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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.02.2008
Aktenzeichen: B 12 KR 38/06 R
Rechtsgebiete: SGB X, SGG


Vorschriften:

SGB X § 31 S 1
SGG § 54 Abs 1 S 1
SGG § 54 Abs 4
SGG § 54 Abs 5
SGG § 77
SGG § 96

Entscheidung wurde am 21.04.2009 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt.
Macht ein Träger öffentlicher Gewalt an ihn abgetretene Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge geltend, bedarf es hierüber einer Entscheidung des Erstattungsverpflichteten durch Verwaltungsakt und kann Rechtsschutz nur im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage begehrt werden.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 27. Februar 2008

Az: B 12 KR 38/06 R

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Balzer, den Richter Dr. Berchtold und die Richterin Hüttmann-Stoll sowie die ehrenamtlichen Richter Stein und Stahl für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 31. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Beitragsrückzahlung aus abgetretenem Recht.

Die Klägerin erbringt als Sozialhilfeträger Leistungen an im einzelnen namentlich benannte Sozialhilfeempfänger. In diesem Rahmen zahlte sie Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung an die Beklagte.

Die Satzung der Beklagten vom 1.1.1954 sieht in der Fassung des 46. Nachtrags vom 12.8.1998 in § 22 Satz 8 Nr 5 vor, dass Sozialhilfeempfänger grundsätzlich in den Beitragsklassen 801, 851 ff, entsprechend ihren nachgewiesenen monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen versichert werden und enthält die weitere Regelung, dass abweichend davon mit den Trägern der Sozialhilfe eine pauschalierende Berechnungsweise vereinbart werden kann. Zwischen dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein, dem Landkreistag und dem Städtetag Schleswig-Holstein als Sozialhilfeträger sowie der Landesvertretung Schleswig-Holstein des Verbandes der Angestellten Krankenkassen eV und der Landesvertretung Schleswig-Holstein des Arbeiter-Ersatzkassenverbandes eV wurde am 18.12.1997 mit Wirkung vom 1.9.1997 und am 10.6.1998 mit Wirkung vom 1.1.1998 eine Vereinbarung über die Beitragseinstufung freiwillig versicherter Sozialhilfeempfänger geschlossen. In § 4 dieser Vereinbarung ist geregelt:

"Für den in § 1 genannten Zeitraum (i.e. 1. September 1997 bis 31. Dezember 1997 bzw ab 1. Januar 1998) vereinbaren die Vertragsparteien eine Beitragsbemessung auf der Basis der Anrechnung eines Einkommens in Höhe eines 3,7fachen Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes (gültig für Schleswig-Holstein nach dem Stand vom 01.07.1997)."

In der Zeit vom 1.9.1997 bis 31.12.2000 zahlte die Klägerin monatliche Beiträge in Anwendung der Vereinbarung. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteilen vom 19.12.2000 entschieden hatte, dass nach § 240 SGB V für die Beitragsbemessung in der Satzung nur die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitgliedes herangezogen werden könne und diese Regelung auch für Sozialhilfeempfänger gelte, versuchten die Beteiligten zunächst auf Verbandsebene eine Regelung für die Rückzahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen zu erwirken. Diese Gespräche verliefen ergebnislos.

Am 28.12.2001 hat die Klägerin gegenüber der Beklagten Klage beim Sozialgericht Kiel (SG) erhoben und dort vorgetragen, sie mache einen Anspruch aus abgetretenem und aus eigenem Recht geltend. Im Schriftsatz vom 27.12.2001 hat sie ursprünglich beantragt,

"die Beklagte zu verurteilen, ihre den Zeitraum 1.9.1997 - 31.12.2000 betreffenden Beitragsbescheide zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für die in der Anlage 1 dieser Klageschrift aufgeführten Personen aufzuheben, für diese die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum 1.9.1997 - 31.12.2000 neu festzusetzen und der Klägerin die für jene Personen von ihr für jenen Zeitraum überzahlten Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Beitragszinssatz der Europäischen Zentralbank ab Rechtshängigkeit zu erstatten".

