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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 25.11.1999
Aktenzeichen: B 13 RJ 63/98 R
Rechtsgebiete: FRG


Vorschriften:

FRG § 17a
FRG § 15
FRG § 16
Der nationalsozialistische Einflußbereich auf Ungarn ist entsprechend § 43 BEG auf den 06.04.1941 zu datieren.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 25. November 1999

in dem Rechtsstreit

Az: B 13 RJ 63/98 R

Klägerin und Revisionsklägerin,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, Königsallee 71, 40215 Düsseldorf,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Henke, die Richter Dr. Loytved und Dr. Neuhaus sowie die ehrenamtlichen Richter Meid und Rückert

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1998 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Altersruhegeld (ARG) bzw Regelaltersrente (RAR). Hierbei geht es insbesondere um die Anerkennung rumänischer Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach § 17a iVm §§ 15, 16 des Fremdrentengesetzes (FRG).

Die heute in Israel lebende jüdische Klägerin ist am 14. März 1927 in Piatra-Neamt (Rumänien) geboren. Sie besuchte von 1934 bis 1938 in ihrem Geburtsort die rumänische Volksschule und von 1938 bis 1940 das rumänische Lyzeum. Nach ihrem Umzug nach Turgu Muresch besuchte sie von 1940 bis 1944 ein ungarisches Lyzeum mit Deutsch als Unterrichtsfach. Nach dem Krieg lebte die Klägerin wieder in Piatra-Neamt, wo sie im Jahre 1946 ihren rumänisch sprechenden Ehemann heiratete und 1951 ein Kind gebar, dessen Muttersprache ebenfalls Rumänisch ist. Im Jahre 1962 wanderte die Klägerin nach Israel aus. Aufgrund des Bescheides des Regierungspräsidenten Köln vom 27. August 1968 erhielt die Klägerin für die Zeit vom 5. Mai 1944 bis 1. Februar 1945 wegen Freiheitsentziehung eine Entschädigung nach § 43 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG).

Am 28. Dezember 1990 beantragte die Klägerin die Gewährung von ARG und - ua - die Anerkennung von Versicherungszeiten nach dem FRG sowie die Berücksichtigung von Ersatzzeiten. Zu ihrem Antrag gab die Klägerin an, von Juni 1953 bis Dezember 1956 in Piatra-Neamt in einem Zeitungsgeschäft beschäftigt gewesen zu sein. Für diese Beschäftigung seien Beiträge zum staatlichen rumänischen Versicherungsträger abgeführt worden. Sie habe dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört und in ihrem Heimatgebiet bis zum Jahre 1940 die deutsche und rumänische Sprache in Wort und Schrift beherrscht. Deutsch sei die Muttersprache in ihrem Elternhaus gewesen, und sie selbst habe in ihrem persönlichen Lebensbereich bis zum Zeitpunkt der Auswanderung überwiegend die deutsche Sprache, außerhalb der Familie ab 1933 die deutsche Sprache und ab 1945 bis zur Auswanderung die rumänische Sprache benutzt.

Mit Bescheid vom 8. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1995 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von ARG im wesentlichen mit der Begründung ab, die Zugehörigkeit der Klägerin zum dSK sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 26. September 1997 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob die Klägerin zu dem Zeitpunkt, als der nationalsozialistische Einflußbereich (NS-Einflußbereich) sich auf ihr Heimatgebiet erstreckt habe, dem dSK angehört habe. Maßgeblicher Stichpunkt für den Beginn des NS-Einflußbereiches im Rahmen des § 17a FRG sei für Ungarn der 6. April 1941, was sich aus § 43 BEG ergebe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes habe sie dem dSK nicht angehört.

Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und zur Begründung gemäß § 153 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die Gründe des Urteils des SG Bezug genommen. Ergänzend hat das LSG ausgeführt: Im Rahmen des § 17a FRG sei § 43 BEG anwendbar. Nach § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 2. Halbsatz BEG idF des BEG-Schlußgesetzes (BEG-SG) vom 14. September 1965 gelte bei den von der Regierung des Staates Ungarn aus Gründen der Rasse vorgenommenen Freiheitsentziehungen der 6. April 1941 als Zeitpunkt der deutschen Veranlassung. Für die Anwendung des § 17a FRG komme es auf den Zeitpunkt an, in dem der NS-Einflußbereich sich auf das jeweilige Heimatgebiet erstreckt habe. Für den 6. April 1941 als Stichtag gebe es für die in § 43 BEG genannten Länder (Bulgarien, Rumänien und Ungarn) gute historische Gründe, die aber letztlich nicht entscheidend seien, weil der Gesetzgeber aus vertretbaren Gründen zum Mittel der Fiktion gegriffen habe. Da § 17a FRG Verfolgte betreffe, liege es außerdem näher, im Rahmen der Wortlautauslegung und Systematik auf das BEG als das "Grundgesetz" der Verfolgtenentschädigung zurückzugreifen. Da der Senat auf die Fiktion des 6. April 1941 als den Stichtag abstelle, bestehe für die von der Klägerin beantragte Beweiserhebung zum Beginn der NS-Einflußnahme in Ungarn durch historische Gutachten kein Raum. Auch die zweite Alternative von § 17a Buchst a Nr 2 FRG sei nicht erfüllt. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes eindeutig nicht mehr dem dSK angehört. Seit Kriegsende sei ihr Umfeld rein rumänisch geprägt gewesen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Klägerin im wesentlichen vor: Folge man der Auffassung des LSG, wonach der NS-Einflußbereich in Ungarn seit dem 6. April 1941 bestanden habe, so habe sie das 16. Lebensjahr zu diesem Zeitpunkt nicht vollendet gehabt. Mit der Gesetzesfassung des § 17a FRG sei aber auch die Interpretation vereinbar, daß es ausreiche, wenn das 16. Lebensjahr während der Verfolgungssituation vollendet worden sei. Mit der Formulierung "bis zu dem Zeitpunkt ... erstreckt hat" in § 17a FRG werde nämlich ein Zeitraum festgelegt, welcher solange angedauert habe, wie die Einflußnahme vorhanden gewesen sei. Eine derart weite Auslegung sei jedenfalls wegen des Entschädigungscharakters der Vorschrift geboten.

Abgesehen davon könne die NS-Einflußnahme in Ungarn erst mit dem 19. März 1944, dem Tag des Einmarsches deutscher Truppen in Ungarn, angenommen werden. Der Ermittlung der historischen Umstände habe sich das LSG entzogen, indem es das Tatbestandsmerkmal des NS-Einflußbereiches auf eine Rechtsfrage reduziert und § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 2. Halbsatz BEG im Wege der Analogie für anwendbar erklärt habe. § 43 BEG und § 17a FRG verfolgten jedoch unterschiedliche Zwecke und Ziele. Die Begriffe "Veranlassung" in § 43 BEG und "Einflußbereich" in § 17a FRG seien nicht miteinander vergleichbar. Während § 43 BEG das individuelle Schicksal des Verfolgten unter Zugrundelegung einer Beweiserleichterung betrachte, habe § 17a FRG die gesamtstaatliche Situation des ausländischen Staates im Verhältnis zum NS-Staat zum Inhalt. Ziel des § 17a FRG sei es, den Personenkreis der Verfolgten unabhängig von ihrem persönlichen Einzelschicksal zu erweitern, so daß § 17a FRG im Verhältnis zum BEG einen abweichenden Regelungsinhalt besitze.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1998 sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26. September 1997 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. April 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1995 zu verurteilen, ihr ab 1. April 1992 unter Anerkennung von Fremdrentenbeitragszeiten nach § 17a des Fremdrentengesetzes Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

Streitig ist nur noch die Gewährung von Rente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. April 1992, wie die Klägerin mit ihrem im Revisionsverfahren gestellten Antrag klargestellt hat. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin auch ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf RAR hat, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten vorliegen.

