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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 11.05.1999
Aktenzeichen: B 13 RJ 53/96 R
Rechtsgebiete: SGB VI, RÜG, EinigVtr, FRG
Vorschriften:
SGB VI § 294 | |
SGB VI § 295a Satz 1 | |
RÜG Art 1 | |
EinigVrt Art 34 Abs 5 | |
FRG § 1 |
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 11. Mai 1999
in dem Rechtsstreit
Az: B 13 RJ 53/96 R
Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigte:
gegen
Landesversicherungsanstalt Baden, Gartenstraße 105, 76135 Karlsruhe,
Beklagte und Revisionsbeklagte.
Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Henke, die Richter Dr. Loytved und Dr. Terdenge sowie die ehrenamtlichen Richter Faupel und Dr. Andresen
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Juli 1996 sowie das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Januar 1996 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 2. März/27. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1995 verurteilt, die der Klägerin ab 7. August 1993 gewährte Leistung für Kindererziehung in Höhe von 75 vH des aktuellen Rentenwertes (West) zu zahlen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe:
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin eine höhere Leistung für Kindererziehung zusteht.
Die am 9. April 1920 geborene Klägerin reiste am 7. August 1993 aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ein, nahm ihre Wohnung in Baden-Württemberg und wurde gemäß § 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) als Spätaussiedlerin anerkannt.
Im September 1993 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Regelaltersrente sowie Leistung für Kindererziehung, wobei sie auf die am 25. Juli 1937 in Rumänien erfolgte Geburt ihrer Tochter A. (A.) Bezug nahm. Mit Bescheid vom 5. Januar 1994 bewilligte die Beklagte zunächst ab 7. August 1993 Regelaltersrente. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie begehrte zum einen eine höhere Rente, zum anderen erinnerte sie an den noch offenen Antrag auf Leistung für Kindererziehung. Unter dem 2. März 1994 teilte die Beklagte daraufhin der Klägerin mit, daß ihr Kindererziehungsleistung zustehe, die sich nach dem aktuellen Rentenwert (Ost) bemesse. Wegen Schwierigkeiten mit dem entsprechenden EDV-Programm verzögere sich die Erledigung des Antrages. Mit Schreiben vom 27. April 1994 unterrichtete die Beklagte den damaligen Bevollmächtigten der Klägerin dann, daß zwischenzeitlich Kindererziehungsleistung in Höhe von 75 vH des aktuellen Rentenwertes (Ost) ab 7. August 1993 angewiesen worden sei. Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit welchem die Klägerin Zahlung von Kindererziehungsleistung in Höhe von 75 vH des aktuellen Rentenwertes (West) beanspruchte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1995 zurück. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Januar 1996 und des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg vom 10. Juli 1996). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Zwischen den Beteiligten sei lediglich die Höhe der Leistung für Kindererziehung streitig. Diese betrage hier - entgegen der Ansicht der Klägerin - (nur) monatlich 75 vH des aktuellen Rentenwertes (Ost), denn bzgl der Höhe dieser Leistung stehe die Geburt der Tochter der Klägerin in Rumänien gemäß § 295a Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) einer solchen im Beitrittsgebiet gleich. Der Klägerin sei zwar zuzugeben, daß sich diese Gleichstellung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der genannten Bestimmung ergebe, denn diese enthalte - anders als § 294 Abs 4 SGB VI - keine Definition, welche Geburten außerhalb des Geltungsbereichs des SGB VI denjenigen im Beitrittsgebiet gleichstünden. Nach der amtlichen Gesetzesbegründung (Hinweis auf BT-Drucks 12/405, S 134) solle indes ua bei Geburten in den ehemaligen Vertreibungsgebieten für vertriebene Mütter ein Anspruch (nur) auf dieselbe Leistung bestehen, wie sie Mütter bei einer Geburt im Beitrittsgebiet erhalten würden. Hieraus ergebe sich mithin der auch von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu beachtende Wille des