeitgeber darlegen und nachweisen könne, daß er ohne die Befristung zu einer sozial gerechtfertigten Kündigung oder zu einer Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt gewesen sei oder daß der Arbeitslose eine ihm angebotene Verlängerung ohne Abfindung oder ähnliche Leistung abgelehnt habe, trete die Erstattungspflicht nicht ein. Derartige Ausnahmetatbestände habe das LSG nicht festgestellt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. September 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, daß LSG habe die Erstattungsvoraussetzungen im Anwendungsbereich des sog Bühnenengagementvertrages rechtsfehlerfrei verneint. Die Klägerin treffe keine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit von F. Das werde auch der wertsetzenden Bedeutung der Kunstfreiheit bei Bühnenunternehmen gerecht. Die zuständigen Tarifvertragsparteien hätten sich im Bühnenbereich auf befristete Arbeitsverträge festgelegt, um die Kunstfreiheit zu schützen. Die von der Revision vertretene Ansicht führe zur verfassungswidrigen Beschränkung der Freiheit des Bühnenunternehmers, selbst darüber zu entscheiden, auf welche Weise er seine künstlerischen Ziele auf der Grundlage befristeter Arbeitsverhältnisse verfolgen wolle.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend eine Erstattungspflicht der Klägerin nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG verneint (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).

Im Revisionsverfahren ist nur noch darüber zu entscheiden, ob das LSG den Erstattungsbescheid vom 25. März 1999 zu Recht aufgehoben hat. Dieser Bescheid hat den Grundlagenbescheid vom 20. August 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 1997 ersetzt und ist nach § 96 Abs 1 SGG kraft Klage Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Die mit dem Bescheid vom 25. März 1999 getroffene Erstattungsregelung enthält notwendigerweise die Entscheidung über die Voraussetzungen der Erstattungspflicht, zu der die BA mit dem nicht zulässigen Grundlagenbescheid abstrakt Stellung genommen hatte (BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 3; BSGE 81, 259, 260 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5).

Der Erstattungsbescheid vom 25. März 1999 ist rechtswidrig, denn § 128 Abs 1 Satz 1 AFG begründet nicht die Erstattungspflicht bei Beendigung befristeter Arbeitsverhältnisse im Schutzbereich der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit (Art 5 Abs 3 Satz 1 GG).

Nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2044) erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch die nach § 104 Abs 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der BA vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage. Diese Voraussetzungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit Verfahrensrügen angegriffen und damit für das Bundessozialgericht (BSG) bindend sind (§ 163 SGG), erfüllt. Allerdings tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn einer der in § 128 Abs 1 Satz 2 AFG geregelten Ausschlußtatbestände vorliegt bzw vom Arbeitgeber dargelegt und nachgewiesen wird. Das ist hier nicht der Fall.

Das LSG hat angenommen, die Erstattungspflicht der Klägerin sei nicht gegeben, weil die Erstattungsvorschrift nach ihrem Sinn und Zweck und im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Arbeitgebers (Art 12 Abs 1 GG) einschränkend auszulegen sei. Die Erstattungspflicht beziehe sich "regelmäßig" nicht auf befristete Arbeitsverhältnisse. Vielmehr ergebe sich die Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers aus der Nichtverlängerung und dem Fristablauf des Arbeitsverhältnisses. Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das BSG hat bereits ausgesprochen, die Befristung von Arbeitsverträgen schließe die Erstattungspflicht des Arbeitgebers nicht aus (BSGE 85, 224, 228 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 7). Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, daß für die Erstattungspflicht nicht die Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern das Erreichen eines bestimmten Lebensalters des Arbeitnehmers und die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit maßgeblich sind. Diese Umstände kennzeichnen ältere Arbeitnehmer als eine Problemgruppe des Arbeitsmarktes. Ihre durch lange Betriebszugehörigkeit erwiesene Betriebstreue und die damit erweiterte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers rechtfertigt seine Inanspruchnahme für die sozialen Kosten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BVerfGE 81, 156, 157 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1; BSGE 85, 224, 229 = SozR 3-4100 § 128 Nr 7). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

Gleichwohl erweist sich die Entscheidung des LSG als zutreffend. Sie trägt der Eigenart des Arbeitsbereichs "Theater" Rechnung. Unternehmen und Betriebe, die künstlerischen Zielen dienen, sind im Schutzbereich der Kunstfreiheit (Art 5 Abs 3 Satz 1 GG) tätig. Sinn der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit ist es, die Eigengesetzlichkeit der Kunst zu gewährleisten und von jeglicher Einflußnahme durch öffentliche Gewalt freizuhalten (BVerfGE 30, 173, 190). Mit einer solchen Gewährleistung wären Lenkungsmaßnahmen, wie sie die Erstattungspflicht von Arbeitgebern bei Leistungen wegen Arbeitslosigkeit älterer, langjähriger Arbeitnehmer darstellen (BVerfGE 81, 156, 191 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1), nicht vereinbar.

