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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 05.12.2006
Aktenzeichen: B 11a AL 43/05 R
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III F: 06.04.1998 § 134 Abs 1 S 2 Alt 2
SGB III F: 06.04.1998 § 134 Abs 1 S 1

Entscheidung wurde am 19.06.2007 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Der Anwendungsbereich des § 134 Abs 1 S 2 Alt 2 SGB III idF des AFRG ist auf Fälle beschränkt, in denen die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die alleinige Ursache des unterbliebenen Zuflusses des Arbeitsentgelts ist.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 5. Dezember 2006

Az: B 11a AL 43/05 R

Der 11a. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Wetzel-Steinwedel, den Richter Dr. Leitherer und die Richterin Dr. Roos sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Setz und Dr. Picker

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt die Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheides über die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) mit dem Ziel höherer Leistungen ab April 1999 wegen nachträglicher Berücksichtigung von Ansprüchen auf höheres Arbeitsentgelt.

Die Klägerin war langjährig als Montagearbeiterin bei der D GmbH (nachfolgend: Arbeitgeberin) beschäftigt.

Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts D vom 30. März 1999 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 31. März 1999 wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin gekündigt und diese gleichzeitig bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt. Am selben Tag meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg.

Die Beklagte gewährte der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 29. März 1999 Insolvenzgeld (Insg) und bewilligte ab 1. April 1999 Alg nach der Leistungsgruppe A/0 in Höhe von 256,34 DM wöchentlich (Bescheid vom 26. April 1999). Bei der Bemessung legte sie als Arbeitsentgelt im angenommenen Bemessungszeitraum vom 2. April 1998 bis 31. März 1999 die in der Arbeitsbescheinigung vom 16. April 1999 für die vollen Monate ausgewiesenen Bruttoarbeitsentgelte zu Grunde, nämlich unter Einschluss von Tariflohnerhöhungen für die Monate Januar bis März 1999 insgesamt 33.282,68 DM. Dieses geteilt durch 52,2 Wochen ergab nach den Berechnungen der Beklagten ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 637,60 DM, aufgerundet 640,00 DM. Das wöchentliche Leistungsentgelt wurde ab dem 1. Januar 2000 auf 262,29 DM erhöht (Bescheid vom 7. Januar 2000).

Mit Schreiben vom 21. März 2000 beantragte die Klägerin eine Überprüfung der Höhe des Alg. Zur Begründung führte sie in der Folge an, für die Zeit von April bis Dezember 1998 stünden ihr ebenfalls noch Ansprüche auf Tarifnachzahlungen in Höhe von 1.947,76 DM zu. Diese Ansprüche seien - nach arbeitsgerichtlicher Klage - unstreitig, der geschuldete Betrag könne und werde aber wegen der Insolvenz nicht fließen. Hierzu verwies die Klägerin auf eine schriftliche Forderungsanmeldung gegenüber dem Insolvenzverwalter vom 27. April 1999.

Mit Bescheid vom 14. April 2000 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag mangels Unrichtigkeit der Bewilligung ab. Der Widerspruch blieb nach zwischenzeitlicher Anpassung und Anhebung des Bemessungsentgelts zum 1. April 2000 auf gerundet 650,00 DM (Bescheid vom 25. April 2000) und zusätzlich pauschaler Erhöhung des Bemessungsentgelts um 10 % zum 22. Juni 2000 wegen der Berücksichtigung von Einmalzahlungen (Bescheid vom 26. Juli 2000) erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 22. September 2000 verwies die Beklagte ua darauf, dass der Rechtsanspruch auf die Tariferhöhungen nach den Angaben des Insolvenzverwalters zwar arbeitsgerichtlich bestätigt, eine Nachzahlung der Differenzbeträge durch die Arbeitgeberin aber nicht erfolgt sei.