Gesetzgebers, bzgl der Höhe der Kindererziehungsleistung bei nach § 294 Abs 4 SGB VI begünstigten Personen die Geburt in den Herkunftsländern derjenigen im Beitrittsgebiet gleichzustellen. Vorliegend gehöre die Klägerin als Spätaussiedlerin iS des § 4 BVFG zu den in § 1 Buchst a des Fremdrentengesetzes (FRG) genannten Personen. Damit sei § 295a Satz 1 SGB VI einschlägig. Die Ausnahmeregelung des § 295a Satz 2 SGB VI finde auf die Klägerin ersichtlich keine Anwendung, weil sie am 18. Mai 1990 weder ihren persönlichen Aufenthalt im (alten) Bundesgebiet, dh ohne das Beitrittsgebiet, noch unmittelbar vor dem Beginn ihres Aufenthaltes in Rumänien einen solchen im alten Bundesgebiet gehabt habe.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend: Zu Unrecht gingen die Beklagte und die Vorinstanzen davon aus, daß die Geburt ihrer Tochter in Rumänien einer solchen im Beitrittsgebiet iS des § 295a Satz 1 SGB VI gleichstehe. Diese Vorschrift sei durch Art 1 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) in das SGB VI eingefügt worden. Durch das RÜG habe der sich aus Art 34 Abs 5 des Einigungsvertrages (EinigVtr) ergebenden Verpflichtung nachgekommen werden sollen, das Recht der Rentenversicherung auf das Gebiet der ehemaligen DDR überzuleiten; das System der gesetzlichen Rentenversicherung habe also an die besonderen Gegebenheiten des vereinigten Deutschland angepaßt werden sollen. Hieraus folge, daß § 295a SGB VI lediglich im Hinblick auf das Hinzukommen des Beitrittsgebiets habe Bedeutung erlangen, nicht aber Auswirkungen auf die im FRG und in § 294 SGB VI bereits geregelten Sachverhalte zeitigen sollen. Ein Wille des Gesetzgebers, § 295a SGB VI auf bereits früher bestehende, rentenrechtlich erhebliche Sachverhalte (hier Geburt in Rumänien) auszudehnen, sei an keiner Stelle zu erkennen. Sonst hätte wegen des Grundsatzes der Gesetzesklarheit eine solche Einschränkung ausdrücklich vorgenommen werden müssen.
Das LSG sei bei seiner Auslegung bewußt über den Gesetzeswortlaut hinausgegangen und habe damit wegen der Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte gegen das Analogieverbot verstoßen. Als Ausnahmetatbestand sei § 295a SGB VI eng auszulegen und dürfe nicht auf andere Lebenssachverhalte (Geburt eines Kindes in Rumänien) ausgedehnt werden. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, § 295a SGB VI auf Personen zu erstrecken, die - wie sie - zu keiner Zeit im Beitrittsgebiet gelebt hätten, hätte er dies klar zum Ausdruck bringen müssen. Welche Geburten denen im Beitrittsgebiet gleichstünden, werde an dieser Stelle nicht definiert. Während in § 294 Abs 4 SGB VI die in § 1 FRG genannten Personen ausdrücklich den in § 294 Abs 1 SGB VI genannten Personen gleichgestellt worden seien, sei eine solche Gleichstellung in § 295a SGB VI nicht vorgesehen. Der hieraus zu ziehende Umkehrschluß, daß § 295a SGB VI nur in den Fällen anwendbar sei, in denen die Mutter vor dem 19. Mai 1990 im Beitrittsgebiet gelebt habe, liege schon deshalb nahe, weil bei diesen Müttern davon ausgegangen werden könne, daß sie auch weiterhin in den "neuen Ländern" leben würden. Im übrigen zeige bereits die Gesetzesüberschrift "Höhe der Leistung im Beitrittsgebiet", daß hier nur die beiden ausdrücklich genannten Sachverhalte zu einer Kürzung der Rentenleistung hätten führen sollen.
Die vom LSG als Beleg für seine Rechtsauffassung angeführte Formulierung in BT-Drucks 12/405, S 134 sei im oben dargelegten normsystematischen Kontext zu sehen und lediglich dahin zu verstehen, daß der Gesetzgeber habe verhindern wollen, daß Mütter, die ein Kind in den ehemaligen Ostgebieten bzw Vertreibungsgebieten zur Welt gebracht und bereits vor dem 19. Mai 1990 ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet gehabt hätten, in den Anwendungsbereich des § 295 SGB VI fielen. Dies wäre ohne die zweite Alternative des § 295a Satz 1 SGB VI nicht geschehen, da mangels der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Geburt im Beitrittsgebiet die Anwendung des § 295a SGB VI versperrt gewesen wäre und sich die Höhe der Leistungen dann gemäß § 295 SGB VI nach dem aktuellen Rentenwert (West) bestimmt hätte.