Die Beklagte wies darauf hin, dass bisher noch keine Beitragsbescheide gegenüber versicherten Sozialhilfeempfängern ergangen seien. Die Klägerin habe bisher auch lediglich Erstattungsansprüche aus eigenem Recht geltend gemacht (Schriftsatz vom 5.2.2002). Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 27.6.2002 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG (zB Urteil vom 20.10.1977 - 12 RK 22/76 - USK 77149) beantragt, "das Verfahren entsprechend § 114 Abs 2 SGG auszusetzen, damit noch die notwendigen Vorverfahren durchgeführt werden können". Am 4.7.2002 hat sie bei der Beklagten beantragt, überzahlte Beiträge zurückzuerstatten. Die Beklagte hat daraufhin nach Erläuterung der Rechtslage aus ihrer Sicht im Schreiben vom 17.9.2002 mit dem mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 9.10.2002 den Antrag auf Erstattung der "Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für Sozialhilfeempfänger" für die Zeit vom 1.9.1997 bis 31.12.2000 zurückgewiesen. Das SG hat die Beklagte mit Schreiben vom 17.12.2003 darauf hingewiesen, "dass der Bescheid vom 9.10.2002, der Erstattungsansprüche der Klägerin für die Zeit vom 1.9.97 - 31.12.00 verneint, bestandskräftig geworden ist, da Widerspruch nicht erhoben wurde". Es werde um Stellungnahme gebeten, mit welcher Begründung der Rechtsstreit dennoch fortgesetzt werden solle. Unter dem 24.6.2004 hat daraufhin die Klägerin das Gericht erneut über den Stand der Bemühungen um eine gütliche Einigung informiert und mit Rücksicht auf das Schreiben des erkennenden Gerichts vom 17.12.2003 "lediglich rein vorsorglich" darauf hingewiesen, dass ihres Erachtens dem "Bescheid" der Beklagten vom 9.10.2002 für den vorliegenden Rechtsstreit "keine Bedeutung zukommt". Dieser vermöge nämlich die in der vorliegenden Angelegenheit in Bezug auf die einzelnen Versicherten noch ausstehenden Widerspruchsentscheidungen selbst bei wohlwollendster Betrachtungsweise nicht zu ersetzen. Und selbst wenn man dies bejahe, sei damit lediglich das bisherige Verfahrenshindernis des fehlenden Vorverfahrens beseitigt worden. Mit Rücksicht auf die vorliegende Klage sei jener Bescheid jedenfalls nicht bestandskräftig geworden.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG beantragt,

"die Beklagte zu verurteilen, für die in der Anlage zum Schriftsatz vom 10.11.2004 aufgeführten Hilfeempfänger für den Zeitraum von 1997 bis 2000, soweit Sozialhilfeleistungen gewährt worden sind, die jeweilige Differenz zwischen den erhobenen Beiträgen und dem Mindestbeitragssatz zu erstatten".

Das SG hat mit Urteil vom 12.11.2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei insoweit unzulässig, als die Klägerin aus abgetretenem Recht eine Beitragserstattung fordere. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sei nach § 54 SGG zulässig, wenn der Kläger behaupte, durch einen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert sei. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung sei noch kein Bescheid über die Ansprüche der Versicherten ergangen, vielmehr habe die Klägerin den Erstattungsanspruch erst nach Klageerhebung geltend gemacht. Bei Klageerhebung habe es daher schon an einem Verwaltungsverfahren gefehlt. Als Leistungsklage im Gleichordnungsverhältnis sei die Klage zwar zulässig, da sie als solche kein Vorverfahren voraussetze. Aus eigenem Recht könne die Klägerin aber nur Ansprüche aus den Vereinbarungen vom 18.12.1997 und 10.6.1998 geltend machen, die nur beständen, wenn die Vereinbarung des 3,7-fachen Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes als Grundlage für das beitragspflichtige Einkommen rechtswidrig sei. Das sei aber nicht der Fall.