Mit der Klage hat die Klägerin ua geltend gemacht, die arbeitsgerichtlich eingeklagte Differenzforderung für die Monate April bis Dezember 1998 sei durch den Insolvenzverwalter nunmehr "anerkannt" worden. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte - nach einem vorherigen Vergleich über eine 10 %ige Pauschalerhöhung des Bemessungsentgelts bereits zum 1. April 2000 - verurteilt, der Berechnung des Alg ein Entgelt für die Monate April 1998 bis März 1999 in Höhe von 35.230,44 DM (33.282,68 DM + 1.947,76 DM) zu Grunde zu legen (Urteil vom 24. Oktober 2001).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Mai 2005). Zur Begründung hat es ua ausgeführt:

Die Voraussetzungen für eine Korrektur des Bemessungsentgelts nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) seien nicht gegeben. Auch wenn die Klägerin für die Monate April bis Dezember 1998 noch weiteres Arbeitsentgelt beanspruche, könne dieses nicht in das Bemessungsentgelt eingehen, weil es nicht zugeflossen sei. Die Zuflussfiktion des § 134 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) gelte grundsätzlich nicht, wenn das nicht zugeflossene Arbeitsentgelt bereits vor der Insolvenz fällig gewesen und die Zahlung im Fälligkeitszeitpunkt nicht wegen Zahlungsunfähigkeit, sondern aus anderen Gründen verweigert worden sei. Denn dann fehle es am erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Nichtzahlung des zustehenden Arbeitsentgelts und der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Die Zahlung des geringeren Entgelts für die Monate April bis Dezember 1998 sei nicht unmittelbare Folge der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin gewesen, welche offenbar erst Anfang 1999 eingetreten sei. Im Hinblick auf angeblich geschuldete, aber nicht zugeflossene Entgelte sei § 134 Abs 1 Satz 2 SGB III im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Vorgängervorschrift des § 112 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einschränkend dahin auszulegen, dass ein enger Bezug zwischen dem Ausbleiben des Arbeitsentgelts und der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vorliegen müsse. Denn anderenfalls würden im Rahmen der Alg-Berechnung vielfach umfangreiche, von der Beklagten nicht zu bewältigende Ermittlungen zu arbeitsrechtlichen Fragen notwendig, falls der Arbeitnehmer gegenüber der Beklagten alle streitigen Forderungen aus dem Bemessungszeitraum geltend machen könne. Während das Erfordernis des späteren Zuflusses des Entgeltes in aller Regel die Gewähr biete, dass der Arbeitgeber nur die Beträge zahle, die geschuldet seien, gelte dies für ein Anerkennen von Ansprüchen durch den zahlungsunfähigen Arbeitgeber oder den Insolvenzverwalter nicht, weil beide kaum Gefahr liefen, die anerkannten Beträge tatsächlich auszahlen zu müssen. Eine einschränkende Auslegung sei auch deshalb zulässig, weil für die Teile des Arbeitsentgelts, deren Berücksichtigung verlangt werde, keine Beiträge gezahlt worden seien.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und rügt eine Verletzung des § 134 Abs 1 Satz 2 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG). Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, weder aus dem Normzweck noch aus dem Gesamtzusammenhang sei zu entnehmen, dass bereits zum Zeitpunkt der Fälligkeit des zu Unrecht nicht ausgezahlten Arbeitsentgelts Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bestehen müsse. Gerade wenn wegen der Insolvenzeröffnung ein Zufluss des geschuldeten Arbeitsentgelts nicht mehr erreicht werden könne, greife der Normzweck ein, den Arbeitslosen vor Benachteiligungen bei der Berechnung des Alg zu schützen, wenn der frühere Arbeitgeber rechtswidrig Arbeitsentgelt nicht ausgezahlt habe. Bei relativ leicht feststellbaren Restansprüchen des Arbeitslosen (wie ua bei Anerkennung durch den Insolvenzverwalter) bedürfe es auch keineswegs unüblicher arbeitsrechtlicher Prüfungen. Die Entrichtung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung sei ebenfalls keine Voraussetzung für eine Berücksichtigung von Arbeitsentgelt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Mai 2005 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 24. Oktober 2001 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin für die Zeit ab dem 1. April 1999 kein höheres Alg zusteht.