Zwar beinhalte das RÜG Vorschriften, die das Fremdrentenrecht - auch zu Lasten der Betroffenen - modifizierten. Jedoch habe der Gesetzgeber bei der Anpassung des Fremdrentenrechts den Grundgedanken der Sicherung eines angemessenen Lebensstandards für Aussiedler "in Abhängigkeit vom Aufenthaltsort in den alten oder neuen Bundesländern" verfolgt (Hinweis auf BT-Drucks 12/405, S IV). Dies belege eindeutig, daß das unterschiedliche Lohn- und Preisgefüge in Ost und West als wichtiger Faktor bei der Neuregelung angesehen worden sei. Überzeugend sei daher die Auslegung, wonach allen Müttern, die Anspruch auf Leistung für Kindererziehung hätten und vor dem 19. Mai 1990 im Beitrittsgebiet gelebt hätten, die Leistung nach dem aktuellen Rentenwert (Ost) berechnet würde. Der Ost-Wohnsitz korrespondiere auf diese Weise im Regelfall mit dem Rentenwert (Ost). Demgegenüber führe die Rechtsauslegung des LSG im vorliegenden Fall dazu, daß sie, die in den "alten" Bundesländern lebe, einen Anspruch lediglich nach Maßgabe des Rentenwertes (Ost) hätte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Juli 1996 sowie das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Januar 1996 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 2. März/27. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1995 zu verurteilen, die ihr ab 7. August 1993 gewährte Leistung für Kindererziehung in Höhe von 75 vH des aktuellen Rentenwertes (West) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend und trägt ergänzend vor: Es sei richtig, wenn das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 30. Juni 1998 - B 4 RA 13/96 R - feststelle, daß der Wortlaut des § 295a Satz 1 SGB VI idF bis zum 30. Juni 1998 (aF) aus sich heraus nicht verständlich sei. Bei der Gesetzesauslegung konkurriere aber der Wortlaut eines Gesetzes mit anderen Auslegungswegen. Diese Konkurrenz werde eher von dem Satz beherrscht, daß höher als der Wortlaut eines Gesetzes sein Sinn und Zweck sowie der Systemzusammenhang und die Entstehungsgeschichte zu bewerten seien. Bei der Wertung der einzelnen Interpretationselemente müsse die Orientierung am Sachproblem erfolgen.
Eindeutiger als in BT-Drucks 12/405 zu Nr 120 (§ 295a SGB VI) könne der Wille des Gesetzgebers nicht zum Ausdruck kommen, auch wenn dieser Wille dann nur unvollkommen in der Vorschrift des § 295a SGB VI seinen Niederschlag gefunden habe. Andererseits wäre der Passus "und diesen gleichgestellten Geburten" in § 295a SGB VI überflüssig, wenn sich die Vorschrift - wie der 4. Senat des BSG meine - ausschließlich auf Geburten im Beitrittsgebiet beziehen würde.
Deutlicher werde der Wille des Gesetzgebers im übrigen auch durch die mit dem Rentenreformgesetz 1999 (RRG 1999) erfolgte Neufassung des § 295a SGB VI, da es in der ab 1. Juli 1998 lautenden Vorschrift nunmehr heiße: Die Leistung für Kindererziehung werde für Mütter bei Geburten im Beitrittsgebiet und "diesen gleichgestellten Gebieten" erbracht. Darin komme der Zusammenhang mit den geänderten Vorschriften des FRG, wonach die für den betroffenen Personenkreis vorgesehenen Leistungen dem Leistungsniveau des Beitrittsgebiets angepaßt worden seien, noch stärker zum Ausdruck.
Würde man der Auslegung des 4. Senats des BSG im Urteil vom 30. Juni 1998 folgen, so würde eine als Vertriebene oder Spätaussiedlerin anerkannte Mutter aus einem der Gebiete nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG im Ergebnis eine höhere Leistung für Kindererziehung erhalten als eine Mutter, die ihr Kind im Beitrittsgebiet geboren habe. Dies würde jedoch eindeutig dem gesetzgeberischen Vorhaben, die Leistungen für FRG-Berechtigte dem Leistungsniveau des Beitrittsgebietes anzupassen, zuwiderlaufen.