Gegen das ihr am 10.12.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.1.2005 Berufung eingelegt und zunächst beantragt:

"1. Das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 12.11.2004 (S 17 KR 279/01) aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, für die in der Anlage zum Schriftsatz vom 10.11.2004 aufgeführten Hilfeempfänger für den Zeitraum 1997 bis 2000, soweit Sozialhilfeleistungen gewährt worden sind, die jeweilige Differenz zwischen den erhobenen Beiträgen und dem Mindestbeitragssatz zu erstatten."

Hilfsweise hat sie "ferner rein vorsorglich beantragt,

das Verfahren entsprechend § 114 Abs 2 SGG auszusetzen".

Zur Begründung hat sie ua ausgeführt, die Beklagte habe mit Schreiben vom 18.7.2001 die Rückerstattungsansprüche abgelehnt. Die Klage vom 28.12.2001 sei der Widerspruch gegen diese Entscheidung. Das Verfahren sei daher vorsorglich nach § 114 Abs 2 SGG auszusetzen, damit das Vorverfahren durchgeführt werde. Dies sei bislang nicht geschehen, weil das SG erklärt habe, mit Rücksicht auf den eindeutigen Rechtsstandpunkt der Beklagten stelle die Durchführung des Vorverfahrens eine reine Formalie dar. Die Ansprüche aus abgetretenem Recht seien auch begründet. Pauschalierungen bei der Beitragsbemessung seien nur dann zulässig, wenn eine Berechnung der Durchschnittshöhe der Sozialhilfeleistungen ungefähr die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegele. Das sei hier nicht der Fall. Die Verwaltungsakte seien daher nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben und die Beiträge nach der individuellen Leistungsfähigkeit der Sozialhilfeempfänger festzusetzen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 31.5.2006 hat die Klägerin beantragt,

"das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 12. November 2004 und den Bescheid vom 9. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die von ihr für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. Dezember 2000 gezahlten Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung der Sozialhilfeempfänger neu zu berechnen und die überzahlten Beiträge zurückzuerstatten,

hilfsweise das Verfahren auszusetzen und der Beklagten aufzugeben, das Widerspruchsverfahren durchzuführen".

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat an ihrer bisher geäußerten Rechtsauffassung festgehalten und ausgeführt, ein Widerspruchsverfahren sei nicht durchzuführen. Die Klageschrift vom 28.12.2001 könne nicht als Widerspruch gegen den Bescheid vom 9.10.2002 angesehen werden.

