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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 30.03.2000
Aktenzeichen: B 12 RA 1/00 R
Rechtsgebiete: Schlußprot Abk Israel SozSich, FRG
Vorschriften:
Schlußprot Abk Israel SozSich Nr 11 | |
FRG § 17 a Buchst a Nr. 2 Alternative 1 |
BUNDESSOZIALGERICHT
Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Verkündet am 30. März 2000
Az: B 12 RA 1/00 R
Kläger und Revisionskläger,
Prozeßbevollmächtigte:
gegen
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,
Beklagte und Revisionsbeklagte.
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Peters, den Richter Balzer und die Richterin Harbeck sowie die ehrenamtlichen Richter Jungwirth und Koch
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. August 1999 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig ist die Nachentrichtung von Beiträgen.
Der am 6. Dezember 1925 in Krakau/Polen geborene Kläger floh 1939 vor den heranziehenden deutschen Truppen in das Innere der Sowjetunion. Nach Kriegsende kehrte er nach Polen zurück. Seit 1959 lebt er in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erkannte Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) und Ersatz- und Ausfallzeiten des Klägers als vertriebenen Verfolgten iS des § 20 iVm § 19 Abs 2 Buchst a Halbsatz 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) an (Bescheid vom 8. Januar 1996). Außerdem ließ sie den Kläger zur Nachentrichtung von Mindestbeiträgen nach § 22 WGSVG für die Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 31. Dezember 1989 zu (Bescheid vom 29. April 1997).
Den Antrag des Klägers auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 21 WGSVG und den im Februar 1996 gestellten Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Nr 11 des Schlußprotokolls zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (Schlußprot Abk Israel SozSich) idF des Art 1 des Zusatzabkommens (ZAbk) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. November 1996 ab. Den Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung der Nachentrichtung nach Nr 11 Schlußprot Abk Israel SozSich wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1997 zurück, weil der Kläger bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich im September 1939 der nationalsozialistische Einflußbereich auf sein Heimatgebiet Polen erstreckt habe, noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet hatte.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. November 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 12. August 1999). Das Nachentrichtungsrecht nach Nr 11 Schlußprot Abk Israel SozSich bestehe aus dem von der Beklagten angeführten Grunde nicht. Die vom Kläger geforderte Auslegung, nach der die Vollendung des 16. Lebensjahres während der Verfolgungszeit ausreichend sei, finde weder im Wortlaut der Bestimmung noch in anderen Hinweisen eine Stütze.
Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung der Nr 11 Schlußprot Abk Israel SozSich, welche der Vorschrift des § 17a Buchst a Nr 2 Alternative 1 FRG entspreche. Die Vorschriften ließen sich dahin auslegen, daß die Vollendung des 16. Lebensjahres während der Verfolgungssituation ausreiche. Sie bezweckten, denjenigen Personen, die als gruppenverfolgte Juden Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen seien, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß sie auf Grund der Verfolgungssituation nicht mehr in der Lage gewesen seien, ihre berufliche Entwicklung zu beginnen und eine Altersversorgung durch Entrichtung von Beiträgen aufzubauen. Da rentenrechtliche Bestimmungen regelmäßig die Vollendung des 16. Lebensjahres als Berufsbeginn angenommen hätten, stelle Nr 11 Schlußprot Abk Israel SozSich auf das 16. Lebensjahr ab. Damit werde ein Schadenszeitpunkt fixiert, der auch während der Verfolgungszeit eingetreten sein könne. Es sei daher folgerichtig, die Vorschrift auf diesen Sachverhalt anzuwenden. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Entschädigungsrecht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 12. August 1999 und das Urteil des SG vom 5. November 1998 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1997 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Nr 11 des Schlußprot zum Abk Israel SozSich zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat das klageabweisende Urteil des SG zu Recht bestätigt. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Dem Kläger steht das Nachentrichtungsrecht nicht zu.