Das BSG habe die Auffassung vertreten, daß die Klägerin jenes Verfahrens das Recht (auf Kindererziehungsleistung) bereits vor dem 1. Januar 1992 (nämlich zum 1. Oktober 1990) erworben gehabt habe und damit vor Einführung des § 295a SGB VI. Das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot stehe daher einer Berechnung der Leistung nach § 295a SGB VI entgegen. Diese Argumentation sei jedoch im vorliegenden Fall nicht zutreffend, da der Anspruch der Klägerin auf Kindererziehungsleistung erst mit ihrem Zuzug in das Bundesgebiet am 7. August 1993 entstanden sei.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet.
Gegen die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeit der Klage bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Allerdings könnte zweifelhaft erscheinen, ob das von den Beteiligten und Vorinstanzen als "Bescheid" angesehene Schreiben der Beklagten vom 27. April 1994 tatsächlich einen Verwaltungsakt iS von § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch darstellt. An sich enthält dieses Schreiben nur die Mitteilung über eine von der Beklagten veranlaßte Überweisung der Leistung für Kindererziehung an die Klägerin. Sollte das Schreiben vom 27. April 1994 danach keine bescheidmäßige Regelung enthalten, würde es gleichwohl nicht an einem anfechtbaren Verwaltungsakt betreffend die geltend gemachte Leistung für Kindererziehung fehlen. Denn jedenfalls liegt in dem von den Vorinstanzen nicht erwähnten, an den damaligen Bevollmächtigten der Klägerin gerichteten Schreiben der Beklagten vom 2. März 1994 ein Verwaltungsakt über die Gewährung von Kindererziehungsleistung. Darin wird der Klägerin mitgeteilt, für sie bestehe ab 7. August 1993 Anspruch auf Leistung für Kindererziehung, wobei auch die Berechnung nach dem aktuellen Rentenwert (Ost) erläutert wird. Da diesem Schreiben keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, konnte eine in ihm enthaltene behördliche Einzelfallregelung mit dem am 5. Mai 1994 erhobenen Widerspruch der Klägerin noch wirksam angefochten werden (vgl §§ 66, 84 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Wenn sich die Beteiligten im weiteren Verfahren nur auf das Schreiben vom 27. April 1994 bezogen haben, ist dies als bloße Falschbezeichnung unschädlich. Gemeint war jeweils der Verwaltungsakt, durch den Kindererziehungsleistung in bestimmter Höhe bewilligt worden war.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der Beklagten hat die Klägerin Anspruch auf Kindererziehungsleistung in Höhe von 75 vH des aktuellen Rentenwertes (West). Einschlägig sind insoweit die §§ 294 ff SGB VI in den ab 1. Januar 1992 geltenden Fassungen des RÜG vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) und des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes vom 24. Juli 1993 (BGBl I 1038). Hingegen sind die mit Wirkung ab 1. Juli 1998 durch das RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2998) erfolgten Änderungen vorliegend - jedenfalls für die Zeit ab August 1993 - gemäß § 300 Abs 2 SGB VI noch nicht anwendbar, weil der Leistungsantrag bereits im September 1993 gestellt worden ist.
Es kann offenbleiben, ob die Beklagte ein Recht der Klägerin auf Leistung für Kindererziehung bereits dem Grunde nach durch Verwaltungsakt bindend festgestellt hat. Jedenfalls liegen die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nach dem Zusammenhang der Tatsachenfeststellungen des LSG vor. Die vor dem 1. Januar 1921 geborene Klägerin ist iS von § 294 Abs 1 Satz 1 SGB IV Mutter eines lebend geborenen Kindes, nämlich ihrer 1937 geborenen Tochter A. Zwar hat die Geburt nicht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sondern in Rumänien stattgefunden; gemäß § 294 Abs 4 Nr 1 SGB VI steht jedoch einer Geburt in den in Abs 1 genannten Gebieten bei einer Mutter, die zu den in § 1 FRG genannten Personen gehört, die Geburt in den jeweiligen Herkunftsgebieten gleich. Da die Klägerin als Spätaussiedlerin iS von § 4 BVFG unter § 1 Buchst a FRG fällt, reicht die Geburt ihrer Tochter im Herkunftsgebiet Rumänien aus.