Das LSG hat mit Urteil vom 31.5.2006 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Soweit die Klägerin Ansprüche aus eigenem Recht geltend mache, habe sie zwar zutreffend eine Leistungsklage iS des § 54 Abs 5 SGG erhoben, doch stehe ihr der geltend gemachte Anspruch bereits dem Grunde nach nicht zu, weil nicht sie, sondern die freiwillig versicherten Sozialhilfeempfänger die Beiträge iS von § 26 Abs 3 Satz 1 SGB IV getragen hätten. Hiervon unabhängig seien die Beiträge nach § 4 der Vereinbarung vom 18.12.1997/10.6.1998, der vorliegend das Rechtsverhältnis der Parteien bestimme, zu Recht entrichtet. Die Vereinbarung vom 18.12.1997/10.6.1998 stehe auch einem Anspruch der Klägerin aus abgetretenem Recht entgegen, sodass der Senat nicht gehalten gewesen sei, dem Hilfsantrag der Klägerin zu folgen und den Rechtsstreit auszusetzen, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren durchzuführen. Dem Anspruch stehe zwar nicht entgegen, dass die Klage vom 28.12.2001 datiere, während erst am 4.7.2002 der Antrag gestellt und am 9.10.2002 von der Beklagten beschieden worden sei. Der Bescheid als der Klage zugrunde liegender Verfahrensgegenstand müsse zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw des Urteils vorliegen. Dies sei am 12.11.2004 der Fall gewesen. Jedoch gestalte der zwischen den Krankenkassenverbänden, dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein und den Sozialhilfeträgern geschlossene Vertrag die Beitragshöhe, der gemäß die Beklagte die Beitragsforderungen errechnet habe. Dieser sei dem Grunde und dem Inhalt nach nicht zu beanstanden.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Im Blick darauf, dass anspruchsberechtigt nach § 26 Abs 2 SGB IV die Empfänger der Sozialhilfeleistungen seien, habe die Beklagte (gemeint: die Klägerin) ihre Erstattungsansprüche folgerichtig darauf gestützt, dass ihr diese nebst dem jeweiligen Anspruch nach § 44 SGB X abgetreten worden seien. Mit Rücksicht auf die Entscheidungen des BSG vom 19.12.2000 seien die Beitragsbescheide zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für die hier fraglichen Hilfeempfänger in Bezug auf den Zeitraum vom 1.9.1997 bis 31.12.2000 aufzuheben und die Beiträge neu festzusetzen. Rein vorsorglich werde ferner hilfsweise beantragt, das Verfahren entsprechend § 114 Abs 2 SGG auszusetzen, sofern das erkennende Gericht entgegen den Vorinstanzen den Standpunkt einnehmen sollte, dass vor einer abschließenden Entscheidung über die zur Beurteilung anstehende Klage noch ein die Hilfeempfänger betreffendes Vorverfahren durchgeführt werden müsse. Wie bereits in den Vorinstanzen ausgeführt worden sei, sei die Durchführung eines formellen Vorverfahrens allerdings nicht geboten. Zum einen sei in der erhobenen Klage ein Widerspruch gegen die von der Beklagten für den Zeitraum 1.9.1997 bis 31.12.2000 getroffenen Beitragsentscheidungen enthalten und könne folglich der "Bescheid" der Beklagten vom 9.10.2002 bereits als eine Widerspruchsentscheidung qualifiziert und damit das Erfordernis des Vorverfahrens als erfüllt angesehen werden. Zum anderen wäre unter Berücksichtigung der von der Beklagten eingenommenen Haltung, die unter Hinweis auf die von deren Dachverband getroffene Vereinbarung die Erstattung von überzahlten Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen bereits mit Schreiben vom 18.7.2001 rundweg abgelehnt habe, die Durchführung eines Vorverfahrens eine bloße Formalie, die lediglich eine Verfahrensverzögerung zur Folge hätte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 31.5.2006 und des Sozialgerichts Kiel vom 12.11.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die in der Anlage zum erstinstanzlichen Schriftsatz vom 10.11.2004 aufgeführten Hilfeempfänger für den Zeitraum 1997 bis 2000, soweit Sozialleistungen gewährt worden sind, die jeweilige Differenz zwischen den erhobenen Beiträgen und dem Mindestbeitragssatz zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Durch die Vereinbarungen werde entgegen der Auffassung der Klägerin die Beitragshöhe mit verbindlicher Wirkung auch für diese geregelt. Eine Nichtigkeit könne nicht angenommen werden.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 23.1.2008 darauf hingewiesen, dass Bedenken bestünden, ob eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 9.10.2002 wirksam erhoben worden sei. Der Bescheid sei in dem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Antrag nicht enthalten und die Aufhebung sei auch vorher nicht schriftlich beantragt worden. Nach dem Klageschriftsatz und dem gestellten Antrag könne es nahe liegen, dass nur eine Leistungsklage erhoben worden sei. Ob eine Einbeziehung des Bescheides in das Berufungsverfahren noch zulässig gewesen sei, erscheine zumindest zweifelhaft.

II

Die Revision der Klägerin, die sich auf Ansprüche aus abgetretenem Recht, dh die früher den Sozialhilfeempfängern zustehenden Beitragserstattungsansprüche, beschränkt, ist unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG die Klage mit Urteil vom 12.11.2004 insofern als unzulässig abgewiesen. Ebenfalls im Ergebnis zutreffend hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen diese Entscheidung mit Urteil vom 31.5.2006 zurückgewiesen.