Der ab 1. April 1992 geltend gemachte Anspruch auf Altersrente ist nach dem zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu beurteilen. Nach § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften dieses Gesetzbuches von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die Ausnahmevorschrift des § 300 Abs 2 SGB VI greift vorliegend nicht. Zwar hat die Klägerin aufgrund des Antrags vom 28. Dezember 1990 den Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung der Reichsversicherungsordnung (RVO) geltend gemacht, doch konnte der Anspruch auf ARG nach der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden RVO nicht vor dem 1. Januar 1992 entstanden sein, da die Klägerin erst im März 1992 das 65. Lebensjahr vollendet hat. Die Berechtigung des Anspruchs der Klägerin auf Zahlung der RAR orientiert sich damit allein an den Vorschriften des SGB VI idF vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 2325).

Diese rechtliche Bewertung erfährt durch das Zusatzabkommen (ZAbk) vom 12. Februar 1995 zum Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit <Abk Israel SozSich> (BGBl 1996 II 299) keine Änderung. Dieses ZAbk sieht zwar in Art 1 Buchst e für die Ermittlungen der Leistungshöhe die Anwendung der am 1. Juli 1990 im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet geltenden rentenrechtlichen Vorschriften einschließlich derjenigen über die Erbringung von Leistungen an Berechtigte im Ausland vor, enthält jedoch keine eigenständige Regelung über das anwendbare Recht für die Feststellung des Anspruchs dem Grunde nach. Insoweit bleibt es bei den allgemeinen Bestimmungen des § 300 SGB VI.

Inhaltlich regelt Art 1 Buchst e ZAbk Israel SozSich die Grundsätze für die Berechnung der sog "Basisrente" (zu den Einzelheiten vgl Abendroth in DAngVers 1996, 342, 348 ff), wobei von den Vertragsparteien ersichtlich davon ausgegangen wurde, daß bei Einfügung des § 17a FRG zum 1. Juli 1990 (vgl BGBl 1989 I 2261, 2367) nahezu alle betroffenen Personen bereits im Rentenalter waren (vgl Denkschrift zum Zusatzabkommen in BT-Drucks 13/1809 S 9), so daß sich für den Regelfall die Frage nach der Anwendung des SGB VI ohnehin nicht stellte.

Abgesehen davon stimmen die Grundvoraussetzungen für Altersrentenleistungen ab Vollendung des 65. Lebensjahres nach RVO und SGB VI überein: Nach § 1248 Abs 5 RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung erhielt ARG der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 60 Kalendermonaten nach § 1248 Abs 7 Satz 3 RVO erfüllt hatte. § 35 SGB VI verlangt für den Anspruch auf RAR neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit, die nach § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI für die RAR fünf Jahre beträgt.

Auf die allgemeine Wartezeit anrechenbare Zeiten sind Beitragszeiten und Ersatzzeiten (§ 51 Abs 1 und 4 SGB VI). Beitragszeiten sind nach § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI solche Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach Satz 2 derselben Vorschrift sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Auch insoweit ist mit der Ablösung der RVO durch das SGB VI keine Rechtsänderung eingetreten (vgl § 1250 Abs 1 RVO).

Da das Vorhandensein von in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten von der Klägerin nicht behauptet wird und auch nicht ersichtlich ist, hätte vorliegend die Wartezeit - unter Berücksichtigung etwaiger Ersatzzeiten gemäß § 250 SGB VI bzw unter Beachtung der Bestimmungen des Abk Israel SozSich vom 17. Dezember 1973 idF des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl 1986 II 862) - nur erfüllt werden können, wenn die von der Klägerin behaupteten rumänischen Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten (Juni 1953 bis Dezember 1956) in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung als Versicherungszeiten zu berücksichtigen wären. Eine Anrechnung wäre zwar nach §§ 15, 16 FRG möglich. Die Klägerin gehört jedoch nicht zu dem insoweit begünstigten Personenkreis iS von § 1 FRG. Auch die Voraussetzungen des § 17a FRG, auf den sich die Klägerin allein stützen kann, sind nicht gegeben.