Die Höhe der Leistung für Kindererziehung richtet sich im Falle der Klägerin nicht nach § 295a SGB VI aF, sondern nach § 295 SGB VI aF. Die letztgenannte Vorschrift bestimmt, daß die monatliche Höhe der Leistung für Kindererziehung 75 vH des jeweils für die Berechnung der Renten maßgebenden aktuellen Rentenwertes (West) beträgt (vgl dazu § 68 SGB VI). Demgegenüber setzt § 295a Satz 1 SGB VI aF die Leistungshöhe für Mütter bei Geburten im Beitrittsgebiet und diesen gleichstehenden Geburten auf 75 vH des aktuellen Rentenwertes (Ost) fest (vgl dazu § 255a SGB VI). Dies gilt nach § 295a Satz 2 SGB VI aF nicht für Mütter, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am 18. Mai 1990 entweder
1. im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet oder
2. im Ausland hatten und unmittelbar vor Beginn des Auslandaufenthaltes ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet hatten.
Als Ausnahme zur allgemeinen Regelung des § 295 SGB VI aF erklärt § 295a Satz 1 SGB VI aF den (niedrigeren) aktuellen Rentenwert (Ost) bei bestimmten Geburten für maßgebend, wobei diese Vorschrift nach § 295a Satz 2 SGB VI aF wiederum ausgeschlossen werden soll, abhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter am 18. Mai 1990. Dem Wortlaut nach liegen die Voraussetzungen des § 295a Satz 1 SGB VI aF nicht vor. Weder hat die Klägerin ihre Tochter im Beitrittsgebiet (vgl § 18 Abs 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch iVm Art 3 EinigVtr) geboren, noch ist dem Gesetzestext zu entnehmen, daß die vorliegend in Rumänien erfolgte Geburt den Geburten im Beitrittsgebiet gleichstehen soll. Es fehlt insoweit an einer ausdrücklichen Regelung, welche Geburten als "diesen gleichstehende Geburten" anzusehen sind (ebenso bereits BSG SozR 3-2600 § 295a Nr 1 S 4).
Aufschluß über die Bedeutung des Begriffes "diesen gleichstehende Geburten" können - mangels anderer im Gesetz enthaltener Anhaltspunkte - nach dem Regelungszusammenhang der §§ 294 ff SGB VI allein die in § 294 SGB VI normierten Gleichstellungstatbestände geben. Es werden dadurch Mütter erfaßt, die ein Kind außerhalb des Bundesgebietes geboren haben, jedoch in einer besonderen Beziehung zu Deutschland stehen, die eine leistungsrechtliche Berücksichtigung dieser Geburt rechtfertigt. Allerdings scheidet eine vollständige (uneingeschränkte) Übernahme dieser Bestimmungen im Rahmen des § 295a SGB VI aF aus. Denn die Gleichstellungsregelungen des § 294 SGB VI aF beziehen sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als Ganzes, welches sowohl die "alten" Bundesländer als auch das Beitrittsgebiet umfaßt (so auch BSG SozR 3-2600 § 295a Nr 1 S 4). Folglich können außerhalb dieses Gesamtgebietes erfolgte Geburten, die nach § 294 SGB VI den Geburten im (ganzen) Bundesgebiet gleichgestellt sind, nicht ohne weiteres in § 295a SGB VI aF gemeint sein, wenn dort solche Geburten angesprochen werden, die speziell den Geburten im Beitrittsgebiet gleichstehen sollen.
Gleichwohl kann § 294 SGB VI insoweit als Leitlinie für die Auslegung des § 295a Satz 1 SGB VI aF herangezogen werden, als das Beitrittsgebiet, auf das sich die letztgenannte Vorschrift bezieht, ein Teilbereich des Gebietes darstellt, welches Anknüpfungspunkt der Gleichstellungsregelungen in § 294 SGB VI ist. Daraus folgt, daß in der Gesamtheit der von § 294 SGB VI erfaßten Gleichstellungstatbestände als Teilmenge auch solche enthalten sind, die sich auf Geburten beziehen, welche denjenigen im Beitrittsgebiet gleichstehen. Unter diesem Gesichtspunkt bietet es sich an, im Rahmen des § 295a Satz 1 SGB VI aF die den Geburten im Beitrittsgebiet gleichstehenden Geburten in der Weise zu ermitteln, daß man in § 294 Abs 2 und 4 SGB VI anstelle der Worte "im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" oder "in den in Abs 1 genannten Gebieten" jeweils "im Beitrittsgebiet" liest. Jedenfalls die Fälle eines vorübergehenden Auslandsaufenthaltes oder einer Entsendung (vgl § 294 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGB VI aF) würden dadurch sachgerecht gelöst.