Den auf höheres Alg gerichteten Überprüfungsantrag der Klägerin nach § 44 SGB X hat die Beklagte zutreffend abgelehnt. Die Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsakts ist nur möglich, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb ua Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Der Bewilligungsbescheid vom 26. April 1999 und die nach Maßgabe des § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in das Verfahren einbezogenen Folgebescheide vom 25. April 2000 und 26. Juli 2000 (vgl zur Anwendung des § 96 SGG im Überprüfungsverfahren: BSG, Urteil vom 25. März 2003 - B 7 AL 114/01 R - mwN) sind jedoch rechtmäßig.

Die hier allein fragliche Bemessung der Höhe des Alg-Anspruchs für die Zeit ab dem 1. April 1999 richtet sich nach den §§ 129 ff SGB III idF des AFRG vom 24. März 1997 (BGBl I 594).

Das Alg beträgt nach § 129 Nr 2 SGB III für Arbeitslose ohne berücksichtigungsfähige Kinder 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelts), welches sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß § 130 Abs 1 SGB III iVm § 434 Abs 1 SGB III (eingefügt durch das Zweite SGB III-Änderungsgesetz vom 21. Juli 1999, BGBl I 1648) die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten 52 Wochen (jetzt ein Jahr, vgl § 130 Abs 1 Satz 2 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003, BGBl I 2848) vor der Entstehung des Anspruchs, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten sind und beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem letzten Versicherungspflichtverhältnis vor Entstehung des Anspruchs abgerechnet waren (zum Erfordernis des Zuflusses im Geltungsbereich des AFG vgl Urteil des erkennenden Senats vom 24. Juli 1997 - 11 RAr 97/96, veröffentlicht in juris).

Der Bemessungszeitraum umfasst danach entsprechend den Angaben in der Arbeitsbescheinigung den Zeitraum vom 2. April 1998 bis zum 31. März 1999. Hiervon ausgehend hat die Beklagte unter Beachtung der Berechnungsmodalitäten der §§ 132, 338 Abs 3 SGB III idF des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2970) im Ergebnis richtig ein gerundetes Bemessungsentgelt von 640,00 DM wöchentlich ermittelt und in der Folge das ungerundete Bemessungsentgelt zum 1. April 2000 gemäß §§ 138, 411 Abs 1 Satz 2 SGB III idF des AFRG mit dem zum dortigen Zeitpunkt in den neuen Bundesländern maßgeblichen Faktor 1,0159 (§ 151 Abs 2 Nr 1 SGB III iVm SGB III-Anpassungsverordnung 1999 vom 7. Mai 1999, BGBl I 875) angepasst. In gleicher Weise hat die Beklagte das Bemessungsentgelt im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Mai 2000 (BVerfGE 102,127 = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) und im Vorgriff auf den zum 1. Januar 2001 durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21. Dezember 2000 (BGBl I 1971) eingefügten § 434c Abs 1 SGB III auf der Basis des mit der Klägerin vor dem SG geschlossenen Vergleichs zum 1. April 2000 um 10 % erhöht und auf 710,00 DM angehoben. Hierbei verbleibt es wegen der Auf- und Abrundungsvorschrift des § 338 Abs 3 SGB III idF des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes (aaO) auch dann, wenn - wie der 7. Senat des Bundessozialgerichts entschieden hat - im Anwendungsbereich des § 130 Abs 1 SGB III und im Unterschied zur Vorgängerregelung des § 112 AFG nur volle Entgeltabrechnungszeiträume berücksichtigt werden (BSG SozR 4-4300 § 133 Nr 3 mwN) und somit entgegen der Berechnung der Beklagten der April 1998 nicht zum Ansatz kommt (Gesamtentgelt: 33.282, 68 DM - 2.713,44 DM <April 1998> = 30.569,24 DM; 30.569,24 DM : 47,8 <Wochen-Divisor> = 639, 52 DM).

Eine Abweichung zu Gunsten der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 134 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB III (iVm mit § 434 Abs 1 SGB III). Danach ist für Zeiten einer Beschäftigung als Entgelt nur das beitragspflichtige Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das der Arbeitslose erzielt hat (Satz 1). Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt (Satz 2), wenn sie (Alt 1) zugeflossen oder (Alt 2) nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind (mit Wirkung ab 1. Januar 2005 ersetzt durch die inhaltlich übereinstimmende Regelung des § 131 Abs 1 Satz 2 SGB III auf Grund des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, aaO).

