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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 30.03.2000
Aktenzeichen: B 12 KR 15/99 R
Rechtsgebiete: RVO


Vorschriften:

RVO § 1436 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 30. März 2000

Az: B 12 KR 15/99 R

Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz, Eichendorffstraße 4-6, 67346 Speyer,

Klägerin und Revisionsklägerin,

gegen

AOK - Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz, Virchowstraße 30, 67304 Eisenberg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Peters, die Richterin Harbeck und den Richter Dr. Schlegel sowie die ehrenamtlichen Richter Jungwirth und Koch

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. April 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs der klagenden Landesversicherungsanstalt (LVA) gegen die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK).

Die beklagte AOK ist Rechtsnachfolgerin der AOK für den Rhein-Hunsrück-Kreis, die Einzugsstelle für die H-GmbH war. Diese verbuchte seit 1980 Arbeitsentgelte in großem Umfang als Aushilfslöhne, obwohl die Arbeitnehmer nicht nur als Aushilfen kurzfristig beschäftigt waren. Die Steuerfahndung deckte dies 1987 auf und schätzte, daß allenfalls 20 vH der verbuchten Aushilfslöhne als solche berechtigt waren. Die H-GmbH akzeptierte diese Schätzung und zahlte auf deren Grundlage Lohnsteuer nach. Hiervon setzte die Steuerfahndung die AOK in Kenntnis. Diese nahm Einsicht in die bei der Steuerfahndungsstelle befindlichen Lohnunterlagen und kündigte der H-GmbH im März 1988 den Erlaß eines Summenbescheides an, wobei sie davon ausging, daß 80 vH der gezahlten Aushilfslöhne (insgesamt 1.875.216 DM in den Jahren 1980 bis 1985) beitragspflichtig seien. Die H-GmbH wandte ein, die Voraussetzungen für einen Summenbescheid lägen nicht vor. Weitere Ermittlungen darüber, ob die gezahlten Aushilfslöhne der Beitragspflicht unterlagen, sollten bei einer Betriebsprüfung angestellt werden; hierzu kam es jedoch nicht, weil die H-GmbH mehrfach um Verschiebung der Betriebsprüfung bat. Ohne daß diese stattgefunden hatte, einigten sich am 30. November 1988 die AOK und die H-GmbH darauf, daß zur Abgeltung sämtlicher Beitragsrückstände für die Jahre 1980 bis 1988 ein Betrag von 70.000 DM gezahlt werde. Nach Erhalt dieser Summe erklärte die AOK mit Schreiben vom 19. Dezember 1988 gegenüber der H-GmbH die Überprüfung der Aushilfslöhne für die Zeit von 1980 bis Ende 1988 für beendet.

Hiervon erhielt die klagende LVA erstmals bei einer von ihr im Oktober 1989 durchgeführten Einzugsstellenprüfung Kenntnis. Sie beanstandete das Vorgehen der AOK, weil der Vergleich vom November 1988 ohne ihre Zustimmung geschlossen worden sei. Hierauf erließ die AOK auf Verlangen der Klägerin gegenüber der H-GmbH für die Jahre 1980 bis 1985 einen Summenbescheid über 554.885,91 DM, auf den sie die bereits gezahlten 70.000 DM anrechnete (Bescheid vom 28. Dezember 1989). Dieser Bescheid wurde auf die Klage der H-GmbH durch Urteil des Sozialgerichts (SG) aufgehoben und diese Aufhebung vom Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 19. August 1993 rechtskräftig bestätigt, weil ihm jedenfalls der den Vergleich bestätigende Bescheid entgegenstehe, der in dem Schreiben vom 19. Dezember 1988 liege. Es sei daher unerheblich, daß der Vergleich vom 30. November 1988 ohne Zustimmung der Klägerin geschlossen worden sei.