Zu Unrecht ist das SG allerdings davon ausgegangen, die Klägerin habe hinsichtlich eines oder mehrerer vor Klageerhebung ergangener Verwaltungsakte um Rechtsschutz in Form einer "Anfechtungs- und Verpflichtungsklage" nachgesucht. Vielmehr hat die Klägerin während des erstinstanzlichen Verfahrens zu keinem Zeitpunkt die Aufhebung einer ihrem eigentlichen Klageziel entgegenstehenden Entscheidung der Beklagten in der Form eines Verwaltungsakts (§ 31 Abs 1 SGB X) begehrt, wie dies unverzichtbare Voraussetzung der isolierten wie der in objektiver Klagehäufung mit einem Verpflichtungs- bzw Leistungsantrag kombinierten Anfechtungsklage ist (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Sie hat zunächst bei Klageerhebung mit dem oben wiedergegebenen Antrag im Schriftsatz vom 27.12.2001 zwar ein Verpflichtungs- bzw Leistungsbegehren erhoben. Sie hat aber weder ausdrücklich noch sinngemäß die Kassation eines ihr Leistungsbegehren ablehnenden Verwaltungsakts der Beklagten begehrt. Auch bestand kein Anlass, das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin aus sonstigen Gründen über den Wortlaut ihres ursprünglichen Antrages hinaus auch als Anfechtungsklage zu verstehen, da es nach den ausdrücklichen Feststellungen des SG vor dem 9.10.2002 einen Verwaltungsakt über die Ablehnung von Erstattungsansprüchen gerade nicht gab. Ebenso wenig kann unter diesen Umständen der "Antrag" der Klägerin im Schriftsatz vom 27.6.2002, das Verfahren mit Rücksicht auf den gegnerischen Schriftsatz vom 5.2.2002 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG ("zB Urteil vom 20.10.1977 - 12 RK 22/76 - USK 77/1949") entsprechend § 114 Abs 2 SGG auszusetzen, damit noch die notwendigen Vorverfahren durchgeführt werden können, über seinen Wortlaut hinaus sinngemäß gleichzeitig als Anfechtungsbegehren verstanden werden. Vielmehr kommt dort allenfalls die Auffassung zum Ausdruck, in der vermeintlich bereits eingelegten (Anfechtungs-)Klage sei ohnehin schon bisher und ohne die Notwendigkeit einer Erweiterung gleichzeitig ein Widerspruch gegen Ablehnungsentscheidungen der Beklagten zu sehen. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren kann sich dieser Aussetzungsantrag auch nicht auf den erst später ergangenen Bescheid der Beklagten vom 9.10.2002 bezogen haben; soweit die Klägerin im Verfahren vor dem LSG ein "Schreiben der Beklagten vom 18.7.2001" als Gegenstand ihres Aussetzungsantrages an das SG behauptet, ist erkennbar der Bescheid vom 9.10.2002 gemeint und offenbar irrig der dortige Bezug "Ihr Schreiben vom 18.7.2001" mit dem Bescheiddatum verwechselt worden.