Für die von der Klägerin geltend gemachten und nach ihrem Vorbringen vom Insolvenzverwalter anerkannten Differenzbeträge iHv 1.947,76 DM steht fest, dass sie weder während des Bemessungszeitraums noch im Anschluss daran im Sinne eines Zuflusses erzielt worden sind. Der Zufluss ist auch nicht "nur" wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers unterblieben. Hierfür reicht eine Ursächlichkeit nach der im Sozialrecht herrschenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung (vgl zB BSGE 69, 108, 110f = SozR 3-4100 § 119 Nr 6; Voelzke in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 12 RdNr 296) nicht aus. Dementsprechend genügt es auch nicht, dass die Zahlung zunächst aus anderen Gründen (zB Unkenntnis oder Zahlungsunwilligkeit) unterblieben und erst im weiteren Verlauf die Zahlungsunfähigkeit hinzugetreten ist. Für eine derart weit gehende Auslegung bietet schon der Wortlaut des § 134 Abs 1 Satz 2 SGB III keinen durchgreifenden Anhalt. Auch der historische Kontext mit der Vorgängerregelung des § 112 AFG zeigt eine nur vorsichtige Erweiterung des Kreises der als erzielt geltenden Arbeitsentgelte.

Denn im Geltungsbereich des § 112 AFG waren zuvor überhaupt nur erzielte Arbeitsentgelte berücksichtigungsfähig. Erzielt war ursprünglich allein dasjenige Arbeitsentgelt, welches der Arbeitnehmer bis zum Tage seines Ausscheidens tatsächlich in die Hand bekommen hatte bzw zumindest in der Weise abgerechnet war, dass es zur Verfügung lediglich noch des technischen Überweisungsvorganges bedurfte (sog reine Zuflusstheorie; zuletzt BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 10; BSG, Urteil vom 23. Juli 1992 - 7 RAr 2/92, veröffentlicht in juris). Später hat der 7. Senat (BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22) die Vorschrift des § 112 Abs 1 Satz 1 AFG im Lichte des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) dahingehend ausgelegt, dass als "erzielt" auch diejenigen Teile des Arbeitsentgelts zu berücksichtigen sind, die dem Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden infolge nachträglicher Vertragserfüllung für den Bemessungszeitraum zugeflossen sind (kombinierte Anspruchs- und Zuflusstheorie). Nicht als erzielt ausreichen lassen hat der 7. Senat dagegen das Arbeitsentgelt, welches der Arbeitslose im Bemessungszeitraum rechtlich zu beanspruchen (sog Anspruchstheorie) oder welches er vor dem Ende der Beschäftigung geltend gemacht und eingeklagt hat (modifizierte Zuflusstheorie). Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat in der Folge angeschlossen (BSGE 78, 109 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48). Tragend war die Überlegung, dass nach der Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) zur Behandlung von Einmalzahlungen in der Arbeitslosenversicherung kein hinreichend sachlicher Grund mehr ersichtlich war, Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung leistungsrechtlich nur deshalb unterschiedlich zu behandeln, weil bei der einen Gruppe Lohnteile verspätet, dh erst nach dem Ausscheiden, ausgezahlt wurden (BSGE 76, 162, 167 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22).