Bei der hier vor allem interessierenden Gleichstellungsvorschrift in § 294 Abs 4 Nr 1 SGB VI müßte allerdings noch ein weiterer interpretatorischer Schritt getan werden. Auch in diesem Zusammenhang dürfte konsequenterweise ebenfalls nur ein Teil der dort bezeichneten, in § 1 FRG genannten Personen von der in § 295a Satz 1 SGB VI aF gemeinten Gleichstellung betroffen werden. Im Rahmen des § 294 Abs 4 Nr 1 Satz VI ergibt sich die besondere Beziehung des durch die Gleichstellung begünstigten Personenkreises zum Bundesgebiet aus § 1 FRG, der wiederum unter Buchst a Vertriebene und Spätaussiedler aufführt. Dementsprechend wäre dort, wo § 4 BVFG bei Spätaussiedlern - wie der Klägerin - verlangt, daß ein ständiger Aufenthalt "im Geltungsbereich des Gesetzes" genommen wird, die einschränkende Bezeichnung "im Beitrittsgebiet" einzusetzen. Eine den Geburten im Beitrittsgebiet gleichstehende Geburt wäre in diesem Zusammenhang mithin nur dann anzunehmen, wenn eine Spätaussiedlerin, die ihr Kind im Herkunftsgebiet geboren hat, ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet begründet hat.
Ein derartiges Verständnis der Norm ließe sich im übrigen auch mit der von der Beklagten besonders betonten Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 295a SGB VI aF (BT-Drucks 12/405, S 134) vereinbaren. Danach sollte durch diese Regelung klargestellt werden, daß ua Geburten in den ehemaligen Ostgebieten bzw Vertreibungsgebieten bei vertriebenen Müttern Anspruch auf dieselbe Leistung begründeten, wie sie Mütter bei einer Geburt im Beitrittsgebiet erhielten. Abgesehen davon, daß diese im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Absicht ohnehin im Wortlaut der Vorschrift keinen deutlichen Niederschlag gefunden hat, läßt die betreffende Formulierung offen, ob damit wirklich alle vertriebenen Mütter gemeint gewesen sein sollten oder nicht etwa nur solche, die sich aufgrund einer Wohnsitznahme im Beitrittsgebiet in einer den dort bereits lebenden Müttern vergleichbaren Situation befinden (vgl dazu auch die amtliche Überschrift des § 295a SGB VI: "Höhe der Leistung im Beitrittsgebiet").
Letztlich braucht dieser Auslegungsansatz hier nicht weiter vertieft zu werden. Sollte ihm gefolgt werden können, würde die Klägerin von § 295a Satz 1 SGB VI aF nicht erfaßt, da sie sich nach ihrem Zuzug nicht im Beitrittsgebiet, sondern in Baden-Württemberg niedergelassen hat. Auch wenn man diesen Lösungsweg nicht beschreiten wollte, scheidet nach Auffassung des erkennenden Senats jedenfalls ein Normverständnis aus, das im vorliegenden Fall zu einer Anwendbarkeit des § 295a Satz 1 SGB VI aF führt. Zwar mag die Begründung zum Gesetzesentwurf eine derartige Interpretation zulassen oder sogar nahelegen; sie ist jedoch - sieht man einmal von dem unzulänglichen Gesetzeswortlaut ab - insbesondere weder mit dem systematischen Zusammenhang des RÜG noch mit dem erkennbaren Sinn und Zweck der Norm zu vereinbaren.
Gewisse Schlüsse lassen sich insofern bereits aus dem Verhältnis zwischen Leistung für Kindererziehung und rentenrechtlichen Zeiten der Erziehung eines Kindes (§§ 56, 249 f SGB VI) ziehen. Da die Kindererziehungsleistung nach ihrem Zweck und ihrer Berechnungsgrundlage der Berücksichtigung einer Kindererziehungszeit bei der Rente sehr nahe steht, sollte sie auch in dem hier streitigen Punkt grundsätzlich nicht völlig anders behandelt werden als diese (vgl dazu allgemein BSGE 70, 1, 7 = SozR 3-5750 Art 2 § 62 Nr 5 S 20). Gemäß § 254d Abs 1 SGB VI werden Entgeltpunkte (Ost) nur für Zeiten der Erziehung eines Kindes im Beitrittsgebiet oder im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ermittelt, nicht jedoch bei jedwedem Auslandsaufenthalt (vgl dazu § 56 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB VI). Dem würde es widersprechen, wenn Auslandsgeburten generell der Regelung des § 295a SGB VI aF unterfielen.