Soweit hier von Bedeutung bestimmt § 17a FRG: "Die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften dieses Gesetzes finden Anwendung auch auf a) Personen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat,

1. dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben

2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben und

3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten

und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs 2 Nr 3 des Bundesvertriebenengesetzes verlassen haben."

Diese Vorschrift ist durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) mit Wirkung ab 1. Juli 1990 (Art 85 Abs 6 RRG 1992) eingeführt worden. Ihr Buchst a Nr 2 ist durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) ebenfalls mit Wirkung ab 1. Juli 1990 (Art 42 Abs 3 RÜG) ergänzt worden.

Die Voraussetzungen des § 17a Buchst a Nrn 1 bis 3 FRG müssen, wie im Wortlaut unmißverständlich zum Ausdruck kommt, kumulativ vorliegen. Das Fehlen der Voraussetzungen in einer dieser Nummern führt dazu, daß Fremdrentenzeiten nach § 17a iVm §§ 15, 16 FRG nicht anerkannt werden können. Im Falle der Klägerin scheitert die Anwendung des § 17a Buchst a FRG an dem Fehlen der Voraussetzungen der Nr 2.

Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG gehörte die Klägerin beim Verlassen des Vertreibungsgebietes (Rumänien) nicht zum dSK, so daß die zweite Alternative von § 17a Buchst a Nr 2 FRG von vornherein nicht gegeben ist. Sie erfüllt aber auch nicht die Voraussetzungen der ersten Alternative von § 17a Buchst a Nr 2 FRG, weil sie zu Beginn der Erstreckung des NS-Einflußbereiches auf ihr Heimatgebiet das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Ungeachtet der Frage des im konkreten Fall anzunehmenden Beginns der NS-Einflußnahme (hierzu unten) kommt es im Rahmen des § 17a FRG allein darauf an, daß das 16. Lebensjahr zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet war, nicht dagegen - wie die Revision meint -, daß es während des Zeitraumes, in dem sich der NS-Einflußbereich auf das Heimatgebiet erstreckt hat, vollendet wurde. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, der eine Interpretation iS der Klägerin nicht zuläßt. Danach wird vorausgesetzt, daß der betroffene Personenkreis das 16. Lebensjahr bereits bis zu dem Zeitpunkt vollendet hatte, in dem sich der NS-Einflußbereich auf das jeweilige Heimatgebiet erstreckt hat. Dadurch wird hinsichtlich der Vollendung des 16. Lebensjahres auf einen Stichtag, nämlich den Beginn der Erstreckung des NS-Einflußbereiches, und nicht auf einen längeren Zeitraum, also die Dauer der Erstreckung des NS-Einflußbereiches, abgestellt. Auch die Gesetzesbegründung spricht vom "Beginn der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen" (BT-Drucks 11/5530 S 29), was gegen die Interpretation der Klägerin spricht, die den Zeitraum der andauernden Verfolgungsmaßnahmen ausreichen lassen möchte. Für die Richtigkeit dieser Auslegung lassen sich ferner die Regelungen in dem ZAbk Israel SozSich anführen, die die nach § 17a FRG zu gewährenden Fremdrenten für in Israel lebende (ehemals deutschsprachige) Juden erst zahlbar gemacht haben. Insbesondere wäre beispielsweise die Bestimmung des Art 1 Buchst f ZAbk Israel SozSich, wonach die vorangegangenen Bestimmungen nur auf Berechtigte Anwendung finden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 1. Juli 1990 im Staat Israel begründet haben, nur schwer nachvollziehbar, wenn für die Vollendung des 16. Lebensjahres auf die gesamte Zeitdauer des NS-Einflußbereiches im jeweiligen Heimatgebiet hätte abgestellt werden sollen. Letzterenfalls hätte davon ausgegangen werden müssen, daß noch eine relativ große Zahl von Betroffenen das 65. Lebensjahr erst in der Zeit zwischen Juli 1990 und Ende 1993 vollendet haben würde, weil sich der NS-Einflußbereich ungeachtet seines jeweiligen Beginns auf viele Gebiete noch bis Ende 1944 erstreckt hatte. Damit wäre die in der Denkschrift zum ZAbk (BT-Drucks 13/1809 S 59) zum Ausdruck kommende Annahme unvereinbar, bereits im Juli 1990 hätten nahezu alle von § 17a FRG betroffenen Personen das Rentenalter erreicht.