1. Durch Art 1 des ZAbk vom 12. Februar 1995 zum Abk Israel SozSich vom 17. Dezember 1973 (BGBl 1996 II 299) ist dem Schlußprotokoll zu diesem Abkommen eine Nr 11 angefügt worden, wonach israelische Staatsangehörige auf Antrag freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung nachentrichten können, wenn sie bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört haben, das 16. Lebensjahr bereits vollendet und sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten und sie die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs 2 Nr 3 des Bundesvertriebenengesetzes (<BVFG>; ua Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien) verlassen haben. Dieses Nachentrichtungsrecht ergänzt die Anrechnung von Zeiten nach dem zum 1. Juli 1990 durch das Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) in das FRG eingefügten § 17a. Es besteht nur, sofern durch die Anwendung des § 17a FRG erstmals Beitragszeiten oder Beschäftigungszeiten nach dem FRG zu berücksichtigen sind (Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk Israel SozSich), und ist höchstens in dem Umfang zulässig, wie es zur Zahlbarmachung der Rente aus diesen Zeiten ins Ausland erforderlich ist (Nr 11 Buchst b Schlußprot Abk Israel SozSich). Nach § 17a Buchst a FRG in der rückwirkend zum 1. Juli 1990 durch Art 14 des Rentenüberleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) ergänzten Fassung werden Beitrags- oder Beschäftigungszeiten von Personen in das FRG einbezogen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, dem dSK angehört haben (Nr 1), das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben (Nr 2) und sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten (Nr 3), wenn sie die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG verlassen haben. Bei dem Kläger ist schon zweifelhaft, ob ihm die Nachentrichtung nach Nr 11 des Schlußprot Abk Israel SozSich deshalb verschlossen ist, weil die Beklagte seine in Polen zurückgelegten Beitragszeiten bereits nach § 15 FRG iVm § 20 Abs 1 WGSVG anerkannt hat. Die Beklagte hat die Ablehnung der Nachentrichtung jedoch nicht hierauf gestützt. Das LSG hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Für die Entscheidung über die Revision kann die Frage dahingestellt bleiben. Denn das Nachentrichtungsrecht steht dem Kläger jedenfalls deshalb nicht zu, weil er bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einfluß auf sein Heimatgebiet erstreckte, das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.
Heimatgebiet des Klägers iS der Nr 11 Schlußprot Abk Israel SozSich ist Polen. Als Zeitpunkt, von dem an sich der nationalsozialistische Einflußbereich iS dieser Vorschrift auf das Heimatgebiet erstreckte, ist bei Polen der Abschluß der militärischen Besetzung durch deutsche Truppen am 18. September 1939 zugrunde zu legen (vgl zum Stichtag des 6. April 1941 bei Ungarn und Bulgarien Urteile vom 30. März 2000 - B 12 RJ 4/98 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, und - B 12 RJ 3/99 R). Dies wird auch von der Revision für Polen nicht in Zweifel gezogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der am 6. Dezember 1925 geborene Kläger sein 16. Lebensjahr noch nicht vollendet.
2. Maßgebender Stichtag für die Vollendung des 16. Lebensjahres iS der genannten Bestimmung ist der Beginn des nationalsozialistischen Einflusses auf das jeweilige Heimatgebiet. Es genügt entgegen der Ansicht der Revision nicht, wenn das 16. Lebensjahr erst während der Zeit des nationalsozialistischen Einflusses vollendet wird. Dies hat der 13. Senat des BSG bereits zu § 17a Buchst a Nr 2 erste Alternative FRG entschieden (Urteil vom 25. November 1999 - B 13 RJ 63/98 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk Israel SozSich gilt nichts anderes. Die Vorschrift, nach der nur Personen erfaßt werden, "die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einfluß sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten", ist eindeutig. Dieses Alter mußte "bereits" zu dem näher bezeichneten "Zeitpunkt" vollendet sein. Die Regelung stimmt mit der Nachentrichtungsvorschrift überein, die parallel zu dem ZAbk zum Abk Israel SozSich in Art 1 Abs 7 des Zweiten ZAbk vom 6. März 1995 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit (BGBl 1996 II 302) getroffen worden ist. Beide Bestimmungen sind insoweit bewußt abweichend von § 17a FRG gefaßt worden, weil diejenigen, die bei Beginn des nationalsozialistischen Einflusses noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet hatten, im Hinblick auf ihr jüngeres Alter in der Lage waren, im neuen Wohnland Rentenanwartschaften aufzubauen (vgl Denkschriften zu den Zusatzabkommen, BT-Drucks 13/1809 S 9 und 13/1811 S 13 jeweils unter I). Angesichts des klaren Wortlauts und des hiermit übereinstimmenden Willens der vertragsschließenden Staaten ist die von der Revision angestrebte erweiternde Auslegung der Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk Israel SozSich ausgeschlossen. Sie ist keine "eben noch mögliche Lösung" iS der von der Revision herangezogenen Entscheidung des BSG vom 16. September 1960 - 1 RA 38/60 (BSGE 13, 67, 71 = SozR Nr 4 zu § 1248 RVO), um nationalsozialistisches Unrecht soweit wie möglich auszugleichen.
Die Revision war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Ende der Entscheidung
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