Auch der hier relevante Zusammenhang mit dem Fremdrentenrecht führt zu keiner anderen Beurteilung. Gemäß § 28b Abs 1 Satz 1 FRG steht für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten die Erziehung im jeweiligen Herkunftsgebiet der Erziehung im Geltungsbereich des SGB gleich. Die Bewertung dieser Zeiten richtet sich nach Art 6 § 4 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes. In Abs 6 dieser Vorschrift werden diejenigen Fälle aufgeführt, in denen für nach dem FRG anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt werden. Dabei kommt es darauf an, daß der Berechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt (nach einem Stichtag) zumindest einmal im Beitrittsgebiet hatte. Dementsprechend werden FRG-Renten von Personen, die von vornherein ihren Wohnsitz im "alten" Bundesgebiet genommen haben, unter Heranziehung von Entgeltpunkten (West) berechnet. Dieser Konzeption würde es zuwiderlaufen, wenn vertriebene Mütter Kindererziehungsleistungen unterschiedslos - also ohne Rücksicht auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt - nach dem aktuellen Rentenwert (Ost) erhielten (vgl dazu Hase in Wannagat, SGB VI, 295a RdNr 3; Klattenhoff in Hauck, SGB VI, § 295a RdNr 5).
Angesichts dieser im wesentlichen durch das RÜG geschaffenen Rechtslage wäre es unzutreffend, mit der Beklagten davon auszugehen, der Gesetzgeber habe die Leistungen für FRG-Berechtigte allgemein dem Leistungsniveau im Beitrittsgebiet anpassen wollen. Allerdings läßt die Neuregelung fremdrentenrechtlicher Vorschriften durch das RÜG die gesetzgeberische Absicht erkennen, den sich aus der deutschen Einheit ergebenden Besonderheiten Rechnung zu tragen. Einerseits sollte das Eingliederungsprinzip des FRG grundsätzlich aufrechterhalten bleiben, andererseits ging das Bestreben dahin, eine deutliche Besserstellung neu zuziehender Aussiedler gegenüber bundesdeutschen Versicherten (insbesondere solchen im Beitrittsgebiet oder Übersiedlern aus dem Beitrittsgebiet) zu vermeiden (vgl Begründung zum Entwurf des RÜG, BT-Drucks 12/405, S 114 f). Demgemäß wurde im wesentlichen bestimmt: Aussiedler, die im Beitrittsgebiet, auf das der Geltungsbereich des FRG erstreckt wurde, Aufnahme finden, erhalten Leistungen, die dem Rentenniveau der dort lebenden Bürger entsprechen. Wer Aufnahme in den alten Bundesländern findet, soll Leistungen entsprechend den hier vorhandenen Einkommensverhältnissen erhalten, wobei sich der in § 22 Abs 4 FRG vorgesehene Kürzungsfaktor am Lohnniveau strukturschwacher Gebiete orientierte (vgl BT-Drucks 12/405, S 115; allgemein dazu auch BSG, Urteil vom 9. September 1998 - B 13 RJ 5/98 R, Umdr S 8 f <zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen>). Diese Kürzung erfolgt jedoch gerade nicht bei den Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten (vgl dazu Müller, DAngVers 1991, 315, 319 f).
Schließlich erlaubt auch die am 1. Juli 1998 in Kraft getretene, durch das RRG 1999 erfolgte Neufassung des § 295a Satz 1 SGB VI keine Rückschlüsse dahingehend, daß diese Vorschrift iS der von der Beklagten vertretenen Auffassung auszulegen ist. Danach wird die Leistung für Kindererziehung für Mütter bei Geburten im Beitrittsgebiet und "diesen gleichgestellten Gebieten" ab 1. Juli 2000 monatlich in Höhe des für die Berechnung von Renten jeweils maßgebenden aktuellen Rentenwertes (Ost) erbracht. Da es weiterhin an einer gesetzlichen Bestimmung fehlt, welche Gebiete als dem Beitrittsgebiet gleichgestellt gelten sollen, hat diese sprachliche Änderung keine größere Klarheit gebracht. Auch der Begründung zum Entwurf des RRG 1999 läßt sich dazu nichts entnehmen (vgl BT-Drucks 13/8011, S 66).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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