Dieser Rechtsprechung ist § 134 Abs 1 Satz 2 SGB III gefolgt. Bei der nachträglichen Vertragserfüllung (Alt 1) setzt eine Einbeziehung höherer Arbeitsentgelte in die Bemessung des Alg weiterhin voraus, dass die ausstehenden Beträge, wenn auch erst nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, tatsächlich zugeflossen sind. Vor diesem Hintergrund ist auch die 2. Alternative des § 134 Abs 1 Satz 2 SGB III zu sehen. Den neu geschaffenen Tatbestand der Berücksichtigung nicht zugeflossenen Entgelts hat der Gesetzgeber des SGB III danach in zweifacher Hinsicht beschränkt, nämlich auf den wegen Zahlungsunfähigkeit, aber auch "nur" auf den wegen Zahlungsunfähigkeit unterbliebenen Zufluss. Hiernach kann es nicht ausreichen, wenn der Arbeitslose bis zu seinem Ausscheiden einen Anspruch auf das Arbeitsentgelt hatte und dieses dann wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr erhält (so aber Coseriu/Jakob in PK-SGB III, 2. Aufl, § 134 RdNr 12; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2002, § 134 RdNr 30 f). Lässt sich in diesen Fällen der unterbliebene Zufluss nicht allein auf die Zahlungsunfähigkeit zurückführen, ist er nicht nach § 134 Abs 1 Satz 2 Alt 2 SGB III berücksichtigungsfähig.

In diese Richtung weisen auch die Gesetzesmaterialien. Denn danach sollen Entgelte, die der Arbeitslose vor seinem Ausscheiden aus dem letzten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tatsächlich nicht erhalten hat, aber gleichwohl rückwirkend bei der Bemessung des Alg berücksichtigt werden, wenn sich nachträglich, insbesondere auf Grund gerichtlicher Entscheidung herausstellt, dass der Arbeitslose dieses Entgelt beanspruchen konnte. Solche Entgelte werden allerdings nur berücksichtigt, wenn sie, wenn auch nachträglich, dem Arbeitslosen zugeflossen sind oder nur wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr zufließen konnten. Mit dieser Einschränkung soll verhindert werden, dass sich die Parteien eines Arbeitsvertrages nachträglich rückwirkend auf ein höheres Arbeitsentgelt des Betroffenen, etwa im Vergleichswege verständigen, um ein höheres Alg zu erreichen, ohne dass der Arbeitgeber den höheren Betrag auch an den Arbeitnehmer auszahlen muss (BT-Drucks 13/4941 S 179). Abgesehen davon soll - wie schon im zuvor geltenden Recht - erreicht werden, dass das Alg schnell bewilligt und ausgezahlt wird (BT-Drucks, aaO). Darin kommt jedenfalls zweierlei an gesetzgeberischer Intention zum Ausdruck, nämlich sicherzustellen erstens, dass die Höhe des Arbeitsentgelts nicht nachträglichen Manipulationen ausgesetzt wird, und zweitens, dass die Verwaltung in Stand gesetzt wird, schnell zu entscheiden. Letzteres wird noch dadurch verdeutlicht, dass im Unterschied zu den Gesetzesmaterialien die Formulierung "nicht mehr zufließen" im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden hat, dh der Fall einer nachträglichen Zahlungsunfähigkeit bei einem zunächst auf anderen Ursachen beruhenden Unterbleiben des Arbeitsentgeltzuflusses nicht angesprochen wird.

Mit diesen Zielvorgaben lassen sich Interpretationen des § 134 Abs 1 Satz 2 Alt 2 SGB III schwerlich in Einklang bringen, die der Verwaltung unübersichtliche (arbeitsrechtliche) Prüfungen abverlangen und/oder mit dem Risiko nachträglicher Änderungen der Lohnansprüche zu Lasten der Versichertengemeinschaft behaftet sind. Dem sozialversicherungsrechtlichen Anliegen nach Missbrauchsabwehr und Praktikabilität wird stattdessen am ehesten eine Betrachtungsweise gerecht, die in typisierender Weise den Anwendungsbereich des § 134 Abs 1 Satz 2 Alt 2 SGB III auf Fälle beschränkt, in denen die Zahlungsunfähigkeit die alleinige Ursache des unterbliebenen Zuflusses ist (Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand 2006, § 131, RdNr 60). Im vorliegenden Fall besteht indessen - wie vom LSG festgestellt - der gebotene Ausschließlichkeitszusammenhang zwischen der Zahlung des geringeren Entgelts für die Monate April bis Dezember 1998 und der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin nicht. Das zeigt sich auch darin, dass nach den vom LSG in Bezug genommenen Verfahrensakten die arbeitsgerichtliche Klage wegen der Tarifnachzahlungen für die Monate April bis Dezember 1998 schon vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit anhängig war.