Das eigentliche Tätigkeitsfeld von Theatern - die Aufführung von Schauspielen, Opern und Balletten - gehört fraglos in den Schutzbereich der Kunstfreiheit. Insofern bedarf es im vorliegenden Zusammenhang nicht einer Begriffsbestimmung der Kunst, um die Grenzen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung zu bestimmen (Kunig DÖV 1982, 765). Theaterproduktionen sind das Ergebnis, verschiedener künstlerischer Aktivitäten (zB Inszenierung, Darstellung, Ausstattung). Das Gelingen einer Aufführung (als eines Gesamtkunstwerks) ist deshalb auch von den Personalentscheidungen abhängig, weil die mit der Aufführung verfolgten künstlerischen Ideen entscheidend durch das verständnisvolle Mitwirken aller Beteiligten geprägt werden. Personalentscheidungen der Bühnenleitung betreffen deshalb den Kernbereich der Kunstfreiheit, ohne daß diese Entscheidungen immer von einer Beurteilung der künstlerischen Befähigung abhängig sein müssen. Die Auswahl der Mitwirkenden ist Ausdruck der künstlerischen Freiheit des Bühnenleiters, die Kräfte zu gewinnen und zu behalten, "die nach seinem künstlerischen Urteil für die Gestaltung und Durchführung des Spielplans notwendig und die richtigen Interpreten seiner Inszenierungen sind" (BVerwGE 62, 55, 60).

Personalentscheidungen im Theater berühren die Kunstfreiheit aber nur, soweit sie künstlerisches Personal betreffen. Das trifft nicht zu bei Verwaltungspersonal oder Mitarbeitern in technischen Hilfsfunktionen (Bühnenhandwerkern, Bühnenarbeitern). Entscheidendes Merkmal ist insoweit die "individuelle gestaltende Einflußnahme auf die Realisation des Kunstwerks" (Denninger, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd VI: Freiheitsrechte, 1989, S 847, 861). Einfluß auf die Verwirklichung des Kunstwerks haben danach nicht nur die künstlerischen Leiter der verschiedenen Sparten (Regisseur, Bühnenbildner, Ausstattungsleiter), sondern auch die Mitwirkenden, die die Leitideen mit ihren Beiträgen umzusetzen haben. Dies trifft etwa für Chormitglieder oder Regieassistenten (Denninger aaO), aber auch für Bühnenmaler und Kascheure zu, die Entwürfe von Bühnenbildnern oder Ausstattungsleitern künstlerisch verwirklichen.

Das LSG hat festgestellt, daß für das Arbeitsverhältnis des F. entweder der BTT oder der BTTL maßgebend gewesen ist. Deshalb ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß F. als Theatermaler und Kascheur überwiegend künstlerisch tätig war. Die Klägerin konnte sich mithin F. gegenüber auf eine sachlich gerechtfertigte Befristungsabrede berufen und das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31. Juli 1995 beenden (vgl BAGE 89, 339 = AP Nr 53 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag mwN). Die Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages der Klägerin mit F. bewegt sich damit im Schutzbereich der Kunstfreiheit und ist deshalb Lenkungsmaßnahmen wie der Erstattung sozialer Folgekosten durch die Klägerin nicht zugänglich. Die Eigengesetzlichkeit des Arbeitsbereichs "Theater" wird auch durch § 118 Abs 1 Nr 1 Betriebsverfassungsgesetz belegt. Die tariflich vorgesehenen Kettenarbeitsverträge für das künstlerische Personal sollen die Verwirklichung künstlerischer Vorstellungen gewährleisten (vgl Riepenhausen, Das Arbeitsrecht der Bühne, 2. Aufl § 197; Rehbinder RdA 1971, 211, 214). Die dazu unerläßliche Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit der Kunst (BVerfGE 30, 173, 191) wäre verletzt, wenn die BA über die Inanspruchnahme der Klägerin mit der Erstattungsforderung eine Lenkungsfunktion über Personalentscheidungen im künstlerischen Bereich und eine Entlastungsfunktion zugunsten der Solidargemeinschaft durchsetzen könnte.

Träger des Grundrechts auf Kunstfreiheit sind nicht nur sämtliche künstlerischen Mitglieder des Theaters, die sich gegen jede Einschränkung ihrer künstlerischen Tätigkeit durch die öffentliche Gewalt zur Wehr setzen können. Auch juristische Personen - hier eine kommunale Eigengesellschaft als Bühnenträger - kommen als Grundrechtsträger in Betracht, weil sie "der Schaffung und Darbietung der Kunst dienen" (BVerwGE 62, 55, 99; Denninger aaO 862). Aus diesem Grunde kann dahinstehen, ob die Nichtverlängerungsanzeige von dem Intendanten als künstlerischem Bühnenleiter oder einem Organ des Bühnenträgers erklärt worden ist.