Entgegen der Auffassung der Revision kann angesichts des eigenständigen und klar formulierten Regelungsgehaltes des § 17a FRG für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr vollendet gewesen sein mußte, nicht auf andere Bestimmungen verwiesen werden, die die Anerkennung von Versicherungszeiten vom Erreichen eines bestimmten Lebensalters abhängig machen. Soweit die von der Revision zur Auslegung herangezogenen Vorschriften (§ 16 FRG aF und § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO bzw § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI in der früheren Fassung) für den Beginn der Anerkennung von Beschäftigungs- bzw Ausbildungszeiten auf die Vollendung des 16. Lebensjahres abstellten, dienten sie nicht der generellen Abgrenzung von bestimmten Personenkreisen, sondern legten jeweils den Beginn für eine konkrete Anrechnung von Versicherungszeiten fest. Wegen ihrer unterschiedlichen Stellung und Funktion kann eine analoge Heranziehung dieser Vorschriften für die Auslegung des § 17a FRG nicht begründet werden. Auch das weitere Argument, bei Vorschriften, die den Personenkreis der rassisch Verfolgten beträfen, sei eine Auslegung vorzunehmen, die das verursachte Unrecht soweit wie möglich wiedergutmache, ist nicht geeignet, die von der Revision vorgenommene Auslegung zu rechtfertigen. Angesichts des klaren Wortlautes und des eindeutig zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens ist kein Raum für eine derartige erweiternde Interpretation des § 17a FRG.

Die im März 1927 geborene Klägerin hatte im März 1943 das 16. Lebensjahr vollendet, so daß sie unter den durch § 17a FRG berechtigten Personenkreis nur fallen könnte, wenn sich der NS-Einflußbereich erst zu diesem oder einem späteren Zeitpunkt auf ihr Heimatgebiet erstreckt hätte. Dies war aber, wie von den Vorinstanzen zutreffend entschieden worden ist, vorliegend nicht der Fall.

Als Heimatgebiet iS des § 17a Buchst a FRG ist vom LSG, wenn auch ohne nähere Begründung, das damals in Ungarn gelegene Turgu Muresch (deutsch: Neumarkt; ungarisch: Maros Varashely) angesehen worden. Gegen diese Annahme sind keine Revisionsgründe vorgebracht worden, so daß der Senat an diese Feststellung gebunden ist (§ 163 SGG). Im übrigen entspricht es den historischen Gegebenheiten, daß das in Siebenbürgen gelegene Turgu Muresch aufgrund des Trianon-Vertrages nach dem Ersten Weltkrieg zu Rumänien gehörte, jedoch mit dem Zweiten Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 an Ungarn abgetreten wurde und bis zur Rückgängigmachung des Wiener Schiedsspruches mit den Friedensverträgen von 1947 beim ungarischen Staatsverband verblieb (vgl hierzu Oppermann in Praktische Fragen des Entschädigungsrechts - Judenverfolgung im Ausland, Hamburg 1958, S 81, 106 ff).