Von der Privilegierung des § 134 Abs 1 Satz 2 Alt 2 SGB III bleiben entsprechend der gesetzgeberischen Zielsetzung folglich die aus einer vorhergehenden Zeit herrührenden und vormals streitigen Arbeitsentgelte regelmäßig ausgeschlossen, wenn sie erst nach Eintritt der Insolvenz tituliert werden. Denn die Titulierung vermag nichts daran zu ändern, dass die Zahlung der (höheren) Arbeitsentgelte zunächst aus anderen Gründen unterblieben ist. Eine Entwertung dieser Ansprüche ist hiermit gleichwohl nicht verbunden, weil es auf diese zivilrechtliche, vorzugsweise vollstreckungsrechtliche Wertigkeit aus sozialversicherungsrechtlichem Blickwinkel nicht ankommt. Bereits aus der Gesetzesbegründung (aaO, S 179) ergibt sich, dass der Titel, selbst wenn es sich um eine gerichtliche Entscheidung handelt, für sich genommen niemals ausreicht, um Arbeitsentgelt als erzielt gelten lassen zu können. Allein das von der Klägerin geltend gemachte - wie immer geartete - Anerkenntnis des Insolvenzverwalters (auch bei Feststellung der Forderung und Eintragung des Ergebnisses der Prüfung in die Tabelle nach § 178 Abs 3 Insolvenzordnung <InsO>) ist deshalb ebenfalls unzureichend.

Der Einwand der Klägerin, die Entrichtung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung sei auch sonst keine Voraussetzung für die Berücksichtigung von Arbeitsentgelt und bei relativ leicht feststellbaren Restansprüchen (wie ua der Anerkennung durch den Insolvenzverwalter) bedürfe es keineswegs aufwendiger arbeitsrechtlicher Prüfungen, vermag nicht zu überzeugen. Denn es ist zwar zutreffend, dass der Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit allein von einer beitragspflichtigen Beschäftigung während der Anwartschaftszeit abhängt, nicht dagegen von der Beitragsentrichtung. Insoweit ist das Leistungsrecht in der Arbeitslosenversicherung vom Beitragsrecht entkoppelt (vgl BSGE 70, 81 = SozR 3-4100 § 104 Nr 8). Dies ändert aber nichts daran, dass es das eigentliche Prinzip der Arbeitslosenversicherung ist, den wegen Arbeitslosigkeit ausfallenden Lohn teilweise zu ersetzen. Gerade § 134 SGB III betont die Konnexität von beitragspflichtigem Entgelt und Bemessungsentgelt und ist Ausdruck der gesetzgeberischen Absicht, das Bemessungsentgelt nach möglichst einfach festzustellenden und objektiv überprüfbaren Maßstäben zu bestimmen (vgl BSGE 74, 96, 100 = SozR 3-4100 § 112 Nr 17; Rolfs in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 29 RdNr 17).

Demgegenüber kann mangels Beschwer der Klägerin letztlich offen bleiben, ob das von dem Insolvenzverwalter für den Insg-Zeitraum ab Januar 1999 unter Einschluss von Tariferhöhungen bescheinigte erhöhte Bruttoarbeitsentgelt, auch wenn es nicht - das Insg ist kein Arbeitsentgelt - zugeflossen ist, nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen ist (zur abweichenden Rechtslage im Geltungsbereich des AFG vor Inkrafttreten des Achten AFG-Änderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987, BGBl I 2602, vgl BSGE 64, 179 = SozR 4100 § 112 Nr 43; ferner für die Zeit nach Inkrafttreten des Achten AFG-Änderungsgesetzes, aaO, LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. März 1997 - L 1 Ar 102/95; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29. Februar 2000 - L 2 AL 19/98).

Zusammenfassend verbleibt es daher dabei, dass mehr als das von der Beklagten bereits berücksichtigte Arbeitsentgelt nicht berücksichtigungsfähig und die Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden ist, mithin die Voraussetzungen für eine (abändernde) Rücknahme des Bewilligungsbescheids nicht gegeben sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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