Nunmehr verlangte die Klägerin im Dezember 1993 von der AOK Schadensersatz, weil der Vergleich vom November 1988 ohne ihre Einwilligung abgeschlossen worden und sachlich nicht gerechtfertigt gewesen sei. Die Beklagte lehnte einen Schadensersatz ab, weil ein etwaiger Anspruch verjährt sei. Im Dezember 1994 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 281.430,35 DM erhoben. Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 26. Februar 1996 antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 1. April 1999 das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Klägerin sei zwar durch schuldhaft pflichtwidriges Verhalten der AOK ein Schaden in Höhe von 281.430,35 DM entstanden. Jedoch sei der Schadensersatzanspruch entsprechend § 25 Abs 1 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) verjährt. Die vierjährige Verjährungsfrist habe am 1. Januar 1989 begonnen und sei am 31. Dezember 1992 abgelaufen. Die AOK habe auf die Einrede der Verjährung nicht verzichtet.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 1436 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Da die AOK ihre Pflichten aus einem der entgeltlichen Geschäftsbesorgung ähnlichen Treuhandverhältnis verletzt habe, seien die Vorschriften über die positive Forderungsverletzung anwendbar. Der entsprechende Schadensersatzanspruch verjähre erst nach 30 Jahren. Die Beklagte verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie sich ihr gegenüber auf die vierjährige Verjährung berufe, während sie gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit (BA) auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. Auf ihr Verlangen hin habe die Beklagte den Versuch unternommen, die Beitragsforderung mit Bescheid vom 28. Dezember 1989 doch noch durchzusetzen, so daß es sich ihr (der Klägerin) verboten habe, den Schadensersatzanspruch verjährungsunterbrechend geltend zu machen. Das LSG habe keine Stellung dazu genommen, ob ein Schaden von der Beklagten vorsätzlich oder fahrlässig verursacht worden sei. Dies sei jedoch erforderlich, weil jedenfalls bei Vorsatz die 30jährige Verjährungsfrist gelten müsse.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 1. April 1999 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 26. Februar 1996 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist iS einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet. Ob der vom LSG festgestellte Schadensersatzanspruch verjährt ist, hängt davon ab, ob die AOK den Schaden vorsätzlich verursacht hat. Hierzu hat das LSG bisher keine Feststellungen getroffen.

Die Beziehungen der Träger der Arbeiterrentenversicherung zu den Einzugsstellen waren früher in § 1399 Abs 3, 4 RVO und den §§ 1433 bis 1437 RVO idF des Art 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl I 45) geregelt. Danach entschied die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe. Sie erließ den erforderlichen Verwaltungsakt, führte die eingezogenen Beiträge unverzüglich an den Träger der Rentenversicherung ab (§ 1433 Satz 1 RVO) und erhielt zur Abgeltung der Kosten, die ihr durch die Einziehung und Abführung der Beiträge entstanden, eine Vergütung (§ 1434 RVO). Über die Einziehung und Abführung der Beiträge sowie über deren Verwaltung und Abrechnung durch die Einzugsstellen war ua aufgrund des § 1435 RVO die Allgemeine Verwaltungsvorschrift über den Einzug der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Krankenversicherung (im folgenden: AVwV) vom 5. Mai 1972 (Bundesanzeiger <BAnz> Nr 89 vom 13. Mai 1972, S 1) ergangen, zuletzt geändert durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 9. Dezember 1982 (BAnz Nr 232 vom 14. Dezember 1982, S 1). Verletzte die Einzugsstelle schuldhaft eine der Verpflichtungen, die ihr hinsichtlich des Einzugs der Beiträge oblagen, so war sie dem Rentenversicherungsträger schadensersatzpflichtig (§ 1436 Abs 1 Satz 1 RVO); die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die Haftung für Vertragsverletzungen fanden entsprechende Anwendung (Abs 1 Satz 2 aaO).