§ 17a Buchst a FRG gibt keine näheren Hinweise darauf, was der Gesetzgeber unter dem Begriff "NS-Einflußbereich" verstanden haben wollte (so auch Gerhard in Mitt LVA Rheinprovinz 1990, 389, 391). Die Gesetzesbegründung zu § 17a FRG (vgl BT-Drucks 11/530 S 29) konkretisiert diesen Begriff ebenfalls nicht näher. Dem Wortlaut kann allerdings entnommen werden, daß es auf einen unmittelbaren Einfluß der NS-Machthaber iS einer militärischen Okkupation oder direkten Übernahme der politischen Macht im jeweiligen Heimatgebiet nicht ankommt, sondern ein politischer Einfluß auf dieses Gebiet ausreicht. Es müssen daher unter diesen Begriff auch die von einem fremden Staat gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten allgemeinen Maßnahmen einbezogen werden, die von der NS-Regierung willentlich veranlaßt oder zumindest verursacht worden sind (so bereits Gerhard, aaO).

Führen Wortauslegung und Gesetzesbegründung vorliegend zu keiner endgültigen Konkretisierung, so bietet sich für die weitere Bestimmung des Begriffs "NS-Einflußbereich" ein Blick auf das Entschädigungsrecht an. Zwar enthält § 17a FRG keine spezielle Entschädigungsregelung für Verfolgte, und eine individuelle Verfolgteneigenschaft ist auch nicht Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift (vgl Verbands-Komm, § 17a FRG Anm 3.1.; Gerhard, aaO; Soßala in DAngVers 1990, 121, 122; Drozd in Mitt LVA Oberfr 1990, 351, 354), gleichwohl ist die große Nähe des § 17a FRG zu den sozialversicherungsrechtlichen Entschädigungsregelungen für Verfolgte nicht zu übersehen. Bei dem von § 17a FRG erfaßten Personenkreis kann es sich wegen der geforderten Zugehörigkeit zum Judentum (vgl § 17a Buchst a Nr 3 FRG) weitgehend nur um aus rassischen Gründen verfolgte Personen handeln. Auch wenn nicht auf ein individuelles Verfolgungsschicksal abgestellt wird, so spricht doch der Hinweis auf den Beginn der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen in der Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 11/5530 S 29) für einen inneren Zusammenhang des § 17a FRG mit den Entschädigungsregelungen. Dieser Zusammenhang wird verdeutlicht durch die Zielsetzung des § 17a FRG, mit welchem die Lücke zwischen dem nach dem FRG berechtigten Personenkreis der Vertriebenen (§ 1 FRG) und dem der vertriebenen Verfolgten (§ 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung <WGSVG>) geschlossen werden sollte (vgl hierzu Verbands-Komm, aaO; Drozd, aaO). Durch die Bezugnahme auf den Beginn der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen in der Gesetzesbegründung sowie die Beschränkung des Personenkreises auf (ehemals deutschsprachige) Juden steht § 17a FRG der Entschädigungsregelung des § 20 WGSVG sehr nahe und rechtfertigt seine Stellung im Fremdrentenrecht statt im WGSVG im wesentlichen damit, daß dem durch § 17a FRG begünstigten Personenkreis nicht die besonderen Regelungen des WGSVG zugute kommen sollen (vgl Soßala, aaO, S 122).

