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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 05.05.2009
Aktenzeichen: B 13 R 53/09 B
Rechtsgebiete: GG, SGG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 116 Satz 2
SGG § 118 Abs. 1 Satz 1
SGG § 62
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 397
ZPO § 402
ZPO § 411 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 13 R 53/09 B

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 5. Mai 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Steinwedel, die Richter Dr. Fichte und Kaltenstein sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Schneider und die ehrenamtliche Richterin Roth-Bleckwehl beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. P. vom 15.8.2005 sowie - nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - des Dr. H. (Internist, Rheumatologe, Endokrinologe) vom 21.11.2005 samt ergänzenden Stellungnahmen vom 10.4. und 6.12.2006 verurteilt, der Klägerin ab 1.6.2006 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, befristet bis zum 31.5.2009, zu gewähren (Urteil vom 26.2.2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat von Amts wegen ein schmerztherapeutisches Gutachten des Dr. K. vom 4.2.2008 sowie ein weiteres Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, klinische Geriatrie, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin Prof. Dr. Dr. W. vom 26.8.2008 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 4. und 21.11.2008 eingeholt und die Klage unter Aufhebung des Urteils des SG in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 18.12.2008).

Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.12.2008 diverse Hilfsanträge gestellt, ua die Anträge, den Sachverständigen Dr. H. zur eingehenden Erläuterung der Konsistenzprüfung, der Plausibilitätsprüfung in Bezug auf die Schmerz-/Beschwerdebekundungen der Klägerin einerseits und der festgestellten Leiden und der hieraus folgenden Leistungseinschränkungen andererseits zu laden, nachdem sowohl der ärztliche Dienst der Beklagten als auch der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. hieran Zweifel geäußert hätten. Sie hat ferner beantragt, den Sachverständigen Dr. H. zur Möglichkeit anzuhören, leichtere manuelle Tätigkeiten wie Sortieren, Packen, Falten und Kleben (mehr als drei Stunden zu betriebsüblichen Bedingungen) zu verrichten sowie eine Wegstrecke von 500 Metern in der Ebene zu Fuß in einer Zeit von 20 Minuten oder knapp darunter - mehrmals täglich - zurückzulegen.

Ohne den Anträgen der Klägerin zu folgen hat das LSG auf die mündliche Verhandlung das Urteil des SG aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin vor, das LSG hätte ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen Dr. H. zu den gegenteiligen Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. sowie des ärztlichen Dienstes der Beklagten nachkommen müssen; die Befragung hätte ergeben, dass das LSG das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. in Bezug auf den Zeitpunkt des Vorliegens einer Leistungsminderung anders gewürdigt und eine weitere Sachaufklärung für erforderlich gehalten oder ihr bereits aufgrund der Äußerung Rente ab Antragstellung bewilligt hätte.

II

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat eine Verletzung ihres Fragerechts nach § 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) und damit ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes) hinreichend bezeichnet; die Rüge trifft auch zu. Das LSG hat zu Unrecht den Sachverständigen Dr. H. nicht (erneut) angehört. Insoweit liegt ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

Einem Beteiligten steht nach diesen Vorschriften das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (Senatsbeschlüsse vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7 und vom 5.2.2009 - B 13 R 561/08 B; vgl auch BVerfG NJW 1998, 2273; BGH NJW 1998, 162, 163 alle mwN). Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend zu bezeichnen (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1; SozR 4-1500 § 116 Nr 1; BVerwG NJW 1996, 2318), zB auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. Einwendungen in diesem Sinn sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (vgl § 411 Abs 4 ZPO). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann.

Die Klägerin hat schriftsätzlich am 15.10. und 28.11.2008 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2008 beantragt, den Sachverständigen Dr. H. zu den Einwendungen des ärztlichen Dienstes der Beklagten und den gegensätzlichen Aussagen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. zu befragen. Damit hat sie erläuterungsbedürftige Punkte hinreichend konkret bezeichnet, nämlich auf Widersprüche in der Leistungsbeurteilung hingewiesen. Sie hat den Antrag auf (erneute) Anhörung des Sachverständigen auch rechtzeitig nach Kenntnis der sozialmedizinischen Stellungnahme der Beklagten sowie des Gutachtens Prof. Dr. Dr. W. vom 26.8.2008 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 4. und 21.11.2008 gestellt, sodass sie alles getan hat, um die (erneute) Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1). Da sie ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2008 ausdrücklich wiederholt hat, hätte das Gericht ihm folgen müssen (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5). Das gilt selbst dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts keiner Erläuterung bedurfte (BVerfG NJW 1998, 2273 f; BGH NJW 1997, 802).

Dass Dr. H. sein Gutachten in der ersten Instanz erstellt hat, steht dem klägerischen Anspruch auf (erneute) Anhörung des Sachverständigen nicht entgegen. Zwar kann der Verfahrensbeteiligte sein Recht auf Befragung des Sachverständigen nach §§ 116, 118 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO, § 62 SGG grundsätzlich nur im selben Rechtszug ausüben. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Voraussetzungen für eine notwendige Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens gemäß § 411 Abs 3 ZPO vorliegen und die Ablehnung des entsprechenden Antrags durch die nunmehr tätige Instanz (hier: LSG) ermessenswidrig wäre (BSG SGb 2000, 269). Zu Recht führt die Klägerin aus, dass die Notwendigkeit der (erneuten) Anhörung sich erst wegen der vom Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. sowie vom ärztlichen Dienst der Beklagten in zweiter Instanz geäußerten Kritik ergeben hat. Bei einer solchen Prozesslage reduziert sich das Ermessen des § 411 Abs 3 ZPO auf Null; das LSG war verpflichtet, dem klägerischen Antrag, Dr. H. (erneut) befragen zu können, nachzukommen.

Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.



Ende der Entscheidung

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