Auch der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergibt sich aus § 1436 Abs 1 Satz 1 RVO. Die vorstehenden Regelungen der RVO und die AVwV zu § 1435 RVO sind zwar zum 1. Januar 1989 im wesentlichen durch die §§ 28h bis 28r SGB IV abgelöst worden (Art 1, Art 2 Nr 1, Art 19 Abs 1 Satz 1, Satz 2 Nr 4, Abs 2 bis 4 des Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das SGB IV vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2330). Das Recht und die Pflicht der Einzugsstelle zum Beitragseinzug ergeben sich jetzt aus § 28h SGB IV, die Pflicht zur Weiterleitung der eingezogenen Beiträge aus § 28k SGB IV und der Vergütungsanspruch der Einzugsstelle aus § 28l SGB IV. Regelungen über die Beteiligung ua der Rentenversicherungsträger bei der Stundung, der Niederschlagung und dem Erlaß von Ansprüchen sowie einem Vergleich der Einzugsstelle über rückständige Beiträge, wie sie die AVwV vom 5. Mai 1972 vorsah, sind nunmehr in den Absätzen 3 und 4 des § 76 SGB IV geregelt, die dieser Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 1989 angefügt wurden. Der ebenfalls am 1. Januar 1989 in Kraft getretene § 28r SGB IV bestimmt, daß die Einzugsstelle dem Träger der Rentenversicherung für einen diesem zugefügten Schaden haftet, wenn ein Organ oder Bediensteter der Einzugsstelle eine diesem nach dem Vierten Abschnitt des Art 1 SGB IV (§§ 28a bis 28r SGB IV) auferlegte Pflicht schuldhaft verletzt. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist jedoch noch nach dem früheren Recht entstanden und durch die später und nur für die Zukunft vorgenommene Aufhebung der maßgebenden Vorschriften nicht erloschen (BSGE 73, 106, 108 = SozR 3-2200 § 1436 Nr 1 S 3).

Das LSG hat festgestellt, daß die AOK schuldhaft gegen die ihr gegenüber der Klägerin obliegende Pflicht verstoßen hat, Rentenversicherungsbeiträge vollständig zu erheben. Es hat weiter festgestellt, daß der Klägerin dadurch ein Schaden in Höhe von 281.430,35 DM entstanden ist. Die AOK habe ohne Beteiligung der Klägerin und der anderen Versicherungsträger mit der H-GmbH einen Abgeltungsbetrag ausgehandelt, der nicht gerechtfertigt gewesen sei. Sie hätte statt dessen einen Summenbescheid über einen Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 554.885,91 DM erlassen können. Davon habe sie aufgrund von Einwendungen der H-GmbH ohne sachlichen Grund abgesehen und sich mit dem Abgeltungsbetrag von nur 70.000 DM zufrieden gegeben. - An diese Feststellungen des LSG ist der Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes gebunden, so daß der Schadensersatzanspruch nach Grund und Höhe feststeht. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Verjährungsfrist am 1. Januar 1989 begann und ihr Lauf durch den Vorprozeß nicht beeinflußt wurde. Der Senat folgt dem LSG auch darin, daß es nicht gegen Treu und Glauben verstößt, wenn sich die Beklagte auf Verjährung beruft. Der Klägerin ist schließlich kein Mitverschulden oder eine Verletzung der Schadensminderungspflicht entgegenzuhalten, weil sie den Bescheid vom 19. Dezember 1988, mit dem die AOK der H-GmbH gegenüber den Vergleich bestätigt hat, nicht angefochten hat (zu einer solchen Möglichkeit Urteil des Senats vom 1. Juli 1999, BSGE 84, 136, 139 ff = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 31 ff mwN). Denn dieses hat wiederum die Einzugsstelle zu vertreten, die den Bescheid nicht ordnungsgemäß verfaßt und der Klägerin auch nicht bekannt gemacht hat (auch dazu das Urteil vom 1. Juli 1999 mwN).