Dieser innere Zusammenhang mit den Entschädigungsregelungen läßt es als berechtigt erscheinen, für die Konkretisierung des Begriffes "NS-Einflußbereich" - bezogen auf Ungarn - auf die in § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 2. Halbsatz BEG gesetzlich begründete Fiktion zurückzugreifen (so auch - wenngleich ohne nähere Begründung - Verbands-Komm, aaO, Anm 3.3; Drozd, aaO, S 355; Gerhard, aaO, S 391). Mit der Ergänzung des § 43 durch das BEG-SG vom 14. September 1965 (BGBl I 1315) ist vom Gesetzgeber ua für Ungarn der 6. April 1941 als Beginn der deutschen Stellen zuzurechnenden Veranlassung von freiheitsentziehenden Maßnahmen festgesetzt worden. Aufgrund der erheblichen Beweisschwierigkeiten sowie im Hinblick auf eine unterschiedliche Rechtsprechung zu der Frage des Beginns der durch die NS-Machthaber veranlaßten Maßnahmen in den Ländern Bulgarien, Rumänien und Ungarn (vgl Klee in Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Bd IV, 1981, S 456), sah sich der Gesetzgeber seinerzeit veranlaßt, durch die Festlegung eines fiktiven Datums den Beginn der NS-Veranlassung in diesen Ländern gesetzlich zu regeln, um eine Gleichbehandlung der durch Freiheitsentziehung in diesen Ländern geschädigten Verfolgten zu erreichen. Wegen dieser gesetzlichen Fiktion (vgl OLG Koblenz RzW 1978, 134, 136) bedurfte es in der Folgezeit keiner konkreten historischen Klärung mehr, ab wann in den genannten, mit dem deutschen Reich zwar verbündeten, aber souveränen Staaten von einer deutschen Veranlassung von freiheitsentziehenden Maßnahmen auszugehen war. Nach der Fiktion des § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 2. Halbsatz BEG muß eine nach dem 6. April 1941 von ungarischen (ebenso rumänischen oder bulgarischen) Behörden vorgenommene Freiheitsentziehung auch dann als von der NS-Regierung veranlaßt angesehen werden, wenn das betreffende Land im Zeitpunkt der Internierung noch nicht ein vom Deutschen Reich abhängiger Staat gewesen ist (Brunn/Hebenstreit, BEG-Nachtrag 1966 - 1969, § 43 RdNr 5). Im Interesse der Verfolgten wurde mit dem durch das BEG-SG auch für Ungarn festgesetzten fiktiven Datum des 6. April 1941 als Beginn der deutschen Veranlassung ein möglichst früher Zeitpunkt gewählt, obwohl Ungarn zu diesem Zeitpunkt noch ein souveräner Staat war.

Auch wenn der Gesetzgeber in § 17a FRG selbst nicht auf den Begriff der Veranlassung iS des § 43 BEG zurückgegriffen hat, so ist die Problemlage des § 17a FRG, einen bestimmten Stichtag zu finden, ab dem eine Erstreckung des NS-Einflußbereichs auf Ungarn anzunehmen ist, vergleichbar mit den damals bei der Anwendung des § 43 BEG aufgetretenen Schwierigkeiten und rechtfertigt eine entsprechende Übernahme der in § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 2. Halbsatz BEG begründeten gesetzlichen Fiktion. Die Übernahme dieser Fiktion für die Bestimmung des Stichtages des NS-Einflußbereichs in § 17a Buchst a FRG liegt auch deshalb nicht fern, weil die Annahme, Freiheitsentziehungen seien ua in Ungarn bereits ab 6. April 1941 auf deutsche Veranlassung zurückzuführen, kaum nachvollzogen werden könnte, wenn nicht ab diesem Zeitpunkt auch ein Einfluß der deutschen NS-Machthaber auf Ungarn zugestanden würde. Darüber hinaus hat die Heranziehung des § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 2. Halbsatz BEG für die Auslegung des § 17a FRG den Vorteil, daß die Frage der Veranlassung bzw des Einflußbereiches nicht unterschiedlich für einen im wesentlichen identischen Personenkreis beantwortet wird. Nicht zuletzt dient die Übernahme der gesetzlichen Fiktion auch der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit.

Ist nach alledem vom Beginn der Erstreckung des NS-Einflußbereiches in Ungarn ab dem 6. April 1941 auszugehen, fällt die Klägerin nicht unter den Personenkreis des § 17a FRG, da sie zu diesem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Sind somit Fremdrentenzeiten nicht zu berücksichtigen und liegen andere Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung nicht vor, scheidet auch die Anerkennung von etwaigen Ersatzzeiten aus, so daß das LSG zu Recht offenlassen konnte, in welchem Umfang von der Klägerin Ersatzzeitentatbestände erfüllt worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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