Die Kunstfreiheit ist nach Art 5 Abs 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet. Für sie gelten weder die Schranken der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit (Art 5 Abs 2 GG) noch die Schrankentrias des Art 2 Abs 1 GG (BVerfGE 30, 173, 191 ff). Mithin ist die Erstattungsvorschrift des § 128 Abs 1 Satz 1 AFG nicht geeignet, Personalentscheidungen von Bühnenträgern oder Bühnenleitern im erörterten Schutzbereich des Art 5 Abs 3 Satz 1 GG zu beeinflussen. Daraus ist indes nicht die Schrankenlosigkeit von Kunstfreiheit zu folgern. Grenzen der Kunstfreiheit ergeben sich vielmehr bei Kollision mit anderen Rechten oder Grundsätzen mit Verfassungsrang (zB Eigentum; Sozialstaatsprinzip) im Wege der "praktischen Konkordanz", mit der widerstreitende Verfassungsrechte oder -prinzipien im Interesse optimaler Wirkung einander zuzuordnen sind (Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl 1995, RdNr 72; Denninger aaO S 178 ff; ein Beispiel solchen Vorgehens bietet BVerwGE 62, 55, 61 f, wo Grenzen der Kunstfreiheit durch Beteiligung des Personalrats in Personalangelegenheiten des künstlerischen Personals mit dem Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip gerechtfertigt werden). Solche Fragen stellen sich im vorliegenden Zusammenhang nicht. Die Lenkungs- und Entlastungsfunktion der Erstattung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch den früheren Arbeitgeber hat keinen Verfassungsrang. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im einzelnen ausgeführt, der Gesetzgeber sei zum Erreichen der angedeuteten Ziele befugt, die Erstattungspflicht als geeignetes und erforderliches Mittel einzuführen (BVerfGE 81, 156, 189 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Es besteht aber kein Anhaltspunkt für ein verfassungsrechtliches Gebot, die Erstattungsregelung einzuführen. Grenzen der auf Art 5 Abs 3 Satz 1 GG gestützten Entscheidungsfreiheit in Angelegenheiten des künstlerischen Personals ergeben sich auch nicht aus der Kunstfreiheit der Betroffenen. Adressat des Freiheitsrechts ist die öffentliche Gewalt, nicht der Bühnenträger oder der Bühnenleiter (Intendant). Die Kunstfreiheit gewährleistet für den einzelnen Künstler nicht einen Anspruch auf Beschäftigung (BVerwGE 62, 55, 60) und damit auch nicht einen Anspruch darauf, sein Arbeitsverhältnis über die vereinbarte Vertragsdauer hinaus zu verlängern. Auch insoweit besteht keine verfassungsrechtliche Konfliktlage, die eine Erstattungspflicht mit dem Ziel der Verlängerung auslaufender Verträge künstlerischen Personals rechtfertigen könnte.

Im Hinblick auf die im Schutzbereich der Kunstfreiheit ergehenden Entscheidungen von Bühnenträgern und Bühnenleitern in Angelegenheiten des künstlerischen Personals hält der Senat eine teleologische Reduktion der Erstattungsregelung des § 128 Abs 1 Satz 1 AFG für geboten. Dieses Vorgehen ist gerechtfertigt, weil die gesetzlichen Ausnahmen nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 bis 7 und Abs 2 Nr 1 und 2 AFG keine abschließende Regelung darstellen. Der Gesetzgeber hat diese Regelungen getroffen, um den auf Art 12 Abs 1 GG beruhenden Geboten der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Berufsausübung von Arbeitgebern zu genügen. Dementsprechend hat das BVerfG darauf hingewiesen, eine verfassungskonforme Auslegung der Erstattungsregelung könne im übrigen geboten sein, um das Übermaßverbot zu beachten (BVerfGE 81, 156, 200 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5). Da die verfassungsrechtliche Prüfung der Zumutbarkeit von Leistungserstattungen durch Arbeitgeber "das gesamte Normengefüge wegen des sachlichen Zusammenhangs in die verfassungsrechtliche Beurteilung" einzubeziehen hat (BVerfG aaO 194), ist es geboten, die Erstattungsregelung im Schutzbereich des Art 5 Abs 3 Satz 1 GG sektoral zu begrenzen. Diese Möglichkeit der Normkonkretisierung schließt die Vorlage an das BVerfG nach Art 100 GG aus (BVerfGE 34, 269, 286 ff; 90, 263, 274 ff; BVerfG NVwZ 2000, 910). Da der Gesetzgeber mit der hier anzuwendenden Regelung den verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG (BVerfGE 81, 156, 188 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 1) aus Art 12 Abs 1 GG Rechnung tragen wollte, ist auszuschließen, daß er eine Verletzung der in jenem Entscheidungszusammenhang nicht erheblichen speziellen Freiheitsgewährleistung des Art 5 Abs 3 Satz 1 GG in Kauf nehmen wollte. Die Entscheidung des Senats entspricht deshalb der Zielsetzung des Gesetzgebers und bestimmt wegen ihrer sektoralen Begrenzung den normativen Gehalt der Erstattungsregelung nicht neu.

Die Revision der BA ist mithin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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