Der Schadensersatzanspruch aus § 1436 Abs 1 RVO verjährt entsprechend § 25 Abs 1 SGB IV, der bei Ansprüchen auf Beiträge zwischen einer kurzen vierjährigen Verjährungsfrist und einer langen 30jährigen Verjährungsfrist unterscheidet. Nach Satz 1 des § 25 Abs 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren hingegen nach Satz 2 des § 25 Abs 1 SGB IV erst in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Diese Vorschrift mag zwar in erster Linie für Beitragsforderungen der Versicherungsträger gegen Versicherte und Arbeitgeber gedacht sein, ist hierauf aber nicht beschränkt. So hat der erkennende Senat sie schon auf den Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf die Arbeitnehmeranteile an Beiträgen (BSGE 67, 290, 293 = SozR 3-2400 § 25 Nr 2) und auf den Anspruch des Rentenversicherungsträgers gegen die Einzugsstelle auf Auszahlung der eingezogenen Beiträge und der darauf entfallenden Zinsen angewandt (BSGE 73, 106, 112 = SozR 3-2200 § 1436 Nr 1 S 6). Gleiches gilt für Schadensersatzansprüche des Rentenversicherungsträgers gegen die Einzugsstelle nach § 1436 Abs 1 RVO und § 28r Abs 1 SGB IV. Hier ist § 25 Abs 1 SGB IV mit der Maßgabe anzuwenden, daß regelmäßig die vierjährige Verjährungsfrist des Satzes 1, bei vorsätzlichem Vorenthalten durch die Einzugsstelle hingegen die 30jährige Verjährungsfrist des Satzes 2 gilt.

Die Anwendung des § 1436 Abs 1 Satz 2 RVO, der für den Schadensersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen die Einzugsstelle die entsprechende Geltung der Vorschriften des BGB über Vertragsverletzungen anordnet, führt entgegen der Ansicht der Revision nicht dazu, daß dieser Schadensersatzanspruch allgemein erst in 30 Jahren verjährt. Dieses ergibt sich insbesondere nicht daraus, daß es sich hier um einen Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung handele, für den die 30jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB gelte.

Im Zivilrecht ist anerkannt, daß für die Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen Nichterfüllung die für den Erfüllungsanspruch geltende Verjährungsfrist gilt (BGHZ 50, 25, 29; BGH NJW 1986, 310, 312; Peters in Staudinger, BGB, 13. Aufl 1995, § 195 RdNr 41, § 196 RdNr 9; Soergel-Niedenführ, BGB, 13. Aufl 1999, § 195 RdNr 7; Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl 2000, § 195 RdNr 8). Insoweit kommt es nicht auf die Rechtsgrundlage, sondern auf den Inhalt des Anspruchs an (BGHZ 50, 25, 29). Dieses gilt zunächst, wenn sich der Schuldner die Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht unmöglich gemacht hat und dann der gesetzlich geregelte Anspruch auf Schadensersatz wegen Unmöglichkeit eingreift (vgl § 280 Abs 1 BGB). Dieser gesetzlich geregelte Anspruch auf Schadensersatz geht einem Anspruch aus positiver Forderungsverletzung vor (vgl BGHZ 11, 80, 83; BGH NJW 1978, 260; Palandt-Heinrichs, aaO, § 276 RdNr 107; Soergel-Wiedemann, BGB, 12. Aufl 1990, § 280 RdNr 24 mwN). Selbst für dessen Verjährung wird jedoch die Anwendung der für den Erfüllungsanspruch geltenden Verjährung vertreten, wenn der Schadensersatzanspruch auf das Erfüllungsinteresse gerichtet ist (BGHZ 50, 25, 29; 73, 266, 269; Palandt-Heinrichs, aaO, § 195 RdNr 9).

Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Schadensersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen die Einzugsstelle ist die entsprechende Anwendung der regelmäßig vierjährigen Verjährungsfrist des § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV auf den Schadensersatzanspruch gerechtfertigt und geboten, weil er an die Stelle des Anspruchs auf die Beiträge tritt. Der Rentenversicherungsträger hat aus dem Treuhandverhältnis einen Anspruch gegen die Einzugsstelle darauf, daß seine Beiträge rechtzeitig und vollständig eingezogen werden. Für die Einzugsstelle ist die entsprechende Pflicht die Hauptleistungspflicht aus dem Rechtsverhältnis zum Rentenversicherungsträger. Dessen Anspruch gegen die Einzugsstelle auf Einziehung der Beiträge findet jedoch seine Grenzen dort, wo auch die Einzugsstelle eine Beitragsforderung gegenüber dem Beitragsschuldner (Arbeitgeber) nicht mehr durchsetzen kann. Eine solche Grenze ist die Verjährung, die im Verhältnis der Einzugsstelle zum Arbeitgeber entweder von Amts wegen zu beachten ist (BSGE 67, 290, 293 f = SozR 3-2400 § 25 Nr 2 S 10; BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 6 S 20) oder regelmäßig mit der Einrede geltend gemacht wird. Sie beträgt nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV grundsätzlich vier Jahre. Diese Verjährungsfrist ist auf den Schadensersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers zu übertragen, wenn sich wie hier die Einzugsstelle die Erfüllung ihrer Hauptleistungspflicht schuldhaft unmöglich gemacht hat. Die Annahme, die Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch sei wesentlich länger als regelmäßig für den Erfüllungsanspruch, würde zu dem unverständlichen Ergebnis führen, daß sich, nachdem Ansprüche der Einzugsstellen gegenüber Arbeitgebern in vier Jahren verjährt sind, Rentenversicherungsträger und Einzugsstellen noch 30 Jahre nach dem Kalenderjahr der Fälligkeit über einen Schadensersatzanspruch streiten könnten.

Die regelmäßig vierjährige Verjährung gilt für den Schadensersatzanspruch unabhängig davon, ob im Einzelfall für die Beitragsforderung der Einzugsstelle gegen den Arbeitgeber die vierjährige Verjährung galt oder ob wegen eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Einrede der Verjährung oder wegen vorsätzlichen Vorenthaltens von Beiträgen Ausnahmen bestanden. Das Beitragsverfahren zwischen der Einzugsstelle und dem Arbeitgeber ist mit einem Verzicht auf die Geltendmachung von Rentenversicherungsbeiträgen durch die Einzugsstelle abgeschlossen. Für den Rentenversicherungsträger ist hier an die Stelle des Erfüllungsanspruchs gegen die Einzugsstelle der Schadensersatzanspruch getreten. Welche Verjährung im Außenverhältnis der Einzugsstelle zum Arbeitgeber galt, ist im Innenverhältnis zwischen Rentenversicherungsträger und Einzugsstelle nur noch für die Höhe des Schadens von Bedeutung. Die individuelle Verjährung im Außenverhältnis kann hingegen, weil sie vom Verhalten des einzelnen Arbeitgebers abhängt, nach Schadenseintritt die Verjährung im Innenverhältnis nicht bestimmen und sie daher nicht je nach den Verhältnissen abwandeln, die vor Schadenseintritt im Außenverhältnis vorgelegen haben.