Der während des Gerichtsverfahrens ergangene Bescheid der Beklagten vom 9.10.2002, der die Ablehnung aller von der Klägerin geltend gemachten materiellen Aufhebungs- und Leistungsansprüche aus abgetretenem Recht verkörpert, ist mangels eines oder mehrerer hierdurch ganz oder teilweise ersetzter oder abgeänderter Verwaltungsakte zunächst nicht nach § 96 Abs 1 SGG unmittelbar kraft Gesetzes in das rechtshängige Verfahren einbezogen worden. Insbesondere handelt es sich hierbei nach Form und Inhalt nicht etwa um einen "Widerspruchsbescheid". Die Klägerin hat zudem im Schriftsatz vom 24.6.2004 auf den Hinweis des Gerichts zur Bestandskraft der Regelungen im Bescheid vom 9.10.2002 im Schreiben vom 17.12.2003 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihres Erachtens dem Bescheid der Beklagten vom 9.10.2002 für den vorliegenden Rechtsstreit "keine Bedeutung zukommt" und damit ua jedenfalls zum Ausdruck gebracht, dass sie auch von der Möglichkeit einer Klageänderung - sowie der in einer geänderten (!) Klage ggf gleichzeitig zu sehenden Einlegung eines Widerspruchs insofern - keinen Gebrauch machen wollte. Ihren weiteren Ausführungen zur Rechtslage kommt eine konstitutive Bedeutung nicht zu, da sich auch ihnen ein Wille zur Anbringung eines weiteren/geänderten Rechtsschutzgesuchs gerade nicht entnehmen lässt. Schließlich hat die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nur beantragt "die Beklagte zu verurteilen, für die in der Anlage zum Schriftsatz vom 10.11.2004 aufgeführten Hilfeempfänger für den Zeitraum von 1997 bis 2000, soweit Sozialhilfeleistungen gewährt worden sind, die jeweilige Differenz zwischen den erhobenen Beiträgen und dem Mindestbeitragssatz zu erstatten". Damit war bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG allein über ein isoliertes Leistungsbegehren nach § 54 Abs 5 SGG zu entscheiden, ohne dass Anhaltspunkte für eine nur unvollkommene Verkörperung des klägerischen Begehrens (§ 123 SGG) im gestellten Antrag erkennbar wären. Zutreffend hat sich unter diesen Umständen das SG nicht als Adressat eines Rechtsschutzbegehrens gegen den Bescheid der Beklagten vom 9.10.2002 gesehen und insofern von einer Entscheidung Abstand genommen. Entgegen der Auffassung des LSG kann dabei dem Umstand, dass die Sachurteilsvoraussetzungen einer - gerade nicht erhobenen - Anfechtungsklage ggf zum "Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw des Urteils" vorgelegen haben, von vorneherein keine Bedeutung zukommen. Erst recht ist die Frage der Behebbarkeit materieller (verwaltungsverfahrensrechtlicher) Fehler prozessual weder für die Frage der Klageart noch für die Zulässigkeit eines Rechtsschutzgesuchs erheblich.

Die von der Klägerin nach alledem erhobene allgemeine Leistungsklage wäre indes nach dem Wortlaut des § 54 Abs 5 SGG nur dann die richtige Rechtsschutzform gewesen, wenn - anders als in den Fällen des Abs 4 aaO - ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Gerade hieran fehlt es. Da sich die Klägerin - jedenfalls zuletzt - allein noch auf an sie abgetretene Erstattungsansprüche freiwillig versicherter Sozialhilfeempfänger beruft, deren Rechtsnatur sich durch die Abtretung nicht verändert, ist hierüber unabhängig davon, dass Abtretungsempfänger ein Träger öffentlicher Gewalt ist, weiterhin durch Verwaltungsakt zu entscheiden (vgl BSG vom 15.8.1991 - 12 RK 25/89 - SozR 3-2400 § 26 Nr 4). Es stand der Klägerin nicht frei, von der Anfechtung des dementsprechend ergangenen Verwaltungsakts - hier der Regelungen im Bescheid vom 9.10.2002 - abzusehen und statt dessen Rechtsschutz im Wege einer allgemeinen Leistungsklage zu suchen, die im Blick auf die eingetretene Bestandskraft (§ 77 SGG) des Bescheides vom 9.10.2002 in der Sache ohnehin nicht zu einer weiteren Überprüfung führen konnte.

Die Entscheidung des SG erweist sich mit dieser Begründung als zutreffend. Dass das LSG im Tenor seiner Entscheidung die Berufung gegen dieses Urteil zurückgewiesen hat, begegnet im Blick hierauf ebenfalls keinen Bedenken. Soweit die Klägerin mit ihrem Antrag vor dem LSG erstmals eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 9.10.2002 erhoben hat, hat das LSG weder über die Zulässigkeit einer hierin liegenden Klageänderung, noch über die Zulässigkeit der geänderten Klage eine Entscheidung getroffen. Dies ist von der Revision nicht beanstandet worden. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch nicht erkennbar ist, dass eine erstmals im Berufungsverfahren erhobene Anfechtungsklage zulässig gewesen wäre. Zu diesem Zeitpunkt war der Bescheid bestandskräftig, weil die Rechtsbehelfsfrist abgelaufen war. Eine Klage wäre schon deshalb unzulässig gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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