Die regelmäßige Anwendung der vierjährigen Verjährungsfrist des § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV auf den Schadensersatzanspruch ist auch aus übergangsrechtlichen Gründen angemessen. Der Hinweis auf die entsprechende Geltung der Vorschriften des BGB über Vertragsverletzungen in § 1436 Abs 1 Satz 2 RVO fehlt in der Nachfolgeregelung des § 28r Abs 1 SGB IV. Bei deren Anwendung hat der Senat daher gegen die Übernahme des § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV keine Bedenken. Gilt aber für den Schadensersatzanspruch nach § 28r Abs 1 SGB IV regelmäßig die vierjährige Verjährung, so ergreift sie nach übergangsrechtlichen Grundsätzen, wie sie in Art 169 des Einführungsgesetzes zum BGB und Art II § 15 SGB IV ihren Niederschlag gefunden haben, auch die gleichartigen Ansprüche, die nach früherem Recht entstanden sind, und verkürzt eine früher für sie etwa geltende längere Verjährungsfrist. Die regelmäßig geltende vierjährige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch nach § 28r Abs 1 SGB IV steht auch in Einklang damit, daß die Träger der Rentenversicherung nach § 29q Abs 1 Satz 1 SGB IV bei den Einzugsstellen mindestens alle vier Jahre zu prüfen haben. Hierauf hat schon das LSG zutreffend hingewiesen. Ob sich darüber hinaus bereits ein Rechtssatz entwickelt hat, daß im Sozialrecht allgemein eine vierjährige Verjährung gilt (BSG SozR 3-1200 § 45 Nr 3), kann hier offenbleiben.

Die entsprechende Anwendung des § 25 Abs 1 SGB IV besagt jedoch auch, daß bei vorsätzlicher Verursachung des Schadens durch die Einzugsstelle eine 30jährige Verjährungsfrist gilt. Auch ein Arbeitgeber, der Beiträge vorsätzlich vorenthält, kommt nach Satz 2 des § 25 Abs 1 SGB IV nicht in den Genuß der kurzen vierjährigen Verjährung, sondern ist der Beitragsforderung 30 Jahre lang ausgesetzt. Dabei genügt nach der Rechtsprechung des Senats bedingter Vorsatz (BSG Urteil vom 21. Juni 1990 - 12 RK 13/89, USK 90106; Urteil vom 30. März 2000 - B 12 KR 14/99 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Vorenthalten sind Beiträge danach schon, wenn der Arbeitgeber das Bestehen der Beitragsforderung für möglich hält und die pflichtwidrige Nichtentrichtung der Beiträge billigend in Kauf nimmt. Dies gilt entsprechend für den Schadensersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen die Einzugsstelle. Auch in diesem Verhältnis muß angenommen werden, daß bei zumindest bedingt vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens, zB durch einen Beitragsverzicht der Einzugsstelle, die 30jährige Verjährungsfrist gilt. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Einzugsstelle darauf, daß der Schadensersatzanspruch auch bei Vorsatz in nur vier Jahren verjährt, ist nicht erkennbar.

Das LSG hat bisher keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Einzugsstelle an der Herbeiführung des Schadens ein solches Maß an Verschulden trifft. Der Senat hält dies unter den besonderen Umständen des vorliegenden Sachverhalts nicht für ausgeschlossen. Die AOK hat auf eine absolut gesehen hohe Beitragssumme verzichtet und sich mit einer verhältnismäßig niedrigen Quote der in Betracht kommenden Beitragsforderung zufrieden gegeben. Bei Abschluß der Vereinbarung vom 30. November 1988 mußten ihr die AVwV bekannt sein. Nach deren § 3 Abs 2 bedurfte die Einigungsstelle für einen Vergleich über Beitragsansprüche zur Rentenversicherung, deren Höhe zusammen mit den Beitragsansprüchen zur Krankenversicherung und zur BA das Siebenfache der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter übersteigt, der Einwilligung des Rentenversicherungsträgers. Diese Grenze war hier um ein Mehrfaches überschritten. Dennoch hat die Einzugsstelle die genannten Bestimmungen nicht beachtet.

Nach allem war der Rechtsstreit zur abschließenden Klärung der Frage zurückzuverweisen, ob die Einzugsstelle vorsätzlich gehandelt hat. Dann würde die 30jährige Verjährungsfrist gelten und der Schadensersatzanspruch noch nicht verjährt sein. Ist hingegen Vorsatz zu verneinen, ist der Schadensersatzanspruch verjährt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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